Verwaltungsrecht

Kein Anspruch tschetschenischer Asylbewerber auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen der Möglichkeit internen Schutzes

Aktenzeichen  RO 9 K 16.30509

Datum:
27.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 11 Abs. 1
AsylG AsylG § 3, § 3c, § 3d, § 3e, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 34, § 36 Abs. 1, § 77 Abs. 2

 

Leitsatz

Nach aktuellen Erkenntnissen steht politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Kaukasiern in den meisten Teilen der Russischen Föderation interner Schutz zur Verfügung (wie VG Berlin BeckRS 2015, 48349). Der Aufenthalt von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus in anderen Teilen der Russischen Föderation ist zwar durch verschiedene Probleme erschwert, aber grundsätzlich möglich (wie VGH München BeckRS 2015, 41003). (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden. Sie wurden insbesondere fristgerecht geladen; die Ladung enthielt den nach § 102 Abs. 2 VwGO erforderlichen Hinweis. Bezüglich der mit Telefax vom 27. Mai 2016 beantragten Terminsverlegung wird auf die einschlägigen Ausführungen in der Niederschrift verwiesen.
II.
Die Kläger haben weder Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Anerkennung als Asylberechtigte noch Zuerkennung subsidiären Schutzes noch Feststellung eines Abschiebungsverbotes (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Vielmehr ist die vom Bundesamt getroffene Entscheidung auch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu beanstanden. Das Gericht folgt zunächst den Feststellungen und der Begründung des streitbefangenen Verwaltungsakts und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Verlauf des gerichtlichen Verfahrens veranlasst keine anderweitige Bewertung der Sach- und Rechtslage.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG insbesondere voraus, dass der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift kann nach § 3c AsylG vom Staat (Buchst. a) oder von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Buchst. b), aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (Buchst. c). Letzteres gilt jedoch nur, sofern die staatlichen Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten, unabhängig davon, ob in dem betreffenden Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3e AsylG).
1.1 Das Gericht teilt die Einschätzung des Bundesamtes, dass die klägerischen Schilderungen nicht rechtfertigen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgung in o.g. Sinne anzunehmen. Die Kläger zu 1. und 2. konnten auch nach Ansicht des Gerichts das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht glaubhaft machen; auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (dort S. 3) wird Bezug genommen. Die Kläger selbst, für die eine Hinderung an der Terminswahrnehmung nicht geltend gemacht worden ist, ließen die Möglichkeit zur Befragung, Klarstellung und Aufklärung bei Gericht ungenutzt.
1.2 Selbst unter Zugrundelegung der Annahme, dem Kläger zu 1. drohte durch tschetschenische Sicherheitskräfte eine Rechtsverletzung in flüchtlingsrelevanten Merkmalen, stünde der Flüchtlingsanerkennung die Bestimmung des § 3e AsylG entgegen, weil dem Kläger zu 1. die Möglichkeit internen Schutzes offen steht. Nach den vorliegenden Erkenntnissen steht politisch unverdächtigen und erwerbsfähigen Kaukasiern, zu denen der Kläger zu 1. nach dem Ergebnis des Verfahrens gehört, in den meisten Teilen der Russischen Föderation interner Schutz zur Verfügung (vgl. VG Berlin, U.v. 16.6.2015 – 33 K 57.14 A – juris Rn. 37 m. w. N.; VGH Baden-Württemberg, U.v. 15.2.2012 – A 3 S 1876/09 – juris Rn. 42ff.) Der Aufenthalt von Personen aus den Krisengebieten im Nordkaukasus in anderen Teilen der Russischen Föderation ist zwar durch verschiedene Probleme erschwert, aber grundsätzlich möglich (BayVGH, U.v. 7.1.2015 – 11 B 12.30471 – juris Rn. 34; Lagebericht Auswärtiges Amtes vom 5.1.2016, S. 22).
Nach den Schilderungen des Klägers zu 1. beim Bundesamt sind bislang allein tschetschenische Sicherheitskräfte in unangemessener Weise gegen ihn vorgegangen. In der von ihm geschilderten Ermittlung unter Beteiligung eines „Föderalen“ ist hingegen für verfolgungsrelevante Rechtsverstöße nichts ersichtlich. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ihm eine landesweite Verfolgung droht, zumal die Kläger nicht nur während ihres mehrmonatigen Aufenthalts bei Angehörigen der Klägerin zu 2. in S. sondern auch in der Zeit zwischen Rückkehr in die Heimatregion im März und der Ausreise im April unbehelligt geblieben sind (Bl. 168 d. A.). Auch konnte ein Angestellter den klägerischen Laden – welcher Anlass für die Ermittlungen gewesen sein soll – ohne jeglichen Zwischenfall weiterführen (Bl. 168 d. A.); der Laden existiert nach Angaben des Klägers zu 1. noch heute.
1.3 Spezifische eigene Verfolgungsgründe betreffend die Kläger zu 2. bis 5. sind weder vorgetragen noch ersichtlich. § 26 AsylG ist ebenfalls nicht einschlägig.
2. Einer Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte steht bereits die Einreise aus Polen entgegen (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
3. Anhaltspunkte für die Zuerkennung subsidiären Schutzes oder eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere nach dem unter 1. Ausgeführten liegen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass den Klägern im Herkunftsland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 1 AsylG).
4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung entsprechen den gesetzlichen Anforderungen gem. §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG.
5. Die nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erforderliche Ermessensentscheidung über die Befristung des nach § 11 Abs. 1 AufenthG im Falle der Abschiebung von Gesetzes wegen eintretenden Einreise- und Aufenthaltsverbotes hat die Beklagte getroffen, ohne dass ihr dabei ein Fehler unterlaufen wäre (§ 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG). Insbesondere ist sie bei der Festsetzung von 30 Monaten als Mittelwert des nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Regelrahmens von fünf Jahren weder von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen noch hat sie die widerstreitenden Interessen unvertretbar gewichtet, zumal im Bundesgebiet keinerlei spezifische Bindungen bestehen. Solche ergeben sich insbesondere auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers zu 1. anlässlich seiner Anhörung beim Bundesamt. Dass er hierzulande arbeite und seine Kinder gut in der Schule seien, sind keine besonderen Aspekte, sondern im Lichte der Dauer eines Asylverfahrens oft zu beobachtende Begleitentwicklungen. Unabhängig davon können die Kläger den Eintritt der gesetzlichen Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbotes durch freiwillige Ausreise vermeiden.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Gerichtskosten: § 83b AsylG.


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