Verwaltungsrecht

Erfolgloses, auf Verletzung rechtlichen Gehörs gestütztes Berufungszulassungsbegehren einer Familie aus Georgien

Aktenzeichen  15 ZB 18.30240

Datum:
9.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2310
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3, § 138 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt grundsätzlich nur vor, wenn das Gericht einen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung und rechtlichen Subsumtion vermag grundsätzlich die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör nicht zu begründen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 4 K 17.33329, AN 4 K 17.33442 2017-12-13 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen zwei Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Mai 2017 (ein Bescheid gerichtet an den Kläger zu 1, ein Bescheid gemeinsam gerichtet an die Klägerin zu 2 sowie den Kläger zu 3), mit dem ihnen jeweils die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wurde (Nr. 1), ihre Anträge auf Asylanerkennung abgelehnt wurden (Nr. 2), der subsidiäre Schutz nicht zuerkannt wurde (Nr. 3), festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), sie unter Androhung der Abschiebung nach Georgien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat aufgefordert wurden, die Bunderepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bescheidbekanntgabe bzw. dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen (Nr. 5) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet wurde (Nr. 6).
Ihre Klagen, mit denen sie beantragt hatten, das Bundesamt – insofern unter Aufhebung der Bescheide vom 8. Mai 2017 – zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihnen „die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 und 2 bis 7 AufenthG vorliegen“, wies das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 13. Dezember 2017 ab. In den Entscheidungsgründen wird hierzu u.a. unter Bezugnahme auf einen ärztlichen Bericht der … vom 2. November 2017 ausgeführt, der Gesundheitszustand des Klägers zu 3 habe sich nach der operativen Entfernung eines Hirntumors und weiteren medizinischen Behandlungen inzwischen so weit gebessert, dass für ihn von einer akuten Lebensgefahr keine Rede mehr sein könne. Wegen der erforderlichen Nachsorgemaßnahmen sei der Kläger zu 3 – wie bereits das Bundesamt detailliert und überzeugend ausgeführt habe – auf das Gesundheitssystem seines Herkunftslandes zu verweisen. Auch soweit der Kläger zu 3 als Folge der Gehirnoperation mit Maßnahmen der Physiotherapie, der Logotherapie und der Heilpädagogik behandelt werde, rechtfertige dies keine anderweitige Entscheidung. Solche Maßnahmen seien im ärztlichen Bericht vom 2. November 2017 nicht erwähnt und seien folglich nicht als lebenswichtig anzusehen. Selbst wenn vergleichbare Leistungen in Georgien nicht oder nicht auf ähnlichem Niveau wie in Deutschland zu erlangen wären, würde dies an der hier zu treffenden Entscheidung nichts ändern. Dass erforderliche Medikamente für die Kläger in Georgien nicht erschwinglich wären, sei mit der entsprechenden, erstmals mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2017 aufgestellten und nicht näher erläuterten gegenteiligen Behauptung von den Klägern nicht hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht worden; insbesondere seien von den Klägern die Ausführungen hinsichtlich der medizinischen Versorgungssituation in Georgien im angefochtenen Bescheid (bezüglich der Kläger zu 2 und zu 3) nicht konkret und substanziiert in Zweifel gezogen worden.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels in Form einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3, Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) in Bezug auf den vom Verwaltungsgericht abgelehnten Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 (insbes. Abs. 7 Satz 1 bis Satz 4) AufenthG aufgrund der Gesundheitssituation des Klägers zu 3 liegt nicht vor.
Nach dem Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs muss jeder Beteiligte Gelegenheit erhalten, sich zu dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Das in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Gebot des rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche vortragen zu können. Es verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Entscheidungserwägungen einzustellen. Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht erwogen hat. Ein Verfahrensfehler im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt daher grundsätzlich nur dann vor, wenn das Gericht einen Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder einen entsprechenden Vortrag dadurch vereitelt hat, dass es unter Verstoß gegen das Prozessrecht den Beteiligten die Möglichkeit zu weiterem Vortrag abgeschnitten hat und dieser übergangene bzw. vereitelte Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich war (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2017 – 15 ZB 17.30494 – juris Rn. 24 m.w.N.).
Es ist schon grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt werden kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 10). Im vorliegenden Fall spricht aber nichts dafür, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Kläger ignoriert und bei seiner Entscheidung nicht verwertet hat, im Gegenteil: Die Kläger hatten nicht nur Gelegenheit zu schriftsätzlichem Vortrag, ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 13. Dezember 2017 wurde dort der Gesundheitszustand des Klägers zu 3 einschließlich der medizinischen Behandlungen umfangreich thematisiert. Auch im Tatbestand des angegriffenen erstinstanzlichen Urteils wird auf die Krankheit und seinen Behandlungsverlauf und auf die hierauf bezogenen Ausführungen im angegriffenen Bescheid des Bundesamts (an die Klägerin zu 2 und den Kläger zu 3) eingegangen sowie auf den ärztlichen Bericht der … … … … … … vom 2. November 2017 Bezug genommen.
Mit ihrem Vorbringen, dass beim Kläger zu 3 trotz gut verlaufender Behandlung für weitere ein oder zwei Jahre ein erhöhtes Risiko einer Wiedererkrankung bestehe, dieser in Deutschland (auch aufgrund einer Entwicklungsverzögerung) noch weiterbehandelt werde, ihm im Fall der Wiedererkrankung in Georgien nicht geholfen werden könne und geeignete Medikament in Georgien nicht ohne weiteres zu erlangen bzw. nicht zu finanzieren seien und dass deshalb hinsichtlich des Klägers zu 3 zum gegenwärtigen Zeitpunkt entgegen der angegriffenen Entscheidung noch Abschiebungshindernisse vorlägen, wenden sich die Kläger gegen die Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung und rechtlichen Subsumtion durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall – ohne dass hier geklärt werden müsste, ob diese mit Blick auf die ausführliche Begründung im erstinstanzlichen Urteil am Maßstab von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG hinreichend substanziiert wurde – kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör aber grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 5.1.2018 – 9 ZB 17.31969 – juris Rn. 9; B.v. 6.11.2017 – 15 ZB 17.31393 – juris Rn. 7; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.9.2017 – 15 ZB 17.31105 – juris Rn. 5 m.w.N.: keine Geltung des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Asylrecht).
Das rechtliche Gehör wäre insofern allenfalls dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht im Sinne einer Überraschungsentscheidung den Sachverhalt oder das Vorbringen des Klägers in einer Weise gewürdigt hätte, mit der ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem vorherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte (BVerfG, B.v. 1.8.2017 – 2 BvR 3068/14 – NJW 2017, 3218 = juris Rn. 51 m.w.N.; BVerwG, B.v. 19.7.2010 – 6 B 20.10 – NVwZ 2011, 372 = juris Rn. 4; B.v. 27.7.2015 – 9 B 33.15 – NJW 2015, 3386 = juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 2, 4; B.v. 5.1.2018 – 9 ZB 17.31969 – juris Rn. 9). Das ist hier aber entgegen der Behauptung in der Zulassungsbegründung nicht der Fall. Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet keine generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. Die Sachverhaltswürdigung und die hieraus zu ziehenden rechtlichen Schlussfolgerungen bleiben in aller Regel der abschließenden Urteilsfindung des Gerichts vorbehalten und entziehen sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 9.11.2017 – 21 ZB 17.30468 – juris Rn. 2, 4). Hier kommt hinzu, dass es angesichts der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 8. Mai 2017 (bezüglich der Klägerin zu 2 und des Klägers zu 3) als auch aufgrund des vorgelegten Befundberichts der … … … … … … vom 2. November 2017, aus dem sich keine akute Lebensgefahr des Klägers zu 3 ergibt, nicht völlig überraschend für die Kläger sein konnte, dass das Verwaltungsgericht zu demselben Ergebnis bei der Rechtsanwendung gelangte wie das Bundesamt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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