Verwaltungsrecht

Fehlerhafte Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK

Aktenzeichen  M 1 K 17.43488

Datum:
8.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23365
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1 Hat das Bundesamt zu Recht den subsidiären Schutzstatus auch in Bezug auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der mit Art. 3 EMRK identisch ist, verneint, scheidet regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK aus. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Aufhebung einer objektiv rechtswidrigen Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK im gerichtlichen Verfahren unterbleibt, weil diese keine Rechte der Kläger verletzt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Kläger haben weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG, noch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 AsylG.
Im Klageverfahren haben sich hierzu keine neuen Gesichtspunkte gegenüber dem Verfahren vor dem Bundesamt ergeben. Das Gericht folgt der insoweit zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Der vorgetragene Wunsch der Klägerin zu 1), zum behaupteten Ehemann nach Deutschland zu kommen, ist in der Tat asyl- und flüchtlingsrechtlich irrelevant, auch ein subsidiärer Schutz besteht nicht.
Das Gericht folgt indessen nicht der Feststellung des Bundesamts, es liege ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK („niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“) vor. Die Begründung dafür ist nicht tragfähig. Das Bundesamt nimmt auf Grund der „unwiderlegbaren“ Angaben der Klägerin zu 1) an, dass sie bei dem jüngeren Bruder ihres Ehemannes nicht willkommen sei. Sie habe lediglich zwei Schwestern in Pakistan, die verstreut über das Land lebten. Dementsprechend verfüge sie über keinerlei ausgeprägtes familiäres oder soziales Netzwerk in Pakistan. Es handle sich bei der Klägerin zu 1) um eine alleinerziehende Frau mit zwei minderjährigen Kindern. Sie gehöre somit zu dem Kreis von besonders vulnerablen Personen, die ohne Unterstützung durch einen Familienverband in „Afghanistan“ (sic !) nicht überleben könnten. Hierzu ist zu bemerken, dass das Bundesamt das tatsächliche Vorbringen der Klägerin zu 1) nicht anhand objektivierbarer Tatsachen kritisch hinterfragt hat, wozu im Asylrecht wegen der typischerweise bestehenden Gefahr interessegeleiteter Aussagen grundsätzlich Anlass besteht. Es ist festzuhalten, dass die Klägerin zu 1) keine amtlichen Dokumente zu ihrer und des Klägers zu 2) Identität vorgelegt hat. Es ist unklar, ob die Kläger wirklich die Personen sind, als die sie von der Klägerin zu 1) ausgegeben werden. Ungeklärt ist, ob die Klägerin zu 1) wirklich (eine) Ehefrau des seit 15 Jahren in Deutschland lebenden anerkannten Flüchtlings ist und ob der Kläger zu 2) wirklich der Sohn dieses Mannes ist. Nicht geklärt ist, ob das nach der Geburtsurkunde am *.6.2016 in … geborene Kind der Klägerin von diesem Mann stammt. Schon wegen des von der Klägerin zu 1) behaupteten erstmaligen Einreisetermins nach Deutschland am 9.11.2015 stellen sich insoweit Fragen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Kenntnis der Gründe, woran die beiden Versuche, die Familienzusammenführung über den dafür eigentlich vorgesehenen aufenthaltsrechtlichen Visumsweg abzuwickeln, gescheitert sind. Vor Allem bleibt das Bundesamt für seine Annahme, eine alleinerziehende Frau ohne ein ausgeprägtes familiäres und soziales Netzwerk könne in Pakistan („Afghanistan“ ist wohl ein Schreibversehen des Bundesamts) nicht überleben, Belege aus Erkenntnisquellen schuldig. Diese These findet ihre Relativierung gerade im Fall der Klägerin zu 1). Denn die Klägerin zu 1), ab Geburt ihres ersten Kindes am …2009 in Pakistan dort alleinerziehend und ohne die besagten Netzwerke, hat in Pakistan immerhin bis zu ihrer Ausreise am 4.11.2015, also fast sieben Jahre lang, überlebt.
Auch rein rechtlich ist die Entscheidung des Bundesamts zweifelhaft. Das Bundesamt hat nämlich – zu Recht – den subsidiären Schutzstatus auch in Bezug auf § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der mit Art. 3 EMRK identisch ist, verneint. In einem solchen Fall scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 36; siehe zum Verhältnis von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK auch Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 119). Es hätte von daher auch Darlegungen zur der hier vom Bundesamt angenommenen Divergenz bedurft.
Die objektiv rechtswidrige Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verletzt aber keine Rechte der Kläger, weshalb eine Aufhebung der Feststellung im gerichtlichen Verfahren unterbleibt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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