Verwaltungsrecht

in Deutschland geborenes Kind einer tansanischen Mutter sowie eines somalischen Vaters, Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, subsidiärer Schutz nach dem Vater, keine familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsstaat bzw. in der Bundesrepublik erforderlich, keine Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaats erforderlich, keine europarechtlichen Bedenken, keine Aussetzung des Verfahrens

Aktenzeichen  W 10 K 18.31168

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9359
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 30
AsylG § 26 Abs. 5
AsylG § 26 Abs. 2
Art. 3 RL 2011/95/EU – Anerkennungs- bzw. Qualifikationsrichtlinie – QRL –
QRL Art. 23
VwGO § 94

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für … vom 5. Juni 2018 (Gz.: …) verpflichtet, der Klägerin subsidiären Schutz zuzuerkennen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Das Gericht konnte durch die Einzelrichterin entscheiden, nachdem dieser das Verfahren durch Beschluss der Kammer zur Entscheidung übertragen worden ist, § 76 Abs. 1 AsylG. Die Klage, über die nach § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden durfte, ist zulässig und im zuletzt beantragten Umfang begründet. Soweit der Bescheid des Bundesamts vom 5. Juni 2018 angegriffen ist, ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach ihrem Vater (§ 26 Abs. 2 AsylG). Aus diesem Grund war der streitgegenständliche Bescheid entsprechend aufzuheben. Die Ablehnung der Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet (Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids) ist bereits unanfechtbar geworden.
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Wege des Familienschutzes nach § 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AsylG.
Nach § 26 Abs. 2 AsylG wird ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG wird diese Regelung auf Familienangehörige von international Schutzberechtigten entsprechend angewandt, wobei an die Stelle der Asylberechtigung die Flüchtlingseigenschaft bzw. der subsidiäre Schutzstatus tritt.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die in Deutschland geborene Klägerin ist minderjährig und ledig. Dem Vater der Klägerin, der die Vaterschaft für sie anerkannt hat und ausweislich des Gutachtens vom 12. Juli 2018 auch ihr biologischer Vater ist, wurde unanfechtbar der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Zuerkennung zu widerrufen oder zurückzunehmen wäre.
Für den Anspruch auf Familienasyl bzw. Familienschutz für minderjährige ledige Kinder ist nach deutschen Recht unerheblich, ob das Kind in Deutschland geboren wurde, eine familiäre Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat bestanden hat bzw. in Deutschland besteht oder das Kind und die stammberechtigte Person dieselbe Staatsangehörigkeit haben oder nicht (vgl. zu alledem BVerwG, EuGH-Vorlage v. 18.12.2019 – 1 C 2/19 – juris Rn. 14; OVG Hamburg, B.v. 14.12.2020 – 6 Bf 240/20.AZ – juris Rn. 11 ff. m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.12.2020 – OVG 3 N 189/20 – juris Rn. 4 m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 17.8.2020 – W 8 K 20.30183 – juris Rn. 14 m.w.N.; U.v. 16.12.2019 – W 8 K 19.31597 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.; VG Berlin, G.v. 7.10.2019 – 34 K 16.19 A – juris Rn. 19 m.w.N.; VG Münster, U.v.23.7.2019 – 11 K 5754/16.A – juris Rn. 29 ff. m.w.N.; VG Köln, U.v. 19.6.2018 – 17 K 637/18.A – juris Rn. 20 ff. m.w.N.; Günther in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 27. Edition, Stand: 1.7.2020, § 26 AsylG Rn. 17 m.w.N.; Schröder in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylVfG Rn. 22 m.w.N.).
a) Dafür spricht schon der Wortlaut des § 26 AsylG, der diese Anforderungen im Gegensatz zu anderen Erfordernissen für das Familienasyl bzw. für den Familienschutz eines minderjährigen Kindes gerade nicht enthält. Das Bestehen oder Fortbestehen einer familiären Lebensgemeinschaft mit dem Stammberechtigten ist nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylG nicht Voraussetzung für Familienasyl bzw. internationalen Familienschutz. Die systematische, historische und teleologische Auslegung sprechen ebenfalls gegen eine erweiternde Auslegung.
b) Gegen eine den Anwendungsbereich einschränkende Auslegung streitet in systematischer Hinsicht, dass in § 26 Abs. 2 eine § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG entsprechende Regelung fehlt. Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber die Frage der ehelichen bzw. familiären Lebensgemeinschaft bei der Normierung der verschiedenen Fallkonstellationen des Familienasyls bzw. Familienschutzes in den Blick genommen hat. Das Fehlen entsprechender weiterer Voraussetzungen für die in § 26 Abs. 2 AsylG geregelte Konstellation lässt daher in systematischer Hinsicht nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber hierauf in Bezug auf die Ableitung der Asylberechtigung bzw. des internationalen Schutzstatus eines minderjährigen ledigen Kindes von einem stammberechtigten Elternteil bewusst verzichtet bzw. sich davon für diese Fallkonstellation abgewandt hat.
c) Auch aus der Gesetzeshistorie ergeben sich keine gegenteiligen Anhaltspunkte. Mit Wirkung vom 15. Oktober 1990 sah § 7a Abs. 3 AsylVfG erstmals die Gewährung von Asyl an Familienangehörige und zwar an Ehegatten und minderjährige Kinder vor. Die für Ehegatten bestehende Regelung, dass die Ehe schon in dem Staat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wurde, bestanden haben musste, galt für die im Zeitpunkt der Asylantragstellung bereits geborenen minderjährigen Kinder entsprechend. Zweck der Neuregelung war die Entlastung des zuständigen Bundesamts und der Verwaltungsgerichte sowie zugleich die Förderung der Integration naher Familienangehöriger von anerkannten Asylberechtigten. Hiervon löste sich der Gesetzgeber bei der am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Reform des Aufenthalts- und Flüchtlingsrechts. Seitdem lautet die gesetzliche Regelung, dass ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt wird, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Die Änderung der gesetzlichen Regelung 2005 begründete der Gesetzgeber u.a. mit dem Gedanken der Familieneinheit, wobei in der Begründung des Gesetzentwurfes in Bezug auf ältere Kinder ausdrücklich ausgeführt wurde, dass diese künftig bis kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres mit der Asylantragstellung warten könnten. Dabei wurde trotz der kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahres nicht selten bereits bestehenden Loslösung aus dem Elternhaus und Auflösung der familiären Lebensgemeinschaft keine entsprechende weitere Voraussetzung eingeführt. Vielmehr ist der Begründung des Gesetzentwurfes an anderer Stelle zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Gewährung von Familienasyl bzw. Familienflüchtlingsschutz auch das Ziel verfolgte, den begünstigten Familienmitgliedern einen einheitlichen Rechtsstatus zu gewähren. Dies wird insbesondere aus der Regelung in § 26 Abs. 4 AsylVfG 2005 deutlich, welcher dem Ehegatten sowie den minderjährigen Kindern eines Ausländers erstmals einen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 AufenthG gewährte, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt worden war, für ihn aber unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt worden war. Das Interesse an einem einheitlichen Rechtsstatus und nach einem gesicherten aufenthaltsrechtlichen Status für die engsten Familienangehörigen war nach der Begründung des Gesetzentwurfs bereits bei der Erweiterung des Kreises der familienasylberechtigten Kinder auf die nach der Anerkennung als Asylberechtigten geborenen Kinder durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens leitendes Motiv des Gesetzgebers.
d) Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung dafür, dass weder eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem minderjährigen Kind und dem Stammberechtigten noch eine gemeinsame Staatsangehörigkeit bestanden haben bzw. bestehen muss. Ausgangspunkt der Regelung über die Gewährung von Familienasyl sowie von internationalem Schutz für Familienangehörige in § 26 AsylG war, dass in vielen Verfolgerstaaten häufig auch für die engsten Familienangehörigen, also den Ehegatten bzw. Lebenspartner sowie die minderjährigen Kinder, ein vergleichbare Bedrohungslage wie für den Stammberechtigten vorliegen wird. Insoweit dient § 26 AsylG der Entlastung des Bundesamts sowie der Gerichte von einer eigenen Prüfung der Bedrohungslage für diesen Personenkreis, wenn sie sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf Asyl bzw. auf Gewährung von internationalem Schutz im Bundesgebiet aufhalten. Daneben tritt der Aspekt der Förderung der Integration der Familienangehörigen und des Asylberechtigten durch einen regelmäßig einheitlichen Rechtsstatus der Kernfamilie im Bundesgebiet.
Beide Aspekte führen nicht zu einem erweiterten Verständnis von § 26 Abs. 2, 5 AsylG. Gerade im Hinblick auf das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft würde eine obligatorische Prüfung dem vom Gesetzgeber mit den Regelungen des Familienasyls bzw. des Familienschutzes in § 26 AsylG verfolgten Entlastungs- und Vereinfachungszweck zuwiderlaufen. Zum anderen bestehen weder Anhaltspunkte dafür, dass eine besondere Verletzlichkeit von Familienangehörigen in Fallkonstellationen, in denen eine Sippenhaft droht, regelmäßig nur gegeben ist, wenn das minderjährige Kind bereits im Haushalt des Stammberechtigten gelebt hat, noch dort lebt bzw. die gleiche Staatsangehörigkeit hat, noch liegt eine relevante Gefährdung fern, wenn das nicht der Fall ist. Anknüpfungspunkt für die Verfolgung von Familienangehörigen im Rahmen einer Sippenhaft dürfte vielmehr primär die emotionale Nähe des Stammberechtigten zu seinen minderjährigen Kindern und die besondere Verletzlichkeit von Kindern sein, deren mögliche Verfolgung den Stammberechtigten treffen und im Sinne der ihn verfolgenden Akteure beeinflussen soll. Zudem kann ein Kind seine Familienzugehörigkeit nicht aufgeben. Unabhängig von einer familiären Gemeinschaft im Verfolgungsstaat bzw. in Deutschland oder der Staatsangehörigkeit bleibt es das Kind des Stammberechtigten und gerät daher in die Nähe der Verfolgung.
e) Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass die Gewährung eines internationalen Schutzstatus an minderjährige Kinder, die nicht mehr im Haushalt mit dem Stammberechtigten leben, nicht im Widerspruch zu Art. 3 QRL steht. Der Europäische Gerichtshof (U.v. 14.10.2018 – C-652/16 – ABl. EU 2018, Nr. C 436,4 – juris) hat ausdrücklich entschieden, dass Art. 3 QRL dahin auszulegen ist, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, in Fällen, in denen einem Angehörigen einer Familie nach der mit dieser Richtlinie geschaffenen Regelung internationaler Schutz gewährt wird, die Erstreckung dieses Schutzes auf andere Angehörige dieser Familie vorzusehen, sofern diese nicht unter einen der – hier soweit ersichtlich nicht einschlägigen – in Art. 12 QRL genannten Ausschlussgründe fallen und sofern ihre Situation wegen der Notwendigkeit, den Familienverband zu wahren, einen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweist (EuGH, U.v. 14.10.2018 – C-652/16 – ABl. EU 2018, Nr. C 436,4 – juris Leitsatz 3 und Rn. 66 f.). Denn Staaten können nach der QRL (siehe insbesondere Art. 3) günstigere Normen vorsehen, sofern diese Vergünstigung die allgemeine Systematik oder die Ziele der Richtlinie nicht gefährdet. Der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen ausgeführt, dass eine auf der Grundlage des nationalen Rechts erfolgende automatische Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an Familienangehörige einer Person, der dieser internationale Schutz zuerkannt wurde, nicht von vornherein keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweist (so ausdrücklich auch EuGH, U.v. 14.10.2018 – C-652/16 – ABl. EU 2018, Nr. C 436,4 – juris Rn. 72). Wie bereits ausgeführt, ist der erforderliche Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes wegen der regelmäßig gegebenen emotionalen Nähe eines minderjährigen ledigen Kindes zu seinen Eltern und der daraus folgenden potentiellen Gefährdung im Verfolgerland zu bejahen. Es spricht auch nichts dafür, dass es für die Gefährdung des Kindes einer schutzberechtigten Person im Herkunftsstaat einen Unterschied macht, ob diese in Deutschland eine familiäre Lebensgemeinschaft führen, worüber im Herkunftsstaat im Zweifel ohnehin nichts bekannt sein dürfte. Darüber hinaus ist die Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft für Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings nicht unvereinbar mit dem System der Genfer Flüchtlingskonvention und wird auch vom UNHCR empfohlen. Des Weiteren verfolgt diese Zuerkennung Ziele, die im Einklang mit der QRL stehen, die in Art. 23 Abs. 1 ausdrücklich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten festlegt, den Familienverband des Flüchtlings aufrecht zu erhalten und den Mitgliedstaaten darüber hinaus die Entscheidung über die zu diesem Zweck zu ergreifenden Maßnahmen überlässt. Die Erweiterung des Flüchtlingsschutzes auf nahe Familienangehörige entspricht der „Logik des internationalen Schutzes“ (so ausdrücklich Schlussanträge des Generalanwalts vom 28.6.2018 – C-652/16 – juris Rn. 47 ff., insbesondere Rn. 58). Ein möglicher aufenthaltsrechtlicher Anspruch auf Verbleib der Klägerin in Deutschland ist nicht gleichwertig, weil sie so nicht ohne weiteres alle mit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes verbundenen Rechte in Anspruch nehmen kann, wenn sie bloß einen aufenthaltsrechtlichen Schutz erhält, als wenn ihr selbst der subsidiäre Schutz zuerkannt wird (vgl. zu alledem etwa BVerwG, EuGH-Vorlage v. 18.12.2019 – 1 C 2/19 – juris; OVG Hamburg, B.v. 14.12.2020 – 6 Bf 240/20.AZ – juris Rn. 22 ff. m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.12.2020 – OVG 3 N 189/20 – juris Rn. 4 m.w.N.; VG Minden, U.v. 24.8.2020 – 1 K 8765/17.A – juris Rn. 40; VG Würzburg, U.v. 17.8.2020 – W 8 K 20.30183 – juris Rn. 14 f. m.w.N.; U.v. 16.12.2019 – W 8 K 19.31597 – juris Rn. 17 f. m.w.N.).
f) Aus alledem folgt darüber hinaus, dass keine Regelungslücke vorliegt, die eine analoge Anwendung von § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG auf die vorliegende Fallkonstellation rechtfertigen könnte, zumal im Hinblick auf das Vorgesagte fraglich erscheint, dass eine etwaige Regelungslücke planwidrig wäre. Im Gesetz findet sich auch sonst keine Grundlage dafür, dass über den Wortlaut hinaus weitere Voraussetzungen vorliegen müssten (vgl. zu alledem etwa OVG Hamburg, B.v. 14.12.2020 – 6 Bf 240/20.AZ – juris Rn. 22 ff. m.w.N.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.12.2020 – OVG 3 N 189/20 – juris Rn. 4 m.w.N.; VG Minden, U.v. 24.8.2020 – 1 K 8765/17.A – juris Rn. 40; VG Würzburg, U.v. 17.8.2020 – W 8 K 20.30183 – juris Rn. 14 f. m.w.N.; U.v. 16.12.2019 – W 8 K 19.31597 – juris Rn. 17 f. m.w.N.).
2. Ergänzend wird noch angemerkt, dass sich das Gericht nicht gehalten sah, das vorliegende Verfahren mit Blick auf die EuGH-Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, EuGH-Vorlage v. 18.12.2019 – 1 C 2/19 – juris) wegen Vorgreiflichkeit auszusetzen und auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bzw. des Bundesverwaltungsgerichts zu warten. Denn das Gericht hat grundsätzlich die Wahl, ob es sein Verfahren gemäß § 94 VwGO aussetzt oder die vorgreifliche Frage wie hier inzident selbst entscheidet (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.8.2020 – W 8 K 20.30183 – juris Rn. 16; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 94 Rn. 5).
Nach alledem ist der Klägerin subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen. Infolgedessen besteht kein Anlass für eine weitere Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG, so dass die Antragsablehnung in Nr. 4 des Bescheids des Bundesamts ebenfalls aufzuheben war (§ 31 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Vor diesem Hintergrund sind auch die verfügte Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG aufzuheben, weil mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung auch die Voraussetzungen für die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG entfallen (vgl. § 75 Nr. 11 AufenthG). Darüber hinaus ist die gesetzte Ausreisefrist auch deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil sie gegen europäisches Unionsrechts verstößt. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 30. Dezember 2020 im Verfahren W 10 S 20.31395 Bezug genommen, an denen das Gericht festhält.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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