Verwaltungsrecht

Kein Coronabonus für Pflege- und Rettungskräfte in Bayern im nicht-stationären Bereich

Aktenzeichen  6 ZB 21.972

Datum:
24.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25033
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 108 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
GG Art. 3, Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Um einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO festzustellen, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich gemacht werden, dass das tatsächliche Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einzelne Fälle, die sich im Nachhinein als fehlerhaft erkannte Rechtsanwendungen erweisen, sprechen nicht von einem bewussten und gewollten dauerhaft geänderten Vollzug und daher nicht für eine neue Verwaltungspraxis bei der Gewährung eines Bonus für Pflege- und Rettungskräfte nach der CoBoR. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 31 K 20.5824 2021-03-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. März 2021 – M 31 K 20.5824 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 500 ? festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachte Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Zahlung nach der Richtlinie über die Gewährung eines Bonus für Pflege- und Rettungskräfte in Bayern (Corona-Pflegebonusrichtlinie – CoBoR vom 30.4.2020, zuletzt geändert mit Bekanntmachung vom 15.5.2020) in Höhe von 500,- ?.
Sie ist in einem großen Münchner Dialysezentrum als angelernte Pflegekraft tätig, in dem in einer eigenen Station auch Covid-19-positive Dialysepatienten ambulant behandelt werden. Am 13. Mai 2020 stellte die Klägerin über ein entsprechendes Online-Formular einen Antrag auf Bewilligung eines Corona-Pflegebonus, der mit Bescheid des Beklagten vom 9. Oktober 2020 mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die Klägerin zum relevanten Zeitpunkt nicht in einer der in der Richtlinie genannten Einrichtungen tätig gewesen sei.
Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 16. März 2021 abgewiesen. Der Klägerin stehe kein Rechtsanspruch auf Gewährung des Corona-Pflegebonus zu, weil nach der maßgeblichen Förderpraxis des Beklagten auf Basis der Richtlinie ganz überwiegend nur Pflegende in stationären Einrichtungen gefördert würden, jedoch nicht Personen, die – wie die Klägerin – in einer ambulanten Einrichtung tätig seien. Dies entspreche der in der Corona-Pflegebonus-Richtlinie festgelegten Bestimmung des begünstigten Personenkreises, die im Hinblick auf die zulässige typisierende Betrachtung der jeweiligen Pflegesituation grundsätzlich keinen Bedenken begegne. Aus dem von der Klägerin vorgebrachten Umstand, dass möglicherweise andere Antragsteller der gleichen Einrichtung in den Genuss der Begünstigung gekommen seien, könne die Klägerin den geltend gemachten Anspruch nicht herleiten. Eine Gleichbehandlung “im Unrecht” könne die Klägerin nicht beanspruchen. Mit einer in Einzelfällen unrichtigen Sachbehandlung werde auch keine von den Vorgaben der Richtlinie abweichende Verwaltungspraxis konstituiert. Hierfür hätte es einer aus den Umständen des Einzelfalles erkennbar werdenden Absicht, zukünftig alle vergleichbaren Fälle ebenso zu behandeln, bedurft, da eine solche Praxis einen bewusst und gewollt dauerhaft geänderten Vollzug voraussetze. Aus einer sich im Nachhinein als fehlerhaft erkannten Rechtsanwendung könne sich das gerade nicht ergeben.
2. Die von der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 VwGO. Der allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor.
Aus der Zulassungsschrift ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Die Klägerin rügt, das Gericht habe sich nicht mit ihrem Vorbringen auseinandergesetzt, dass es bei einigen ihrer Kollegen zu einer Gewährung des beantragten Corona-Pflegebonus gekommen sei, und ohne nähere Sachverhaltsaufklärung unterstellt, dass dies nicht auf einer entsprechenden Förderpraxis des Beklagten beruhte, sondern rechtswidrige Begünstigungen darstellten. Das lässt einen Gehörsverstoß nicht erkennen.
a) Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dieses fundamentale Prozessgrundrecht ist allerdings erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, um einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 86, 133/145 f.; B.v. 25.9.2020 – 2 BvR 854/20 – NVwZ-RR 2021, 131 Rn. 26).
Gemessen hieran geht die Rüge fehl, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Vortrag auseinandergesetzt, dass einige Kollegen der Klägerin – anders als sie – in den Genuss des Pflegebonus gekommen seien. Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Entscheidung diesen Vortrag zur Kenntnis genommen (S. 3/4 des Urteils), erwogen (S. 16/17 des Urteils) und dazu ausgeführt, dass eine in Einzelfällen unrichtige Sachbehandlung keine abweichende Verwaltungspraxis konstituiere. Dass das Gericht aus dem nicht näher konkretisierten Vortrag, Kollegen der Klägerin hätten zum Teil auch positive Bescheide erhalten, nicht die für richtig erachtete Schussfolgerung auf eine den Vorgaben der Richtlinie nicht entsprechende neue Verwaltungspraxis gezogen hat, stellt keinen Gehörsverstoß dar. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt. Der Vorwurf, das Gericht habe bekundet, seine Überzeugung zur tatsächlichen Förderpraxis des Beklagten ausschließlich aus zahlreichen anderen Verfahren gewonnen zu haben, trifft nicht zu. Eine entsprechende Aussage ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen.
b) Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel rügt, das Verwaltungsgericht hätte den Sachverhalt weiter aufklären müssen, kann das die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht rechtfertigen.
Ein Gericht verletzt seine Aufklärungspflicht grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine anwaltlich vertretene Partei nicht ausdrücklich beantragt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, B.v. 16.4.2012 – 4 B 29.11 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 4.9.2017 – 6 ZB 17.1325 – juris Rn. 16; B.v. 31.8.2015 – 6 ZB 15.36 – juris Rn. 21). Die durch einen Rechtsanwalt vertretene Klägerin hätte im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hinwirken müssen. Das ist jedoch nicht geschehen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um entsprechende Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten zu kompensieren (stRspr. vgl. BVerwG, B.v. 16.4.2012 – 4 B 29.11 – juris Rn. 5). Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sich dem Verwaltungsgericht eine weitere Aufklärung der Frage, ob die Bewilligung von Bonuszahlungen an einige Kollegen der Klägerin zu einer beachtlichen neuen Verwaltungspraxis des Beklagten geführt haben könnte, hätte aufdrängen sollen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei nicht nur um einzelne Fehlentscheidungen gehandelt hat, sind nicht ersichtlich und wurden seitens der Klägerin auch nicht dargelegt. Vielmehr sind ihre Angaben hierzu äußerst vage geblieben (keine Namensangaben der Begünstigten, keine Nennung der Zahl der ihr bekannt gewordenen positiven Bescheide). Aufgrund der nachvollziehbaren und nicht substantiiert bestrittenen Einlassungen des Beklagten zu möglichen Gründen für etwaige – vergabepraxiswidrige – positive Verbescheidungen bei Kollegen der Klägerin konnte das Verwaltungsgericht daher davon ausgehen, dass es sich dabei um einzelne Fälle einer im Nachhinein als fehlerhaft erkannten Rechtsanwendung handelte, weshalb von einem bewussten und gewollten dauerhaft geänderten Vollzug nicht gesprochen werden könne.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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