Verwaltungsrecht

Fiktive Laufbahnnachzeichnung bei Teilfreistellung

Aktenzeichen  3 ZB 18.2306

Datum:
23.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1166
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LlbG Art. 17a, Art. 56
SGB IX § 96 Abs. 2, § 179 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 5 S. 4, § 154 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine (umfassende) fiktive Nachzeichnung war vor Inkrafttreten des Art. 17 a LlbG bei einer Teilfreistellung nur ausnahmsweise erforderlich, wenn die verbleibende Leistung nicht mehr Beurteilungsgrundlage sein konnte. Hierbei kam es stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 1 K 16.1085 2018-09-19 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtsache) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine fiktive Laufbahnnachzeichnung grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn der zu beurteilende Beamte vollumfänglich von der Dienstleistung freigestellt worden ist. Es verwies darauf, dass dies auch der gesetzgeberischen Wertentscheidung, die mit Art. 17a LlbG getroffen worden sei, entspreche. Zwar sei diese Bestimmung zum maßgeblichen Beurteilungszeitraum (1.1.2011 – 31.12.2014) noch nicht in Kraft gewesen, gleichwohl bestätige die gesetzgeberische Richtungsentscheidung die Auffassung, dass eine Teilfreistellung keine fiktive Laufbahnnachzeichnung zur Folge habe. Soweit die Klägerin also einwendet, Art. 17a LlbG könne nicht herangezogen werden, weil dieser noch nicht in Kraft gewesen sei, zeigt sie keine fehlerhafte Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts auf. Die Frage, ob Art. 17a LlbG mit dem Benachteiligungsverbot des § 96 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (seit 1.1.2018 § 179 Abs. 2 SGB IX) vereinbar ist, hat sich dem Verwaltungsgericht nicht gestellt. Die Behauptung der Klägerin, sie sei bei der dienstlichen Beurteilung gegenüber nicht oder nicht so weitgehend freigestellten Beamten benachteiligt worden, wird rechtlich nicht unterfüttert. Ihre Behauptungen, es könne zu schlechteren Beurteilungen kommen bzw. der Vorgesetzte könne den Eindruck gewinnen, dass der teilfreigestellte Mitarbeiter nicht uneingeschränkt einsetzbar sei, sind hypothetisch. Sie tragen nicht dem Ansatz des Verwaltungsgerichts Rechnung, dass eine (umfassende) fiktive Nachzeichnung ausnahmsweise erforderlich sein kann, nämlich, wenn die verbleibende Leistung nicht mehr Beurteilungsgrundlage sein kann. Hierbei kommt es stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an (vgl. OVG NW, B.v. 2.3.2000 – 1 B 1934/05 – juris Rn. 23; Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 6. Aufl. 2016, Rn. 92).
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. März 2003 (7 AZR 334/02 – juris) ist – anders als die Klägerin meint – eine Einzelfallentscheidung. Im Falle der dortigen Klägerin konnte das Bundesarbeitsgericht aufgrund ihrer Tätigkeit als Lehrkraft nicht ausschließen, dass sie z.B. Erfahrungswissen nicht im gleichen Maß erwerben könne, wie nicht freigestellte Kollegen (vgl. a.a.O. Rn. 31). Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht keinen Rechtssatz dergestalt aufgestellt, dass bei einer Freistellung von 85% oder mehr stets eine fiktive Laufbahnnachzeichnung erfolgen müsse. In der Entscheidung ist vielmehr die Rede davon, dass bei der Freistellung einer Lehrkraft in Höhe von etwa 85% ihrer Arbeitszeit eine Nachzeichnung des Werdegangs neben der Beurteilung der tatsächlich geleisteten Arbeit geboten sei. Soweit in der Anlage 2 (Grundsätzliche Hinweise zur Rechtslage bei der Behandlung und Förderung freigestellter Personalratsmitglieder) der Hinweise des Bundesministeriums des Innern vom 12.3.2002 (Az.: D I 3 – 212 152/12 – abrufbar unter juris) unter Nr. 1 a.E. die Auffassung vertreten wird, bei teilweise freigestellten Personalräten sei in der Regel eine Fortschreibung der Beurteilung vorzunehmen, wenn die tatsächliche dienstliche Tätigkeit weniger als 25% der Arbeitszeit ausmache, vermag auch das die Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht in Frage zu stellen. Es handelt sich nur um eine Regel, deren Einhaltung von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig ist. Im Übrigen spiegeln die „Grundsätzlichen Hinweise“ nur die Rechtslage für Bundesbeamte wieder (§ 33 Abs. 3 Nr. 3 BLV), die für Landesbeamte des Freistaats Bayern nicht gilt. Der Hinweis der Klägerin auf Kommentierungen zu Art. 56 LlbG, wonach eine Beurteilung dann nicht erfolgen kann, wenn im Beurteilungszeitraum die Dienstleistung weniger als ein Jahr beträgt, verfängt ebenfalls nicht. Maßgeblich ist stets, ob trotz des vergleichsweise kurzen Zeitraums der tatsächlichen Dienstleistung eine sachgerechte Beurteilung möglich ist (Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Aug. 2019, Art. 56 LlbG Rn. 13).
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine dienstliche Beurteilung ohne Laufbahnnachzeichnung vorliegend deshalb in Betracht kam, weil die konkrete Tätigkeit eines Bewährungshelfers – unabhängig vom zeitlichen Umfang – aufgrund des besonderen Tätigkeitsbildes beurteilbar sei. Dem ist die Klägerin weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch im Antragsverfahren entscheidend entgegengetreten. Allein der Umstand, dass der unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin, Sozialrat L., ausweislich einer im Antragsverfahren vorgelegten Gesprächsnotiz vom 23. April 2015 gesagt haben soll, er könne die Klägerin nur zu 10% als Bewährungshelferin beurteilen und sie müsse zu 90% nachgezeichnet werden, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, da es sich nur um eine persönliche Einschätzung des unmittelbaren Vorgesetzten handelt.
b. Das Verwaltungsgericht ist weiter davon ausgegangen, dass die auf der Ebene des Oberlandesgerichts Nürnberg mit 12 Beamten gebildete Vergleichsgruppe noch hinreichend groß gewählt sei. Dafür spreche entscheidend, dass zwar für den streitgegenständlichen Beurteilungszeitraum eine Quotenbildung stattgefunden habe, aber Abweichungen zugelassen worden seien. Der Beklagtenvertreter habe in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass lediglich die Quote von 25 v.H. für Prädikate ab 11 Punkten „fest“ gewesen sei. Diese Quote sei zwar grundsätzlich starr gehandhabt worden, im Einzelfall habe aber abgewichen werden können. Konkret für den streitgegenständlichen Zeitraum sei es sogar zu erheblichen Abweichungen gekommen, weil von 12 der zu vergleichenden Beamten 50 v.H. oberhalb von 10 Punkten gelegen hätten. Die Problematik mangelnder Repräsentation der unterschiedlichen Leistungsniveaus in der Vergleichsgruppe stelle sich daher nicht in einem Ausmaß, dass die Rechtswidrigkeit der Vergleichsgruppenbildung zur Folge hätte. Zu dieser Argumentation verhält sich die Zulassungsbegründung der Klägerin nicht, die meint, eine Vergleichsgruppe von 12 Personen erscheine auf jeden Fall zu gering. Eine Auseinandersetzung insbesondere mit der vom Verwaltungsgericht angenommenen (noch) ausreichenden Repräsentation der unterschiedlichen Leistungsniveaus in der Vergleichsgruppe fehlt.
c. Das Verwaltungsgericht ist schließlich davon ausgegangen, dass bei der Beurteilung der Klägerin ein zutreffender und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei. Die Klägerin wendet ein, dass der Zeuge L. zu der Bewertung des Teamverhaltens und der Konfliktbewältigung der Klägerin befragt worden sei. Der Zeuge habe hierzu einen Vorfall „Geschäftsstelle“ benannt. Die Klägerin habe nunmehr festgestellt, dass es sich um einen Vorfall aus dem Jahre 2009 gehandelt habe, der sich bis etwa Februar 2010 hingezogen habe und vor dem Beurteilungszeitraum gelegen habe. Im Übrigen habe der unmittelbare Vorgesetzte negative Ausführungen von Kollegen über sie, die außerhalb des Beurteilungszeitraums erfolgt seien, zur Grundlage seines Beurteilungsentwurfs gemacht und diese ungeprüft übernommen. Da sie dies lediglich behauptet, nicht aber durch Vorlage der hierzu angeführten Protokolle des Personalrats glaubhaft macht (vgl. zur Substantiierung und Glaubhaftmachung: Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 91; BayVGH, B.v. 18.11.2008 – 4 ZB 06.2828 – juris Rn. 10) legt sie auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils dar.
2. Aus den unter Nr. 1 dargestellten Gründen ergibt sich, dass die Rechtssache auch nicht die geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage
Hat – unabhängig vom Umfang einer Freistellung – stets eine normale dienstliche Beurteilung zu erfolgen oder ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Umfang der dienstlichen Beurteilung durch eine überwiegende Freistellung so gering ist, dass keine verlässliche Tatsachengrundlage für eine „normale“ dienstliche Beurteilung mehr existiert, sodass eine fiktive Nachzeichnung zu erfolgen hat?
bezieht sich zum einen auf eine Rechtslage, die sich durch den mit Wirkung zum 1. August 2015 eingefügten Art. 17a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 LlbG erledigt hat. Das mit der Grundsatzberufung verfolgte Ziel, eine Rechtsfrage im Interesse der Einheit oder Fortentwicklung des Rechts für die Zukunft richtungsweisend zu klären, kann nicht mehr erreicht werden. Ob und in welcher Weise Art. 17a LlbG für teilfreigestellte Beamte gilt und ob die Bestimmung mit dem Benachteiligungsverbot des § 179 Abs. 2 SGB IX vereinbar ist oder nicht, ist in der konkreten Rechtssache nicht entscheidungserheblich (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 19. Aufl. 2019, § 124 Rn. 37). Zum anderen zeigt die Fragestellung selbst auf, dass eine von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Klärung der aufgeworfenen Frage nicht möglich ist.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 GKG und § 52 GKG (wie Vorinstanz).
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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