Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei Ehegattennachzug, keine Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens

Aktenzeichen  M 9 S 18.3835

Datum:
15.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 29704
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 5 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 30
SGB XI § 37

 

Leitsatz

1 Aus der Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AufenthG wird gefolgert, dass es an der Zumutbarkeit im Sinne der Vorschrift fehlt, wenn das Aufsuchen der deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsstaat mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. Allein der Umstand, dass Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumsverfahrens hinnehmen müssen, reicht für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie nicht aus (BayVGH BeckRS 2018, 14558). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat der nachziehende Ehegatte ohne rechtfertigende Gründe das nationale Visumsverfahren umgehen wollen, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (BVerwG BeckRS 2017, 103281). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Dauer der Durchführung des Visumsverfahrens bei der deutschen Auslandsvertretung in Bosnien-Herzegowina (Deutsche Botschaft in Sarajewo) einschließlich Wartezeit wird erfahrungsgemäß nicht so lange sein, dass dieser Umstand zu einer Unzumutbarkeit führt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Klage.
Die am 17. März 1960 geborene Antragstellerin ist Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina. Sie heiratete am 24. November 2015 in Bosnien-Herzegowina den bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen Kemal B., der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis für das Bundesgebiet ist. Die Antragstellerin reiste am 20. Juli 2016 im Rahmen des visumsfreien Touristenaufenthalts zu ihrem Ehemann in das Bundesgebiet ein, ohne vorher ein nationales Visum zum Familiennachzug bei der Deutschen Botschaft in Bosnien-Herzegowina beantragt zu haben. Sie meldete sich in München an und beantragte am 25. August 2016 bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Zum Zeitpunkt der Antragstellung bezog die Antragstellerin Leistungen nach dem SGB II, was seit April 2018 nicht mehr der Fall ist; sie geht aber auch keiner Erwerbstätigkeit nach. Der Ehemann der Antragstellerin bezieht seit vielen Jahren auf Grund seiner geringen Rente Leistungen nach dem SGB XII. Der am 28. August 1937 geborene Ehemann der Antragstellerin ist vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen in Pflegegrad 4 eingestuft, außerdem ist ein Grad der Behinderung von 50% festgestellt. Die Antragstellerin lebt mit ihrem Ehemann zusammen und kümmert sich um die Haushaltstätigkeiten. Sie ist selbst gesundheitlich eingeschränkt. Der Ehemann der Antragstellerin erhält mittlerweile Pflegegeld in Höhe von EUR 728. Die Regelaltersrente des Ehemanns der Antragstellerin beträgt EUR 540,67, außerdem erhält er eine Unfallrente in Höhe von EUR 299,22. Die gemeinsame Wohnung kostet monatlich EUR 815 Miete.
Mit Schreiben vom 17. November 2017 wurde die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis angehört. Mit Schreiben vom 23. November 2017 nahm die Antragstellerin hierzu Stellung und führte u.a. aus, dass sie in Bosnien ein schwieriges Leben geführt habe und froh sei, hier einen Neuanfang starten zu können. Sie kümmere sich ständig um ihren Ehemann. Sie habe gedacht, dass sie bereits ein Visum beantragt gehabt habe. Das Missverständnis diesbezüglich sei auf ihre fehlenden Sprachkenntnisse zurückzuführen. Sie habe außerdem nicht gewusst, dass der Bezug von Sozialleistungen schädlich sei. Eine Jobsuche müsse sie auf Grund ihrer eigenen Erkrankung verschieben, sie wolle jedoch arbeiten.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. 1), verfügte eine Ausreisefrist bis 10. August 2018 (Nr. 2), drohte für den Fall der schuldhaften und erheblichen Überschreitung der Ausreisefrist die Möglichkeit der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für ein Jahr an (Nr. 3) und drohte die Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina an (Nr. 4). Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 4. August 2018, beim Verwaltungsgericht München eingegangen per Telefax am 5. August 2018, ließ die Antragstellerin Klage (Az. M 9 K 18.3834) auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung eines Aufenthaltstitels erheben und weiter beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Versagungsbescheid rechtswidrig und die Antragsgegnerin verpflichtet sei, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Es treffe zu, dass die Antragstellerin das Visumsverfahren nicht durchgeführt habe. Außerdem habe sie, allerdings erst am 22. Januar 2018, das Sprachniveau A1 nachgewiesen. Ausweislich der vorgelegten Stellungnahme des Pflegedienstes vom 29. Januar 2018 sei der Ehemann allgemein abgeschwächt, kraftlos, er könne nur unter Einsatz körperlicher Hilfe aufstehen und unter Begleitung und Hilfe kurze Strecken innerhalb der Wohnung gehen. Beim Gehen seien Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen mit hohem Risiko eines Sturzes erkennbar. Ab dem 1. Februar 2018 übernehme die Antragstellerin auf Wunsch ihres Ehemannes dessen Pflege. An der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestünden ernsthafte Zweifel. Von einem Visumsverfahren könne abgesehen werden: Auf Grund des desolaten Gesundheitszustands des Ehemanns und wegen der Unmöglichkeit, den Ehemann allein zurückzulassen, könne von der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens ausgegangen werden. Rechne man zu der Einkommenssituation das Pflegegeld, welches der Antragstellerin auf Grund der Pflegeleistungen zustehe, hinzu, so sei der Lebensunterhalt gesichert. Im Umkehrschluss gelte, dass der Lebensunterhalt auch ohne die Antragstellerin für den Ehemann alleine nicht abgesichert sei. Für den Ehemann seien in jedem Fall von der öffentlichen Hand aufzubringende Pflegeleistungen zu erbringen. Dabei sei davon auszugehen, dass diese, sollten sie in einem Heim erbracht werden, der öffentlichen Hand wesentlich teurer kämen. Außerdem sei noch anzuführen, dass die Voraussetzungen des § 5 AufenthG als Regelvoraussetzungen gälten, d.h. es sei zu überprüfen, ob ein vom Regelfall abweichender Ausnahmefall, also ein atypischer Sachverhalt gegeben sei. Die Antragsgegnerin habe im Bescheid Überprüfungen bezogen auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vorgenommen, nicht jedoch im Hinblick auf die Richtlinie 2003/86/EG, die „FamZuRL“. Es sei im Übrigen auch nicht überprüft worden, was denn die Voraussetzung einer Ablehnung und einer Ausreise der Antragstellerin wäre. Es könne nicht angehen, dass die Antragstellerin und ihr Ehemann darauf verwiesen würden, dass der Ehemann als schwerbehinderter, alter Mensch mit schwerer Krankheit 180 Tage im Jahr ohne seine Ehefrau leben solle. Ein Leben in Bosnien sei nicht möglich, der Ehemann habe seinen Lebensmittelpunkt seit vielen Jahren in Deutschland. Es liege eine Ausnahme, also ein atypischer Fall vor, der zu einer Erteilung der Aufenthaltserlaubnis führe. Der Erteilungsantrag befinde sich nicht in der der Bevollmächtigten überlassenen Akte, es sei jedoch davon auszugehen, dass jede nur mögliche Aufenthaltserlaubnis beantragt worden sei. Somit hätten auch die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG zur Überprüfung gestanden. Diese Voraussetzungen seien auch gegeben gewesen. Der Bescheid sei somit zumindest in Teilen rechtswidrig, die aufschiebende Wirkung daher anzuordnen. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz samt Anlagen Bezug genommen, ebenfalls auf den weiteren Schriftsatz der Antragstellerbevollmächtigten vom 8. August 2018.
Mit Schreiben vom 10. September 2018 legte die Antragsgegnerin die Akten vor, beantragte Antragsablehnung und bezog sich zur Begründung auf den Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im zugehörigen Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird voraussichtlich keinen Erfolg haben (§ 113 Abs. 5 VwGO); die Antragsgegnerin hat den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu Recht abgelehnt.
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine eigene Interessenabwägung anzustellen (vgl. Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 89). Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage einzubeziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das private Interesse des Antragstellers, da kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Nur wenn die Vollziehung einen erheblichen, nicht mehr rückgängig zu machenden Eingriff darstellt, mithin vollendete Tatsachen schafft, könnte auch in diesem Fall das private Interesse des Antragstellers überwiegen (vgl. Hoppe in: Eyermann, a.a.O. Rn. 91).
Hier wird die Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben. Die Antragstellerin hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug gemäß § 30 AufenthG (nachfolgend unter 1.) noch auf einer anderen Rechtsgrundlage (nachfolgend unter 2.).
1. Der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, der hier in erster Linie in Betracht kommt, gemäß §§ 27, 29, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a) AufenthG, scheitert daran, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht gegeben ist und auch kein Absehen hiervon in Betracht kommt (nachfolgend a). Ob auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die in der Regel auch Voraussetzung für die Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zum ausländischen Ehegatten ist, nicht gegeben ist, kann daher offen bleiben (nachfolgend b).
a. Zwar erfüllt die Antragstellerin die besonderen Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 1 AufenthG. Erforderlich ist daneben jedoch die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, zu denen auch § 5 Abs. 2 AufenthG gehört. Danach setzt die Erteilung u.a. einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Beides ist zwischen den Beteiligten unstreitig nicht der Fall. Für den von der Antragstellerin beanspruchten Aufenthaltszweck des Ehegattennachzugs braucht sie ein nationales Visum gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG. Die Antragstellerin ist jedoch visumsfrei auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 2 VO (EG) Nr. 539/2001 i.V.m. Anhang II der Verordnung eingereist, was nur zu einer Befreiung von der Visumspflicht für einen sogenannten Kurzaufenthalt berechtigt. Ob die Antragstellerin nicht wusste, dass sie für den von ihr beantragten Aufenthaltszweck ein nationales Visum braucht, spielt keine Rolle. Eine sonstige Befreiung von der Visumspflicht besteht nicht, insbesondere greift keiner der Tatbestände gemäß § 39 der Aufenthaltsverordnung ein.
Zu einem Absehen gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist die Antragsgegnerin nicht verpflichtet. Danach kann von der Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum und davon, dass die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumsantrag gemacht werden, abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ein Anspruch der Antragstellerin in diesem Sinne – § 5 Abs. 2 Satz 2 Var. 1 AufenthG meint nur sogenannte strikte oder zwingende Rechtsansprüche – besteht nicht, so dass nur § 5 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 AufenthG in Betracht kommt. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 70; ebenso VAH Nr. 5.2.3) wird gefolgert (vgl. z.B. Bender/Leuschner in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage, § 5 AufenthG, Rn. 38), dass es an der Zumutbarkeit im Sinne der Vorschrift fehlt, wenn das Aufsuchen der deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsstaat mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. Das kommt hier (nur) unter dem Gesichtspunkt in Frage, wenn und soweit die Reise wegen der schützenswerten Beziehung der Antragstellerin zu ihrem Ehemann unmöglich wäre. Nach der Rechtsprechung insbesondere des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (zuletzt B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993, 10 C 18.994 – juris Rn. 5) reicht allein der Umstand, dass die Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (vgl. auch BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 19 CS 14.1576 – juris Rn. 41, B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 u.a. – juris Rn. 67; BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 – 1 C 1.16 – juris Rn. 36). Hat der nachziehende Ehegatte – wie die Antragstellerin – ohne rechtfertigende Gründe das nationale Visumverfahren umgehen wollen, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (BVerwG a.a.O.).
Im Fall der hiesigen Antragstellerin kommt zwar noch die Besonderheit hinzu, dass der Ehemann erheblich pflegebedürftig ist und die Antragstellerin nach ihrem Vortrag bzw. nach den hierzu vorgelegten Unterlagen, insbesondere der Stellungnahme des Pflegedienstes vom 29. Januar 2018, bis Januar 2018 einen Teil und seit Februar 2018 die sämtliche Pflege übernimmt. Daraus, dass neben die schützenswerte Beziehung als solche noch dieser Umstand hinzutritt, folgt aber noch nicht automatisch, dass die Ausreise zum Zweck der Durchführung des Visumsverfahrens unzumutbar ist (anders VGH Baden-Württemberg, B.v. 20.9.2012 – 11 S 1608/12 – juris Rn. 9). Vielmehr kommt es richtigerweise auf die Bewertung der Umstände des Einzelfalls an.
Danach bleibt es dabei, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet ist, von der Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum abzusehen.
Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass die Pflege des Ehemanns bereits in der Vergangenheit von einem Pflegedienst übernommen wurde, und zwar, wie aus der Stellungnahme des Pflegedienstes vom 29. Januar 2018 hervorgeht, durch Besuche des Pflegedienstes viermal pro Tag. Wie der Anlage zur Antrags- bzw. Klagebegründung – Schreiben des Ehemanns offenbar an die Pflegeversicherung vom 9. April 2018 – entnommen werden kann, übernimmt die Antragstellerin offensichtlich seit 1. Februar 2018 die Pflege allein, der Pflegedienst ist, legt man dieses Schreiben zu Grunde, nicht mehr tätig. Unabhängig davon, dass es unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin selbst noch im Verwaltungsverfahren vorgetragenen eigenen gesundheitlichen Beschwerden höchst zweifelhaft ist, dass die Antragstellerin hierzu wirklich in der Lage ist (vgl. dazu die in der vorgelegten Behördenakte enthaltenen ärztlichen Schreiben betreffend die Antragstellerin und die Ausführungen hierzu sogleich im Anschluss) – vorstellbar erscheint allenfalls, dass die Antragstellerin nur solche Tätigkeiten vornimmt, die sie auf Grund ihrer eigenen gesundheitlichen Einschränkungen leisten kann -, ändert diese „Konstruktion“ nichts am Ergebnis. Es erscheint nämlich nicht als unzumutbar, dass während der Abwesenheit der Antragstellerin die Pflegedienstleistungen wieder – wie es in der Vergangenheit bereits der Fall gewesen ist -, seitens eines Pflegedienstes aufgenommen und ggf. auch weiter aufgestockt werden. Sollte es ambulant nicht mehr adäquat möglich sein, kommt noch eine (vorübergehende) stationäre Pflege in Betracht. Auf die Möglichkeit einer Aufstockung wird auch in der Stellungnahme des Pflegedienstes vom 29. Januar 2018 hingewiesen. Soweit dort darauf hingewiesen wird, dass durch den Ausfall der Antragstellerin in dem von ihr damals übernommenen Bereich die Kosten der Pflege des Ehemanns erheblich steigen würden und der Ehemann diese gestiegenen Kosten ohne staatliche Unterstützung nicht ausgleichen könne, ändert das nichts. Denn bereits bisher wurden nach Aktenlage (vgl. den streitgegenständlichen Bescheid, Seite 2 Absatz 4 von oben), der seitens der Antragstellerin nicht widersprochen wurde, die Kosten für den Pflegedienst durch das Sozialamt getragen. Außerdem entspricht es nicht dem Sinn des grundsätzlich vor der Einreise zu durchlaufenden Visumsverfahrens, auf seine Durchführung zu verzichten, wenn dadurch unter Umständen teilweise Kosten gespart werden können, hier möglicherweise auch noch auf Kosten der Gesundheit oder der adäquaten Versorgung des Ehemanns. Vielmehr soll die Vorschrift die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten (BT-Drucks 15/420, S. 70). Dem entspricht es, unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieses Falls, von der Durchführung des Visumsverfahrens nicht abzusehen. Eine nicht einmal für die Dauer des Visumsverfahrens unterbrochene ständige Anwesenheit ist hier nicht zwingend bzw. unabweisbar erforderlich. Das ergibt sich auch nicht aus den in der Behördenakte befindlichen entsprechenden ärztlichen Schreiben (Gemeinschaftspraxis für Allgemeinmedizin Dres. … vom 21.11.2017 (2 Schreiben) und vom 15.1.2018). Danach sei die Anwesenheit dringend, insbesondere wegen des bestehenden Vertrauensverhältnisses in Zusammenhang mit der Vorbeugung gegenüber einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Ausgeführt wird dort aber auch, dass der weitere Aufenthalt der Antragstellerin in Deutschland bei ihrem Ehemann ärztlicherseits deswegen dringend ratsam sei, weil die Antragstellerin auf Grund des Krieges in Bosnien keine Verwandtschaft oder eigene Unterkunft habe.
Dass die Anwesenheit der Antragstellerin in Bezug auf eine optimale Versorgung des Ehemannes wünschenswert wäre, bedeutet nicht, dass die dauernde Anwesenheit in einem derartigen Maß zwingend ist, dass sie nicht einmal vorübergehend für die Durchführung des Visumsverfahrens unterbrochen werden kann. Das folgt auch nicht aus dem Sozialmedizinischen Gutachten des MDK vom 27. April 2018. Von dieser Unterlage ist überhaupt nur ein unvollständiger Auszug von drei Seiten im Verwaltungsverfahren vorgelegt worden, wie sich aus der Behördenakte ergibt. Die Antrags- bzw. Klagebegründung verhält sich dazu gar nicht. Die Ausführungen in dem Gutachtenauszug dazu, welche Pflegeleistungen die Antragstellerin übernehme (grundpflegerische und hauswirtschaftliche) bzw. dass die Antragstellerin mittlerweile offenbar die gesamte Pflege ihres Ehemanns im Pflegegrad vier übernimmt, zu ihrer Präsenz (durchgehend), zur mehrmaligen Unterstützung nachts, zu Anzahlen von Pflegetagen (7 pro Woche) und Pflegestunden (168 pro Woche) beruhen auf Angaben der Antragstellerin bzw. des Ehemanns selbst. Die Angaben sind auch mit den sonstigen Angaben der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren in keiner Weise in Einklang zu bringen, insbesondere mit den ärztlichen Schreiben betreffend den Gesundheitszustand der Antragstellerin selbst (Neurozentrum München-Pasing vom 15.11.2017, Gesundheitszentrum Giesing Orthopädische Praxis vom 7.11.2017, Orthopädische Praxis … & … vom 27.9.2016, Radiologie München Zentrum vom 15.9.2016, Facharzt für Neurologie Dr. … vom 18.4.2018). So wurde bei der Antragstellerin im November 2017 diagnostiziert, dass sie für sechs Monate vollständig arbeitsunfähig sei (Neurozentrum München-Pasing vom 15.11.2017) und dass sie keine Lasten über drei Kilogramm heben dürfe, außerdem nicht im Stehen arbeiten soll (Gesundheitszentrum Giesing Orthopädische Praxis vom 7.11.2017). Wie sie vor diesem Hintergrund zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den MDK am 27. April 2018 in der Lage gewesen sein soll, die komplette Grundpflege sicherzustellen – nach den vorgelegten ärztlichen Schreiben ist der Ehemann beispielsweise in seiner Mobilität stark eingeschränkt, so dass zur Grundpflege u.a. auch viele körperlich anstrengende Tätigkeiten gehören – und insbesondere ihren Angaben entsprechend wöchentlich 168 Pflegestunden zu leisten, ist nicht nachvollziehbar. Ebenfalls damit nicht in Einklang zu bringen ist die Angabe im Schreiben Dr. … vom 18. April 2018, dass die Antragstellerin drei Stunden täglich arbeiten möchte; das erscheint mit der geltend gemachten Übernahme der kompletten Pflege des schwer pflegebedürftigen Ehemanns in Pflegegrad vier („schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit“) in keiner Weise vereinbar.
Dementsprechend bleibt es nach alledem dabei, dass die Antragsgegnerin mit dem Verweis der Antragstellerin auf das Visumsverfahren nicht rechtsfehlerhaft gehandelt hat. Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem aus der im Beschlussverfahren maßgeblichen Aktenlage eindeutig hervorgeht, dass die Antragstellerin dem Ehemann den Beistand und insbesondere die geltend gemachte Pflegeleistung tatsächlich gar nicht (adäquat) leisten kann, führt die Krankheit oder Pflegebedürftigkeit des Stammberechtigten nicht zur Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens wegen des Angewiesenseins auf den persönlichen Beistand. Wenn wie hier der Wechsel von der Pflege des Ehemanns durch einen Pflegedienst zur Pflege allein durch die Antragstellerin als Pflegeperson, die zu einer adäquaten Pflege, wie oben ausführlich dargelegt, tatsächlich gar nicht in der Lage ist, offensichtlich deswegen erfolgt, um durch diese Konstruktion erstens einen vorgeblich unabweisbar dauerhaft und ununterbrochen notwendigen Aufenthalt herzustellen und zweitens an statt der Pflegesachleistung Pflegegeld zu bekommen, um so (vermeintlich) gerade eben die Lebensunterhaltssicherung zu bewerkstelligen, so verdient das keine Ausnahme von den gesetzlich vorgesehenen Titelerteilungsvoraussetzungen. Unabhängig davon liegt hier auch keine Situation vor, in der der familiäre Beistand aus Rechtsgründen von vornherein nur in Deutschland erbracht werden kann (anders bei BVerfG, Kammerb. v. 17.5.2011 – 2 BvR 1367/10 – juris Rn. 16 – 22), vielmehr könnte die Antragstellerin ihren Ehemann ohne weiteres auch im Heimatland pflegen.
Auch die Dauer der Durchführung des Visumsverfahrens bei der deutschen Auslandsvertretung in Bosnien-Herzegowina (Deutsche Botschaft in Sarajewo) einschließlich Wartezeit wird erfahrungsgemäß nicht so lange sein, dass dieser Umstand in Verbindung mit den übrigen, oben genannten Umständen zu einer Unzumutbarkeit führt.
Schließlich verweist die Antragsgegnerin im ablehnenden Bescheid neben dem Umstand, dass der Ehemann der Antragstellerin für die Zeit ihrer Abwesenheit eine ganztägige Pflegekraft in Anspruch nehmen könne, auch noch darauf, dass die Antragstellerin des Öfteren im Rahmen des visumsfreien Touristenverkehrs von Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gereist sei. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten.
Hinzuweisen ist schließlich noch darauf, dass es im Verantwortungsbereich der Antragstellerin liegt, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so eheverträglich wie möglich zu gestalten.
b. Dass die Antragsgegnerin zusätzlich zu der Nichterfüllung der Visumspflicht davon ausgeht, dass der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, entgegensteht, ist für die Entscheidung nicht mehr erheblich, da die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bereits unabhängig davon zu Recht nicht erteilt wurde. Das Visumsverfahren ist bzw. wäre gerade dafür da gewesen, u.a. die Regeltatbestandsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts zu prüfen, bzw., da es wohl zutrifft, dass das Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI für die Bestimmung des Lebensunterhalts gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG nicht zählt, womit dann der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, zu prüfen, ob hier von der Regelwirkung abgewichen werden kann.
2. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf einer anderen Rechtsgrundlage kommt ebenso wenig in Betracht.
Dabei ist vorab darauf hinzuweisen, dass entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten der Antragstellerin sowohl der Formblattantrag in der vorgelegten Behördenakte enthalten ist (Behördenakte, Vorgangstyp Aufenthaltsgewährende Maßnahme, Bl. 3 – 6) als auch, dass dieser explizit als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug gemäß § 30 AufenthG gestellt ist.
Unabhängig davon hat die Antragsgegnerin im ablehnenden Bescheid aber auch alle übrigen daneben in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, u.a. auch den von der Bevollmächtigten der Antragstellerin vermissten § 25 Abs. 4 AufenthG, geprüft und zu Recht verneint. Auf die entsprechenden Ausführungen im Bescheid wird Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO, der analog auch im Beschlussverfahren gilt, vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 122 Rn. 7). Auch aus der RiL 2003/86/EG (Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung) ergibt sich kein Aufenthaltsrecht für die Antragstellerin, wenn wie hier das dieser Richtlinie entsprechende nationale Recht einen Anspruch richtlinienkonform (vgl. allgemein Art. 6 Abs. 1 und 2 sowie konkret z.B. Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b und c RiL 2003/86/EG) ausschließt; der Richtlinie kann auch keine Pflicht entnommen werden, die Voraussetzungen erst im Aufnahmestaat und nicht bereits im Visumverfahren überprüfen zu können (Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 4. Auflage 2017, Fn. 44 zu Rn. 257).
Nach alledem wird der Antrag abgelehnt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nrn. 8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs.


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