Verwaltungsrecht

Familiäre Lebensgemeinschaft;, eheunabhängiges Aufenthaltsrecht;, keine besondere Härte

Aktenzeichen  AN 11 K 16.01570

Datum:
28.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50230
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG §§ 28, 31

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis (nach § 28 bzw. § 31 AufenthG).
a) Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG wird eine einmal gemäß § 28 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.
Vorliegend war der Klägerin nach ihrer Heirat mit dem deutschen Staatsangehörigen … eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG erteilt und in der Folgezeit bis 29. Februar 2016 verlängert worden. Eine weitere Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis hat die Beklagte zu Recht versagt, weil keine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem (nunmehr geschiedenen) Ehemann mehr besteht.
Vom Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft ist auszugehen, wenn die Eheleute in einer die persönliche Verbundenheit zum Ausdruck bringenden Beistandsgemeinschaft leben. Die eheliche Lebensgemeinschaft dokumentiert sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2019, § 27 AufenthG Rn. 44). Allein das formale Band der Ehe reicht daher für sich genommen nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten; maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2013 – 1 B 25/12 – BayVBl 2014, 56, juris Rn. 4 m.w.N.). Die Beweislast für das Bestehen dieses Willens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (vgl. BVerwG, B.v. 22.5.2013 a.a.O. Rn. 4). Ob eine Trennung vorliegt und ob sie endgültig ist, muss nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der bekundeten Absichten der Eheleute beurteilt werden und unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris Rn. 22).
Vorliegend bestand eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann (spätestens) seit ihrem Auszug aus der Ehewohnung am 15. Januar 2016 nicht mehr. Ein entsprechender endgültiger Trennungswille (bereits seit 20. bzw. 21.10.2015) wurde vom Ehemann der Klägerin gegenüber der vormals zuständigen Ausländerbehörde mit Schreiben vom 7. März 2016 sowie auch von der Klägerin gegenüber der Beklagten schriftlich am 5. April 2016 mitgeteilt (Bl. 133 und 147 der Behördenakte).
Das Vorbringen, dass im ersten Trennungsjahr noch keine endgültige Disposition von den getrennt lebenden Ehegatten verlangt werde, es also zu einer Versöhnung und Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft kommen könne (§ 1566 Abs. 1 BGB), ersetzt nicht das Bestehen der Lebensgemeinschaft (vgl. Dienelt in Bergmann/Dienelt, 12. Aufl. 2018, § 31 AufenthG Rn. 15). Dem Ablauf des Trennungsjahres kommt keine Bedeutung zu, da es nicht auf das Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen ankommt. Vielmehr geht die zivilrechtliche Regelung davon aus, dass selbst bei einer Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft, den Eheleuten grundsätzlich ein Trennungsjahr zuzumuten ist (vgl. Dienelt a.a.O. Rn. 15). Trotz des (zunächst noch) formellen Bestehens der Ehe ist die eheliche Lebensgemeinschaft beendet, wenn sich die Eheleute endgültig getrennt haben; die tatsächliche Trennung besteht in der Regel in der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris Rn. 22). Dies ist vorliegend der Fall, da die Ehegatten jedenfalls seit 15. Januar 2016 getrennt leben und der geschiedene Ehemann keine Versöhnung anstrebte. Dass die Klägerin zunächst noch auf eine Versöhnung hoffte, ändert als einseitiger Wunsch nichts an der Notwendigkeit einer beidseits gewollten und geführten Lebensgemeinschaft (vgl. auch VG Augsburg, B.v. 18.3.2019 – Au 6 S 19.163 – juris Rn. 32), zumal durch den Ehemann die Scheidung der Ehe beantragt wurde und diese zwischenzeitlich erfolgt ist.
Zwar darf die Ausländerbehörde während eines Zeitraums, innerhalb dessen die Trennung noch nicht abschließend als endgültig beurteilt werden kann, nicht in den rechtlich geschützten Bestand einer Ehe eingreifen und keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen treffen (BayVGH, B.v. 12.9.2007 – 24 CS 07.2053 – juris Rn. 22). Im hier zu beurteilenden Fall lag zur Überzeugung der Kammer im Zeitpunkt der Behördenentscheidung, aber bereits eine endgültige Trennung vor.
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG als eigenständiges Aufenthaltsrecht.
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft die Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens drei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nicht vorliegen (§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Nach § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist.
Im vorliegenden Fall kann eine isoliert auf § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG gestützte Aufenthaltserlaubnis nicht mehr erteilt werden, denn eine solche Aufenthaltserlaubnis kommt nur als unmittelbar anschließende Verlängerung einer bereits erteilten ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis in Betracht und ist auf ein Jahr begrenzt (BVerwG, U.v.10.12.2013 – 1 C 1.13 – BVerwGE 148, 297, juris Rn. 20; BVerwG, U.v. 22.6.2011 – 1 C 5.10 – juris Rn. 13).
Nachdem der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG mit einer Gültigkeitsdauer bis zuletzt 29. Februar 2016 erteilt worden ist, könnte eine auf § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG gestützte Aufenthaltserlaubnis daher nur mit einer Gültigkeitsdauer bis 28. Februar 2017 erteilt werden. Die Klägerin kann demnach für den von ihr begehrten künftigen Aufenthaltstitel lediglich ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermessens nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG geltend machen, für den der Anspruch gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG Voraussetzung ist. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG käme demzufolge nur in Betracht, wenn der Klägerin vom 1. März 2016 bis 26. Februar 2017 ein Verlängerungsanspruch nach § 31 Abs. 1 AufenthG zugestanden hätte (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.2011 – 1 C 5/10 – BVerwGE 140, 64, juris Rn. 13). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall.
Grundsätzlich kommt es bei der insoweit vorliegenden Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts an (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2009 – 1 C 17.08 – BVerwGE 133, 329; juris Rn. 10). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn besondere Gründe des anzuwendenden materiellen Rechts es gebieten, auf einen früheren Zeitpunkt abzustellen. Dies ist hier insoweit geboten, als das Begehren der Klägerin sich zunächst auf eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG gerichtet hat, die im Anschluss an die eheabhängige Aufenthaltserlaubnis (nur) für ein Jahr beansprucht werden kann, während danach die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde steht (§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Da ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG damit allenfalls für einen vergangenen Zeitraum bestehen kann, kommt es insoweit jedenfalls hinsichtlich der Sachlage zwangsläufig auf die damaligen Umstände an (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11.08 – BVerwGE 134, 124, juris Rn. 19).
aa) Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die eheliche Lebensgemeinschaft hat vorliegend nicht mindestens drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestanden. Zwar hatte die Klägerin mit ihrem geschiedenen Ehemann in Dänemark am 20. September 2012 die Ehe geschlossen, jedoch wurde die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nicht für mindestens drei Jahre gelebt, sondern erst nach deren Wiedereinreise vom 3. Dezember 2013 bis längstens 15. Januar 2016 (s.o. Nr. 1a). Auch unter Anrechnung der mit Visum verbrachten rechtmäßigen Aufenthaltszeit der Klägerin (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, § 31 AufenthG Rn. 14), ist damit die erforderliche dreijährige Ehebestandszeit im Bundesgebiet nicht erfüllt.
bb) Zwar ist gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 (n.F.) AufenthG von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Eine besondere Härte liegt insbesondere vor, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit des Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam ist oder aufgehoben worden ist, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist; dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist. Eine besondere Härte liegt hier jedoch nicht vor.
(1) Eine besondere Härte i.S.d. § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG ist nicht gegeben. Bei dem Begriff der besonderen Härte handelt es sich um einen gerichtlich voll überprüfbaren, unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, § 31 AufenthG Rn. 19). Von der vorgenannten Regelung sind nur ehebezogene Nachteile erfasst, also Beeinträchtigungen, die mit der ehelichen Lebensgemeinschaft oder ihrer Auflösung zumindest in mittelbarem Zusammenhang stehen, nicht aber sämtliche sonstigen, unabhängig davon bestehenden Rückkehrgefahren (s. dazu ausführlich BVerwG, U.v. 9.6.2009 – 1 C 11/08 – NVwZ 2009, 1432). Derartige ehebezogene Nachteile hat die Klägerin bei einer Rückkehr nach Russland nicht zu befürchten. Diese ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass für die Klägerin ein Neubeginn im Heimatstaat erforderlich ist; denn dies trifft grundsätzlich alle Rückkehrer gleichermaßen und ist daher im Regelfall nicht geeignet, die Ausreisepflicht zu suspendieren (vgl. BayVGH B.v. 26.7.2010 – 10 ZB 10.75 – juris Rn. 15; B.v. 15.2.2010 – 19 CS 09.3105 – juris). Die Klägerin hat den Großteil ihres Lebens in Russland verbracht und ist erst im Dezember 2013 zu ihrem geschiedenen Ehemann in die Bundesrepublik gezogen. Sie spricht ihre Heimatsprache; Anhaltspunkte dafür, dass sie den Lebensverhältnissen in ihrer Heimat in einer Weise entfremdet wäre, die eine Rückkehr unzumutbar machen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die geltend gemachten gesundheitlichen Belange bzw. die erfolgte Augenoperation führen insoweit zu keiner anderen Beurteilung; die Klägerin, die zur sprachlichen Verständigung eine Dolmetscherin in Anspruch genommen hat, wird nach den Darlegungen in der mündlichen Verhandlung zwar von ihrer Tochter unterstützt, lebt aber auch derzeit im Bundesgebiet allein und versorgt sich selbst, sie hat auch Behördentermine (zuletzt am 2.12.2019) allein wahrgenommen. Ihre Tochter übernehme für sie mangels eigener deutscher Sprachkenntnisse den Schriftverkehr. Die Klägerin hatte vor ihrem Zuzug bereits in der Russischen Föderation Rente bezogen. Es ist deshalb zu erwarten, dass es ihr nach einer Rückkehr gelingen wird, im Heimatland wieder Fuß zu fassen; dies trifft die Klägerin in gleicher Weise wie jeden anderen Rückkehrer. Besondere ehebezogene Benachteiligungen sind darin nicht zu sehen.
(2) Der Klägerin war vorliegend ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft nach den gegebenen Gesamtumständen auch nicht unzumutbar im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG. Durch diese Regelung soll vermieden werden, dass der nachgezogene Ehegatte „auf Gedeih und Verderb“ zur Fortsetzung einer untragbaren Lebensgemeinschaft gezwungen wird, weil er sonst Gefahr läuft, sein akzessorisches Aufenthaltsrecht zu verlieren (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2009 – 10 ZB 09.1020 – juris). Der Gesetzgeber hatte dabei besondere Umstände, die es dem Ehegatten unzumutbar machen, zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten, im Blick (vgl. BT-Drs. 14/2368 S. 4). Danach sollen solche Fälle beispielsweise vorliegen, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben hat oder der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat. Der vorgenannte Halbsatz des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, welcher die häusliche Gewalt benennt, wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat eingeführt (vgl. Gesetz vom 23.6.2011, BGBl I S. 1266) und dient (nur) zur Klarstellung (vgl. Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, AufenthG, § 31 Rn. 21). Bei der Beurteilung, ob dem Ehepartner ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft zumutbar war oder nicht, bedarf es einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls. Schutzwürdige Belange des ausländischen Ehegatten sind dabei vor allem die persönliche Selbstbestimmung, die körperliche Integrität und die persönliche Freiheit. Die Beeinträchtigung dieser Belange muss objektiv betrachtet eine gewisse Intensität aufweisen und sich aus Sicht des betroffenen Ehegatten mit Blick auf das Erreichen der Drei-Jahres-Frist als unzumutbar darstellen (vgl. BayVGH, B.v. 3.9.2014 – 10 AS 14.1838, 10 AS 14.1837 – NZFam 2014, 1113; B.v. 17.1.2014 – 10 ZB 13.1783 – juris Rn. 4). Die Störungen der ehelichen Lebensgemeinschaft müssen demnach das Ausmaß einer konkreten, über allgemeine Differenzen und Kränkungen in einer gestörten ehelichen Beziehung hinausgehenden psychischen Misshandlung erreicht haben. Gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von Fällen trennungsbegründend wirken, machen für sich genommen noch nicht das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2008 – 19 ZB 08.259 – juris Rn. 24). Ein besonderer Härtefall ist dabei nicht erst bei schwersten Eingriffen in die persönliche Freiheit des Ehepartners gegeben, eine Beschränkung nur auf „gravierende Misshandlungen“ lässt sich nicht rechtfertigen. Ausreichend ist, wenn die Lage eines Ehegatten durch eine Situation der Angst vor physischer oder psychischer Gewalt geprägt ist und daher die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft als unzumutbar erscheint (vgl. VG München, U.v. 21.2.2013 – M 12 K 12.4701 – juris Rn. 33; Göbel-Zimmermann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Aufl. 2010, § 31 Rn.14). Der nachgezogene Ehegatte – hier die Klägerin – ist insoweit darlegungspflichtig (vgl. OVG NRW, B.v. 21.2.2007 – 18 B 690/06 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Grundvoraussetzung für die Annahme einer besonderen Härte nach dieser Regelung ist, dass der zugezogene Ehegatte die eheliche Lebensgemeinschaft aus eigener Initiative beendet hat. Geht die Beendigung hingegen vom stammberechtigten Ehepartner aus, ist dem zugezogenen Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, sondern unmöglich (vgl. BayVGH B.v. 25.6.2018 – 10 ZB 17.2436 – juris Rn. 12; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, AufenthG § 31 Rn. 63). Gleichwohl ist auch in solchen Fällen stets eine Bewertung und Gesamtabwägung aller Umstände erforderlich. Denn eine unzumutbare Härte kann auch dann vorliegen, wenn es im Rahmen eines länger andauernden Trennungsprozesses im Wesentlichen eine Frage des Zufalls ist, welcher der Ehegatten den endgültigen Schlussstrich zieht. Die Eingriffe des stammberechtigten Ehepartners müssen auf Seiten des Opfers zu einer Situation geführt haben, die maßgeblich durch Angst vor physischer oder psychischer Gewalt geprägt ist. Bringt der betroffene Ehepartner allerdings zum Ausdruck, dass er trotz allem an der ehelichen Lebensgemeinschaft festhalten will, ist dies ein gewichtiges Indiz dafür, dass ihm das Festhalten an der Lebensgemeinschaft eben nicht unzumutbar ist. Daher ist eine Kausalität zwischen den Fällen ehelicher Gewalt und der späteren Trennung von dem gewalttätigen Ehepartner zu verlangen (vgl. BayVGH B.v. 25.6.2018 – 10 ZB 17.2436 – juris Rn. 12 m.w.N.; Dienelt in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 31 Rn. 62 ff).
Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin kein eigenständiges Aufenthaltsrecht erworben. Aus der Gesamtschau aller vorgetragenen Umstände und nach Durchführung der mündlichen Verhandlung mit der Befragung der Klägerin und Zeugeneinvernahme ihres Ehemanns sowie unter Berücksichtigung der beigezogenen Behörden- und Strafakten ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts nicht, dass der Klägerin das Festhalten an der Ehe unzumutbar gewesen wäre. Die Beklagte hat eine besondere Härte auch im Hinblick auf die dritte Fallgruppe des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG (jetzige Fassung) zutreffend verneint. Vorliegend fehlt es bereits an der erforderlichen Kausalität zwischen den geltend gemachten körperlichen Angriffen des Ehemannes und der letztendlich erfolgten Trennung der Ehegatten. Denn die Klägerin hielt ungeachtet geltend gemachter tätlicher Angriffe ihres Mannes an der Ehe fest; die Trennung erfolgte vielmehr auf Wunsch ihres geschiedenen Ehemannes. Sie gab gegenüber der Ausländerbehörde (s. Schreiben vom 23.2.2016 Bl. 131 und 132 der Behördenakte) zwar an, dass ihr Mann sie Mitte Januar angegriffen und sie Verletzungen erlitten und ihn bei der Polizei angezeigt habe, zugleich erklärte sie aber u.a., sie habe nicht vor, ihre Ehe „abzutrennen“ und wolle immer noch mit ihrem Ehemann zusammenleben. Auch nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung, ist die Klägerin ausgezogen, nachdem ihr Ehemann die Trennung gewünscht habe und ihr mittels Schreibens seines Rechtsanwaltes habe mitteilen lassen, dass er nicht mehr mit ihr zusammenleben wolle. Auf gerichtliche Nachfrage, was tatsächlich Anlass für die dauerhafte Trennung gewesen sei, ergänzte sie, dies könne sie nicht beurteilen, denn die Trennung sei der Wunsch ihres Mannes gewesen. Zudem führte die Klägerin aus, sie habe tatsächlich auf eine Versöhnung gehofft und sich nicht scheiden lassen wollen, sie habe gehofft, dass die Wutanfälle vorbeigehen. Allein die pauschale Aussage, als die Polizei habe gerufen werden müssen, habe sie die Angelegenheit allmählich ernstgenommen und Angst vor ihm gehabt, führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung; insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass vor der Trennung Angriffe des Ehegatten zu einer Situation für die Klägerin geführt hätten, die maßgeblich durch Angst vor physischer oder psychischer Gewalt geprägt war. Vielmehr ergibt sich aus den Schilderungen der Klägerin letztlich das Bild einer Ehe, die von unterschiedlichen Erwartungen über das gemeinsame Leben in Deutschland geprägt war. Die Klägerin ging nach ihren Darlegungen davon aus, mit ihrem Mann ihr weiteres Leben zu verbringen. Die Konflikte hätten erst angefangen, als ihr Ehemann Geld von ihr hätte haben wollen; er habe u.a. gefordert, dass sie sich an den Mietkosten beteilige, obwohl sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Mannes seit ihrer Ankunft nicht verschlechtert hätten. Der als Zeuge vernommene geschiedene Ehemann gab an, es habe mehrere Streitigkeiten gegeben, ein Zusammensein mit der Klägerin sei unerträglich gewesen; zudem führte er aus, mit seiner Ehefrau mehrmals bei der Polizei gewesen zu sein. Ausgehend von den vorgenannten Maßgaben hat die Klägerin eine Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange im vorgenannten Sinne nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen können. Die vorgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten bis zum Auszug der Klägerin wogen jedenfalls nicht derart schwer, dass die Klägerin nach ihren Darlegungen von sich aus die Trennung beabsichtigte. Die geltend gemachten tätlichen Angriffe im Januar 2016 waren auch nicht so schwer, dass sie ärztlich behandelt werden musste; die Ermittlungsverfahren hierzu wurden eingestellt, da sich aufgrund der sich widersprechenden Angaben der Beteiligten nicht feststellen ließ, wie sich der Vorgang tatsächlich zugetragen habe. Die vorgelegten Atteste – sowohl seitens der Klägerin als auch das seitens ihres geschiedenen Ehemannes (der sich nach dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Arztbrief vom 29.7.2016 zwei Tage in stationärer Behandlung u.a. wegen einer „Fraktur 7 Rippe rechts“ befand) – datieren von Juni, Juli und August 2016. Die Auseinandersetzung vom 28. Juli 2016, welche die Klägerin als maßgeblich erachtet, erfolgte erst nach der Trennung und war somit nicht Trennungsanlass. In der Gesamtschau ging die Trennung vom Ehemann aus, der auch den Scheidungsantrag einreichte.
Bei dieser Sachlage konnte die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts nicht darlegen, dass ihr wegen der Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar geworden ist. Die häusliche Situation bzw. Lage der Klägerin war demnach, wie eine Gesamtschau ergibt, nicht durch Angst vor physischer und psychischer Gewalt ihres Ehemannes, sondern von häufigen Streitigkeiten und gegenseitigem Unverständnis geprägt. Nach einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles war der Klägerin demnach ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar, eine besondere Härte i.S.d. § 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 3 AufenthG liegt nicht vor.
Unabhängig davon, ob eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vom Antrag der Klägerin umfasst ist, hat die Beklagte zutreffend dargelegt, dass auch die danach erforderliche außergewöhnliche Härte nicht vorliegt. Das Gericht folgt insoweit der Begründung des streitgegenständlichen Bescheides (§ 117 Abs. 5 VwGO); die erfolgte Augenoperation führen insoweit zu keiner anderen Beurteilung (s.o.).
2. Steht der Klägerin danach kein Anspruch auf Verlängerung bzw. Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu, bestehen auch gegen die angegriffenen Annexentscheidungen in Nr. 2 bis 5 des streitgegenständlichen Bescheids vom 7. Juli 2016 keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken; insbesondere erweisen sie sich auch als ermessensfehlerfrei und angemessen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls Bezug genommen auf die Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und ergänzend ausgeführt:
Das festgesetzte bzw. befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nr. 4 des Bescheids) für die Dauer von einem Jahr ab Ausreise im Falle der Abschiebung ist ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 11 Abs. 1 und 2 Satz 2 AufenthG). Die Befristungsdauer steht nach § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris), so dass diese Ermessensentscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Nach diesen Maßgaben erweist sich die Befristung vorliegend auch mit Blick auf die Interessen der Klägerin als rechtmäßig und unter Berücksichtigung des Regelungszwecks als verhältnismäßig (§ 114 VwGO).
3. Die Klage war demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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