Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Unfallausgleich auf Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit

Aktenzeichen  Au 2 K 16.521

Datum:
1.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 52 Abs. 2 S. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Da die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Gewährung eines Unfallausgleichs (Art. 52 BayBeamtVG) eine nicht nur vorübergehende, sondern sich über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten erstreckende Gesundheitsstörung voraussetzt, ist Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Dementsprechend muss in solchen Fällen bei der MdE-Beurteilung von dem „durchschnittlichen“ Ausmaß der Beeinträchtigung ausgegangen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unfallausgleich nach Art. 52 BayBeamtVG auf Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v. H. für die Zeiten seiner Arbeitsunfähigkeit. Der dies ablehnende Bescheid der Beklagten vom 19. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes vom 5. August 2010 (BayBeamtVG) erhält ein Beamter, der infolge eines Dienstunfalls in der Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate um mindestens 25 v. H. beschränkt ist, neben der Besoldung einen Unfallausgleich in Höhe der Grundrente nach § 31 Abs. 1 bis 4 des Bundesversorgungsgesetzes, solange dieser Zustand andauert.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen (Art. 52 Abs. 2 Satz 1 BayBeamtVG). Dabei handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Auf den bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit wird nicht abgestellt. Es kommt nicht auf die individuellen Verhältnisse, also die persönlichen Kenntnisse oder die geistigen, körperlichen, psychischen und sozialen Fähigkeiten an. Die Festsetzung der MdE im Versorgungsrecht folgt den unfallversicherungsrechtlichen Anforderungen. Sie richtet sich auch dort nach den verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, die sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergeben (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Voraussetzung ist ein Vergleich der vor und nach dem Dienstunfall bestehenden individuellen Erwerbsfähigkeit.
Der Grad der MdE ist aufgrund eines ärztlichen Gutachtens zu ermitteln. Dabei bilden allgemeine Erfahrungssätze, in Tabellen und Empfehlungen enthaltene Richtwerte, also antizipierte Sachverständigengutachten, in der Regel die Basis für die Bewertung der MdE durch den Sachverständigen. Der Sachverständige kann sich an der Versorgungsmedizin-Verordnung (Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs.1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes), an den Anhaltspunkten für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) von 2008 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ebenso wie an Erfahrungswerten der gesetzlichen Unfallversicherung oder an Nr. 35.2.4 der Verwaltungsvorschrift zu der inhaltsgleichen Vorschrift des § 35 BeamtenVG orientieren. Die konkrete Bewertung muss jedoch stets auf die Besonderheiten der MdE des betroffenen Beamten abstellen. Entscheidend ist, dass der Sachverständige bei seiner dienstunfallrechtlichen Bewertung als Maßstab die körperliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zugrunde legt (BayVGH, U.v. 22.10.2015 – 3 ZB 13.1258 – juris Rn. 9; B.v. 1.2.2013 – 3 ZB 11.1166 – juris Rn. 13; OVG NW, B.v. 25.8.2011 – 3 A 3339/08 – juris).
In Anwendung dieser Maßstäbe ist das Gericht auf der Grundlage der von Seiten der Beklagten eingeholten Gutachten und des Ergebnisses der informatorischen Befragung der beteiligten Amtsärzte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger für die hier streitgegenständlichen Zeiträume keine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit als 25 v. H. zugesprochen werden kann. Sowohl in der orthopädischen Zusatzbegutachtung durch Dr. med. …, vom 7. Oktober 2015 als auch in den hierzu ergangenen amtsärztlichen Stellungnahmen wird zusammenfassend eine MdE ab Unfallzeitpunkt in Höhe von 25 v. H. festgestellt. Dem steht auch nicht entgegen, dass Dr. med. …, in einer Stellungnahme vom 17. März 2016 an das Gesundheitsamt der Beklagten für die Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit von einer MdE von 100 v. H. ausgeht. Denn hierbei wird verkannt, dass die MdE eine nicht nur vorübergehende und damit eine über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten sich erstreckende Gesundheitsstörung voraussetzt. Schwankungen im Gesundheitszustand bei längerem Leidensverlauf ist mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen. Dies bedeutet: Wenn bei einem Leiden – über einen Zeitraum von sechs Monaten nach Krankheitsbeginn hinaus – der Verlauf durch sich wiederholende Besserungen und Verschlechterungen des Gesundheitszustands geprägt ist, dann können zeitweilige Verschlechterungen – im Hinblick auf die dann anhaltenden Auswirkungen auf die gesamte Lebensführung – nicht als vorübergehende Gesundheitsstörung betrachtet werden. Dementsprechend muss in solchen Fällen bei der MdE-Beurteilung von dem „durchschnittlichen“ Ausmaß der Beeinträchtigung ausgegangen werden (Anhaltspunkte für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Teil 2 SGB IX, 2008, Teil A, Nr. 18 Abs. 5).
Soweit der Kläger zuletzt aufgrund einer „schlaffen“ Unterarmpseudarthrose eine MdE in Höhe von mindestens 40 v. H. für angemessen erachtet, wird verkannt, dass diese nach Nr. 26.18 der MdE-Tabelle der Anhaltspunkte für die Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX) einen Bruch sowohl der Elle als auch der Speiche voraussetzt. Beim Kläger ist dies indes nicht der Fall, so dass nachvollziehbar und plausibel ausgehend von dem Orientierungswert von 10 bis 20 v. H. für eine Pseudarthrose der Elle aufgrund der im Einzelfall vorliegenden Besonderheiten eine MdE von 25 v. H. angenommen wird.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung (§ 124, § 124a VwGO) liegen nicht vor.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 3.203,94 EUR, was der Differenz zwischen dem gewährten und dem mit der Klage begehrten Unfallausgleich entspricht, festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Satz 1).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg, Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg, schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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