Verwaltungsrecht

Fortsetzungsfeststellungsklage gegen versammlungsrechtliche Beschränkung

Aktenzeichen  10 ZB 17.441

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13754
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 15 Abs. 1
GG Art. 8, Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 5

 

Leitsatz

1 Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer versammlungsrechtlichen Beschränkung ist eine ex-ante-Betrachtung aus der Perspektive der Versammlungsbehörde zum Zeitpunkt des behördlichen Handelns geboten. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 K 15.00641 2016-12-01 Ent VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine versammlungsrechtliche Beschränkung nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Bescheid der Beklagten vom 13. April 2015 weiter. Diese lautet: „Musikdarbietungen sind auf höchstens drei 10-Minuten-Blöcke pro Stunde zu beschränken. Zwischen den einzelnen Blöcken muss eine Pause von mindestens 10 Minuten ohne Musikdarbietung erfolgen.“
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht, wie geltend gemacht, ein Verfahrensmangel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO oder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß liegt vor, wenn ein Gericht tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines Beteiligten, obwohl es auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung für seine Entscheidung erheblich ist, nicht zur Kenntnis nimmt, nicht in Erwägung zieht oder aus prozessrechtlich unzulässigen Gründen unberücksichtigt lässt (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 12.3.2019 – 1 BvR 2721/16 – juris Rn. 17; ferner Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2019, § 124 Rn. 91). Der Grundsatz des rechtlichen Gehör verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Vorbringen dem Inhalt nach zu folgen; das rechtliche Gehör ist daher nicht verletzt, wenn das Gericht aus dem Vorbringen andere Schlüsse zieht als von dem Beteiligten gewünscht.
Die Klägerin ist zu Unrecht der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe wesentliches Vorbringen unberücksichtigt gelassen.
a) Sie ist zunächst der Meinung, das Verwaltungsgericht habe sich an keiner Stelle mit einer möglichen Ausrichtung der Lautsprecheranlage nach Südwesten auseinandergesetzt, obwohl diese Möglichkeit in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert worden sei; das Gericht befasse sich lediglich mit einer Ausrichtung der Lautsprecheranlage nach Süden. Damit ist jedoch das Argument der Klägerin nicht unberücksichtigt geblieben. Das Verwaltungsgericht behandelt – als mögliches „milderes Mittel“ – eine andere Ausrichtung der Lautsprecheranlage, nämlich (nicht in Richtung der „gegnerischen“ Versammlung, sondern) in Richtung auf die Grünflächen, die sich in südlicher Richtung von dem von der Klägerin gewählten Versammlungsort befinden, wie die Klägerin dies schriftsätzlich noch selbst bezeichnet hatte. In der mündlichen Verhandlung wurde die Himmelsrichtung im Hinblick auf das vorgelegte, „genordete“ Luftbild dann als Südwesten bezeichnet. Wenn das Verwaltungsgericht von einer möglichen anderen Ausrichtung der Lautsprecheranlage „nach Süden“ spricht (UA S. 21-22), erörtert es dieses Vorbringen der Klägerin ausführlich. Schon aufgrund der Größe der fraglichen Grünfläche ist es insoweit unerheblich, ob ihre Lage vermessungstechnisch korrekt mit Süden oder Südwesten zu bezeichnen ist. Ob die Argumente zutreffen, mit denen das Verwaltungsgericht die diskutierte andere Ausrichtung der Lautsprecheranlage als milderes Mittel ausgeschlossen hat, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs.
b) Weiter bringt die Klägerin vor, das Verwaltungsgericht setze sich in seinem Urteil nicht mit der Argumentation auseinander, „dass insbesondere die Reglementierung in Form von starren (!) Blöcken erheblich in das Selbstbestimmungsrecht einer Versammlungsanmelderin eingreift“. Auch dies trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht verwendet zwar den Begriff „starre Blöcke“ nicht, sondern spricht von der „streitgegenständlichen Auflage“ (UA S. 18 u. S. 23). Es würdigt durchaus, dass mit dieser „potentiell ein erheblicher und nur schwer zu rechtfertigender Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Klägerin hinsichtlich der von ihr angemeldeten Versammlung verbunden“ sei (UA S. 23), hält sie aber mit eingehender Begründung (UA S. 18-23) für „gerade noch“ verhältnismäßig. Das Argument, dass „eine Auflage, dass Musik- bzw. Redebeiträge zwar in einem ausgewogenen Verhältnis (50/50) zu stehen haben, der genaue Ablaufplan aber der Klägerin überlassen bleibt, ein wesentlich milderes aber gleich effektives Mittel als die angefochtene Beschränkung“ gewesen wäre, taucht erst in der Begründung des Berufungszulassungsantrags auf; das Verwaltungsgericht hat daher einen derartigen Vortrag nicht übergangen.
c) Auch die Beanstandung der Klägerin, das Verwaltungsgericht sei nicht auf ihr Vorbringen eingegangen, dass die streitgegenständliche Beschränkung schon nicht erforderlich gewesen sei, „da die Festlegung des maximalen Schallpegels von 85 dB(A) ausreichend gewesen wäre“, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht stellt fest, der Erforderlichkeit stehe auch nicht entgegen, „dass, wie der Bevollmächtigte der Klägerin vorgetragen hat, eine geringere maximale Lautstärke vorgegeben hätte werden können“, und begründet dies ausführlich, allerdings ohne den Wert von 85 dB(A) zu nennen (UA S. 21).
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16).
Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, bei einer Ausrichtung der Lautsprecheranlage nach Süden wären weder die Teilnehmer der Versammlung der Klägerin noch die andere Versammlung beschallt worden. Bei der von ihr vorgeschlagenen Ausrichtung nach Süden wäre ihre eigene Versammlung durchaus beschallt worden. Auch habe das Verwaltungsgericht ihr an mehreren Stellen eine Obliegenheitspflichtverletzung vorgeworfen, da kein Kooperationsgespräch stattgefunden habe bzw. kein Veranstaltungskonzept vorgelegt worden sei; es verkenne dabei jedoch, dass die Beklagte sie nicht zu einem Kooperationsgespräch geladen habe, somit habe die Beklagte gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayVersG verstoßen. Auch sei sie nie aufgefordert worden, ein detailliertes Konzept vorzulegen. Ferner habe sie durchaus ein Konzept besessen.
Mit diesem Vorbringen, das gegen einzelne Gesichtspunkte in der umfassenden Würdigung der Verhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen versammlungsrechtlichen Beschränkung durch das Verwaltungsgericht gerichtet ist, kann die Klägerin die Richtigkeit der Entscheidung nicht durchgreifend in Frage stellen.
Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Beschränkung ist eine ex-ante-Betrachtung zum Zeitpunkt des behördlichen Handelns geboten. Die Richtigkeit der von der Beklagten vorgenommenen Prüfung, ob im Zeitpunkt der Maßnahme konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung begründeten (Prognose; Art. 15 Abs. 1 BayVersG), wird von der Klägerin im Zulassungsverfahren nicht mehr in Frage gestellt. Die Verhältnismäßigkeit der konkreten Ausgestaltung der Beschränkung, die die Beklagte getroffen hat, um der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu begegnen, kann ebenfalls nur anhand der der Beklagten im Zeitpunkt ihrer Entscheidung bekannten oder erkennbaren Umstände beurteilt werden.
Das Verwaltungsgericht hat daher zu Recht auf die Perspektive der Beklagten abgestellt und darauf verwiesen, dass aufgrund der Versammlungsanzeige nicht erkennbar war, dass mit dem – soweit ersichtlich ohnehin erst nachträglich mitgeteilten – Auftritt einer Musikgruppe ein besonderes Konzept einer Versammlung verbunden war. Zwar war die Klägerin nicht zur Vorlage eines Konzepts der Versammlung und zur Durchführung eines Kooperationsgesprächs verpflichtet, doch war damit für die Beklagte nicht erkennbar, dass mit der Ausgestaltung der Beschränkung in Form von „starren Blöcken“ ein Eingriff in ein besonderes Konzept der Versammlung verbunden sein könnte. Hierauf hat der Senat bereits in dem Beschluss vom 16. April 2015 in dem damaligen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (10 CS 15.842 – juris Rn. 9) hingewiesen. Die Beklagte musste daher nicht davon ausgehen, dass – wie sie in ihrer Stellungnahme zum Berufungszulassungsantrag hierzu ausführt – „dem Auftritt der Musikgruppe eine andere Bedeutung als der bei Versammlungen üblichen Auflockerung hätte zukommen sollen“, und konnte insoweit einen „Normalfall“ annehmen und seiner Einschätzung zugrunde legen; Bedarf für ein Kooperationsgespräch nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayVersG sah sie daher nicht. Unerheblich ist, wenn die Klägerin nunmehr vorträgt, sie habe sehr wohl ein Konzept besessen, jedenfalls konnte die Beklagte mangels Kenntnis hierauf nicht eingehen. Mit der Behauptung, dass eine Beschallung der Teilnehmer der eigenen Versammlung bei einer Ausrichtung der Lautsprecheranlage nach Südwesten anstatt – wie das Verwaltungsgericht formuliert – nach Süden möglich gewesen wäre, stellt die Klägerin lediglich ihre Ansicht der des Verwaltungsgerichts entgegen; diese Frage ist für die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung auch von untergeordneter Bedeutung. Für die Beklagte lagen hierzu im Zeitpunkt ihrer Entscheidung keine konkreten Anhaltspunkte vor.
3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine in der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärte fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war und auch für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und damit klärungsfähig ist, und die im Interesse der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (Roth in BeckOK VwGO, Stand 1.1.2019, § 124 Rn. 53, m.w.N.)
Die Klägerin formuliert als grundsätzlich bedeutsame Frage, „ob eine Reglementierung in Form von ‚starren Blöcken‘ in Bezug auf die Gewichtung von Musik- und Redebeiträgen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Art. 15 Abs. 1 BayVersG) im Rahmen von zwei sich widerstreitenden Kundgebungen und dem damit einhergehenden erheblichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht eines Veranstalters (Art. 8 Abs. 1 GG) zulässig ist“.
Diese Frage entzieht sich jedoch einer fallübergreifenden Klärung. Dass eine „starre Regelung der Redeblöcke“ in Einzelfall verhältnismäßig sein kann, hat der Senat bereits entschieden (BayVGH, B.v. 16.10.2014 – 10 ZB 134.2620 – juris Rn. 6 f.). Darüber hinaus ist in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen, ob und in welcher Hinsicht nach den zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist (Art. 15 Abs. 1 BayVersG) und mit welchen Mitteln dieser Gefährdung begegnet werden kann, wobei die Wahl der Mittel jeweils wiederum von einer Vielzahl individueller Umstände insbesondere aufgrund der örtlichen Situation und der Art und Weise der jeweils betroffenen Versammlungen abhängt. In welcher Weise die zuständige Behörde im Wege einer praktischen Konkordanz (BayVGH, B.v. 16.9.2015 – 10 CS 15.2015 – juris Rn. 20 ff.) die widerstreitenden Interessen zum Ausgleich zu bringen hat, kann nicht abstrakt für eine Vielzahl von Fällen vorgegeben werden. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls kann sich die fragliche Regelung von „starren Blöcken“ in dem einen Fall als rechtmäßig und in einem anderen Fall als rechtswidrig erweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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