Verwaltungsrecht

Jordanien, Antrag auf Zulassung der Berufung (abgelehnt), grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (verneint)

Aktenzeichen  15 ZB 22.30516

Datum:
31.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 13362
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG §§ 3 ff., 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 27 K 20.33131 2022-02-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger. Er wendet sich gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 3. November 2020, mit dem sein Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt wurde, ihm die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurden, ferner festgestellt wurde, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, und die Abschiebung nach Jordanien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht wurde. Mit Urteil vom 4. Februar 2022 – Az. M 27 K 20.33131 – wies das Verwaltungsgericht München die vom Kläger erhobene Klage mit den Anträgen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 3. November 2020 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigte anzuerkennen und ihn als Flüchtling anzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ab. Das Urteil wurde laut Empfangsbekenntnis den Bevollmächtigten des Klägers am 7. April 2022 zugestellt.
Ebenfalls mit Urteil vom 4. Februar 2022 wies das Verwaltungsgericht München eine asylrechtliche Klage der Ehefrau und zweier Töchter des Klägers unter dem Az. M 27 K 20.33133 ab. Auf die erstinstanzliche Gerichtsakte dieses Verfahrens, die Akten des Verwaltungsgerichtshofs zum Verfahren 15 ZB 22.30463 und den Beschluss des Senats zu diesem Verfahren vom heutigen Tag wird Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2022 übermittelte das Verwaltungsgericht München dem Verwaltungsgerichtshof folgende Unterlagen, die im übermittelnden Schreiben allein dem Verfahren der Ehefrau und der Töchter des Klägers mit dem erstinstanzlichen Aktenzeichen M 27 K 20.33133 zugeschrieben waren:
– (1) beim Verwaltungsgericht am Montag, den 9. Mai 2022, elektronisch über beA eingegangener Schriftsatz vom 6. Mai 2022, laut dessen Rubrum einerseits der Antrag auf Zulassung der Berufung für das Verfahren „M 27 K 20.33133“ (= Aktenzeichen des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens der Ehefrau und der Töchter des Klägers) gestellt wurde, anderseits der Kläger als Antragsteller des Berufungszulassungsantrags namentlich benannt wird,
– (2) weiterer (ebenfalls beim Verwaltungsgericht am Montag, den 9. Mai 2022, elektronisch über beA eingegangener) Schriftsatz vom 6. Mai 2022, laut dessen Rubrum der Antrag auf Zulassung der Berufung ebenfalls für das Verfahren „M 27 K 20.33133“ gestellt wurde, wobei diesmal ausdrücklich die Ehefrau und die beiden Töchter des Klägers als Antragsteller des Berufungszulassungsantrags namentlich benannt waren.
Beim Verwaltungsgerichtshof wurde aufgrund des Zuleitungsschreibens des Verwaltungsgerichts unter dem Az. 15 ZB 22.30463 zunächst nur das Berufungszulassungsverfahren der Ehefrau und der beiden Töchter des Klägers angelegt.
Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2022 wies die Beklagte darauf hin, dass es zwei Urteile vom 4. Februar 2022 gibt, nämlich zum einen bezogen auf die Ehefrau und die beiden Töchter des Klägers (Az. M 27 K 20.33133) und zum andern bezogen auf den Kläger selbst (Az. M 27 K 20.33131). Es werde um Aufklärung gebeten, welche Antragsteller / Kläger zu welchem Zeitpunkt einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hätten.
Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 teilte der Bevollmächtigte des Klägers sowie der Klägerinnen im Parallelverfahren (Az. VG München M 27 K 20.33133) mit, er habe in beiden Verfahren einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
Auf Verfügung des Vorsitzenden des Senats wurde am 30. Mai 2022 für den Kläger das hier vorliegende eigenständige Berufungszulassungsverfahren angelegt.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der Senat geht aufgrund des oben beschriebenen Sachverhalts davon aus, dass – jeweils rechtzeitig (§ 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG) und formgemäß (§ 55d VwGO) – Anträge auf Zulassung der Berufung gegen beide Urteile vom 4. Februar 2022 gestellt worden sind. Es ist nicht zweifelhaft, dass der Bevollmächtigte des Klägers trotz des im Antrag irrtümlich angegebenen Aktenzeichens des Verfahrens der Ehefrau und der beiden Töchter mit Blick auf die Namensnennung des Klägers im Antragsschriftsatz in der Sache auch einen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das den Kläger betreffende Urteil eingelegt hat.
2. Der vom Kläger des vorliegenden Verfahrens (erstinstanzliches Verfahren M 27 K 20.33131) allein geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor bzw. ist nicht gemäß den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG substantiiert dargelegt worden.
Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und der Entscheidungserheblichkeit muss hinreichend substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu entscheiden sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 15 ZB 21.31689 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 16.3.2022 – 15 ZB 22.30278 – juris Rn. 17). Eine Grundsatzrüge, die sich auf tatsächliche Verhältnisse stützt, erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (BayVGH, B.v. 16.3.2022 a.a.O.; SächsOVG, B.v. 15.9.2021 – 6 A 1078/19 A – juris Rn. 3 m.w.N.).
Die vom Kläger als grundsätzlich angesehene Frage,
„ob aufgrund der schlechten humanitären Bedingungen in Jordanien die Rahmenbedingungen eine Gefahrenlage begründen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK führen kann“,
erfüllt schon deshalb nicht die o.g. Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrunds, weil sie sich abstrakt und losgelöst vom Einzelfall nicht beantworten lässt, sondern nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts geklärt werden kann. Ferner trifft es nicht zu, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit den (allgemeinen) humanitären Bedingungen in Jordanien auseinandergesetzt hat. Das Verwaltungsgericht hat über § 77 Abs. 2 AsylG allgemein auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts vom 3. November 2020 Bezug genommen und diese hierüber zum Gegenstand seiner Entscheidungsgründe gemacht. In der Begründung des Bescheids wird auch auf die (grundsätzlich schlechten) allgemeinen humanitären Bedingungen in Jordanien eingegangen. Im Übrigen wird hier speziell zum Kläger ausgeführt:
„Individuelle gefahrerhöhende Umstände bezüglich der Existenzsicherung wurden vom Antragsteller nicht ausreichend vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Der Antragsteller ist jung und erwerbsfähig. Nach eigenen Angaben hat er die Schule bis zur zehnten Klasse besucht und danach eine Umschulung zum Maler gemacht und als Maler gearbeitet. Seine persönliche wirtschaftliche Situation im Heimatland ist durchschnittlich gewesen. Er hat nach eigenen Angaben auch in Deutschland 17 Jahre gearbeitet. Er leidet zwar an Rückenschmerzen. Den vorgelegten medizinischen Unterlagen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass der Antragsteller in seiner Erwerbsfähigkeit wesentlich eingeschränkt wäre.
Darüber hinaus hat er mit sieben Geschwistern und einer Mutter ein großes Familiennetzwerk, dessen Unterstützung er im Falle einer Rückkehr in Anspruch nehmen kann, selbst wenn sich drei von seinen Brüdern im Ausland aufhalten sollten.
Daher ist es nicht erkennbar, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Jordanien alsbald in eine humanitäre Notlage geraten würde, welche einer Verletzung des Art. 3 EMRK gleichkommt. Vielmehr wird er dort in der Lage sein, für sich und ggf. seine Familie zumindest das Existenzminimum zu erwirtschaften.
Darüber hinaus besteht für den Antragsteller bzw. bei einer gemeinsamen Rückkehr für die ganze Familie – insbesondere im Fall einer freiwilligen Rückreise – auch die Möglichkeit, Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERIN-Programms sowie des StarthilfePlus in nicht unerheblichem Umfang in Anspruch zu nehmen.
(…)
Unter Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen, sowie der individuellen Umstände des Antragstellers ist eine Rechtsgutverletzung i.S.d. Art. 3 EMRK daher nicht beachtlich wahrscheinlich.“
Unter Auswertung diverser vorgelegter ärztlicher Befunde kommt der Bescheid vom 3. November 2020 zudem zu folgenden Ergebnissen:
„Gefahren für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Jordanien drohen könnten, insbesondere schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankungen, wurden nicht ausreichend vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
(…)
Darüber hinaus hat der Antragsteller selbst angegeben, dass seine Behandlung in Jordanien möglich wäre. Da er jedoch 17 Jahre in die Krankenkasse eingezahlt habe, wolle er sich hier behandeln lassen. Er mag einen solchen Anspruch in der Tat haben. Dies ist jedoch für die Prüfung der Voraussetzungen für die Feststellung der nationalen Abschiebungsverbote irrelevant.“
All dem hat die Antragsbegründung nichts Substantielles entgegengesetzt. Das gilt auch für die ergänzenden Ausführungen im angegriffenen Urteil vom 4. Februar 2022, wonach der Kläger auch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren keine Gründe genannt hat, aus denen sich nach Art oder nach Intensität eine asylerhebliche Verfolgungs- oder Bedrohungslage bzw. ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG entnehmen lasse, zumal im gerichtlichen Verfahren keine neueren ärztlichen Unterlagen zu den vom Kläger geltend gemachten Rücken- und Schulterbeschwerden vorgelegt worden seien. (UA S. 5 f.).
Zur fehlenden Entscheidungserheblichkeit der nicht unmittelbar auf den Kläger selbst bezogenen Einwendungen, wonach
– in Jordanien Frauen diskriminiert würden und nur unzureichend gegen Verbrechen im Namen der „Familienehre“ und andere Gewalttaten geschützt seien,
– laut einem Bericht einer jordanischen Frauenorganisation auf Basis von Presseberichten in Jordanien zwischen Januar und August 2015 zehn mutmaßliche Tötungen von Frauen und Mädchen im Namen der „Familienehre“ dokumentiert worden seien und 
– von diesbezüglichen Problemen auch die Ehefrau des Klägers betroffen sei, der gegenüber seitens der Großfamilie bereits telefonisch verschiedene Gewaltandrohungen ausgesprochen worden seien,
wird auf die Ausführungen im Beschluss des Senats des heutigen Tags im Parallelverfahren 15 ZB 22.30463 Bezug genommen.
Schließlich ist nicht ersichtlich bzw. substantiiert dargelegt worden, inwiefern der weitere (ebenfalls nicht durch exakte Quellenangaben belegte) Vortrag in der Antragsbegründung zur allgemeinen Lage in Jordanien, wonach
– das Land im Jahr 2015 die Auswirkungen der Ereignisse im benachbarten Syrien deutlich zu spüren bekommen habe und mehr als 641.800 Flüchtlinge beherberge,
– es bei Zwischenfällen im Grenzgebiet vermehrt zivile Opfer gegeben habe,
– die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit weiterhin stark eingeschränkt seien,
– Regimekritiker strafrechtlich hart verfolgt und oft inhaftiert würden,
– in Haftzentren und Gefängnissen laut Berichten von amnesty international auch Folter und andere Misshandlungen verbreitet seien,
– laut Angaben des staatlichen Nationalen Menschenrechtszentrums im Jahr 2014 insgesamt 87 Beschwerden über Folter und andere Misshandlungen eingegangen seien,
– sich insofern im Dezember 2015 auch der UN-Ausschuss gegen Folter besorgt gezeigt habe und 
– es laut Angaben von amnesty international fast 89.000 Jordanierinnen gebe, die mit Ausländern verheiratet seien, die ihre Staatsbürgerschaft weiterhin nicht an ihre Ehemänner und Kinder weitergeben könnten und denen damit der Zugang zu staatlichen Leistungen versagt bleibe,
im Zusammenhang mit der als grundsätzlich angesehene Frage (s.o.) gerade für den Kläger relevant und damit entscheidungserheblich sein könnte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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