Verwaltungsrecht

Gemeinderat: Unterbliebener Ausschluss der Öffentlichkeit

Aktenzeichen  3 ZKO 434/17

Datum:
14.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Die Öffentlichkeit der Sitzungen des Gemeinderats ist ein tragender Grundsatz des Kommunalrechts.(Rn.9)

2. Die zum Schutz der Allgemeinheit oder berechtigter Interessen Einzelner geschaffene Regelung zum Öffentlichkeitsausschluss (§ 40 Abs 1 S 1 Halbs 2 ThürKO (juris: KomO TH 2003)) stellt eine Ausnahme dar, deren fehlende Berücksichtigung in einer Gemeinderatssitzung nicht die Unwirksamkeit des Ratsbeschlusses zur Folge hat.(Rn.9)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 29. März 2017, 3 K 488/16 We, Urteil

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 29. März 2017 wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 29. März 2017 hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen der vom Kläger mit dem allein maßgeblichen und fristgerecht eingereichten Begründungsschriftsatz vom 19. April 2017 geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Solche Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner, die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163, vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 und vom 26. März 2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das Darlegungsgebot gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert eine inhaltliche Befassung mit der angegriffenen Entscheidung, insbesondere welche entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts der Rechtsmittelführer für unzutreffend hält und aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen sich dies ergibt. Dabei müssen sich regelmäßig unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig die Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des Prozessstoffes die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens rechtfertigen sollen (st. Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 4. Juli 2006 – 3 ZKO 474/06 – m. w. N.).
Nach Maßgabe dieser Anforderungen gelingt es dem Kläger nicht, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Zweifel zu ziehen.
Soweit der Kläger zunächst einwendet, das Verwaltungsgericht habe nicht erkannt, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens im Abwahlvorgang dadurch verletzt worden sei, dass ihm vor der ersten Beratung im Gemeinderat keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei, zeigt er ernstliche Zweifel nicht auf. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach den – vom Kläger nicht angegriffenen – Feststellungen des Verwaltungsgerichts ein weiterer, der Entscheidung über die formelle Einleitung des Abwahlverfahrens vorausgehender Beratungstermin am 2. Februar 2016 durchgeführt wurde, zu dem ihm – dem Kläger – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, die er auch genutzt hat.
Auch der Vortrag zur Notwendigkeit, die Beratung in nichtöffentlicher Sitzung durchzuführen, führt nicht auf ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsgrundes. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass das streitgegenständliche kommunalrechtliche Abwahlverfahren keine Mängel aufweise, die zur Unwirksamkeit des angefochtenen, die Abwahl des Klägers feststellenden Bescheides vom 20. April 2016 führten. Zwar hätten Anhaltspunkte für die Annahme bestanden, dass die Sitzungsöffentlichkeit in der Beratung über die Einleitung des Abwahlverfahrens habe ausgeschlossen werden müssen. Darin liege jedoch kein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz mit der Folge der Unwirksamkeit des gefassten Beschlusses. Es kämen gegebenenfalls Schadensersatzansprüche in Betracht.
Mit seinem Einwand, dass das Verwaltungsgericht hier eine Abwägung zwischen der Bedeutung des Öffentlichkeitsgrundsatzes und dem Schutz seiner Persönlichkeitsrechte habe vornehmen und die Rechtswidrigkeit des Abwahlbeschlusses feststellen müssen, geht der Kläger fehl.
Er verkennt grundlegend in seiner Argumentation, dass die von ihm geforderte Rechtsgüterabwägung hier bereits nicht in Betracht kommt, weil der Öffentlichkeitsgrundsatz gerade nicht verletzt worden ist; der Beschluss wurde in öffentlicher Sitzung gefasst.
Auch soweit er meint, dass jedenfalls auch eine Verletzung von Individualinteressen bei der Entscheidung über die Durchführung einer öffentlichen Gemeinderatssitzung zur Unwirksamkeit eines Beschlusses führen müsse, ist dem nicht zu folgen. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Annahme der Rechtswidrigkeit eines unter Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz gefassten Ratsbeschlusses unmittelbar auf die elementare Bedeutung dieses Grundsatzes zurückgeht, dessen Schutz grundgesetzlich verankert und hier insbesondere von § 40 ThürKO verbürgt ist. Das Recht auf Teilnahme der Öffentlichkeit an den Sitzungen der kommunalen Parlamente leitet sich aus der durch Art. 20 GG verbürgten demokratischen Grundordnung her, an die gem. Art. 28 GG Länder und Gemeinden gebunden sind (BVerwG, Beschluss vom 15. März 1995 – 4 B 33/95 – juris Rn. 6). Gerade auf der kommunalen Ebene, die für bürgerschaftliche Mitwirkung und Teilnahme wegen ihres überschaubaren Bereiches sehr geeignet ist, fallen viele der den Bürger betreffenden Entscheidungen, an deren Zustandekommen er besonderes Interesse hat. Die Öffentlichkeit der Sitzungen ist daher als ein tragender Grundsatz des gesamten Kommunalrechts anzusehen (VerfGH Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. April 1976 – VerfGH 58/75 – NJW 1976, 1931). Die zum Schutz der Allgemeinheit oder berechtigter Interessen Einzelner (§ 40 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz ThürKO) geschaffene Regelung zum Öffentlichkeitsausschluss stellt dagegen lediglich eine Ausnahme dar, deren fehlende Berücksichtigung in einer Gemeinderatssitzung nicht die Unwirksamkeit eines Ratsbeschlusses zur Folge hat (vgl. Kühne, ThürVBl. 2021, S. 129 (135)). Eine solche, anderweitig zu sanktionierende Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften ist hinsichtlich ihrer Bedeutung und Schutzrichtung nicht vergleichbar mit einem Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz, der zwingend die Nichtbeachtung des unter diesen Umständen gefassten Beschlusses gebietet. Dies muss vorliegend umso mehr gelten, als die im Gemeinderat erörterten Umstände zumindest teilweise Gegenstand der Meinungsbildung im öffentlichen Abwahlverfahren sind.
2. Die Berufung ist auch nicht aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Ungeachtet der für diesen Zulassungsgrund geltenden weiteren Darlegungsanforderungen (grundlegend dazu Beschluss vom 12. Januar 1999 – 3 ZKO 1371/98 – ThürVGRspr. 1999, 142 und juris) versäumt es der Kläger bereits, eine der Klärung im Berufungsverfahren zugänglichen Frage zu formulieren. Soweit er zur Begründung vorträgt, es sei ungeklärt, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Behandlung eines Abwahlantrages in öffentlicher statt in nichtöffentlicher Sitzung erfolge, ob nur eine Kompensation durch Schadensersatzansprüche gegeben sei, wenn dabei datenschutzrechtliche Bestimmungen verletzt seien und ob bzw. nach welchen Maßgaben eine Abwägung zwischen dem Öffentlichkeitsgrundsatz und dem Einzelinteresse eines Betroffenen durchzuführen ist, gibt er lediglich zu erkennen, dass er der Wertung des Verwaltungsgerichts widerspricht. Weder führt der Kläger die maßgeblichen Rechtsgrundlagen an, aus denen sich eine Beantwortung seiner Fragen ergeben könnte, noch setzt er sich mit der vom Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung angeführten obergerichtlichen Rechtsprechung auseinander. Soweit er sich auf seine zuvor gemachten Erwägungen zum Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel bezieht, genügen diese, wie aufgezeigt, nicht, den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der erforderlichen Weise entgegen zu treten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 45 Abs. 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 3 Satz 1 GKG.
Hinweis:Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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