Verwaltungsrecht

Erfolgsloser, auf eine Abweichungsrüge gestützter Berufungszulassungsantrag eines Staatsangehörigen aus Somalia

Aktenzeichen  20 ZB 17.31538

Datum:
16.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132514
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Divergenzgerichts führt zur Zulassung der Berufung, wenn das erstinstanzliche Urteil auf der Abweichung beruht. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Voraussetzungen für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eizelfallbezogene Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bei Annahme besonderer gefahrerhöhender Umstände. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.32728 2017-09-01 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Zulassungsantrag der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. September 2016 (Az. M 11 K 16.32728) bleibt ohne Erfolg, weil die gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegten Gründe die Zulassung der Berufung nicht rechtfertigen.
1. Die von der Beklagten gerügte Abweichung von einem in den Urteilen des Senats vom 23. März 2017 (Az. 20 B 15.30110) sowie vom 28. März 2017 (Az. 20 B 15.30204) aufgestellten Tatsachensatz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) führt nicht zur Zulassung der Berufung, weil die angefochtene Entscheidung nicht auf dieser Abweichung beruht. Soweit das angefochtene Urteil in Abweichung von der genannten Rechtsprechung des Senats davon ausgeht, dass in Süd- und Zentralsomalia, insbesondere Mogadischu die Gefahrendichte so hoch sei, dass jede Person allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer erheblichen individuellen Gefährdung, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sei, beruht das Urteil nicht allein auf dieser Erwägung. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, selbständig tragend auf die Erwägung gestützt, dass bei ihm besondere gefahrerhöhende Umstände vorlägen. Mit dieser Feststellung weicht das Verwaltungsgericht jedoch nicht von der Rechtsprechung eines Divergenzgerichtes ab. Bei einer sog. kumulativen Mehrfachbegründung muss hinsichtlich jedes Begründungsstranges ein Zulassungsgrund dargelegt sein und vorliegen, um dem Antrag auf Zulassung der Berufung zum Erfolg zu verhelfen (Berlit in GK-AsylG, § 78 m.w.N. Rn. 580 ff.).
2. Die von der Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob in Mogadischu überhaupt noch ein bewaffneter Konflikt herrscht, wie ihn § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG voraussetzt,
hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), weil es zu ihrer Klärung keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. In den von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen zur Gefahrenlage in Mogadischu bzw. in Süd- und Zentralsomalia hat der Senat diese Frage allerdings offen gelassen, weil es darauf nicht entscheidungserheblich ankam. Denn der Senat ging dort, wie bereits ausgeführt, davon aus, dass jedenfalls die Gefahrendichte in der betreffenden Region nicht so hoch ist, dass jede Person allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer erheblichen individuellen Gefährdung, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, ausgesetzt ist (BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris; U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris). Im vorliegenden Falle, in dem das Verwaltungsgericht besondere gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers angenommen hat, kommt es jedoch auf diese Frage als Vorfrage einer erheblichen individuellen Gefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG an. Vom Vorliegen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grades an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12, Diakité – NVwZ 2014, 573, juris LS 1 und Rn. 28; BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris Rn. 21; U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24; U.v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 20). Gemessen daran liegt in Mogadischu ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt vor. Al-Shabaab verübt dort nicht nur – wie in anderen „befreiten“ Gebieten – nach wie vor Attentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder gar getötet werden, welches für sich genommen als Terrorismus einzustufen wäre. Vielmehr finden auch direkte Kampfhandlungen zwischen den somalischen Streitkräften, AMISOM und Al-Shabaab statt (BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris Rn. 21; U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24, jeweils u.V.a. Österreichisches Bundesasylamt, Analyse der Staatendokumentation – Somalia, Lagekarten zur Sicherheitslage v. 12.10.2015, S. 22 ff.; dies., Länderinformationsblatt v. 25.4.2016, S. 22; vgl. zu Letzterem auch die Aktualisierung vom 27.6.2017 a.a.O., S. 28: „hingegen scheint die Strategie der al Shabaab zunehmend bewaffnete Zusammenstöße als bevorzugtes Mittel zu umfassen“). Al-Shabaab vollzieht dort nunmehr eine asymmetrische Kriegsführung, die insbesondere gezielte Attentate, den Einsatz von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen und überfallartige Angriffe (sog. „hit and run“) umfasst (BayVGH, U.v. 28.3.2017 – 20 B 15.30204 – juris Rn. 21; U.v. 23.3.2017 – 20 B 15.30110 – juris Rn. 24, jeweils u.V.a. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 116.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris Rn. 35; Österr. Bundesasylamt a.a.O.; vgl. nun auch den Bericht der schweizerisch-österreichischen Fact Finding Mission zur Sicherheitslage in Somalia, August 2017, S. 74/75). Auf dieser Grundlage erscheint die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG im Einzelfalle bei Annahme besonderer gefahrerhöhender Umstände nachvollziehbar, wie sie das Verwaltungsgericht beim Kläger festgestellt hat.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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