Verwaltungsrecht

Erfolgreiche Klage hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots

Aktenzeichen  Au 6 K 15.30772

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 3, § 4, § 29a, § 34 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 7, § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 1

 

Leitsatz

1 In Albanien bestehen keine derart schlechten humanitären Bedingungen, dass der Ausländer bei einer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Abschiebungsanordnung ist auch im Falle der Rücknahme des Asylantrags bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 S. 1 AsylG zu erlassen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 7 S. 1 AufenthG hängt vom Eintritt der Bestandskraft der asylrechtlichen Statusentscheidung ab. Ist der Verwaltungsakt wegen Erledigung auf anderer Weise nicht mehr wirksam, ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot rechtswidrig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. Dezember 2015 wird in Nr. 6 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 9/10, die Beklagte 1/10.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist hinsichtlich des erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheides begründet, da dieses im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO; § 77 Abs. 1 des Asylgesetzes – AsylG).
1. Die Klage ist (jedenfalls) hinsichtlich Nr. 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Dezember 2015 zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.
a) Die Frage, ob gegen Nr. 1 bis 3 des Bescheides eine isolierte Anfechtung grundsätzlich statthaft bzw. zielführend ist, kann hier dahinstehen, da der Kläger seinen Asylantrag – vor Bestandskraft der Sachentscheidung der Beklagten – zurückgenommen hat, so dass zur Verfolgung seines Rechtsschutzzieles keine Verpflichtung des Bundesamtes erforderlich ist.
Der Klage fehlt infolgedessen insoweit bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Letztlich kann dies aber – auch mit Blick auf den möglichen Rechtsschein, der durch die Ablehnung des Asylantrages gesetzt wurde – ebenfalls dahinstehen. Denn die Klage ist hinsichtlich der begehrten Aufhebung in Nr. 6 jedenfalls begründet (s. nachfolgend unter Nr. 3).
Lediglich klarstellend wird daher festgehalten, dass aufgrund der Rücknahme des Asylantrages vorliegend davon auszugehen ist, dass die Sachentscheidung der Beklagten in Nr. 1 bis 3 des streitgegenständlichen Bescheides gegenstandslos geworden ist (vgl. Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 32 AsylG Rn. 7; Heusch in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.11.2015, § 32 AsylG Rn. 19; Wolff in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl. 2008, § 32 AsylG Rn. 3). Die zwischenzeitlich gegenüber dem Bundesamt erfolgte Rücknahme des Asylantrags findet Berücksichtigung, da gemäß § 77 Abs. 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich und eine Rücknahme bis zum Eintritt der Bestandskraft der Sachentscheidung des Bundesamtes möglich ist (vgl. Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, § 32 AsylG Rn. 2; Heusch in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 32 AsylG Rn. 8; Wolff in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, § 32 AsylG Rn. 3). Für die Zulässigkeit der Rücknahme des Asylantrages nach der Sachentscheidung durch das Bundesamt, aber vor deren Bestandskraft, spricht bereits der Wortlaut des § 38 Abs. 2 AsylG, der auf die Rücknahme des „Asylantrages vor der Entscheidung des Bundesamtes“ abstellt, während § 38 Abs. 3 AsylG allgemein an die Rücknahme des Asylantrages anknüpft. Auch nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ist eine wirksame Rücknahme des Asylantrages während des gerichtlichen Verfahrens möglich (vgl. BayVGH, U. v. 10.9.1991 – 19 BZ 90.30695 – BayVBl 1992, 21 zu § 7 AsylVfG a. F., danach führt die wirksame Rücknahme eines Asylantrages während des gerichtlichen Verfahrens zur Rechtswidrigkeit des Anerkennungsbescheides, lässt seine Wirksamkeit aber unberührt). Schließlich folgt grundsätzlich die Befugnis, einen bereits gestellten Asylantrag vor Bestandskraft der behördlichen Sachentscheidung zurückzunehmen, aus dem Recht zur Antragstellung. Denn die Entscheidung stellt einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt dar und die Rücknahme ist – wie dargelegt -aufgrund des Asylgesetzes gerade nicht generell ausgeschlossen, wenngleich hinsichtlich der Folgen der Rücknahme zu differenzieren ist (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 43 Rn. 41a; § 22 Rn. 80, 85 und 90 f.).
b) Hinsichtlich Nr. 7 des angefochtenen Bescheides fehlt dem Kläger ebenfalls das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, denn er ist durch die Befristung nicht beschwert. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall einer Abschiebung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG in der seit 24.10.2015 geltenden Fassung). Die getroffene behördliche Regelung bezieht sich allein auf dessen zeitliche Befristung, weil im Falle der Abschiebung das gesetzliche Einreise-/Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Der Kläger wäre dann insoweit schlechter gestellt.
2. Die Klage ist unbegründet, soweit der Kläger die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4 des Bescheides), und die daran anknüpfende Abschiebungsandrohung (Nr. 5 des Bescheides) – die rechtlich nicht zu beanstanden ist – bleiben von der Rücknahme unberührt. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids wird in vollem Umfang verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Es kann dahinstehen, ob insoweit eine Verpflichtung des Bundesamts durch das Verwaltungsgericht überhaupt möglich wäre, denn der Kläger hat den insoweit versagenden Teil des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (Nr. 4) nur mit einem Anfechtungsantrag angegriffen, nicht mit einem zielführenden weitergehenden Verpflichtungsantrag. Eine Klageerweiterung in offener Klagefrist ist nicht erfolgt; mittlerweile ist die Klagefrist abgelaufen. Ob insoweit eine gegenteilige Verpflichtung der Beklagten dennoch möglich wäre, kann offen bleiben, da die Klage in diesem Umfang jedenfalls unbegründet ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).
b) Der Kläger hat in der Sache keinen Anspruch auf die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Auf den Bescheid des Bundesamts wird insoweit Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend zu § 60 Abs. 7 AufenthG ausgeführt:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Aus-länder einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger Gefahr liefen, in Albanien auf derart schlechte humanitäre Bedingungen zu stoßen, dass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde, gibt es nach der Auskunftslage nicht (s. hierzu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Albanien vom 10.6.2015, Stand: Mai 2015, S. 12 ff.). Weshalb es dem Kläger deshalb nicht gelingen sollte, jedenfalls das Existenzminimum bei einer Rückkehr zu sichern, ist nicht ersichtlich.
Die auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung, die auch im Falle der Rücknahme des Asylantrags bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu erlassen ist (vgl. § 32 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG; BVerwG, U. v. 17.8.2010 – 10 C 18/09 – InfAuslR 2010, 464), ist rechtmäßig. Gegen die Ausreisefrist von einer Woche bestehen vorliegend ebenfalls keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3. Die Klage ist jedoch hinsichtlich des erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheides begründet.
Das seitens des Bundesamtes angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hängt vom Eintritt der Bestandskraft der asylrechtlichen Statusentscheidung ab; dies ergibt sich bereits unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, danach wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam (vgl. Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 11 AufenthG, Rn. 110; Maor in Heusch in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 11 AfunethG Rn. 68 ff.).
Die Bestandskraft setzt die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes voraussetzt; aufgrund der vorgenannten Gegenstandslosigkeit ist aber von einer Erledigung auf andere Weise und demnach einem Ende der Wirksamkeit der Verwaltungsakte in Nr. 1 bis 3 des angefochtenen Bescheides auszugehen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2014, § 22 Rn. 91 m. w. N.; Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG; 8. Aufl. 2014, § 43 Rn. 170; Müller in Huck/Müller, VwVfG, 1. Aufl. 2011, § 43 Rn. 5 und 23). Das angefochtene Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Nr. 6 des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Dezember 2015 ist demnach rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt.
Zwar ist, wie dargelegt (s.o. Nr. 1 a), hinsichtlich der Folgen der Rücknahme zu differenzieren, jedoch führt dies insoweit auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (vgl. BVerwG, U. v. 16.12.2008 – 1 C 37/07 – BVerwGE 132, 382 danach entfällt die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingetretene Sperrwirkung nicht durch nachträgliche Rücknahme des Asylantrages) zu keinem anderen rechtlichen Ergebnis. Denn dieser Entscheidung lag eine andere Sachverhaltskonstellation zugrunde. Zudem knüpft die Sperre des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur daran an, dass das Bundesamt den Asylantrag nach § 30 Abs. 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, setzt also nicht, wie § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, tatbestandlich nicht die unanfechtbare Ablehnung oder Rücknahme des Asylantrages voraus. Zudem folgt die vorgenannte Begrenzung der Folgen der Rücknahme aus dem gesetzlichen Zweck des § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, den Missbrauch im Asylverfahren zu sanktionieren.
4. Kosten: § 155 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben