Verwaltungsrecht

Förderungshöchstdauer, Verwaltungsgerichte, Amt für Ausbildungsförderung, Gewährung von Ausbildungsförderung, Fachsemester, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Bafög, Treu und Glauben, Prozeßbevollmächtigter, Ausbildungsabschluss, Ausbildungsstätte, Widersprüchliches Verhalten, Auszubildende, Eignungsbescheinigung, Bescheinigung, Prüfungsordnungen, mündlich Verhandlung, Schwerwiegender Grund, Zwischenprüfung, Leistungsnachweis

Aktenzeichen  B 3 K 19.305

Datum:
14.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42231
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 15 Abs. 3
BAföG § 48 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer aus schwerwiegenden Gründen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG) liegt nicht vor, wenn sich der Studierende trotz einer Krankheit weiterhin im Rahmen des üblichen Studienfortschritts befindet;
2. Es liegt ein widersprüchliches Verhalten vor, wenn einerseits eine Bescheinigung über einen üblichen Studienfortschritt i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorgelegt wird und andererseits geltend gemacht wird, in dem von der Bescheinigung umfassten Zeitraum liege eine Verzögerung vor.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil die Klägerin keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung von Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG wird über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie infolge schwerwiegender Gründe überschritten worden ist. Ein schwerwiegender Grund kann auch eine Erkrankung sein (Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB 2. Auflage 2018, § 15 BAföG Rn. 6).
Voraussetzung für eine weitergehende Förderung ist allerdings nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BAföG, dass der Auszubildende seine Eignung in Form einer Leistungsbescheinigung nach § 48 BAföG nachweist. Dabei wird nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG die Ausbildungsförderung für den Besuch einer Hochschule vom fünften Fachsemester an nur von dem Zeitpunkt an geleistet, in dem der Auszubildende eine nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellte Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber vorlegt, dass er die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat.
Die von der Klägerin beantragte und erteilte Leistungsbescheinigung vom …7.2016 bestätigt, dass sie bei geordnetem Verlauf der Ausbildung bis Ende des 4. Fachsemesters übliche Leistungen erbracht hat. Der Aussagegehalt dieser Bescheinigung beschränkt sich gerade nicht auf den bloßen Nachweis gem. § 9 Abs. 2 BAföG, ausweislich der bisher erbrachten Leistungen als für die Ausbildung i. S. v. § 9 Abs. 1 BAföG geeignet angesehen werden zu können. Sie bringt vielmehr auch zum Ausdruck, dass bisher keine relevanten Verzögerungen bei der Bewältigung der Ausbildung eingetreten sind und ein bei ihr etwaig doch eingetretener Studienrückstand zum bescheinigten Zeitpunkt nur als verhältnismäßig gering und ohne weiteres im Verlauf des weiteren regulären Studienverlaufes nachholbar anzusehen war (OVG NRW, B.v. 26.9.2013 – 12 A 1477/13 – juris Rn. 11). Dieser Moment ergibt sich – gerade vor dem Hintergrund der Ausbildungsförderung als einer Erscheinung der Massenverwaltung im arbeitsteiligen Zusammenwirken unterschiedlicher Stellen – nicht nur unmittelbar aus Funktion und Natur der Bescheinigung, sondern insbesondere unschwer auch aus § 48 Abs. 2 BAföG und ist deshalb – bei der von einem in Förderung stehenden Auszubildenden zu verlangenden Auseinandersetzung mit dem Ausbildungsförderungsrecht, wie es hier in den entscheidenden Punkten auch auf dem Formblattvordruck angegeben ist – ohne weiteres erkennbar.
Es kann dabei dahinstehen, ob die Leistungsbescheinigung – die mit einem Formblatt entgegen § 36 SGB X ohne Rechtsbehelfsbelehrung:ausgestellt wird – ein Verwaltungsakt ist (Rothe/Blanke, BAföG, Stand: Mai 2018, § 48 Rn. 10; OVG Münster, B.v. 26.9.2013 – 12 A 1477/13 – juris Rn. 7; ders. U.v. 15.10.2012 – 12 A 3020/11 – juris Rn. 37; OVG Bautzen, B.v. 10.1.2006 – 5 BS 143/05 – juris Rn. 16). Zwar ist ein Verwaltungsakt gemäß §§ 39 Abs. 3, 40 SGB X außer bei einem qualifizierten, zur Nichtigkeit führenden Mangel, rechtswirksam, sodass die Eignungsbescheinigung, wäre sie ein Verwaltungsakt, grundsätzlich verbindlich die Feststellung enthielte, dass der übliche Leistungsstand erreicht sei (BVerwG, B.v. 21.04.1993 – 11 B 60.92, juris; OVG Sachsen-Anhalt, U.v. 25.11.1993 – 3 L 24/92 -, juris).
Unabhängig von der Handlungsform, in welcher die Ausbildungsstätte die Leistungsbescheinigung ausstellt, handelt die Klägerin aber treuwidrig indem sie nachträglich Rechte geltend macht, die mit dem Inhalt der vorgelegten Eignungsbescheinigung in Widerspruch stehen. Ein widersprüchliches Verhalten ist dem Auszubildenden nach dem auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchenden Grundsatz von Treu und Glauben (dazu BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 3 B 36/11 – juris Rn. 5 m.w.N.) verboten.
Nach der Vorlage einer Leistungsbescheinigung kommen für eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG dann nur solche Gründe in Betracht, die nach dem in der Bescheinigung angegebenen Zeitpunkt eingetreten sind (Sächs. OVG, B.v. 3.1.2011 -1 B 192/10 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.2.1982, Az. 7 S 1654/81 – juris; VG Frankfurt, B.v. 12.7. 2002 – 10 G 2340/01 – juris).
Entgegen der Ansicht des von der Klägerin angeführten Verwaltungsgerichts Stuttgarts (U.v. 19.7.2010 – 11 K 1094/10), ist es von ihr widersprüchlich, einerseits eine Bescheinigung über einen bis dahin regulären Studienstand zu beantragen, sich mit der daraufhin ausgestellten Leistungsbescheinigung ab dem 5. Fachsemester weiterhin fördern zu lassen und dann im Nachhinein einen zum Zeitpunkt der Vorlage der Leistungsbescheinigung vorliegenden Studienrückstand darzulegen (VG München, B.v. 13.11.2009 – M 15 E 09.4985 – juris).
Die Hochschule stellt die Bescheinigungen nach § 48 BAföG nicht von sich aus, sondern auf Veranlassung der Auszubildenden aus, d.h. sie bestätigt ihnen nach Prüfung der bereits erbrachten Leistungsnachweise deren eigene Behauptung, bisher ordnungsgemäß und mit üblichem Erfolg, also ohne den Ausbildungsabschluss besonders verzögernde Umstände studiert zu haben. Liegen solche Umstände vor und sind sie aus den vorgelegten Leistungsnachweisen nicht erkennbar, so ist der Auszubildende gehalten, dies dem Beurteilenden von vornherein und nicht erst im Wege der späteren Anfechtung der Bescheinigung mitzuteilen; denn der Auszubildende hat förderungsrechtlich daran mitzuwirken, dass keine inhaltlich unrichtigen oder missverständlichen Bescheinigungen ausgestellt werden (OVG NRW, B.v. 26.09.2013 -. 12 A 1477/13 – juris Rn. 26).
Über § 48 Abs. 2 BAföG hätte die Klägerin gerade die Möglichkeit gehabt, ihre Erkrankung bereits im 2. Semester darzulegen und sich, bei einer dann gegebenenfalls eintretenden Verzögerung des Studienfortschritts, den Leistungsnachweis zu einem späteren Zeitpunkt ausstellen zu lassen, mit der Folge, dass sich das Förderungsende um ein Semester nach hinten verschoben hätte. Im Hinblick auf eine spätere Verlängerung der Förderungshöchstdauer stellt es, insbesondere bei versteckten und aus den erforderlichen Leistungsnachweisen nicht ersichtlichen Hindernissen, für einen geordneten Studienverlauf zwar keine Verpflichtung, aber eine Obliegenheit des Auszubildenden dar, von dem Aufschub nach § 48 Abs. 2 BAföG Gebrauch zu machen. Da die Klägerin im Rahmen ihres Weiterförderungsantrags nach dem vierten Fachsemester im Zusammenhang mit dem Nachweis ihrer Eignung nach §§ 9, 48 BAföG nicht auf einen nach ihrer Meinung unzureichenden Leistungsstand bzw. ersichtlich den regelzeitgerechten Ausbildungsabschluss gefährdende Hindernisse für einen geordneten Studienverlauf hingewiesen und auch keinen Antrag auf spätere Zulassung der Bescheinigung nach § 48 BAföG gestellt hat, sondern vielmehr diese Bescheinigung zu dem im Regelfall vorgesehenen Zeitpunkt vorgelegt hat, kann sie sich später nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auf die angebliche Unrichtigkeit dieser Bescheinigung über den mit ihr erzeugten Eindruck, dass allenfalls geringfügige und ohne weiteres nachholbare Rückstände bestehen, nicht mehr berufen (OVG NRW, B.v. 26.9.2013 – 12 A 1477/13 – juris Rn. 29).
Auch drängt der Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht zu einer anderen Bewertung. Dass die Klägerin ein ordnungsgemäßes Studium aufgewiesen hat und die Regelstudienzeit für das Studium der Rechtswissenschaften nach Abschluss des Studiums durch die Klägerin auf 10 Semester erhöht worden ist, ändert nichts an der oben dargelegten Widersprüchlichkeit.
Unabhängig davon ist für das Gericht nicht ersichtlich, wie allein das Nichtbestehen der Zwischenprüfungsklausur im 2. Semester zu einer Verzögerung des Studienfortschritts geführt haben soll. Auch wenn die Klägerin angibt, sie habe nicht mit der großen Übung im Strafrecht beginnen können, wäre es ihr nach §§ 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. 11 Buchstabe c) der Studien- und Prüfungsordnung für den Studiengang Rechtswissenschaft (im Folgenden: Prüfungsordnung) möglich gewesen, bereits mit der großen Übung im Öffentlichen Recht zu beginnen und somit die von ihr vorgebrachte Verzögerung zu umgehen. Darüber hinaus hat sie im 2. Semester, in dem auch ihre Krankheit aufgetreten ist, die Zwischenprüfungen im Zivilrecht und im Öffentlichen Recht abgelegt und damit ihren Studienfortschritt vorangetrieben.
Auch der Vortrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung, die Klägerin hätte nicht mit der großen Übung im Öffentlichen Recht im zweiten Semester beginnen können, aber mit der großen Übung im Strafrecht dagegen schon überzeugt nicht. Bei beiden großen Übungen, sowohl im Strafrecht, als auch im Öffentlichen Recht wurden wie in der mündlichen Verhandlung angeführt im Zeitpunkt des dritten Fachsemesters noch nicht alle Lehrveranstaltungen besucht, mit denen der in den großen Übungen abgefragte Stoff abgehandelt wird. Ein regelmäßiger Studienfortschritt, der sich anhand der angebotenen Vorlesungen orientiert, kann daher nicht vorsehen, dass mit der letzten der angebotenen Klausur in der großen Übung im Strafrecht begonnen wird, während der Stoff im gleichen Semester noch gelernt wird und zum Semesterabschluss noch eine Klausur in diesem Fach vorgesehen ist. Viel mehr sieht der Studienplan für die Klägerin (abrufbar unter: https://www.jura.uni-bayreuth.de/pool/dokumente/studienplaene/ Studienplan_Stand_Juni_2013_Beginn_WS.pdf – zuletzt aufgerufen am 12.10.2020), der zwar unverbindlicher Natur ist (§ 17 Prüfungsordnung), allerdings aber auch das Muster eines geordneten Studienverlaufs darstellt an, dass mit der großen Übung im Strafrecht erst im vierten Fachsemester begonnen werden sollte. Daher zeigt sich vielmehr, dass die Klägerin zwar nicht überobligatorisch schnell ihren Studienfortschritt in Folge der Krankheit vorantreiben konnte, allerdings auch nicht durch die Krankheit in ihrem Studienfortschritt zurückgefallen ist. Ein nur nicht überobligatorisch schneller Studienfortschritt kann daher hier nicht mit einer Verzögerung gleichgesetzt werden.
Insgesamt handelt es sich bei dem Studienverlauf der Klägerin um einen, der im Wesentlichen mit dem Studienplan übereinstimmt, weshalb nicht ersichtlich ist, worin die vorgetragene Verzögerung liegen soll. Dass die Klägerin (durchaus erfolgreich) eine um ein Semester ausgedehntere Examensvorbereitung betrieben hat, lässt sich daher nicht auf die Erkrankung im zweiten Fachsemester und die in diesem Semester nichtbestandene Prüfung zurückführen.
Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 188 Satz 2 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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