Verwaltungsrecht

Identitätsfeststellung, Fortsetzungsfeststellungsklage, Demonstration, Versammlung

Aktenzeichen  Au 8 K 20.525

Datum:
5.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32592
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PAG Art. 13
StPO § 98 Abs. 2, § 163b Abs. 1 S. 1
OWiG § 46 Abs. 1
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 67 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 4, § 113 Abs. 1 S. 4
GVG § 17a Abs. 3 S. 1
EGGVG § 23 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

Der beschrittene Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer ihr gegenüber erfolgten polizeilichen Identitätsfeststellung.
Am 8. Oktober 2019 nahm die Klägerin mit elf anderen Personen an einer Versammlung vor einem Restaurant in einem … Ferienort teil, in dem ein Stammtisch der AfD stattfand. Die Versammlungsteilnehmer trugen zwei ca. 1,5 x 3 m große Banner mit der Aufschrift „Unser … bleibt bunt“ bzw. „Keine Stimme für Rassismus“ vor ihren Körpern. Der Zugang zum Restaurant wurde durch die Versammlungsteilnehmer nicht behindert. Gegen 19:05 Uhr trafen zwei Polizeibeamte ein, nachdem über die Einsatzzentrale mitgeteilt worden war, dass durch die Demonstration der Zugang zum Lokal nicht mehr möglich sei. Vor Ort erkundigten sich die Beamten zunächst nach dem Verantwortlichen der Versammlung. Nachdem den Beamten kein Verantwortlicher mitgeteilt worden war, erhoben diese die Personalien aller Versammlungsteilnehmer, die aus unterschiedlichen Wohnorten, überwiegend aus Baden-Württemberg stammten. Einzelne Personen, die sich entfernen wollten, wurden per mündlicher Anweisung festgehalten. Nach der Aufnahme der Personalien verließen alle Personen die Örtlichkeit. Gegen die Klägerin erging am 21. November 2019 ein Bußgeldbescheid.
Am 18. März 2020 ließ die Klägerin Klage erheben.
Zur Begründung wurde vorgetragen, die handelnden Polizeibeamten hätten den Versammlungsteilnehmern auf deren Frage nach einer rechtlichen Grundlage für die Maßnahme sinngemäß mitgeteilt: „Wir schreiben jetzt alle auf, weil wir im Grenzgebiet sind, da dürfen wir das und wir dürfen auch nach dem neuen Polizeiaufgabengesetz immer ohne Begründung alle Personalien kontrollieren.“. Erst nach Abschluss der Maßnahme hätten die Beamten telefoniert und verkündet, dass nun gegen alle Personen ein Verfahren eingeleitet werde. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO vor dem Verwaltungsgericht Augsburg zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg sei gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, da die Polizeibeamten im Wesentlichen gefahrabwehrrechtlich tätig geworden seien.
Auf die Klagebegründung wird im Einzelnen verwiesen.
Die Klägerin lässt beantragen,
Es wird festgestellt, dass die von den Beamten des Beklagten durchgeführte Personalienfeststellung der Klägerin am 8. Oktober 2019 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Polizeibeamten seien mangels Information des zuständigen Landratsamtes von einer unangemeldeten Versammlung ausgegangen. Aufgrund der vorgefertigten Banner und der teils weiten Anreise seien sie weiter nicht von einer Spontanversammlung ausgegangen. Infolgedessen und aufgrund der fehlenden Anmeldung der Versammlung seien die Personalien aller Teilnehmer aufgenommen worden. Die Teilnehmer seien darüber aufgeklärt worden, dass gegen sie möglicherweise ein Bußgeldverfahren eingeleitet werde und deshalb ihre Personalien erhoben und dem zuständigen Landratsamt mitgeteilt würden. Nach Aufnahme der Personalien habe sich die Versammlung selbstständig aufgelöst. Im weiteren Fortgang habe sich herausgestellt, dass die Versammlung nicht beim zuständigen Landratsamt angezeigt worden war. Gegen alle Teilnehmer der Versammlung sei ein Bußgeldverfahren eingeleitet und ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Ermächtigungsgrundlage für die Personalienfeststellung sei § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gewesen. Jeder Versammlungsteilnehmer sei im Verdacht gestanden, eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG begangen zu haben. Zu deren Verfolgung sei es für die Polizeibeamten unerlässlich gewesen, die Personalien aller Teilnehmer festzustellen.
Die beiden vor Ort handelnden Polizeibeamten, PHK K. und POK H., nahmen zu dem Vorfall Stellung. Laut den Stellungnahmen von POK H. vom 30. März 2020 und vom 20. April 2020 sei davon auszugehen gewesen, dass es sich bei der Demonstration um eine nicht angemeldete Versammlung gehandelt habe. Die Durchführung einer Identitätsfeststellung sei als verhältnismäßig und geringstes Einsatzmittel anzusehen gewesen. Nach Erläuterung der verschiedenen Möglichkeiten einer Identitätsfeststellung, also auch nach dem PAG, sei die Maßnahme durchgeführt worden. Aufgrund der bislang erlangten Informationen sei eine Identitätsfeststellung als ausreichend erachtet worden. PHK K. führte in seinen Stellungnahmen vom 26. März 2020 und vom 15. April 2020 aus, dass der Verdacht bestanden habe, es könne eventuell eine Straftat (Hausfriedensbruchs Lokal), eine Ordnungswidrigkeit (Teilnahme an einer nicht angemeldeten Versammlung) bzw. eine nicht genehmigte Versammlung vorliegen. Die Situation habe sich so dargestellt, dass es sich nicht um eine Spontanversammlung gehandelt habe. Daher sei als gegenüber der Auflösung milderes Mittel die Erhebung der Personalien durchgeführt worden. Den Teilnehmern sei wiederholt der aufgezeigte Grund für die Maßnahme erläutert worden. Sie seien sinngemäß darauf hingewiesen worden, dass sie möglicherweise mit einem Bußgeldverfahren rechnen müssten. Für dieses Verfahren würden ihre Personalien erhoben und dem zuständigen Landratsamt mitgeteilt.
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 trug der Klägerbevollmächtigte vor, dass es sich entgegen der Aussage des Beklagten ganz offensichtlich mindestens um doppelfunktionale Maßnahmen gehandelt habe. Die Polizeibeamten hätten in dem irrigen Glauben gehandelt, dass eine „nicht genehmigte“ Versammlung aufzulösen sei. Bei der Auflösung einer Versammlung handele es sich um eine gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme nach dem Bayerischen Versammlungsgesetz. Auch eine sog. Mindermaßnahme sei logischerweise im Gefahrenabwehrrecht anzusiedeln.
Die Beteiligten wurden durch das Gericht zu einer möglichen Verweisung des Verfahrens angehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, da eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegt.
Über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs kann gemäß § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG vorab entschieden werden.
Für die vorliegende Fortsetzungsfeststellungsklage ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, weil der Streitgegenstand (auch) dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Gemäß § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Wird die Polizei zur Gefahrenabwehr tätig, ist danach der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dagegen sind die Strafgerichte für die Überprüfung von Strafverfolgungsmaßnahmen, die sich als Justizverwaltungsakte darstellen, nach § 23 Abs. 1 EGGVG bzw. § 98 Abs. 2 StPO analog zuständig. Die hier streitige Identitätsfeststellung stellt eine sogenannte doppelfunktionale Maßnahme dar. Darunter werden grundsätzlich polizeiliche Anordnungen und Maßnahmen verstanden, die sich nicht ohne Weiteres als Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung einordnen lassen, weil sie nach Maßgabe entsprechender Befugnisnormen sowohl nach dem Polizeirecht (Polizeiaufgabengesetz – PAG) als auch nach der Strafprozessordnung (StPO) vorgenommen worden sein könnten, d. h. für die es sowohl in der StPO als auch im PAG eine Rechtsgrundlage gibt (BayVGH, B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Die Identitätsfeststellung, die von der Klägerin im konkreten Fall beanstandet wird, kann grundsätzlich der Gefahrenabwehr (vgl. Art. 13 PAG) oder aber als Strafermittlungshandlungen zur Verfolgung von Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten dienen (vgl. §§ 46 Abs. 1, 53 OWiG i.V.m. 163b Abs. 1 Satz 1 StPO). Damit stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach dem zulässigen Rechtsweg. Dieser ist nach der überwiegenden Rechtsprechung danach zu bestimmen, ob der Grund oder das Ziel des polizeilichen Einschreitens und gegebenenfalls dessen Schwerpunkt der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung dienten. Für die Abgrenzung der beiden Aufgabengebiete ist maßgebend, wie sich der konkrete Sachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt (BVerwG, U.v. 3.12.1974 – BVerwG I C 11.73 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 5.11.2009 – 10 C 09.2122 – juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, U.v. 14.12.2010 – 1 S 338/10 – juris Rn. 16; OVG Lüneburg, B.v. 8.11.2013 – 11 OB 263/13 – juris Rn. 4). Dabei muss der Sachverhalt im Allgemeinen einheitlich betrachtet werden, es sei denn, dass einzelne Teile des Geschehensablaufs objektiv abtrennbar sind. Hat die Polizei die Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht weitergeleitet oder auf Weisung der Staatsanwaltschaft gehandelt, so kann an der strafprozessualen Natur ihres Einschreitens kein vernünftiger Zweifel bestehen. Eine Maßnahme, die nach dem Gesamteindruck darauf gerichtet ist, eine strafbare Handlung zu erforschen oder sonst zu verfolgen, ist der Kontrolle der ordentlichen Gerichte nach §§ 23 ff. EGGVG nicht etwa deshalb entzogen, weil durch die polizeilichen Ermittlungen möglicherweise zugleich auch künftigen Verletzungen der öffentlichen Sicherheit vorgebeugt wurde (BVerwG, U.v. 3.12.1974 – BVerwG I C 11.73 – a.a.O.).
Im vorliegenden Fall lässt sich nach diesen Kriterien nicht eindeutig bestimmen, ob die Polizei repressiv oder präventiv tätig geworden ist.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Polizeibeamten hätten auf Nachfrage nach der Rechtsgrundlage der Maßnahme sinngemäß kundgetan, im Grenzgebiet und nach dem neuen PAG alle Personalien ohne weitere Begründung feststellen zu dürfen. Aus den Stellungnahmen der Polizeibeamten ergibt sich, die Identitätsfeststellung sei als Mindermaßnahme zur Auflösung der nicht anzeigten Versammlung durchgeführt worden. Gleichzeitig seien die Versammlungsteilnehmer darauf hingewiesen worden, dass sie möglicherweise mit einem Bußgeldverfahren rechnen müssten und die Personalien zu diesem Zweck aufgenommen würden.
Soweit die Beklagte geltend macht, die Identitätsfeststellung sei gemäß §§ 46 Abs. 1, 53 OWiG i.V.m. 163b Abs. 1 Satz 1 StPO überwiegend zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 1 Nr. 7 BayVersG erfolgt, ist dies aus Sicht der Klägerin bei verständiger Würdigung des Sachverhalts nicht eindeutig erkennbar gewesen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Polizei ihre Maßnahmen auf verschiedene Rechtsgrundlagen stützen kann und sich nicht am Einsatzort entscheiden muss, ob sie ausschließlich oder schwerpunktmäßig präventiv oder repressiv handelt (OVG Lüneburg, B.v. 8.11.2013 – 11 OB 263/13 – juris Rn. 7). Hier liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass der Klägerin von den vor Ort anwesenden Polizeibeamten der Eindruck vermittelt worden ist, die Durchführung der polizeilich angeordneten Maßnahmen diene allein oder vorrangig Zwecken der Strafverfolgung. Vielmehr ist nach den Stellungnahmen der Polizeibeamten den Versammlungsteilnehmern auch mitgeteilt worden, die Personalienfeststellung erfolge als milderes Mittel zur Auflösung der Versammlung. Dann stellt sich die Maßnahme aber gleichermaßen (auch) als präventiv-polizeilich dar.
In einem solchen Fall, in dem der Grund für das polizeiliche Einschreiten bzw. dessen Schwerpunkt nach objektiver Betrachtung für den Betroffenen nicht zweifelsfrei zu erkennen ist, für die polizeiliche Maßnahme aber zumindest auch eine präventiv-polizeiliche Rechtsgrundlage in Betracht kommt, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (OVG Lüneburg, B.v. 8.11.2013 – 11 OB 263/13 – a.a.O. Rn. 8; OVG NRW, B.v. 9.1.2012 – 5 E 251/11 – juris Rn. 16). Das angerufene Verwaltungsgericht entscheidet den Rechtsstreit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Die dadurch angeordnete umfassende Prüfung erstreckt sich somit auch auf rechtliche Gesichtspunkte, für die an sich ein anderer Rechtsweg gegeben wäre.


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