Verwaltungsrecht

Fehlende Statthaftigkeit eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz

Aktenzeichen  M 4 E 20.5655

Datum:
10.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 31867
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AsylG § 34a Abs. 2
AufenthG § 60a

 

Leitsatz

Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO muss gem. § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung gestellt werden. Daneben ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, gestützt auf Abschiebungshindernisse, die im asylgerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geprüft werden, unzulässig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert beträgt 1.250,00 EUR.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Einstellung von Abschiebungsmaßnahmen.
Der am … geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und reiste am … … 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 14. Februar 2019 erhielt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Kenntnis von seinem Asylgesuch. Am 19. März 2019 stellte er einen förmlichen Asylantrag (Bl. … Behördenakte).
Am 22. März 2019 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien, das nicht beantwortet wurde.
Mit Bescheid vom 9. April 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von sechs Monaten ab dem Tage der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass Italien aufgrund des dort gestellten Antrags für dessen Behandlung zuständig sei. Gründe zur Annahme systemischer Mängel im italienischen Asylverfahren und der dortigen Aufnahmebedingungen lägen nicht vor (Bl. … ff. Behördenakte).
Am 17. April 2019 erhob der Antragsteller Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 9 K 19.50359), über die noch nicht entschieden ist, und stellte zugleich einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO (M 9 S 19.50360). Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 wurde das Eilverfahren M 9 S 19.50360 eingestellt, nachdem das Bundesamt im Hinblick auf die Corona-Krise die Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin-III-VO erklärt und der Antragteller seinen Eilantrag für erledigt erklärt hatte.
Mit Schriftsatz vom 5. November 2020, per Telefax am selben Tag bei Gericht eingegangen, beantragte der Antragsteller zum Aktenzeichen M 9 K … einen Eilantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil das Bundesamt die Abschiebungen nach Italien wieder aufgenommen habe (M 9 S7 20.50583), und stellte zusätzlich einen Antrag nach § 123 VwGO
„gegen den Freistaat Bayern auf Einstellung der Abschiebungsmaßnahmen.“
Den Eilantrag begründete der Antragsteller nicht. Er legte die Ankündigung des Überstellungstermins durch die Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 vor. Danach sei der Antragsteller seit dem 20. Mai 2020 vollziehbar ausreisepflichtig und werde am 6. November 2020 im Rahmen der Dublin-III-VO nach Italien überstellt. Das Schreiben war gerichtet an eine Anschrift in …
Der Antragsgegner legte die Behördenakten vor und teilte mit Schreiben vom 5. November 2020 mit, dass die geplante Überstellung nach Italien am 6. November 2020 habe storniert werden müssen, da der Antragsteller am 3. November 2020 in … für einen Covid-19-Test nicht habe angetroffen werden können. Von einer neuen Adresse sei nichts bekannt gewesen.
Mit Beschluss vom 5. November 2020 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ab (M 9 S7 20.50583). Auf die Gründe des Beschlusses wird verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Das Gericht legt den Antrag des Antragstellers gem. §§ 122, 88 VwGO dahingehend aus, dass der Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO verpflichtet werden soll, bis zur Entscheidung über die Klage im Verfahren M 9 K … von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, insbesondere auch, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich sind danach ein Anordnungsgrund, also die Eilbedürftigkeit der Sache, sowie ein Anordnungsanspruch, also der Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind nach § 123 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
1.1. Der so verstandene Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist unzulässig. Statthafte Antragsart ist gem. § 123 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG der Antrag nach § 80 Abs. 5 bzw. Abs. 7 VwGO.
Die vorgesehene Abschiebung des Antragstellers beruht auf der Anordnung der Abschiebung des Antragstellers nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 AsylG durch das Bundesamt mit Bescheid vom 9. April 2019. Rechtsschutz gegen diese Entscheidung des Bundesamts kann der Antragsteller im Wege der Anfechtungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erlangen (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG). Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO muss dabei gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung gestellt werden. Daneben ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, gestützt auf Abschiebungshindernisse, die im asylgerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geprüft werden, unzulässig. Andernfalls würden in Fällen, in denen der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO verfristet ist, die gesetzliche Wochenfrist nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG und der damit verbundene Beschleunigungszweck des Asylverfahrens leerlaufen (vgl. VG München, B.v. 14.12.2017 – M 12 E 17.5504 – n.v.; BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris Rn. 5; B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris; B.v. 20.11.2012 – 10 CE 12.2428 – juris; VG Würzburg, B.v. 4.11.2014 – W 1 S 14.30263 – juris Rn. 22; VG Ansbach, B.v. 3.11.2003 – AN 11 E 03.31651 – juris Rn. 15 ff.; VG Würzburg, B.v. 6.11.2000 – W 2 E 00.31176 – juris Rn. 18 ff.).
Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO wäre daher nur zulässig, wenn sich der Antragsteller auf tatsächliche oder rechtliche Gründe berufen würde, die der Durchführung der Abschiebung entgegenstehen und die nicht im asylgerichtlichen Verfahren überprüft werden. Dies hat der Antragsteller hier jedoch nicht dargetan. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung muss das Bundesamt dabei nicht nur das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, sondern auch von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen nach § 60a Abs. 2 AufenthG umfassend prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 – 10 CE 15.810 – juris Rn. 4; B.v. 12.11.2012 – 10 CE 12.2428 – juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 31.5.2011 – 11 S 1523/11 – juris Rn. 4; Bergmann in Bergamnn/Dienelt, AsylG, 13. Aufl. 2020, 34a Rn. 5). Im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG bleibt daher für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum.
Die Statthaftigkeit des Antrags gemäß § 123 Abs. 1 VwGO ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass dem Antragsteller eine Rücküberstellung nach Italien droht, bevor das Gericht über die Klage gegen den Bescheid vom 9. April 2019 (M 9 K …*) entschieden hat. Die Feststellung, dass eine Abschiebung vor einer Entscheidung des Gerichts über die Klage unzulässig ist, ist ebenso dem Verfahren nach § 80 VwGO zuzuordnen wie ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zu einer Entscheidung des Gerichts (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 120 und Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 12).
1.2. Abgesehen davon ist der Antrag nach § 123 VwGO unbegründet. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Der Antragsteller hat weder eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung vorgetragen noch entsprechende Nachweise vorgelegt.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs.


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