Verwaltungsrecht

Kein Abschiebungshindernis wegen Suizidgefahr

Aktenzeichen  10 CE 16.1729

Datum:
26.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60a Abs. 2 S. 1, Abs. 2c, Abs. 2d

 

Leitsatz

Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt nur vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist. Erforderlich ist, dass infolge der Abschiebung als solcher – unabhängig vom konkreten Zielstaat – eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes konkret droht (vgl. VGH München BeckRS 2016, 50741). (redaktioneller Leitsatz)
Wird die Abschiebung von der Ausländerbehörde so gestaltet, dass einer nicht völlig auszuschließenden Suizidgefahr wirksam begegnet werden kann, liegt kein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vor.    (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 16.988 2016-08-10 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.
IV.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung des Bevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 123 Abs. 1 VwGO) zu untersagen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren (Au 1 K 16.987) auf Erteilung einer Duldung an den Antragsteller gemäß § 60a AufenthG aufenthaltsbeendende Maßnahmen einzuleiten und ihn in den Kosovo oder nach Serbien abzuschieben, sowie ihm Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu gewähren.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1 VwGO). Im Gegensatz zum Antragsgegner hält der Senat weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis sowohl für die Beschwerde wie auch den Antrag nach § 123 VwGO für gegeben, obwohl sich der Antragsteller im sog. „offenen Kirchenasyl“ befindet. Jedenfalls im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller an einer gerichtlichen Entscheidung ersichtlich kein Interesse hätte (vgl. hierzu z. B. BayVGH, B. v. 29.7.2014 – 10 CE 14.1523 – juris Rn. 17).
Die Beschwerde ist aber unbegründet.
1. In dem angegriffenen Beschluss vom 10. August 2016 hat das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung ausgeführt, ausweislich des psychiatrischen Gutachtens vom 5. Juli 2016 sei der Antragsteller flugreisetauglich. Das Gericht habe keine Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens des Prof. Dr. D., das aufgrund eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 14. März 2016 im vorangegangenen Verfahren (Au 1 E 16.240) eingeholt worden war. Insbesondere habe der Gutachter die vom Bevollmächtigten des Antragstellers dargelegte Suizidgefahr gesehen und ihr durch die Empfehlung entsprechender Vorkehrungen bei der Abschiebung Rechnung getragen. Die Einhaltung der vom Gutachter aufgeführten Maßnahmen in Form der Begleitung und Beobachtung des Antragstellers ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Abschiebung sowie die Übergabe am Zielort an entsprechendes Fachpersonal sei vom Antragsgegner zugesagt worden.
Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen weder die Aufhebung noch eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Soweit der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung erneut auf seine „besondere Schutzbedürftigkeit“, die sich aus der „Ausweglosigkeit des Falles im Kosovo“ ergebe, verweist und hierzu die familiäre Situation und seine Erkrankung darstellt, ist dem entgegenzuhalten, dass die Ausländerbehörde und ebenso das erkennende Gericht hinsichtlich solcher sog. zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse gemäß § 42 AsylG an die inzwischen bestandskräftige (negative) Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden sind (vgl. BayVGH, B. v. 24.8.2016 – 10 CE 16.1516 – juris Rn. 13; BayVGH, B. v. 11.8.2015 – 10 C 15.1446 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 3.2.2015 – 10 C 14.1930 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund des eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. D. vom 5. Juli 2016 keine Reiseunfähigkeit des Antragstellers vorliegt und damit die Abschiebung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Abs. 2c, 2d AufenthG unmöglich ist. Ein rechtliches Abschiebungshindernis liegt vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, so dass die Abschiebungsmaßnahme wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten grundrechtlichen Schutzes auszusetzen ist. Erforderlich ist dabei, dass infolge der Abschiebung als solcher (unabhängig vom konkreten Zielstaat) eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes für den betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B. v. 23.8.2016 – 10 CE 15.2784 – juris Rn. 7; BayVGH, B. v. 31.5.2016 – 10 CE 16.838 – juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Februar 2016, A1 § 60a Rn. 57 f.). Das Gutachten des Prof. Dr. D. verneint eine solche Reiseunfähigkeit ausdrücklich und hält es lediglich für geboten, dass hinsichtlich etwaiger suizidaler Handlungen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden; dass sie solche Vorkehrungen treffen werde, hat die Ausländerbehörde mehrfach, zuletzt im Schreiben vom 15. September 2016, zugesichert.
In der Beschwerdebegründung wird das Gutachten von Prof. Dr. D. inhaltlich auch nicht in Frage gestellt. Vielmehr wird geltend gemacht, dieses Gutachten sei nicht die einzige ärztliche Stellungnahme, die für die Beurteilung des Krankheitsbildes des Antragstellers herangezogen werden könne und müsse. Das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. vom 23. April 2016 sei vom Amtsgericht im Rahmen eines Betreuungsverfahrens in Auftrag gegeben worden; ihm sei daher eine höhere Bedeutung und Wertigkeit zuzumessen als dem Gutachten des Prof. Dr. D. Jedoch enthält das nervenärztliche Gutachten des Dr. G. zur Frage einer Reisefähigkeit des Antragstellers keine Ausführungen, da solche von seinem Gutachtensauftrag nicht umfasst waren; auch können seinen Feststellungen keine Anhaltspunkte hierzu entnommen werden.
Auch die im Schreiben vom 25. Oktober 2016 erhobenen Einwände gegen die Unparteilichkeit des Gutachters Prof. Dr. D. sind letztlich unsubstantiiert.
Ebenso kann der Hinweis in der Beschwerdebegründung auf einen aktuellen Vorfall (ohne Datumsangabe, wohl an einem Tag Mitte August 2016), wonach der Antragsteller erneut in eine Klinik eingeliefert worden sei, eine Reiseunfähigkeit nicht belegen. Hierzu sind keine weiteren Angaben gemacht und keine Unterlagen vorgelegt worden, insbesondere keine den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechende qualifizierte ärztliche Bescheinigung.
Schließlich wird vorgebracht, trotz der zugesagten ärztlichen Begleitung bei der Abschiebung und des Empfangs am Heimatflughafen durch medizinisches Personal werde sich aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls die Suizidgefahr mit großer Wahrscheinlichkeit realisieren, denn der Antragsteller habe im Kosovo niemanden, der ihn unterstützen würde, da seine Familie sich von ihm losgesagt habe. Allerdings geht es bei den Begleitmaßnahmen im Rahmen der Abschiebung, deren Durchführung der Antraggegner zugesichert hat, nicht um eine „Übergabe“ an Familienangehörige, sondern an medizinisches bzw. pflegerisches Fachpersonal im Heimatstaat.
2. Auch hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten in Nr. IV. des angefochtenen Beschlusses vom 10. August 2016 bleibt die Beschwerde erfolglos. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den oben dargelegten Gründen auch schon zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Absatz 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO).
3. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Bevollmächtigten für das Beschwerdeverfahren war ebenfalls abzulehnen, da auch die Beschwerde aus den dargelegten Gründen im Zeitpunkt der Entscheidungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Absatz 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Kostentscheidung hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags bedarf es nicht. Weder fallen Gerichtskosten an, noch können Kosten erstattet werden (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Da für die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt, ist insoweit eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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