Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Berufung im Verfahren auf Genehmigung einer sechsstufigen Wirtschaftsschule in Bayern

Aktenzeichen  7 BV 19.2470

Datum:
22.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41436
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 91, Art. 92, Art. 99, Art. 103 Abs. 1
GG Art. 7 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

Die Ersatzschulqualität einer Privatschule ist primär anhand ihrer äußeren Strukturmerkmale zu bestimmen. Maßgeblich sind hierfür insbesondere Schulform sowie Art und Dauer des Bildungsgangs. Wenn schon auf dieser Ebene ein hinreichendes Maß an Übereinstimmung mit den im öffentlichen Schulwesen vorhandenen oder grundsätzlich möglichen Schultypen festzustellen ist, sind pädagogisch-konzeptionelle Gegebenheiten auf dieser Ebene nicht einzubeziehen. (Rn. 19)

Verfahrensgang

M 3 K 18.3894 2019-10-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 22. Oktober 2019 wird in den Nummern I, II und III abgeändert. Unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Juli 2018 wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin mit Wirkung ab dem Schuljahr 2018/19 die Genehmigung zum Betrieb einer sechsstufigen Wirtschaftsschule als Ersatzschule zu erteilen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte über den vorliegenden Rechtsstreit im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten jeweils auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf die Erteilung einer Genehmigung zum Betrieb einer ab Jahrgangsstufe 5 beginnenden sechsstufigen Wirtschaftsschule als Ersatzschule ab dem Schuljahr 2018/2019 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist daher abzuändern.
1. Gemäß Art. 7 Abs. 4 Satz 2 GG, Art. 92, 99 BayEUG bedarf die Errichtung, der Betrieb und die wesentliche Änderung einer privaten Ersatzschule der Genehmigung. Die Genehmigung ist unter den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG zu erteilen.
a) Die von der Klägerin beantragte sechsstufige Wirtschaftsschule ist als private Ersatzschule im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG und Art. 91 BayEUG zu genehmigen.
Ersatzschulen im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG sind solche Privatschulen, die nach dem mit ihrer Errichtung verfolgten Gesamtzweck als Ersatz für eine in dem Land vorhandene oder grundsätzlich vorgesehene öffentliche Schule dienen sollen (BVerfG, B.v. 14.11.1969 – 1 BvL 24/64 – juris Rn. 25; BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 12.7.2017 – 7 B 17.437 – juris Rn. 14). Ihnen stehen solche Privatschulen gegenüber, die staatliche Schulangebote nicht zu ersetzen vermögen und mit deren Besuch daher – anders als durch den Besuch von Ersatzschulen – die staatliche Schulpflicht nicht erfüllt werden kann (sog. Ergänzungsschulen; BVerfG, B.v 14.11.1969 a.a.O. Rn. 25; BVerwG, U.v. 30.1.2013 a.a.O. Rn. 10).
Ob eine Schule Ersatzschule im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG ist, bestimmt sich nach Bundesverfassungsrecht. Das Landesrecht beeinflusst jedoch die praktische Reichweite des verfassungsrechtlichen Ersatzschulbegriffs, insoweit es festlegt, welche öffentliche Schulen es gibt, denen eine Privatschule überhaupt entsprechen kann (BVerfG, B.v. 9.3.1994 – 1 BvR 1369/90 – juris Rn. 55; BVerwG, U.v. 18.12.1996 – 6 C 6.95 – juris Rn. 34; U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 11). Welche Schulformen nach dem Grundgesetz als weiterführende Ersatzschulen genehmigungsfähig sind, hängt von der durch das jeweilige Landesrecht ausgestalteten Schulstruktur ab. Dabei ist insbesondere im Bereich der weiterführenden Schulen keine strenge Akzessorietät zu fordern (vgl. BVerfG, B.v. 8.6.2011 – 1 BvR 759/08 u.a. – juris Rn. 21; BVerwG, U.v. 18.12.1996 – 6 C 6.95 – juris Rn. 34; U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 11).
Die Ersatzschulqualität einer Privatschule ist nach der gefestigten Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht primär anhand ihrer äußeren Strukturmerkmale zu bestimmen. Maßgeblich sind hierfür insbesondere Schulform sowie Art und Dauer des Bildungsgangs. Wenn schon auf dieser Ebene ein hinreichendes Maß an Übereinstimmung mit den im öffentlichen Schulwesen vorhandenen oder grundsätzlich möglichen Schultypen festzustellen ist, sind pädagogisch-konzeptionelle Gegebenheiten auf dieser Ebene nicht einzubeziehen (vgl. BVerfG, B.v. 9.3.1994 – 1 BvR 1369/90 – juris Rn. 54; BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 13 f.).
Lediglich für den (Ausnahme) Fall, dass eine relevante Abweichung in äußeren Strukturmerkmalen vorliegt, ist weiter zu prüfen, ob diese mit einer Abweichung zur pädagogischen Konzeption einhergeht. Dem liegt die „freiheitssichernde Intention“ der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere im Urteil vom 8. Dezember 1996 – 6 C 6.95 – (juris Rn. 40) zu Grunde, dass der Rückgriff auf pädagogisch-konzeptionelle Gegebenheiten bereits bei der Prüfung der Ersatzschuleigenschaft Privatschulen auch dann eine Genehmigungsperspektive eröffnet, wenn bestimmte strukturbezogene Abweichungen die Grundlinien der staatlichen Schulpolitik letztlich nicht konterkarieren (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 15 m.w.N.). Anderenfalls würde dem Gesetzgeber über Gebühr Raum eröffnet, durch – normativ schwer greifbare – Festlegungen seiner schulpädagogischen Konzeption den zulässigen Umfang des Ersatzschulwesens von vornherein einzuengen (BVerwG, U.v. 30.01.2013 a.a.O. Rn. 13).
Der Ersatzschulbegriff führt damit zum Ausschluss der Genehmigungsfähigkeit solcher Privatschulen, die in so gravierender Weise von den im öffentlichen Schulwesen verbreiteten Typen abweichen – beispielsweise durch Ausrichtung der Ausbildung auf staatlich nicht geregelte Abschlüsse -, dass es aus dem Blickwinkel der staatlichen Schulhoheit von vornherein nicht vertretbar wäre, ihren Besuch dem Besuch einer öffentlichen Schule gleichzustellen und als Erfüllung der Schulpflicht zu werten (vgl. BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 13).
Hieran gemessen ist bei der von der Klägerin beantragten sechsstufigen Wirtschaftsschule im Hinblick auf ihren Aufbau und ihre Struktur sowie auf ihren Bildungsgang grundsätzlich ein hinreichendes Maß an Übereinstimmung mit der im bayerischen Schulrecht geregelten Schulform Wirtschaftsschule festzustellen.
aa) Das Schulwesen im Freistaat Bayern gliedert sich in allgemeinbildende und berufliche Schulen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayEUG). In den Jahrgangsstufen 1 bis 4 besuchen alle Kinder, soweit sie nicht eine Förderschule besuchen, die Grundschule (Art. 7 Abs. 2 BayEUG). Zur 5. Jahrgangsstufe erfolgt der Übertritt an eine weiterführende Schule. Die Mittelschule, die Realschule und das Gymnasium bauen dabei mit ihren 5. Jahrgangsstufen jeweils auf der Grundschule auf (Art. 7a Abs. 2 Satz 1, Art. 8 Abs. 2 Satz 2, Art. 9 Abs. 2 Satz 2 BayEUG). Die Jahrgangsstufe 5 ist an allen weiterführenden Schulen als sog. Gelenkklasse ausgestaltet (vgl. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über die Ausgestaltung der Jahrgangsstufe 5 an allen weiterführenden Schulen als Gelenkklasse in der Übertrittsphase v. 27.5.2010 – KWMBl 12/2010).
Die Wirtschaftsschule gehört zu den beruflichen Schulen (Art. 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c BayEUG). Sie ist eine Berufsfachschule, die in derzeit vier verschiedenen Formen angeboten wird (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayEUG). Sie umfasst in zweistufiger Form die Jahrgangsstufen 10 und 11, in dreistufiger Form die Jahrgangsstufen 8 bis 10, in vierstufiger Form die Jahrgangsstufen 7 bis 10. Wirtschaftsschulen in vierstufiger Form können zudem eine 6. Klasse als Vorklasse führen. Die Wirtschaftsschule baut in zweistufiger Form auf dem qualifizierenden Abschluss der Mittelschule, in dreistufiger Form auf der Jahrgangsstufe 7 und in vierstufiger Form auf der Jahrgangsstufe 6 der Mittelschule auf. Sie vermittelt eine allgemeine und eine berufliche Grundbildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung und bereitet im Unterschied zu sonstigen Berufsfachschulen, an denen auch eine Berufsausbildung erworben werden kann (vgl. Art. 13 Satz 1 BayEUG), ausschließlich auf eine entsprechende berufliche Tätigkeit vor. Nach bestandener Abschlussprüfung verleiht sie den Wirtschaftsschulabschluss (Art. 14 Abs. 2 Satz 4 BayEUG).
bb) Bei der Prüfung, ob eine Privatschule als Ersatzschule im Sinne von Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG zu genehmigen ist, ist zu berücksichtigen, dass Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG allein den Zweck verfolgt, Schülerinnen und Schüler von Ersatzschulen vor einem ungleichwertigen Schulerfolg zu schützen, nicht die inhaltliche Einheit des Schulwesens zu sichern (BVerwG, B.v. 21.7.2011 – 6 B 29.11 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine formale Entsprechung zu den jeweils im Landesrecht typisierten Schularten und -formen ist nicht zu fordern (vgl. BVerfG, B.v. 8.6.2011 – 1 BvR 759/08 u.a. – juris Rn. 21).
Hieran gemessen ist für die von der Klägerin angestrebte sechsstufige Wirtschaftsschule beginnend ab der Jahrgangsstufe 5 aufgrund ihrer äußeren Strukturmerkmale ein hinreichendes Maß an Übereinstimmung mit dem landesrechtlichen System der öffentlichen Wirtschaftsschule(n) festzustellen. Dieses ist davon geprägt, den Bildungsgang Wirtschaftsschule in unterschiedlichen zeitlichen Zuschnitten anzubieten. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass dem bayerischen Landesrecht derzeit eine sechsstufige Wirtschaftsschule beginnend ab der Jahrgangsstufe 5 unbekannt ist. Die von der Klägerin beantragte Schule ist gleichwohl als Ersatzschule zu qualifizieren. Sie entspricht im Hinblick auf ihren Bildungsgang den gesetzlich geregelten Wirtschaftsschulen und zielt gleichermaßen auf die Vermittlung des Wirtschaftsschulabschlusses ab.
(1) Zwar wird der Beginn der Wirtschaftsschule im klägerischen Modell um ein Jahr nach vorne verlagert. Diese Abweichung ist jedoch aus dem Blickwinkel der staatlichen Schulhoheit zu tolerieren.
Dem von der Klägerin beantragten Modell einer sechsstufigen Wirtschaftsschule steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber es mit dem Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen vom 24. Juli 2020 (GVBl S. 386) durch die Einfügung von Art. 14 Abs. 2 Satz 3 BayEUG den bereits bestehenden öffentlichen vierstufigen Wirtschaftsschulen ermöglicht hat, als optionales vorbereitendes Zusatzangebot eine 6. Jahrgangsstufe als Vorklasse einzurichten. Aus der Begründung zum Gesetzentwurf ergibt sich, dass die „6. Jahrgangsstufe dabei den Charakter eines auf den Besuch der Wirtschaftsschule hinführenden Bildungsangebots [hat], in der die Schülerinnen und Schüler auf die Anforderungen der Wirtschaftsschule gezielt vorbereitet werden.“ Zwar verweist der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 18/5860 S. 7) darauf, dass die „Grundstruktur der vierstufigen Wirtschaftsschule“ erhalten bleiben, der reguläre Einstieg in die Wirtschaftsschule weiterhin mit der 7. Jahrgangsstufe beginnen solle. Eine ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung dahingehend, dass damit ein früherer Beginn ausgeschlossen sein soll, liegt hierin nicht. Aus welchen Gründen sich der Gesetzgeber für das Modell der Vorklasse entschieden hat, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Dies mag an der Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz über die Berufsfachschulen (Beschluss v. 17.10.2013 i.d.F. v. 25.3.2021 – KMK-Rahmenvereinbarung) liegen, jedoch ist aus der Tatsache, dass nach Abschluss des Schulversuchs „Wirtschaftsschule ab Jahrgangsstufe 6“, keine Jahrgangsstufe 6, sondern eine „Vorklasse“ eingeführt wurde, nicht abzuleiten, dass der Konzeption des Art. 14 Abs. 2 BayEUG eine Grundentscheidung innewohnt, nach der ein früherer Beginn ausgeschlossen sein soll. Denn auch die eingeführte Vorklasse ist Bestandteil der Wirtschaftsschule und dient insoweit der Erfüllung der Schulpflicht. Dass die 6. Jahrgangsstufe als Vorklasse zur vierstufigen Wirtschaftsschule und nicht als fünfstufige Wirtschaftsschule bezeichnet wird, die es nach dem Urteil des Senats vom 12. Juli 2017 – 7 B 17.437 – (juris) bereits als private Ersatzschule gibt, ändert hieran nichts. Da öffentliche Wirtschaftsschulen in Bayern bereits heute in vier unterschiedlichen Formen betrieben werden und sich das von der Klägerin angestrebte Modell in Aufbau und Struktur stark an das gesetzlich normierte Modell der vierstufigen Wirtschaftsschule mit Vorklasse annähert und zudem lediglich eine Weiterführung ihrer bereits staatlich anerkannten fünfstufigen Wirtschaftsschule ist, ist – bezogen auf die äußeren Strukturmerkmale – keine gravierende Abweichung von im öffentlichen Schulwesen vorhandenen Schultypen festzustellen.
(2) Dies gilt auch, soweit eingewandt wird, es sei eine wesentliche bildungspolitische Entscheidung des bayerischen Landesgesetzgebers, dass die Wirtschaftsschule auf (mindestens) einer Jahrgangsstufe der Mittelschule „aufbaue“. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass auch von Realschule und Gymnasium ein Wechsel auf eine Wirtschaftsschule möglich ist (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und 3 WSO). Eine strenge Bindung an eine mittelschulische Vorbildung existiert daher nicht. Der Aspekt des Aufbauens auf einer Jahrgangsstufe der Mittelschule bringt vielmehr zum Ausdruck, dass die Wirtschaftsschule, die weit überwiegend im Sekundarbereich I angesiedelt ist, an die Lehrinhalte, die in der vorgehenden Jahrgangsstufe der Mittelschule üblicherweise vermittelt werden, anschließt und damit ermöglicht, dass die Schülerinnen und Schüler jeweils an bereits vorhandenes Vorwissen anknüpfen können. Dementsprechend enthält auch die Stundentafel der derzeitigen Vorklasse der öffentlichen Wirtschaftsschulen kein wirtschaftliches Schwerpunktfach, sondern orientiert sich am Lehrplan der 6. Jahrgangsstufe der Mittelschule. Die Vorklasse nähert sich damit inhaltlich weitgehend der 6. Jahrgangsstufe der Mittelschule an, in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch ergänzt um jeweils eine zusätzliche Unterrichtsstunde pro Woche. Der Einwand, es sei der bayerischen Bildungspolitik fremd, auf der 4. Jahrgangsstufe der Grundschule eine berufliche Schule aufbauen zu lassen, erschließt sich vor dem Hintergrund nicht, dass der Beklagte selbst mit Bescheid vom 27. März 2019 festgestellt hat, dass die von der Klägerin bereits betriebene sechsstufige Wirtschaftsschule als Ergänzungsschule zur Erfüllung der Schulpflicht geeignet ist.
(3) Der beklagtenseits vorgebrachte Einwand, aus der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zur Ausgestaltung der Jahrgangsstufe 5 an allen weiterführenden Schulen als Gelenkklasse in der Übertrittsphase ergebe sich, dass die Konzentration der Übertrittsentscheidung auf die Zeit nach der Jahrgangsstufe 4 nicht zu den Zielen bayerischer Schulpolitik gehöre, überzeugt nicht. Ungeachtet der Frage, wie weit die Bindungswirkung einer solchen ministeriellen Bekanntmachung reicht, ist nicht erkennbar, inwieweit sich dieser Aspekt, der sich auf alle weiterführenden Schulen in Bayern bezieht, auf die Frage auswirken soll, ob die von der Klägerin beantragte Schulform eine Ersatzschule im Sinne von Art. 91 BayEUG darstellt. Zudem erfolgt in Bayern der Übertritt in Realschule oder Gymnasium regelmäßig nach dem Ende der Grundschulzeit und damit zur 5. Jahrgangsstufe. Das Konzept der Gelenkklasse soll, soweit es die weiterführenden Schulen betrifft, Schülerinnen und Schüler auch während des ersten Schuljahres an der jeweiligen weiterführenden Schule begleiten und unterstützen sowie in Zweifelsfällen einen erneuten Wechsel der Schulform erleichtern. Dieses Konzept kann auch an einer sechsstufigen Wirtschaftsschule umgesetzt werden. Auch ein erneuter Übertritt an eine andere Schulform nach der 5. Klasse bleibt grundsätzlich möglich.
(4) Das Vorbringen des Beklagten, die Klägerin wolle eine „hybride Schulform“ betreiben, die dem bayerischen Landesrecht fremd sei, verkennt, dass die Wirtschaftsschulen in Bayern von Anfang an als Berufsfachschulen konzipiert waren, deren Schwerpunkt auch auf der Vermittlung allgemeiner Bildung liegt (vgl. Art. 14 BayEUG a.F.). Bis zur Einführung ihrer zweistufigen Form im Jahr 2000 (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayEUG i.d.F. der Bekanntmachung vom 31.5.2000 – GVBl 414, 632) gab es Wirtschaftsschulen in Bayern allein in dreistufiger (Jahrgangsstufe 8 bis 10) und vierstufiger (Jahrgangsstufe 7 bis 10) Form. Die Wirtschaftsschule war damit bis zum Jahr 2000 ausschließlich im Sekundarbereich I angesiedelt, der grundsätzlich die mittlere Schulbildung umfasst. Konsequenterweise wird sie deshalb auch in der Vereinbarung der Kultusministerkonferenz über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I (Beschluss v. 3.12.1993 i.d.F. v. 26.3.2020), die eine gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen regelt, aufgeführt. Nach der sich aus Art. 14 BayEUG ergebenden gesetzgeberischen Grundkonzeption sind die Wirtschaftsschulen zwar Berufsfachschulen, sie unterscheiden sich jedoch von „klassischen“ Berufsfachschulen in wesentlichen Aspekten erheblich: Art. 13 Satz 1 BayEUG regelt für Berufsfachschulen im Allgemeinen, dass diese der Vorbereitung auf eine Berufstätigkeit oder der Berufsausbildung dienen und die Allgemeinbildung „fördern“. Für die Wirtschaftsschulen normiert Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayEUG hingegen explizit, dass diese allgemeine Bildung „vermitteln“. Wirtschaftsschulen müssen also schon nach dem Willen des Gesetzgebers, insbesondere in ihrer dreistufigen und vierstufigen Form sowie in der vierstufigen Form mit Vorklasse, aufgrund des für Berufsfachschulen grundsätzlich atypischen frühen Beginns vor allem in den unteren Jahrgangsstufen einen besonderen Fokus auf die Vermittlung von Allgemeinbildung legen. Die Wirtschaftsschule ist damit eine Berufsfachschule eigener Art, die seit jeher eine Sonderstellung im Bayerischen Schulsystem innehat, indem sie wesentliche Aspekte der Allgemeinbildung mit einer beruflichen Grundbildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung verbindet (vgl. Art. 13 BayEUG i.d. bis zum 31.7.1994 gültigen Fassung – wonach die Wirtschaftsschule eine zwischen den Angeboten der Hauptschule und des Gymnasiums liegende allgemeine Bildung und eine berufliche Grundbildung im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung vermittelte und auf eine entsprechende berufliche Tätigkeit vorbereitete).
(5) Auch der Einwand, eine sechsstufige Wirtschaftsschule stelle keine Berufsfachschule mehr dar, da sie den Charakter einer allgemeinbildenden Schule erhielte und damit nicht mehr der KMK-Rahmenvereinbarung unterläge, ist nicht durchgreifend. Die KMK-Rahmenvereinbarung regelt u.a. die gegenseitige Anerkennung von an Berufsfachschulen erworbenen Schulabschlüssen. Sie trifft für die drei- und vierstufige Wirtschaftsschule in Bayern ausdrückliche Sonderregelungen, die dem Umstand Rechnung tragen, dass diese im Sekundarbereich I angesiedelt sind, nicht auf einem bereits erworbenen Schulabschluss aufbauen und länger als ein oder zwei Jahre dauern (vgl. Fußnoten 3, 5 der KMK-Rahmenvereinbarung). Unabhängig davon, dass die KMK-Rahmenvereinbarung keine Vorgaben für die Schulstruktur des jeweiligen Landes und damit keine Voraussetzungen für die Genehmigung einer privaten Ersatzschule in Bayern beinhalten kann und unabhängig von der Frage, ob ein an einer sechsstufigen privaten Wirtschaftsschule erworbener Abschluss bundesweit Anerkennung findet, lässt sich aus der KMK-Rahmenvereinbarung nichts ableiten, was dagegen spräche, dass auch eine solche Wirtschaftsschule grundsätzlich eine Berufsfachschule ist und einen Wirtschaftsschulabschluss vermitteln kann. Auch trägt der Beklagte hierzu nichts Substantiiertes vor. Zudem müssten die Schülerinnen und Schüler einer sechsstufigen privaten Wirtschaftsschule – jedenfalls solange diese nicht staatlich anerkannt ist – ihren Wirtschaftsschulabschluss als sog. andere Bewerberinnen oder Bewerber an einer öffentlichen Wirtschaftsschule ablegen (§ 40 WSO). Soweit der Beklagte vorbringt, an einer sechsstufigen Wirtschaftsschule könne kein Schulabschluss erzielt werden, da für einen allgemeinbildenden mittleren Schulabschluss ein Teil der naturwissenschaftlichen Grundbildung fehle, geht dies an der Sache vorbei. Denn vorliegend steht außer Frage, dass an der beantragten sechsstufigen Wirtschaftsschule ausschließlich ein Wirtschaftsschulabschluss im Sinne von Art. 14 Abs. 3 BayEUG vermittelt werden soll. Allein auf dieses Bildungsziel ist auch die von der Klägerin beantragte Schule gerichtet.
(6) Die thematisierte Frage, ob die von der Klägerin begehrte Ersatzschule staatlich anerkannt werden kann, ist für die Frage der Ersatzschuleigenschaft nicht konstitutiv (vgl. BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 6 B 6.12 – juris Rn. 10) und vorliegend nicht streitgegenständlich.
(7) Da der Senat daher davon ausgeht, dass die von der Klägerin beantragte sechsstufige Wirtschaftsschule in ihren äußeren Strukturmerkmalen ein hinreichendes Maß an Übereinstimmung mit den im öffentlichen Schulsystem vorhandenen Wirtschaftsschultypen aufweist, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, für die Frage der Ersatzschuleigenschaft nicht mehr darauf an, ob sich die beantragte Schule in die pädagogische Gesamtkonzeption des Landesgesetzgebers einpasst (vgl. BVerwG, U.v. 30.1.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 14 f. unter Klarstellung gegenüber U.v. 18.12.1996 – 6 C 6.95 – juris Rn. 40).
b) Die Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 92 Abs. 2 BayEUG liegen vor, insbesondere steht die beantragte Ersatzschule in ihren Lehrzielen nicht hinter öffentlichen Schulen zurück. Entscheidend hierfür ist, ob im Kern gleiche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden. Dabei wird keine Gleichartigkeit mit öffentlichen Schulen verlangt, sondern eine Gleichwertigkeit (vgl. BVerfG, B.v. 8.6.2011 – 1 BvR 759/08 u.a. – juris Rn. 16; BVerwG, U.v. 30.01.2013 – 6 C 6.12 – juris Rn. 17). Es ist vorliegend zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Klägerin im Wesentlichen vergleichbare Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt, da sie sich weitgehend am Lehrplan für die Jahrgangsstufe 5 der Mittelschule in Bayern orientiert. In den Hauptfächern Deutsch, Englisch und Mathematik wird darüber hinaus jeweils eine Wochenstunde zusätzlich unterrichtet (vgl. hierzu Vermerk der Regierung v. Oberbayern v. 6.4.2018 Bl. 75 BA).
Der Klägerin ist daher die beantragte Genehmigung zum Betrieb einer sechsstufigen Wirtschaftsschule beginnend ab der Jahrgangsstufe 5 ab dem Schuljahr 2018/2019 zu erteilen. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts war daher abzuändern.
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ff. ZPO.
III. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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