Verwaltungsrecht

Fortgeltensfiktion eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Erwerbstätigkeit während des Verfahrens

Aktenzeichen  AN 5 E 17.00212

Datum:
14.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 84 Abs. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist vom Anwendungsbereich des § 84 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AufenthG erfasst, nicht hingegen das nach § 80 Abs. 7 VwGO, da nur ersteres die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs bewirkt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der am …1989 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Erstmals reiste er am 30. November 1992 in das Bundesgebiet zu seinem bereits hier lebenden Vater ein, während seine Mutter in der Türkei verblieb. Nach der Trennung seines Vaters von seiner Stiefmutter zog der Antragsteller am 23. März 1995 mit Einverständnis seiner Eltern zusammen mit der Stiefmutter in das Stadtgebiet der Antragsgegnerin.
Auf seinen Antrag vom 18. Juni 1997 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, nachdem die familienrechtlichen Verhältnisse geklärt waren, am 12. April 1999 eine bis 31. Dezember 2004 befristete Aufenthaltserlaubnis. Auf seinen Antrag vom 6. Dezember 2004 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller am 18. Januar 2005 eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
Seit 2004 ist der Antragsteller wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zuletzt wurde er am 7. Mai 2012 durch das Amtsgericht … zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 74 Fällen verurteilt. Mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 14. Februar 2013 wurde diese Freiheitsstrafe nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung ausgesetzt, nachdem sich der Antragsteller vom 18. Juni 2012 an einer Drogentherapie in … unterzogen hatte. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2013 widerrief das Amtsgericht … die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, nachdem der Antragsteller gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Vom 22. April 2014 bis 31. März 2015 war der Antragsteller daraufhin in Haft und wurde sodann zur stationären Behandlung in der … Klinik in … zur Durchführung einer Therapie aufgenommen.
Nach mehrfacher Anhörung wies die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Bescheid vom 6. Mai 2015 aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete den Sofortvollzug dieser Maßnahme an, befristete die Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von fünf Jahren ab Ausreise/Abschiebung, forderte den Antragsteller auf, das Bundesgebiet bis spätestens 1. Juni 2015 zu verlassen und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten freiwilligen Ausreise die Abschiebung, insbesondere in die Türkei, an.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller am 13. Mai 2015 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben, die unter dem Aktenzeichen AN 5 K 15.00779 noch anhängig ist. Zugleich ließ der Antragsteller beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Dies lehnte die Kammer mit Beschluss vom 18. August 2015 ab (AN 5 S. 15.00778).
Am 5. Oktober 2015 teilte der Antragsteller der Antragsgegnerin im Rahmen einer Vorsprache mit, er habe die in … begonnene Therapie bereits nach drei Monaten wieder beenden müssen. Er sei zwar nicht rückfällig geworden, er habe einen „Insassen“ nach … begleitet, als dieser zu seiner Tochter gewollt habe. Er wolle aber erneut eine Therapie antreten. Am 17. Dezember 2015 trat der Antragsteller daraufhin eine weitere Therapie im Therapiezentrum … in … an.
Mit Beschluss vom 21. März 2016 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die gegen den Beschluss der Kammer vom 18. August 2015 eingelegte Beschwerde zurück (19 CS 15.1913).
Von der Antragsgegnerin erhielt der Antragsteller während dieser Zeit beginnend mit dem 27. Juli 2015 wiederholt befristete Bescheinigungen nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, zuletzt befristet bis zum 29. März 2016.
Am 7. April 2016 wurde der Antragsteller regulär aus dem Therapiezentrum … entlassen.
Daraufhin ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 14. April 2016 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Mai 2015 unter Abänderung der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. August 2015 anzuordnen. Diesen Antrag lehnte die Kammer mit Beschluss vom 25. Mai 2016 ab (AN 5 S. 16.00618).
Ebenfalls am 14. April 2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers für diesen bei der Antragsgegnerin die Verlängerung der Bescheinigung nach § 84 AufenthG. Der Antragsteller habe regulär die Therapieeinrichtung verlassen. Ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO sei anhängig gemacht worden. Eine Entscheidung der Antragsgegnerin hierüber ist zunächst nicht ersichtlich.
Mit Beschluss vom 9. September 2016 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Kammer vom 25. Mai 2016 zurück (19 CS 16.1194).
Auf die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde des Antragstellers hin hob das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2016 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurück (2 BvR 1943/16). Das Beschwerdeverfahren ist seitdem beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 19 CS 16.2466 wieder anhängig.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers bei der Antragsgegnerin erneut die Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 AufenthG. Auf Grund der Rückverweisung der Sache durch das Bundesverfassungsgericht sei das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO wieder anhängig.
Mit weiterem Schreiben vom 9. Dezember 2016 wies der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin gegenüber darauf hin, dass im Hinblick auf die Nichtbescheidung des Antrags vom 24. Oktober 2016 nunmehr ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen sei, da nicht länger abgewartet werden könne.
Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2016 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 AufenthG zu erteilen. Durch Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs vom 9. September 2016 durch das Bundesverfassungsgericht und Zurückverweisung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof sei das Verfahren dort wieder anhängig. Auf Grund eines anhängigen Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 AufenthG. Am 24. Oktober 2016 sei ein entsprechender Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt worden. Dieser sei nicht verbeschieden worden. Es sei wiederholt an den Antrag erinnert worden. Es sei daher Antrag gemäß § 123 VwGO erforderlich. Die Bescheinigung werde zum Nachweis der Beschäftigungsmöglichkeit dringend benötigt.
Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2017 nahm die Antragsgegnerin dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gegenüber Stellung und beantragte, den Antrag abzulehnen. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin insbesondere aus, der Antrag nach § 123 VwGO sei bereits unzulässig, weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nicht das für den vorläufigen Rechtsschutz zuständige Gericht sei. Die begehrte Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei kein Verwaltungsakt. Statthafte Klageart sei also die sogenannte allgemeine Leistungsklage, die beim Verwaltungsgericht Ansbach als Gericht des ersten Rechtszugs geltend zu machen sei. Dementsprechend sei das Verwaltungsgericht Ansbach auch für das Verfahren nach § 123 VwGO zuständig. Der Antrag sei zudem nicht begründet. Vorliegend sei bereits ein Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Bislang habe der Antragsteller eine etwaige Arbeitsaufnahme auch in keiner Weise geltend gemacht. Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Auf Grund des beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der Beschwerdeinstanz anhängigen Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO bestehe kein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Fortbestehensfiktion des Aufenthaltstitels zum Zwecke der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG trete ein während des Laufs der Frist zur Erhebung von Widerspruch und Klage, während eines etwaigen verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO und solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO habe. Im Fall eines zulässigen Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO seien die Voraussetzungen demnach nicht erfüllt. Dies zeige sich zudem daran, dass in der zweiten Alternative des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG die Terminologie des § 80 Abs. 5 VwGO übernommen werde. Hierfür spreche auch, dass das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO auf die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gerichtet sei.
Daraufhin nahm der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers am 1. Februar 2017 den beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellten Antrag gemäß § 123 VwGO zurück.
Mit am selben Tag per Telefax bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 2. Februar 2017 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nunmehr beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 AufenthG zu erteilen.
Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom 2. Februar 2017 aus, dieser habe sich in den letzten Wochen mehrfach beworben, u.a. bei der Firma …, bei der Firma … und der Firma …GmbH. Letztere hätte ihm bereits für den 2. Februar 2017 eine Arbeit angeboten, allerdings benötigten sie eine Fiktionsbescheinigung. Auch die Firma … möchte ihm eine Stelle voraussichtlich anbieten. Auch hierfür benötige er eine Fiktionsbescheinigung. Auf Grund eines anhängigen Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO bestehe ein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 AufenthG (vgl. Hofmann in Hofmann, AuslR, 2. Aufl., AufenthG, § 84, Rn. 55). Am 24. Oktober 2016 sei ein entsprechender Antrag bei der Antragsgegnerin gestellt worden. Dieser sei nicht verbeschieden worden. Es sei wiederholt an den Antrag erinnert worden. Die Antragsgegnerin vertrete die Auffassung, das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO, das auf Grund der verfassungsgerichtlichen Aufhebung des ablehnenden Beschlusses wieder rechtshängig sei, eröffne nicht den Tatbestand des § 84 Abs. 2 VwGO. Dies stehe nicht nur in Widerspruch zu dem Gesetzeswortlaut und der Kommentierung, sondern auch obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 14.2.2007 – 13 S 2969/06 – Rn. 12).
Mit weiterem per Telefax am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 3. Februar 2017 erhob der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers für diesen Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte, die Beklagte zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 AufenthG zu erteilen.
Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hierzu insbesondere aus, der Antragsteller begehre die Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 AufenthG im Wege der Verpflichtungsklage (Untätigkeitsklage) und wiederholte im Übrigen seine Begründung im Antragsverfahren.
Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2017 erwiderte die Antragsgegnerin auf den Antrag und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin insbesondere aus, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, der im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu sichern wäre. Die Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG seien hier nicht gegeben. Auf Grund des beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in der Beschwerdeinstanz anhängigen Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO bestehe kein Anspruch auf Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Antragsgegnerin wiederholte ihren bereits gegenüber dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erfolgten Vortrag und führte ergänzend aus, auch die Tatsache, dass der Antragsteller nun bei der Antragsgegnerin eine eidesstattliche Versicherung hinsichtlich möglicher Arbeitsverhältnisse abgegeben habe, ändere nichts. Die angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg sei nicht auf den Fall des Antragstellers übertragbar. Es handele sich hier nicht um einen Ausländer, bei dem das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO bereits positiv entschieden worden sei und ihm deshalb keine nachteiligen Folgen während des weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet entstehen dürften. Die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Ausweisungsverfügung erhobenen Klage sei bislang nicht erfolgt. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO habe als Verfahrensgegenstand die Frage, ob die ergangene rechtskräftige Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO für die Zukunft aufrechterhalten bleiben solle. Derzeit wirke die negative Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO fort, so dass die Erteilung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht in Frage komme.
Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2017 erwiderte die Antragsgegnerin auch auf die Klage und beantragte, die Klage abzuweisen. Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin auf ihre Stellungnahme im Antragsverfahren.
Mit weiterem Schriftsatz vom 19. Februar 2017 führte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers ergänzend insbesondere aus, entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin komme es im Falle des § 84 Abs. 2 AufenthG gerade nicht darauf an, ob die aufschiebende Wirkung bereits wiederhergestellt worden sei. Vielmehr sei Voraussetzung ausweislich des Gesetzeswortlauts lediglich ein zulässiger Antrag. Dass dieser im vorliegenden Fall zulässig sei, folge aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2016. Das Verfahren gemäß § 80 Abs. 7 VwGO stelle ein eigenständiges Verfahren auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung dar und sei nicht etwa ein Rechtsmittelverfahren. Es sei somit ein Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung anhängig. Betrachte man den umgekehrten – fiktiven – Fall: Nach gerichtlicher Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ändere das Gericht gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO die § 80 Abs. 5 VwGO-Entschei-dung ab, weil die Behörde dies beantragt habe. Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass die Antragsgegnerin in diesem Fall die gegenteilige Rechtsauffassung vertreten und eine Fortwirkung des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verneinen würde, obwohl das vorherige Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO „unanfechtbar“ abgeschlossen gewesen sei. Es bestehe im Übrigen auch ein überwiegendes Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers an der vorläufigen Erteilung der Bescheinigung. Er habe nachgewiesen, dass ihm erhebliche Rechtsnachteile entstehen, da er die beabsichtigten Arbeitsstellen nicht antreten könne.
Mit Schriftsatz vom 25. Februar 2017 trug der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers noch ergänzend vor, dass der Antragsteller ihm am 24. Februar 2017 mitgeteilt habe, dass er von der Firma … erneut zwei Arbeitsstellen angeboten bekommen habe, die er vorläufig nicht habe annehmen können im Hinblick auf die fehlende Bescheinigung nach § 84 AufenthG. Diese Stellenangebote bestünden nach Auskunft der Firma … jedoch im Falle kurzfristiger Arbeitsaufnahme fort.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten im Antrags- und Klageverfahren, einschließlich der die Ausweisung bzw. die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung betreffenden Verfahren, sowie auf die in elektronischer Form vorgelegte Ausländerakte des Antragstellers Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG begehrt, ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Offenbleiben kann vorliegend, ob es der Antragsteller vermochte, einen Anordnungsgrund in § 920 Abs. 2 ZPO entsprechenderweise glaubhaft zu machen. Zwar hat der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung vom 2. Februar 2017 vorgelegt, in der er insbesondere ausführt, die Firma … GmbH hätte ihm für den 2. Februar 2017 eine Arbeit angeboten, benötige allerdings eine Fiktionsbescheinigung. Zweifel daran, ob damit ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht ist, ergeben sich insbesondere daraus, dass der Antragsteller über das Arbeitsangebot lediglich eigene unspezifische Ausführungen macht, nicht aber ein konkretes schriftliches Arbeitsangebot des genannten Unternehmens vorgelegt hat. Auch die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 25. Februar 2017, wonach dem Antragsteller erneut zwei nicht näher bezeichnete Arbeitsstellen durch die Firma … angeboten worden seien, wurden zwar anwaltlich versichert, nicht jedoch durch ein entsprechendes konkretes schriftliches Angebot des genannten Unternehmens untermauert. Auch hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nicht die Vorlage entsprechender Unterlagen, sondern lediglich eine weitere eidesstattliche Versicherung des Antragstellers in Aussicht gestellt.
Jedenfalls steht dem Antragsteller entgegen der Ansicht seines Prozessbevollmächtigten ein Anordnungsanspruch auf die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht zur Seite.
Nach § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt ein Aufenthaltstitel für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Besteht eine solche Fortgeltensfiktion hat die Ausländerbehörde dem Ausländer auch eine entsprechende Bescheinigung auszustellen (BayVGH, B.v. 9.8.2077 – 19 CE 11.1573 – juris Rn. 22 mit Verweis auf § 4 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die Norm bezieht sich dabei auf § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lassen.
Der Antragsteller hat zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach keiner der drei Varianten des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG einen Anspruch auf eine Bescheinigung, nach der sein Aufenthaltstitel für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend gilt. Denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dies nicht der Fall.
Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. Mai 2015 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden. Zugleich wurde der Sofortvollzug dieser Ausweisung angeordnet.
Dies führte zunächst nach den §§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Antragstellers. Zunächst galt die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers nach der ersten Variante des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend, solange die Klagefrist noch nicht abgelaufen war. Auch wenn über die Klage des Antragstellers gegen seine Ausweisung (AN 5 K 15.00779) noch nicht entschieden ist, ist, worauf es nach der ersten Variante des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG allein ankommt, die Klagefrist nunmehr abgelaufen, so dass die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers vorliegend nach dieser Variante der Norm nicht als fortbestehend gelten kann.
Auch nach der dritten Variante des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als fortbestehend. Denn Voraussetzung der dritten Variante ist, dass der eingelegte Rechtbehelf aufschiebende Wirkung hat. Dies ist vorliegend weder im Hinblick auf die erhobene Klage noch auf das, wie der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers insoweit zutreffend ausführt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof infolge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts wieder anhängige Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO der Fall. Die Klage entfaltet vorliegend auf Grund des durch die Antragsgegnerin angeordneten Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung ist auch nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederhergestellt worden. Das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist infolge des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2016 (19 CS 15.1913) rechtskräftig abgeschlossen. Auch der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 7 VwGO, mit welchem er begehrt, unter Abänderung der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. August 2015 (AN 5 S. 15.00778), die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Ausweisungsverfügung anzuordnen (bzw. wiederherzustellen), hat für sich keine aufschiebende Wirkung. Erforderlich hierfür wäre, dass das Gericht bzw. im gegenwärtig anhängigen Beschwerdeverfahren der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem Antrag des Antragstellers insoweit entsprochen hätte, die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Solange dies nicht geschehen ist, besteht keine aufschiebende Wirkung, die nach § 84 Abs. 2 Satz 2 3. Variante AufenthG Voraussetzung für die Fortgeltungsfiktion des Aufenthaltstitels des Antragstellers im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit wäre.
Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gilt die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers auch nicht nach der zweiten Variante des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG als fortbestehend. Nach dem Wortlaut der Norm wäre hierfür Voraussetzung, dass ein gerichtliches Verfahren über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung schwebt. Dies ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht der Fall. Denn nach der zutreffenden Auffassung der Antragsgegnerin stellt das derzeit (wieder) anhängige Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO kein von der Norm vorausgesetztes Verfahren über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dar. Hierfür in Betracht kommt einzig das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO. Danach kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen bzw. wiederherstellen. Nach § 80 Abs. 7 VwGO kann das Gericht dagegen Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO ändern oder aufheben. Somit ist Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht in erster Linie die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs, sondern vielmehr die Abänderung eines bereits gefassten gerichtlichen Beschlusses, welcher diese aufschiebende Wirkung zum Gegenstand hat. Die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist daher lediglich mittelbar Gegenstand des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO. Dies ist jedoch nicht ausreichend (a.A., wann auch ohne jede Begründung Hofmann in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 84, Rn. 55). Ist bereits ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, wie vorliegend, rechtskräftig abgeschlossen, so schwebt das von § 84 Abs. 2 Satz 2 2 Variante AufenthG vorausgesetzte gerichtliche Verfahren über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nicht mehr. In diesem Fall endet auch die Fortgeltungsfiktion im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit (so auch Funke-Kaiser in GK-AufenthG, § 84, Rn. 76). In einem solchen Fall ist zwar, wovon der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Ausgangspunkt zutreffend ausgeht, nicht ausgeschlossen, dass infolge eines für den Antragsteller günstigen, das rechtskräftige Ergebnis des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO abändernden Ergebnisses seines Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung seiner Klage noch angeordnet bzw. wiederhergestellt wird. In einem solchen Fall gälte freilich der Aufenthaltstitel des Antragstellers (erneut) für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend (so auch VGH Baden-Württemberg, B.v. 14.2.2007 – 13 S 2969/06 – juris Rn. 8, der mit diesem Beschluss die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 7 VwGO angeordnet hat). Rechtsgrundlage für die Fortgeltungsfiktion in einem solchen Fall wäre jedoch § 84 Abs. 2 Satz 2 3. Variante AufenthG infolge der sodann infolge der Abänderung des rechtskräftigen Beschlusses über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Somit kann sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers auch nicht mit Erfolg auf die genannte, von ihm herangezogene Entscheidung des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs berufen. Denn die Ausführungen des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs, der – was der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hier offenbar verkennt – mit dem in Bezug genommenen Beschluss gerade in Abänderung eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts Stuttgart die aufschiebende Wirkung einer Klage wiederhergestellt bzw. angeordnet hat, beziehen sich somit gerade nicht auf die Situation des hiesigen Antragstellers, den erst die Abänderung eines die Anordnung bzw. Wiederherstellung ablehnenden Beschlusses begehrt, sondern auf die Situation nach einer solchen Abänderung, die zur aufschiebenden Wirkung geführt hat. Im Fall des Antragstellers fehlt es aber gerade (noch) an einer solchen Entscheidung.
Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist § 84 Abs. 2 Satz 2 2. Variante AufenthG auch nicht entgegen dem klaren Wortlaut auf Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO entsprechend anzuwenden. Denn, wie die Antragsgegnerin zutreffend ausführt, stellen die Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, die von der Norm erfasst sind, und Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO, die nach dem klaren Wortlaut der Norm nicht erfasst sind, unterschiedliche Verfahren dar. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO ist dabei kein Rechtsmittelverfahren, sondern ein gegenüber dem Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO selbständiges und neues Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (VGH Baden-Württemberg, B.v. 12.5.2005 – 13 S 195/05 – juris Rn. 5). Es setzt ein unanfechtbares abgeschlossenes Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO voraus und hat zum Gegenstand die Frage, ob die ergangene rechtskräftige Entscheidung für die Zukunft aufrechterhalten bleiben soll (VGH Baden-Württemberg, B.v. 12.5.2005 – 13 S 195/05 – juris Rn. 5). Auf Grund der völlig unterschiedlichen Verfahrensgegenstände kommt daher eine analoge Anwendung von das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO betreffenden Vorschriften auf das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht in Betracht, auch wenn mittelbares Ziel der Abänderung wiederum die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs ist.
Somit ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


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