Verwaltungsrecht

Erledigungsrechtsstreit, Teilweise Erledigung durch Berichtigung eines Verwaltungsakts

Aktenzeichen  M 31 K 21.3533

Datum:
26.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 11087
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
VwGO § 161 Abs. 2
BayVwVfG Art. 42 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I.Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II.Es wird festgestellt, dass sich die Hauptsache insoweit erledigt hat, wie die Tenorierung des zu erstattenden Betrags im streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2021, Az. AWHR2-*****, 482,12 EUR übersteigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.Von den Kosten des Verfahrens hat die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen.
IV.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO). Der ausdrücklichen Prozesserklärung des Klägerbevollmächtigten zufolge bezieht sich dies (allein) auf den unter Ziffer II. gestellten Antrag aus der Klageschrift vom 2. Juli 2021. Zurückgenommen wurde mithin die begehrte Verpflichtung, der Klägerin Dezemberhilfe gemäß den einschlägigen Zuwendungsrichtlinien zu gewähren.
2. Die Klage ist im Übrigen nur zum Teil begründet.
2.1 Mit der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung hat die Klägerin von ihrem ursprünglichen Antrag Abstand genommen und begehrt nunmehr in zulässiger Weise die Feststellung, dass die Hauptsache erledigt ist. Der Übergang vom ursprünglichen Klageantrag zum Erledigungsfeststellungsantrag unterliegt nicht den Einschränkungen der §§ 91, 142 VwGO (vgl. etwa BVerwG, U.v. 1.9.2011 – 5 C 21/10 – juris Rn. 10 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Schübel-Pfister, in: Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO § 113 Rn. 143 f.; Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 117 ff.). Das Verfahren beschränkt sich auf die Erledigungsfrage; über den Erledigungsfeststellungsantrag ist durch Urteil zu entscheiden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2020 – 8 C 26/20 – juris Rn. 15; Schübel-Pfister, aaO.).
2.2 Dies zugrunde gelegt ist der Antrag der Kläger auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache zum Teil erfolgreich. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich der Rechtsstreit erledigt hat, ist dabei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 136). Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung führt hier zur teilweisen Erledigungsfeststellung, weil ausgehend von dem ursprünglichen Antrag objektiv ein teilweise erledigendes Ereignis eingetreten ist.
2.2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erledigt sich die Hauptsache, wenn in einem anhängig gewordenen Verfahren ein außerprozessuales Ereignis eintritt, das geeignet ist, dem Rechtsschutzbegehren die Grundlage zu entziehen. Dies ist der Fall, wenn das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre des Klägers oder Antragstellers liegen, nicht mehr zu erlangen ist, weil es entweder bereits außerhalb des gerichtlichen Verfahrens erreicht worden oder überhaupt nicht mehr erreichbar ist (BVerwG, B.v. 24.10.1997 – 4 NB 35/96 – juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 131).
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass sich die Hauptsache insoweit erledigt hat, als die Vertreterin der Beklagten mit Prozesserklärung vom 26. April 2022 den streitgegenständlichen Bescheid berichtigt hat und die Tenorierung des zu erstattenden Betrags 482,12 EUR übersteigt. Damit wurde der zurückzuzahlende Betrag um die Hälfte reduziert. Dies geschah im Wege einer Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit (Art. 42 Satz 1 BayVwVfG), die – ohne dass es in diesem Zusammenhang mit Blick auf die damit verbundene Rechtsfolge einer inhaltlichen Bescheidsänderung darauf ankäme – auch ohne weiteres zulässig gewesen ist (zu den Anforderungen näher etwa Uechtritz, in: NK-VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 42 Rn. 5, 12, 15 ff.). In diesem Umfang ist gleichwohl das Rechtsschutzziel der Klägerin, das nach Klagerücknahme im Übrigen noch – wenngleich nicht nur – in der Aufhebung der tenorierten Regelung über den zu erstattenden Betrag lag, erreicht worden.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Berichtigung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts im vorliegenden Fall innerhalb des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgte. In Rechtsprechung und Literatur wird zur Feststellung einer Erledigung zum Teil ausdrücklich ein außerprozessuales Ereignis vorausgesetzt. Richtigerweise ist insoweit allerdings auf die Wirkung des entsprechenden Ereignisses abzustellen: Zwar wurde hier die den streitgegenständlichen Verwaltungsakt berichtigende Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung abgegeben, sie entfaltet ihre verbindliche Wirkung aber in erster Linie im materiellrechtlichen Bereich und stellt somit auch ein „außerprozessuales Ereignis“ dar, das als ein den Rechtsstreit (teilweise) erledigendes Geschehen angesehen werden kann (BayVGH, B.v. 1.12.2003 – 3 CE 03.2098 – juris Rn. 21).
2.2.2 Weiterhin geht das Gericht davon aus, dass der begehrten Feststellung der Erledigung der Hauptsache im konkreten Fall auch nicht entgegensteht, dass lediglich eine teilweise Berichtigung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts erfolgte. Bei einer Anfechtungsklage, deren Gegenstand ein belastender Verwaltungsakt ist, tritt eine Erledigung der Hauptsache immer dann ein, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche Beschwer nachträglich wegfällt. Daher ist eine Hauptsachenerledigung insbesondere in den Fällen anzunehmen, in denen der angefochtene Verwaltungsakt aufgehoben oder durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird (OVG Schleswig-Holstein, B.v. 14. Dezember 2020 – 5 LB 6/20 – juris Rn. 30; OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 26.11.2008 – 6 A 10588/08.OVG – juris Rn. 15; jeweils unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 19.12.1997 – 8 B 244/97 – juris Rn. 8). Teile von Rechtsprechung und Literatur können in diesem Zusammenhang so verstanden werden, dass lediglich ein vollständiger Wegfall des angefochtenen Verwaltungsakts – sei es durch Aufhebung oder Ersetzung – zu einer Hauptsacheerledigung führt. Werde hingegen der Verwaltungsakt lediglich geändert, könne von einer Erledigung des Verfahrens wegen des teilweisen Fortbestehens des Verwaltungsaktes grundsätzlich nicht die Rede sein (OVG Rheinland-Pfalz, aaO., ähnlich wohl Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 137: kein Wegfall der Beschwer, weil der Verwaltungsakt im Übrigen fortbestehe). Vor diesem Hintergrund wäre hier fraglich, inwieweit durch die die streitgegenständliche Erstattungsregelung lediglich teilweise betreffende Berichtigung überhaupt eine Hauptsacheerledigung eingetreten ist.
Nach Auffassung des Gerichts ist auch vor dem Hintergrund der vorgenannten Einschränkungen eine teilweise Erledigung der Hauptsache jedenfalls dann möglich, wenn – wie hier – ein teilbarer Regelungsgegenstand wie die Festsetzung eines Erstattungsbetrages einer bestimmten Höhe vorliegt. In der durch die Berichtigung reduzierten Höhe liegt in jedem Fall ein vollständiger Wegfall der Beschwer und nicht lediglich eine Änderung des Verwaltungsakts vor. Eine Erledigung ist mithin (nur) in diesem Umfang eingetreten, nicht aber im Übrigen: Wird der Verwaltungsakt lediglich in der Weise geändert, dass der alte Inhalt zum Teil fortbesteht und Rechtswirkungen zeitigt, tritt insofern keine Erledigung ein (so zutreffend OVG Schleswig-Holstein, aaO.). Etwas anderes wird sicherlich in Fällen zu gelten haben, in denen ein Kläger aufgrund eines nachträglichen Ereignisses sein Ziel nur teilweise erreicht, jedoch insgesamt nicht daran gehindert ist, sein ursprüngliches Klagebegehren weiterzuverfolgen (so etwa Neumann/Schaks, in: Sodan/Ziekow, NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 142 unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 7.6.1978 – VII C 63.76 – juris Rn. 57 für die Konstellation einer nachträglich eintretenden vorläufigen Regelung im Sinne des Klägers). So liegt der Fall hier jedoch gerade nicht: Aufgrund der Berichtigung des Erstattungsbetrages durch die Beklagte ist das Rechtsschutzziel der Klägerin in diesem Umfang vollständig erreicht.
2.3 Insgesamt ist daher insoweit eine Erledigung der Hauptsache eingetreten, als die Vertreterin der Beklagten mit Prozesserklärung vom 26. April 2022 den streitgegenständlichen Bescheid berichtigt hat und die Tenorierung des zu erstattenden Betrags 482,12 EUR übersteigt. Der nach Klagerücknahme im Übrigen durch die anwaltlich vertretene Klägerin noch aufrecht erhaltene Antrag I. auf der Klageschrift vom 2. Juli 2021 beinhaltet die Aufhebung des gesamten streitgegenständlichen Bescheids der Beklagten vom 2. Juni 2021. Hinsichtlich dessen Regelungsgehalts im Übrigen, insbesondere der Rücknahme des Bescheids über eine Abschlagszahlung vom 3. Januar 2021, ist eine Erledigung der Hauptsache nicht eingetreten. Insoweit war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Alt, Abs. 2 VwGO. § 161 Abs. 2 VwGO, der eine Kostenverteilung nach Billigkeitsgesichtspunkten ermöglicht, ist nicht anwendbar.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben