Verwaltungsrecht

Gefahr der “Sippenhaft” bei Rückkehr des Asylbewerbers nach Syrien wegen Wehrdienstentziehung zweier Söhne

Aktenzeichen  RO 11 K 17.33743

Datum:
4.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157334
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3d, § 3e
VwGO § 67 Abs. 4 S. 4, § 101 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland einer in der Bürgerkriegssituation drohenden Einberufung zum Militärdienst entzogen haben, droht bei der Einreise im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen von den syrischen Sicherheitskräften in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung, insbesondere Folter (vgl. hierzu BayVGH BeckRS 2016, 115355).  (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei naher Angehörigkeit des Asylsuchenden mit Wehrdienstpflichtigen, die sich durch ihren Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen haben, handelt es sich um einen zusätzlich signifikant gefahrerhöhenden Umstand i.S.d. Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der unter dem Gesichtspunkt der sog. Reflexverfolgung („Sippenhaft“) die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Asylsuchenden bei einer Rückkehr nach Syrien begründet. (Rn. 23 – 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom 08.06.2017 wird in Nr. 2 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Diese hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1.dem Staat,
2.Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3.nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG vom 1.6.2011 Az. 10 C 25.10). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vor solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. VG Augsburg vom 25.11.2014 Az. Au 2 K 14.30422). In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei.
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob sich ein solcher Nachfluchtgrund bereits daraus ergibt, dass die Klägerin aus Syrien ausgereist ist, in Deutschland Asyl beantragt und sich seither hier aufgehalten hat (so z.B. VG Regensburg vom 29.6.2016 – RO 11 K 16.30707, RN 11 K 16.30723 und RN 11 K 16.30666). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen diese Umstände alleine nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen jemanden bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2016 -. 21 B 16.30338, 21 B 16.30364 und 21 B 16.30371 – juris).
Der Klägerin droht jedoch bei einer Rückkehr in ihre Heimat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung, weil sie als Mutter eine nahe Angehörige zweier Wehrdienstpflichtiger ist, die sich durch ihren Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen haben. Es handelt sich hierbei um einen zusätzlich signifikant gefahrerhöhenden Umstand im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründet (vgl. hierzu BayVGH vom 12.12.2016 Az. 21 B 16.30338, 21 B 16.30364 und 21 B 16.30372):
a. Die Söhne der Klägerin, … und …, haben nach den Angaben in ihrer Bundesamtsakte, die das Gericht beigezogen hat, Syrien im Dezember 2015 verlassen und sind im Januar 2016 in Deutschland eingereist. Es handelt sich bei ihnen um syrische Staatsangehörige, die sich durch ihren Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzogen haben.
Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter (Wehrpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland einer in der Bürgerkriegssituation drohenden Einberufung zum Militärdienst entzogen haben, droht bei der Einreise im Zusammenhang mit den Sicherheitskontrollen von den syrischen Sicherheitskräften in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung, insbesondere Folter (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30372 – juris). Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffende Person bereits einen Einberufungsbescheid erhalten hat oder nicht.
In Syrien besteht eine allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Die am … bzw. … geborenen Söhne der Klägerin gehören damit zu dieser besonders gefährdeten Gruppe der Militärdienstpflichtigen.
Es ist auch weder erkennbar noch vorgebracht, dass die Söhne der Klägerin endgültig vom Militärdienst freigestellt sind, vgl. hierzu BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30371 – juris. Diesem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs lässt sich folgendes zur Freistellung vom Wehrdienst entnehmen:
„Das System der allgemeinen Wehrpflicht beruht auf folgenden Grundsätzen: In Syrien besteht allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren. Männer, die 18 Jahre alt werden, müssen sich zur Generalrekrutierungsstelle begeben (Befragung, Foto, Bluttest). Danach wird ihnen ein Militärdienstbuch ausgehändigt. Bei Beginn des Militärdienstes müssen bei der Generalrekrutierungsstelle die zivilen Ausweise und das Militärdienstbuch abgegeben werden und der Betreffende erhält umgehend den Militärdienstausweis bevor er zu seiner Einheit entsandt wird. Wenn der Dienst absolviert ist, bekommt man „Entlassungspapiere“, die man bei der Generalrekrutierungsstelle abgibt und erhält den zivilen Ausweis und das Militärbuch – versehen mit dem Stempel, dass der Militärdienst geleistet und die Person entlassen wurde (vgl. Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada -Antworten auf Informationsanfragen v. 13. 8.2014, SYR104921.E, S.5).
Im August 2014 erließ Präsident Assad die Gesetzesverordnung Nr. 33, die einige Artikel der Verordnung Nr. 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst ersetzt. Dabei wurde unter anderem die Regel angepasst, dass der einzige Sohn der Familie vom Militärdienst befreit werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im „Militärbüchlein“ festgehalten. Bis die Mutter 50 Jahre alt ist, muss die Freistellung jährlich neu beantragt werden. Danach gilt die Freistellung für immer (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E vom 13.8.2014, S. 2 f). … Der Senat ist davon überzeugt, dass diese Freistellung vom Militärdienst von den syrischen staatlichen Stellen auch vor dem Hintergrund des Charakters des um seine Existenz kämpfenden Staates (…) im Wesentlichen beachtet wird.“
Die beiden Söhne der Klägerin unterfallen ersichtlich nicht der „Einziger-Sohn-Regelung“. Ferner ist weder vorgebracht noch sonst erkennbar, dass die Söhne der Klägerin aus anderen Gründen endgültig vom Militärdienst freigestellt worden wären. Daher ist davon auszugehen, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien mit beacht-licher Wahrscheinlichkeit die Einziehung zum Wehrdienst und in Anknüpfung an eine unterstellte oppositionelle Gesinnung eine menschenrechtswidrige Behandlung droht.
b. Der Klägerin droht als naher Angehöriger dieser Wehrpflichtigen nach der Überzeugung des Gerichts bei einer Rückkehr nach Syrien ebenso wie diesen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung unter dem Gesichtspunkt der sog. Reflexverfolgung („Sippenhaft“). Den vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich hierzu folgendes entnehmen:
Verhaftungen, Befragungen und dauerhafte Inhaftierungen sowie Folterungen beschränken sich nicht nur auf Personen, bei denen eine regierungsfeindliche Haltung bereits durch die Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen, Internetaktivitäten oder sonstige Handlungen nachweislich kundgetan worden ist. Vielmehr werden in zunehmendem Maße menschenrechtsrelevante Eingriffe auf Grundlage von Vermutungen, Denunziationen, bestehender Verwandtschaft mit anderen Verdächtigen oder kraft reiner Willkür vorgenommen. Der UNHCR stellt in der 4. aktualisierten Fassung seiner „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ vom November 2015 auf den Seiten 12 ff. fest, dass eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts der Umstand sei, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So seien die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten seien ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung habe, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstütze, basiere oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es bestehe die große und reale Gefahr eines Schadens und diese sei keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet sei. Ferner führt der UNHCR in seinen „Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien“ vom Februar 2017 auf Seite 5 f. u. a. aus, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko bestehe, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben. Den vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumenten und Berichten kommt insoweit besondere Bedeutung zu (vgl. hierzu EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11, BVerfG vom 12.3.2008 Az. 2 BvR 378/05).
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) stellt in ihrer Schnellrecherche vom 25. Januar 2017 zu Syrien fest, dass eine Reflexverfolgung durch verschiedene Konfliktparteien nach wie vor stattfinde. Unter Bezugnahme auf einen Bericht des irischen Refugee Documentation Centre vom 26. März 2013 wird ausgeführt, dass Familienangehörige von Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert wurden, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen. In vielen Fällen fehle eine offizielle Begründung und es handle sich um willkürliches Vorgehen. Ferner wird auf einen Bericht des Finnish Immigration Service vom 23. August 2016 hinsichtlich der Konsequenzen einer Desertion oder Wehrdienstverweigerung für Familienangehörige hingewiesen. Demnach würden oftmals männliche, teilweise aber auch weibliche Familienmitglieder inhaftiert, bis der Deserteur zum Dienst zurückkehre. Zudem werde durch Plünderung des Besitzes oder Ausschluss aus der Gemeinschaft massiver Druck auf die Familie ausgeübt, damit sie den Aufenthaltsort des Flüchtigen bekannt gibt.
Auch das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) berichtet, aus den Erkenntnismitteln gehe hervor, dass Familien von Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern mit Konsequenzen zu rechnen hätten (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 5. Januar 2017, Seite 27). Familienmitglieder (auch weibliche) könnten festgenommen werden, um den Deserteur dazu zu bringen, sich zu stellen. Manchmal werde ein Bruder oder Mutter ersatzweise zur Armee rekrutiert.
Das Gericht geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass das Gefährdungspotential für eine Person umso größer ist, je näher ihre verwandtschaftliche Beziehung zu einem Wehrpflichtigen ist. Die syrische Regierung wendet Maßnahmen der Reflexverfolgung bzw. Sippenhaft an, die sich insbesondere gegen nahe Angehörige von (potentiellen) Regimegegnern richten, zu denen auch Personen zählen, die sich der Wehrpflicht entzogen haben. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gehen die syrischen Sicherheitskräfte bei zurückkehrenden erfolglosen Asylbewerbern selektiv vor und es würden erst zusätzlich signifikante gefahrerhöhende Merkmale oder Umstände die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung begründen (vgl. hierzu BayVGH vom 12.12.2016 Az. 21 B 16.30338, 21 B 16.30364 und 21 B 16.30371).
Solche gefahrerhöhenden Umstände ergeben sich hier daraus, dass die Klägerin die Mutter zweier Wehrpflichtiger ist, die sich dem Wehrdienst entzogen haben. Als Teil der engeren Familie droht ihr wegen der Nähe zu diesen bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die oben dargestellte Gefahr der Reflexverfolgung bzw. Sippenhaft und damit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG.
Der Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Gemäß § 83b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 ff ZPO.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 RVG.


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