Verwaltungsrecht

Erneuerung der Passagierberechtigung für Luftsportgeräteführer – Luftfahrerschein

Aktenzeichen  M 31 K 20.1634

Datum:
1.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26892
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LuftVG § 4, § 10, § 31c, § 31d
LuftPersV § 16, § 84a
BeauftrV § 6
VwVfG § 51
VwGO § 121
VO (EU) Nr. 1178/2011

 

Leitsatz

Wurde die Ablehnung eines Antrags auf (Wieder-) Erteilung einer luftfahrtpersonalrechtlichen Erlaubnis oder Berechtigung durch rechtskräftiges Urteil bestätigt, kann eine Sachentscheidung über einen erneuten solchen Antrag nur beansprucht werden, wenn die Rechtskraftbindung des Urteils nach den Regeln über das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG überwunden wird.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
Es handelt sich bei dem streitbefangenen Bescheid des gemäß § 31c Satz 1 LuftVG i.V.m. § 4 BeauftrV vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur beauftragten Deutschen Fallschirmsportverbandes e.V. vom 7. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Luftfahrt-Bundesamts vom 12. Februar 2020, das gemäß § 31d Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 2, § 31c Satz 1 LuftVG i.V.m. § 6 Satz 1 BeauftrV als Aufsichtsbehörde auch für die Entscheidung über den nach § 31d Abs. 4 Satz 1 LuftVG statthaften Widerspruch des Klägers zuständig war, nicht um eine bloße wiederholende Verfügung, sondern vielmehr um einen sogenannten Zweitbescheid, der den neuen Antrag des Klägers im Lichte seines aktuellen Vortrags beschieden und abgelehnt hat. Dieser Bescheid entfaltet gemäß § 35 Satz 1 VwVfG Regelungswirkung und eröffnet die Möglichkeit der Anfechtung im Wege der Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage. Die Rechtsbehelfsbelehrung:en in Ausgangs- und Widerspruchsbescheid enthalten ausdrücklich auch entsprechende, auf Widerspruch (Bescheid vom 7.9.2019) und Klage (Widerspruchsbescheid vom 12.2.2020) lautende Hinweise.
Dem Kläger fehlt es indessen an einem Anspruch auf Erneuerung der begehrten Passagierberechtigung (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klage, die sich zutreffend gegen die Bundesrepublik Deutschland, nach § 31d Abs. 4 Satz 7 LuftVG gesetzlich vertreten durch den hier prozessführungsbefugten Deutschen Fallschirmsportverband e.V. (vgl. Baumann in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, 21. EL Januar 2019, § 31d Rn. 25 f.), richtet, ist unbegründet. Einer erneuten Sachprüfung bedarf es dazu vorliegend nicht (1.). Unabhängig davon hat der Kläger auch materiell-rechtlich keinen Anspruch auf Erneuerung der von ihm begehrten Passagierberechtigung (2.). Der Kläger hat den klageweise geltend gemachten Anspruch folglich aus zwei alternativ voneinander die Entscheidung tragenden Gründen nicht inne (3.).
1. Die Klage ist bereits ohne erneute gerichtliche Sachprüfung als unbegründet abzuweisen (vgl. Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 121 Rn. 33 f. und 47). Dies folgt nach § 121 Nr. 1 VwGO aus der Bindungswirkung der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. Mai 2015 (1.1.), die nicht zugunsten des Klägers durchbrochen ist (1.2).
1.1 Einer materiellen Prüfung des Begehrens des Klägers steht entgegen, dass seine Verpflichtungsklage gegen die Versagung der Verlängerung der Passagierberechtigung im Bescheid vom 23. Juli 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. November 2013 mit Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. Mai 2015, das infolge des den Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers ablehnenden Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27. Juni 2016 gemäß § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig geworden ist, unanfechtbar abgewiesen wurde. Dieses Urteil entfaltet die Wirkung des § 121 Nr. 1 VwGO. Danach binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand einer Verpflichtungsklage ist die Rechtsbehauptung des Klägers, er habe einen Anspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsakts (vgl. z.B. Kilian/Hissnauer in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 51). Dementsprechend enthält ein eine Verpflichtungsklage abweisendes Sachurteil die Feststellung, dass zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der behauptete Anspruch nicht besteht. Diese Feststellung ist von der Bindungswirkung des § 121 VwGO erfasst und entspricht der Funktion der Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Urteile, durch die Maßgeblichkeit und Rechtsbeständigkeit der Entscheidung über den Streitgegenstand Rechtsfrieden zu gewährleisten. Dieser Zweck, der aus dem verfassungsrechtlich geschützten Prinzip der Rechtssicherheit folgt, hat zur Folge, dass ein im Vorprozess unterlegener Kläger, solange und soweit die Bindungswirkung des klageabweisenden rechtskräftigen Urteils im zeitlichen wie persönlichen Umfang reicht, keinen Rechtsanspruch auf eine erneute – behördliche oder gerichtliche – Entscheidung in der Sache hat (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2001 – 5 C 9/11 – juris Rn. 20 f.).
Dies zugrunde gelegt, steht die Rechtskraftwirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlands vom 8. Mai 2015 einem Anspruch des Klägers auf Sachentscheidung über den Antrag auf Erneuerung der Passagierberechtigung für Springfallschirmführer nach § 84a LuftPersV vom 28. August 2019 entgegen. Das nunmehrige klägerische Begehren entspricht vor dem Hintergrund der streitbefangenen Anforderungen an die Tauglichkeit eines Erneuerungsbewerbers (§ 16, § 84a Abs. 5 Satz 2 LuftPersV i.V.m. den flugmedizinischen Voraussetzungen des Beauftragten zur Verlängerung und Erneuerung der Passagierberechtigung) vollständig dem vormaligen Streitgegenstand „Verlängerung einer Passagierberechtigung für Sprungfallschirmführer“, über den durch das vorgenannte Urteil bereits rechtskräftig entschieden worden ist.
1.2 Der Kläger kann auch keine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung für sich beanspruchen.
Die Wirkung des § 121 VwGO kann nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden. So liegt es nur, wenn der Betroffene nach § 51 VwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Behörde das Verfahren im Ermessenswege wegen einer Ermessensreduzierung auf Null wiederaufgreifen muss. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf erneute Sachentscheidung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG liegen nicht vor (1.2.1). Auch ergibt sich ein solcher nicht aus § 51 Abs. 5 VwVfG (1.2.2).
1.2.1 Eine Änderung der Sach- und Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist nicht gegeben. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass sich die Rechtslage seit Rechtskraft des Urteils vom 8. Mai 2015, die mit Bekanntgabe des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2016 an die Beteiligten eingetreten ist (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO; vgl. zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens z.B. Kuhlmann in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124a Rn. 64), in vorliegend relevanter Weise verändert hätte. Auch liegen schließlich keine neuen Tatsachen hinsichtlich des zur rechtlichen Beurteilung stehenden Sachverhalts vor, sodass eine Änderung der Sachlage ebenfalls nicht gegeben ist. Dies gilt namentlich vor dem Hintergrund das am 19. Juni 2019 erstellten ärztlichen Gutachtens. Dieses legt dieselben medizinischen Tatsachen wie das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes bei der Entscheidung über den damals streitigen Anspruch auf Verlängerung der Passagierberechtigung zugrunde. Insbesondere ist weder eine erneute medizinische Untersuchung des Klägers erfolgt noch eine weitere tatsächliche Aufklärung des den Kläger betreffenden flugmedizinischen Sachverhalts in sonstiger relevanter Weise ersichtlich. Hiervon gehen zutreffend auch der Bescheid vom 7. September 2019 wie auch der Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2020 aus.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Er hat keine neuen Beweismittel vorgelegt. Neu sind nur solche Beweismittel, die während der Anhängigkeit des ersten Verwaltungsverfahrens noch nicht vorhanden waren, als auch solche, die ohne Verschulden des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten. Beweismittel sind solche Erkenntnismittel, die die Überzeugung von der Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen begründen können. Sachverständigengutachten sind i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nur dann neue Beweismittel, wenn sie nach Abschluss des Verwaltungs(streit-)verfahrens erstellt und neue, seinerzeit nicht bekannte Tatsachen verwerten, wenn sie also selbst auf neuen Beweismitteln beruhen. Anderenfalls müsste jedes neue Sachverständigengutachten regelmäßig zum Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens führen, und es käme durch beliebig wiederholbares Vorlegen neuer Sachverständigengutachten zur „ständigen Neuauflage des Verwaltungsverfahrens“. Danach reicht die Vorlage des am 19. Juni 2019 erstellten ärztlichen Gutachtens nicht aus, weil ihm zur Beurteilung derselbe Sachverhalt ohne Hinzutreten neuer, im vormaligen Verwaltungsstreit noch unbekannter Tatsachen zugrunde gelegen hat (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1994 – 2 C 12/92 – juris Rn. 24).
Schließlich ist die Beklagte auch nicht mit Rücksicht auf § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zum Wiederaufgreifen des Verfahrens verpflichtet. § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG i.V.m. § 580 Nr. 7 lit. b ZPO (Auffinden einer anderen Urkunde) greift hinsichtlich des erst nachträglich erstellten ärztlichen Gutachtens nicht ein.
1.2.2 Auch aus § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG ergibt sich zugunsten des Klägers kein Anspruch darauf, dass die Rechtskraftwirkung im Wege des Wiederaufgreifens des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens überwunden wird. Diese Vorschriften ermöglichen es einer Behörde, nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen ein rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen. Die im Vorprozess obsiegende Behörde ist durch die Rechtskraftwirkung eines den Anspruch des Klägers ablehnenden Urteils nicht gehindert, unter Beachtung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auf die Durchsetzung des von ihr erlassenen belastenden Verwaltungsakts zu verzichten oder den begehrten begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen. Dabei müssen die Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung und damit ein Wiederaufgreifen gebieten, in ihrer Bedeutung und ihrem Gewicht mit einem der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbar sein. Grundsätzlich handelt eine Behörde nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie eine erneute Sachentscheidung im Hinblick auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung in dem früheren Verwaltungs(streit-)verfahren ablehnt. Insoweit bedarf es regelmäßig keiner weiteren, ins Einzelne gehenden behördlichen Ermessenserwägungen. Im Lichte des Gebots der materiellen Gerechtigkeit verdichtet sich das Ermessen der Behörde zugunsten des Betroffenen allerdings dann, wenn das Festhalten an dem rechtskräftig bestätigten Verwaltungsakt schlechthin unerträglich wäre (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.12.2011 – 5 C 9/11 – juris Rn. 29).
Derartige Umstände, nach denen die Aufrechterhaltung des Erstbescheids schlechthin unerträglich und es daher geboten wäre, das Verfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Die Beklagte konnte ihre Ablehnung, erneut inhaltlich über die Frage der Erteilung der begehrten Passagierberechtigung zu entscheiden, ermessensfehlerfrei darauf stützen, dass diese bereits rechtskräftig entschieden worden ist. Die Ausführungen im streitbefangenen Bescheid vom 7. September 2019, im Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2020 sowie nochmals auch im Schreiben des Luftfahrt-Bundeamts an den Kläger vom 9. März 2020 genügen den vorstehend dargelegten Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Hinblick auf § 51 Abs. 5 VwVfG und sind mithin nicht zu beanstanden. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes und der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes sind nicht fehlerhaft. Vielmehr erweisen sich diese auch zur Überzeugung des erkennenden Gerichts als – jedenfalls im Ergebnis (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO analog) – zutreffend (dazu sogleich nachfolgend unter 2. im Einzelnen). Jedenfalls liegt ein offensichtlicher Richtigkeitsfehler dieser gerichtlichen Entscheidungen, der mit Blick auf den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zur Vermeidung schlechthin unerträglicher Resultate ausnahmsweise Abweichendes gebieten könnte, keinesfalls vor.
2. Unabhängig vom vorstehend Erörterten und selbständig dazu die klageabweisende Entscheidung tragend, hat der Kläger auch materiell-rechtlich keinen Anspruch auf Erneuerung der begehrten Passagierberechtigung. Die erlaubnispflichtige Tätigkeit des Klägers als Luftsportgeräteführer beurteilt sich nach den Bestimmungen der Verordnung über Luftfahrtpersonal (2.1), die allerdings keine materiellen Tauglichkeitsbestimmungen für den Fall des Klägers enthält; diese Regelungslücke ist durch eine entsprechend sinngemäße Anwendung der VO (EU) Nr. 1178/2011 zu schließen (2.2).
2.1 Der Kläger unterfällt mit seiner Tätigkeit als Luftsportgeräteführer nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 10, § 4 Abs. 1 LuftVG i.V.m. § 1 Nr. 4 LuftPersV der luftverkehrsrechtlichen Erlaubnispflicht für Luftfahrzeugführer. Die fachlichen Voraussetzungen zum Erwerb von Erlaubnissen und Berechtigungen sowie die Bestimmungen über die Gültigkeit, die Verlängerung und die Erneuerung von Erlaubnissen und Berechtigungen für diese richten sich dabei gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 LuftPersV nach der Verordnung über Luftfahrtpersonal (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4, 5, 9a und 10 LuftVG).
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 LuftPersV müssen für die Erneuerung einer abgelaufenen Passagierberechtigung für Sprungfallschirmführer (§ 84a Abs. 5 Satz 2 LuftPersV) die Voraussetzungen des § 16 LuftPersV fortbestehen. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 LuftPersV ist die Erneuerung nur zulässig, wenn der Bewerber tauglich ist, sofern die Tauglichkeit der Tätigkeit nach gefordert ist. § 45 Abs. 1 Satz 3 LuftPersV bestimmt, dass der Inhaber eines Luftfahrerscheins, der Luftsportgeräte mit einer höchstzulässigen Leermasse von 120 kg oder weniger einschließlich Gurtzeug und Rettungsgerät betreibt, die Rechte aus dem Luftfahrschein nicht ausüben darf, wenn er eine Einschränkung seiner Tauglichkeit feststellt, aus der sich Zweifel an der sicheren Ausübung seiner Rechte ergeben könnten. Daraus folgt nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck der Vorschriften – was letztlich auch allseits unstreitig ist -, dass die Tauglichkeit auch für die vorliegende Tätigkeit als Sprungfallschirmführer normativ gefordert ist. Gleiches ergibt sich zudem auch aus der Begründung der Verordnung zur Anpassung luftrechtlicher Bestimmungen in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt an die VO (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der VO (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2014 (vgl. BR-Drs. 429/14, S. 86 f.).
2.2 Allerdings fehlt es in der Verordnung über Luftfahrtpersonal an einer normativen Bestimmung des materiellen Maßstabes für die Tauglichkeit des Klägers. Der Besitz eines Tauglichkeitszeugnisses nach der VO (EU) Nr. 1178/2011 ist aufgrund der Nichtanwendbarkeit des Verweises hierauf in § 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LuftPersV, die für den Kläger aus Satz 2 und 3 dieser Vorschrift folgt, gerade nicht erforderlich. Durchführungsbestimmungen des Luftfahrt-Bundesamts nach § 6 Nr. 1 LuftPersV sind insoweit bislang nicht ergangen.
Diese materielle Regelungslücke ist zu schließen, indem die Vorschriften der VO (EU) Nr. 1178/2011 über Anforderungen für Tauglichkeit für Piloten in deren Anhang IV sinngemäß entsprechend auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung finden.
2.2.1 Folgt man dabei der Auffassung des Verwaltungsgerichts des Saarlandes und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes, resultiert die Untauglichkeit des Klägers jedenfalls für die begehrte Passagierberechtigung aus der normativen und auf den Kläger auch sinngemäß anwendbaren Wertung von Anhang IV MED.B.025 lit. c (1) der VO (EU) Nr. 1178/2011. Danach sind Bewerber um ein Tauglichkeitszeugnis der Klasse 1 und 2 mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus ohne weiteres und ausnahmslos als untauglich zu beurteilen.
2.2.2 Geht man hingegen, wofür aus Sicht des erkennenden Gerichts Überwiegendes spricht, von einer sinngemäßen Anwendbarkeit der Anforderungen für die Tauglichkeitszeugnisse für LAPL aus – insbesondere auch das Gutachten vom 19. Juni 2019 nimmt dies letztlich an -, findet Anhang IV MED.B.095 der VO (EU) Nr. 1178/2011 entsprechende Anwendung. Nach lit. a dieser Vorschrift sind Bewerber um Tauglichkeitszeugnisse für LAPL gemäß der bewährten flugmedizinischen Praxis zu beurteilen. Die von der EASA erlassenen Acceptable Means of Compliance and Guidance Material (AMC/GM) to Part-MED vom 15. Dezember 2011 – dies sind norminterpretierende bzw. -konkretisierende Verwaltungsvorschriften der zuständigen Unionsbehörde – sehen hierzu unter AMC5 MED.B.095 lit. d (2) vor, dass Bewerber mit Diabetes mellitus Typ 1 als untauglich bewertet werden sollen. Die englische Rechtsterminologie, die dazu das modale Hilfsverb „should“ verwendet, entspricht dabei im deutschen Rechtsinne einer regelmäßigen Empfehlung und damit begrifflich dem „sollen“ (vgl. z.B. Principles for Writing Conformance Requirements des National Institute of Standards and Technologie im US Department of Commerce, abrufbar unter www.nist.gov). AMC5 MED.B.095 lit. d enthält zudem für Bewerber, die an Diabetes mellitus Typ 1 leiden, kein explizites Ausnahmeregime.
Vorstehendes zugrunde gelegt, ist der Kläger jedenfalls für die begehrte Passagierberechtigung aufgrund seiner Erkrankung an Diabetes mellitus Typ 1 untauglich.
Dies zunächst schon deshalb, weil nach Anhang IV MED.B.001 lit. b (2) der VO (EU) Nr. 1178/2011 bei der flugmedizinischen Beurteilung, ob ein Bewerber mit Blick auf die Bestimmungen nach Anhang IV MED.B.095 der VO (EU) Nr. 1178/2011 imstande ist, seine Aufgaben – auch unter Berücksichtigung der auf dem Tauglichkeitszeugnis angegebenen Einschränkung(en) – sicher auszuführen, stets die Einschränkung OPL (Operational passenger limitation – gültig nur ohne Fluggäste) und damit ein tauglichkeitsabhängiges Verbot der Beförderung von Fluggästen zu erwägen ist. Der Inhaber eines solchen Tauglichkeitszeugnisses darf nur Luftfahrzeuge führen, an deren Bord sich keine Fluggäste befinden (Anhang IV MED.B.001 lit. d (3) i der VO (EU) Nr. 1178/2011). Eine solchermaßen im Falle des Klägers unabdingbare Erwägung ist dem Gutachten vom 19. Juni 2019 indes nicht zu entnehmen. Bereits vor diesem Hintergrund muss es – weil an wesentlicher Stelle unvollständig – als Grundlage für die Erteilung einer Ausnahme von der o.g. regelmäßigen Untauglichkeit im Falle der Erkrankung des Klägers ausscheiden.
Dazu kommt, dass Ausnahmeregelungen, deren Bejahung hier mit Blick auf das vorstehend Erörterte für den Kläger zur Annahme der Tauglichkeit jedenfalls als Tandemmaster erforderlich wäre, ihrer Rechtsnatur nach grundsätzlich eng auszulegen sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Wortlaut der Norm und ihre systematische Einordnung eine solche Auslegung nicht verbieten und dies nach Sinn und Zweck, insbesondere im Lichte des höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, geboten ist. So liegt es auch hier. Zur Überzeugung des Gerichts gebietet die Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu entnehmende objektive Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern, Gefahren, die sich aus der Tätigkeit untauglicher Sprungfallschirmführer zumindest für von ihnen beförderte Fluggäste im Rahmen eines Tandemsprungs ergeben können, bestmöglich zu vermeiden. Aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist die objektive Wertentscheidung abzuleiten, dass der Staat verpflichtet ist, den Einzelnen gegen Eingriffe Dritter in das Leben und die körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl. rechtsgrundsätzlich mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfG, U.v. 25.2.1975 – 1 BvF 1-6/74 – juris; aus der Literatur z.B. Sachs/Murswiek/Rixen, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 24 f. m.w.N.). Dies gilt namentlich im Bereich des Technik- und Verkehrsrechts und damit gerade auch mit Blick auf den Schutz von Verkehrsteilnehmern vor Lebens- und Gesundheitsgefahren durch andere Teilnehmer (vgl. Sachs/Murswiek/Rixen, aaO Rn. 203). Diese verfassungsrechtliche Schutzpflicht gebietet also eine restriktive Handhabung der Gewährung von Ausnahmen.
Zutreffend weist das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in seinem Beschluss vom 27. Juni 2016 (1 A 141/ 15 – juris Rn. 9) im vorstehenden Zusammenhang darauf hin, dass die Regelungen der VO (EU) Nr. 1178/2011 zumindest ihren innewohnenden Grundgedanken nach auf den Kläger angewendet werden können. Der Sprungfallschirmführer ist für den von ihm beförderten Passagier verantwortlich, wobei letzterer keine Einfluss- und Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verlauf des Fallschirmsprungs vom Absprung aus dem Flugzeug bis zur Landung hat. In dieser wesentlichen Phase des Sprungs, die unstreitig wenigstens ca. sechs Minuten dauert, ist die Verantwortlichkeit für Fluggäste ohne weiteres jedenfalls mit der eines Piloten der allgemeinen Luftfahrt, zumindest in Gestalt des Inhabers einer LAPL, vergleichbar. Kommt es in dieser Zeit zu einer krankheitsbedingten Bewusstlosigkeit, was auch trotz langjähriger Erfahrung des verantwortlichen Tandemmasters sowohl im Umgang mit seinem Luftsportgerät als auch seiner Erkrankung nicht ausreichend verlässlich ausgeschlossen werden kann (vgl. dazu sogleich nachfolgend im Einzelnen sowie VG Saarland, U.v. 8.5.2015, aaO UA, S. 9 bis 11), ergibt sich eine erheblich gesteigerte Gefahrenlage gerade für den Fluggast. Zutreffend verweist die Beklagte in diesem Zusammenhang auch darauf, dass selbst der Einsatz eines Öffnungsautomaten zu keiner anderen Bewertung führt, da sich die Gefahr für den Fluggast jedenfalls in erheblicher Weise auch und gerade noch bei der Landung realisieren kann und diese von ihm als Laien regelmäßig alleine nicht zu bewältigen ist; im Falle eines Niedergehens über Wasser oder Wald wäre dies sogar mit besonders hohen Gefahren für Leib und Leben des Gastes verbunden.
Bereits die krankheitsbedingt potentiell gesteigerte Gefährdung von Leib und Leben auch nur des einen Fluggasts, der mit einem nicht verlässlich als tauglich einzustufenden Tandemmaster springt, ist zur Überzeugung des Gerichts anhand der überragend hohen Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ohne weiteres ausreichend, um zu der o.g. Auslegung der Tauglichkeitsbestimmungen und zur Nichtgewährung einer Ausnahme zugunsten des Klägers zu gelangen. Der damit einhergehende Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Gestalt der Verweigerung der Wiedererteilung der Passagierberechtigung ist vor diesem Hintergrund gerechtfertigt und verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Im Übrigen zeigt gerade auch die Regelung in AMC5 MED.B.095 lit. d (3) Satz 2 für Bewerber mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2, denen nach dem ausdrücklichen Wortlaut („may be assessed as fit“) die Tauglichkeit unter Umständen zugesprochen werden kann, dass selbst für diese u.a. stets eine OSL-Beschränkung (Operational safety pilot limitation; vgl. Anhang IV MED.B.001 lit. d (2) i der VO (EU) Nr. 1178/2011) notwendig ist. Der Inhaber eines Tauglichkeitszeugnisses darf mit dieser Einschränkung ein Luftfahrzeug nur führen, wenn ein anderer Pilot mitfliegt, der als verantwortlicher Pilot Luftfahrzeuge der entsprechenden Klasse oder des entsprechenden Musters führen darf, und wenn das Luftfahrzeuge mit Doppelsteuer ausgerüstet ist und der zweite Pilot im Cockpit das Steuer übernehmen kann (Sicherheitspilot). Der von den Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 2. Juni 2020 gezogene Schluss, dies könne für Fallschirme nicht gelten, weil die Mitnahme eines Sicherheitspiloten dort technisch-operativ nicht möglich sei, geht fehl. Im Gegenteil ist richtig, dass, wenn die vorgenannten Voraussetzungen für die Beachtung einer OSL-Beschränkung aufgrund der technischen Ausstattung des jeweiligen Luftfahrtzeugs – hier des Sprungfallschirms – tatsächlich nicht umgesetzt werden können, auch und gerade eben aus diesem Grund jedenfalls eine Passagierberechtigung nicht erteilt werden darf.
Bei einer Zusammenschau der nach Anhang IV MED.B.095 lit. a der VO (EU) Nr. 1178/2011 und AMC5 MED.B.095 lit. d (3) Satz 2 selbst bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2 stets bestehenden Erforderlichkeit einer OSL-Beschränkung mit der vorstehend erörterten, gemäß Anhang IV MED.B.001 lit. b (2) der VO (EU) Nr. 1178/2011 bei Tauglichkeitszeugnissen für LAPL ebenfalls stets auch zu erwägende OPL-Beschränkung ergibt sich eine daraus insgesamt abzuleitende restriktive Wertung des Anhangs IV der VO (EU) Nr. 1178/2011 im Umgang mit der Zulassung von Ausnahmen bei chronisch-krankheitsbedingt bestehenden Einschränkungen der Tauglichkeit. In einem Fall wie dem des Klägers kann mithin eine allein auf medizinische Selbstüberwachung gestützte Ausnahmeerteilung, wie sie AMC5 MED.B.095 lit. d (3) Satz 1 i.V.m. lit. f im Übrigen als „Pilot Responsibility“ kumulativ neben der Notwendigkeit der OSL-Beschränkung vorsieht, nicht in Betracht kommen, auch wenn ein Bewerber, wie der Kläger, über eine langjährige Erfahrung als Luftfahrzeugführer verfügt. Das Gleiche folgt schließlich auch aus GM1 MED.B.095 lit. b, wonach der bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 2 erforderliche Sicherheitspilot vor dem Flug über den Zustand des Piloten informiert werden soll und die Ergebnisse der Blutzuckerkontrolle vor und während des Fluges mit dem Sicherheitspiloten ausgetauscht werden sollen. Auch damit wird belegt, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts des Saarlandes im Urteil vom 8. Mai 2015, wonach die vom Kläger angebotenen Sicherheitsvorkehrungen, insbesondere Blutzuckerkontrollen vor jedem Flug und eine entsprechend Dokumentation, für sich alleine dem Risiko einer plötzlichen Stoffwechselentgleisung nicht ausreichend sicher begegnen können, zutreffen.
Anderes ergibt sich im Übrigen auch weder aus den Regelungen des Straßenverkehrsrechts noch mit Blick auf andere Erkrankungen, die ebenfalls zu einem Ausfall eines verantwortlichen Fahrzeugführers während seiner entsprechenden Tätigkeit führen können, noch schließlich auch vor dem Hintergrund von Bestimmungen zum Umgang mit Diabetes mellitus bei Luftfahrzeugführern im Ausland. Die Regelungen über Diabetes mellitus, wie sie in Anhang IV der VO (EU) Nr. 1178/2011 und den dazu erlassenen AMC/GM der EASA ergangen sind, sind bereichsspezifisch, beanspruchen als solche Geltung und erweisen sich vorliegend somit auch im Rahmen ihrer sinngemäßen Anwendung als abschließend.
Sonach erweist sich die Vollzugspraxis der Beklagten, wie sie sich aus der Stellungnahme vom 17. Juni 2020 ergibt, als nicht zu beanstanden. Es ist nichts dagegen zu erinnern, wenn die Beklagte bei Antragstellern, die bei ihr um die Erteilung, Verlängerung oder Erneuerung der Passagierberechtigung für Sprungfallschirmführer nach § 84a LuftPersV nachsuchen, im Falle des Vorliegens gesundheitlicher Einschränkungen, die eine sichere Durchführung von Tandemsprüngen beeinträchtigen können, einen tauglichkeitsbedingten Ausschlussgrund annimmt, und eine solche Einschränkung insbesondere bei Diabetes mellitus Typ 1, wie er beim Kläger vorliegt, erkennt.
Endlich kann sich der Kläger vorliegend auch nicht auf Erwägungen des Vertrauensschutzes, wie er sie unter Bezug auf § 48 VwVfG im Schriftsatz vom 11. August 2020 erörtern lässt, berufen. Die Voraussetzungen für die Erneuerung der Passagierberechtigung sind in § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 16, 84a Abs. 5 LuftPersV geregelt; maßgeblicher Zeitpunkt ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der aktuellen behördlichen bzw. gerichtlichen Entscheidungen. Ob, wann und vor welchem Hintergrund in der Vergangenheit, gegebenenfalls sogar fehlerhafterweise und in Kenntnis der Erkrankung des Klägers, eine Verlängerung der Passagierberechtigung bis zum Juli 2013 stattgefunden hat, ist für die hier zu entscheidende Streitsache mithin von Rechts wegen unerheblich. Zudem führt die Beklagte auch letztlich substantiell unwidersprochen aus, die Tatsache der Diabetes-Erkrankung des Klägers sei ihr ohnehin erst seit dem Jahr 2013 bekannt gewesen.
3. Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte mit Bescheid vom 7. September 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 2020 den Antrag des Klägers abgelehnt hat. Er hat den klageweise begehrten Anspruch auf Erneuerung der Passagierberechtigung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 16, 84a Abs. 5 Satz 2 LuftPersV nicht inne. Die Gründe in den vorstehenden Nummern 1 und 2 stehen dabei die Entscheidung alternativ tragend nebeneinander.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


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