Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  M 19 K 16.33233

Datum:
27.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20235
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
RL 2011/95/EU Art. 4 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung anwesend oder vertreten waren. Denn in den ordnungsgemäßen Ladungen ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu ihren Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung bestehen keine Zweifel.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht nicht.
a) Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AslyG zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.
b) Maßgeblich für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris, Rn 19). Dieser setzt voraus, dass bei zusammenfassender Würdigung des zur Prüfung stehenden Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung vorzunehmen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Kläger nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris, Rn 32; BayVGH, U.v. 14.2.2017 – 21 B 16.31001 – juris Rn. 21).
Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise verfolgt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 22). Bei einer Vorverfolgung gilt kein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Vorverfolgten kommt jedoch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, der keine nationale Entsprechung hat, zugute (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 123.17 u. a. – juris Rn. 8; B.v. 11.7.2017 – 1 B 116.17 u. a. – juris Rn. 8). Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von einer solchen Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt (VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 20).
c) Die von den Klägern im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe, die sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18. Februar 2020 ergänzt haben, rechtfertigen gemessen an den vorstehend geschilderten Anforderungen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Kläger sind nicht vorverfolgt ausgereist und es droht ihnen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren.
Die skizzierten Bedrohungen, dass die Kläger ihr Haus verlassen sollen, sind – nach dem klägerischen Vortrag – Ausdruck einer Gruppenverfolgung von Angehörigen der schiitischen Religionszugehörigkeit. Jedoch ist auf der Grundlage der ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel in quantitativer Hinsicht nicht auf eine Verfolgungsdichte ausgegangen werden, die ohne weiteres für jeden einzelnen Schiiten die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entstehen lässt. Entsprechend ist mit der ständigen Rechtsprechung nicht von einer Gruppenverfolgung von Menschen mit schiitischer Glaubensüberzeugung im Irak auszugehen (vgl. BayVGH, U.v. 24.3.2011 – 20 B 10.30017 – juris Rn. 17 ff.; VG Bayreuth, U.v. 3.8.2017 – B 3 K 17.31531 – juris Rn. 35; VG Augsburg, U.v. 1.2.2016 – Au 5 K 15.30408 – juris Rn. 43 ff.).
Der erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte – und nur durch die nicht weiter begründete Übersendung von Taufurkunden „vorbereitete“ – Vortrag einer schon im Irak erfolgten Hinwendung zum Christentum ist nicht glaubhaft. Der Vortrag führt daher ebenfalls nicht zum Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Eine asylerhebliche Verfolgung ist nur anzunehmen, wenn festgestellt werden kann, dass die Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht. Denn nur dann kann davon ausgegangen werden, dass ein Verzicht auf die Ausübung der religiösen Betätigung zur Vermeidung staatlicher oder nichtstaatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen in seiner religiösen Identität treffen würde und ihm deshalb nicht zugemutet werden kann (zu den Anforderungen vgl. nur BVerwG, Urt. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 29; OVG Münster, B.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 23.10.2007 – 14 B 06.30315 – juris Rn. 20 ff.; VG Leipzig, U.v. 3.12.2018 – 6 K 2171/16.A – juris Rn. 40).
Jedenfalls im Falle eines Glaubenswechsels ist somit eine Prüfung der inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe erforderlich. Es genügt im Regelfall noch nicht, dass der Schutzsuchende lediglich formal zum Christentum übergetreten ist, indem er getauft wurde (VG Leipzig, U.v. 3.12.2018 – 6 K 2171/16.A – juris Rn. 41). Andererseits kann nicht verlangt werden, dass der Konvertierte so fest im Glauben steht, dass er bereit ist, in seinem Herkunftsland für den Glauben selbst schwere Menschenrechtsverletzungen hinzunehmen (vgl. OVG Münster, B.v. 30.7.2009 – 5 A 982/07.A – juris Rn. 43).
Die Prüfung der inneren Tatsache, ob der Asylsuchende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, darf nicht auf eine Plausibilitätsprüfung beschränkt werden, vielmehr muss das Gericht die volle Überzeugung hiervon gewinnen (BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15 – juris-Rn. 13). Insoweit trägt der jeweilige Kläger die Darlegungs- und Beweislast für diese sich in seinem persönlichen Bereich abspielenden Vorgänge. Die Prüfung dieser inneren Tatsachen kann nur aufgrund einer wertenden Betrachtung aller nach außen erkennbaren Umstände und der Überzeugungskraft der dazu abgegebenen Erklärungen erfolgen, wie etwa zur Entwicklung des Kontaktes zu dem neuen Glauben, zur Glaubensbetätigung und zu Kenntnissen über die Inhalte des neuen Glaubens. Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. Welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition. Überdies wird regelmäßig nur dann anzunehmen sein, dass der Konvertit ernstlich gewillt ist, seine christliche Religion auch in seinem Heimatstaat auszuüben, wenn er seine Lebensführung bereits in Deutschland dauerhaft an den grundlegenden Geboten der neu angenommenen Konfession ausgerichtet hat (vgl. VG Leipzig, U.v. 3.12.2018 – 6 K 2171/16.A – juris Rn. 42).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Einlassungen in der mündlichen Verhandlung, nicht zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass erstmals vorgebrachte Hinwendung zum Christentum auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche die religiöse Identität der Kläger prägt, auch wenn den Klägern eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber dem christlichen Glauben nicht abgesprochen werden kann.
Gegen die Glaubwürdigkeit des Vortrags der Kläger zu 1) und zu 2) spricht bereits der Umstand, dass die Konversion zum Christentum in der Anhörung vor dem Bundesamt keine Erwähnung findet. Die in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts vorgebrachte pauschale Erklärung dieses Umstands mit einem Dolmetscherfehler ist durch nichts validiert. Nach dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei dem Vorbringen um den zentralen Fluchtgrund und nicht nur um einen beiläufigen Aspekt der geschilderten Fluchtmotivation, bei dem es zumindest vorstellbar erscheint, dass eine oberflächliche oder möglicherweise eigenmächtig abstrahierende Übersetzungsleistung – auch durch die Rückübersetzung unentdeckt gebliebene – Lücken in der Schilderung eines Verfolgungsschicksals erklärt. Das Fehlen der insbesondere vom Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung geschilderten Ereignisse – namentlich des Angriffs auf dem Weg zur Taufe in Bagdad – ist bei lebensnaher Betrachtung nicht durch einen Übersetzungsfehler zu erklären, sondern damit, dass der Kläger sie nicht erwähnt hat. Dies legt nahe, dass es sich der nunmehrige Vortrag aus asyltaktischen Überlegungen erfolgt. Außerdem besteht darüber hinaus ein Widerspruch zwischen dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung und beim Bundesamt. Vor diesem wurde behauptet, es habe keine individuellen Vorfälle gegeben, in jener stehen individuelle Angriffe (durch Familienmitglieder) gerade im Vordergrund. Auch diese Diskrepanz lässt einen Übersetzungsfehler nicht glaubhaft erscheinen.
Außerdem haben die Kläger zwar ein an allgemeinen christlichen Botschaften vages Interesse an den Tag gelegt, aber dem Gericht nicht ansatzweise eine intrinsische Glaubensmotivation vermitteln können. Es ist nicht ersichtlich gewesen, dass den Kläger zu 1) oder zu 2) das Haben und das Bekennen eines christlichen Glaubens ein dringendes ernsthaftes Bedürfnis ist. Den Schilderungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung fehlt – auch unter Würdigung der mit einer Übersetzung unweigerlich verbundenen Authentizitätsverluste – das Maß an Intensität und Nachdrücklichkeit, das von jemanden zu erwarten wäre, der sich von seinem bisherigen Glauben löst und unter Eindruck seiner Erfahrungen und seines bisherigen Lebensverlaufs in einem neuen Glauben inneren Frieden findet.
Nach alledem ist bei einer Gesamtwürdigung der Umstände zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass die behauptete Hinwendung zum Christentum im Fall der Kläger nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht, welche deren religiöse Identität prägt. Infolgedessen ist auch nicht von einer Verfolgungsgefahr auszugehen.
Soweit die Asylanträge im Übrigen mit der allgemeinen Sicherheitslage im Irak begründet werden, fehlt es bereits nach dem Vortrag an einer Verfolgung wegen eines der im Gesetz genannten Merkmale.
2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint.
a) Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Es darf auch keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Voraussetzung ist zudem, dass der Schaden von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 und § 3c AsylG auszugehen droht (vgl. VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 85 ff.). Auch bei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG müssen bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 53).
b) Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllen die Kläger nicht.
aa) Sie haben keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihnen im Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht.
bb) Ebenso fehlen konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Die Formulierung „Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wird weder im Asylgesetz noch in der dadurch umgesetzten Richtlinie 2011/95/EU definiert. Bei der Auslegung der Norm, die die Vorgaben des – an Art. 3 EMRK orientierten – Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umsetzt, ist die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 59 f.; OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 137 ff.). Anspruchsbegründende Voraussetzung ist ferner, dass diese Gefahr von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG ausgeht (vgl. VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 85 ff.; VGH BW, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 168).
(a) Die schlechte humanitäre Lage im Irak rechtfertigt nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Denn diese ist nicht auf einen Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3c AsylG zurückzuführen. Es ist den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen, dass staatliche Akteure ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigen und diese auf ihre Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 68 ff. m.w.N.).
(b) Den Klägern droht auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der derzeitigen allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann sich grundsätzlich auch aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem. Allerdings begründet nicht schon jede allgemeine Situation der Gewalt eine solche Gefahr. Ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nur in äußerst extremen Fällen anzunehmen, nämlich dann, wenn die Situation allgemeiner Gewalt so intensiv ist, dass die betreffende Person dieser Gewalt bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich ausgesetzt ist. Erforderlich ist danach eine Gefahrverdichtung, die zu einer individuellen Betroffenheit des Ausländers führt (vgl. OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 146). Eine solche allgemeine Situation der Gewalt, die zur Folge hätte, das jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in Bagdad (und Umgebung) der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, ist hier jedoch nicht anzunehmen. Das Ausmaß und die Intensität der Gewalt in Bagdad (und Umgebung) sind insbesondere unter Berücksichtigung der zivilen Opferzahlen sowie Art und Intensität der Kampfhandlungen, aktuell nicht derart intensiv, dass von einer individuellen Betroffenheit jeder (Zivil-)Person bei bloßer Anwesenheit in dem Gebiet auszugehen ist (hierzu ausführlich OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 150). Das gilt auch für die Provinz und die Stadt Nadschaf (vgl. zur Sicherheitslage dort EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Sicherheitslage, März 2019, S. 170 ff.).
cc) Ferner sind die Kläger auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Ihnen drohen keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Es kann offen bleiben, ob in Bagdad überhaupt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Denn jedenfalls ist das Niveau willkürlicher Gewalt in Bagdad aktuell nicht derart hoch, dass unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen an die Gefahrendichte, praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in Bagdad mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne dieser Vorschrift ausgesetzt ist (vgl. OVG NRW, U.v. 7.11.2019 – 9 A 1951/19.A – juris Rn. 8 ff.). Das gilt auch für die Provinz und die Stadt Nadschaf (vgl. zur Sicherheitslage dort EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Irak, Sicherheitslage, März 2019, S. 170 ff.).
3. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66 und 105). Für die Beurteilung, ob eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht kommt, ist auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob entsprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (Nds. OVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 118; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175).
b) Die Verbürgungen der EMRK begründen im vorliegenden Fall der Kläger kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht wegen der derzeitigen Sicherheitslage oder wegen den bestehenden humanitären Verhältnissen.
aa) Wie bereits im Rahmen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ausgeführt, ist zunächst nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Irak unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf Grund der allgemeinen Sicherheitslage im Irak droht.
bb) Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
(a) Auch wenn die humanitäre Lage im Irak insgesamt und in Bagdad im Besonderen nach wie vor äußerst angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage mit der überwiegenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass am Zielort einer Abschiebung in Bagdad keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage besteht, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen im Zielort einer Abschiebung, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – Rn. 166 ff.), sind für die Kläger nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
(b) Es bestehen auch keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände (vgl. zu dieser Anforderung VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 149; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 47; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 53), die im Fall des Klägers zu einer anderen Bewertung führen könnten.
Auch wenn die humanitäre Lage im Irak insgesamt nach wie vor angespannt ist und die Lebensumstände insbesondere bei Binnenvertriebenen oder bei nur geringem Einkommen nach europäischen Standards als schwer erträglich erscheinen, so lassen sich der Erkenntnislage keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Kläger solchen Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung ausgesetzt wäre, dass sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald verelenden würde. Trotz der schwierigen Umstände konnten die Kläger bis zu ihrer Ausreise in Bagdad leben. Nach ihrer eigenen Einschätzung (vgl. insbesondere die Äußerung des Klägers zu 1) im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt) war die „wirtschaftliche Situation (…) durchschnittlich gut“. Auch leben noch erwachsene Kinder des Kläger zu 1) aus seiner ersten Ehe im Irak (in der Stadt …, rund 180 km südlich von Bagdad), bei denen von einer grundsätzlichen Unterstützungsbereitschaft auszugehen ist; angesichts der nicht glaubwürdigen Konversion ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass aus diesem Grund die Familie den Klägern jede Unterstützungshandlung verweigern wird.
Außerdem besteht für die Kläger – insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen, die ihm die Rückkehr erheblich vereinfachen und auch Startschwierigkeiten vermeiden helfen können (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin; s. a. VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 25 f.; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 65).
4. Die Kläger haben schließlich auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Konkret ist die Gefahr, wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Aus den Tatbestandsmerkmalen der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer ergibt sich zudem das zusätzliche Erfordernis einer auf den Einzelfall bezogenen, individuell bestimmten und erheblichen, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretenden Gefahrensituation. Diese Gefahrensituation muss landesweit drohen. Unerheblich ist allerdings, ob die Gefahr vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 224).
b) Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren steht schon die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entgegen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 69). Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG besteht daher kein Bedarf mehr.
Darüber hinaus fehlt es ohnehin an einer verfassungswidrigen Schutzlücke, da die gegenwärtige ausländerrechtliche Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in den Fassungen vom 3. März 2014 und vom 22. Oktober 2018 verfügt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter und sog. „Gefährder“ aus den Autonomiegebieten oder dem Zentralirak – soweit ersichtlich fallen die Kläger nicht hierunter) nicht erfolgt und ihr Aufenthalt wie bisher weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 70).
c) Individuelle Anhaltspunkte in der Person der Kläger, die zu einer konkreten Gefahr führen und einer Abschiebung entgegenstehen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers zu 1) an einem Auge besteht schon seit langem und hat ihn auch in der Vergangenheit nicht über die Maßen beeinträchtigt.
5. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbote auf der Grundlage der § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen haben die Kläger auch nicht erhoben.
6. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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