Verwaltungsrecht

Kein “Familienasyl” bei verspäteter Antragstellung – Keine Informationspflicht der Ausländerbehörde

Aktenzeichen  Au 4 K 18.30820

Datum:
15.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25936
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 13, § 26, § 28

 

Leitsatz

1. Syrische Staatsangehörige werden im Falle einer Rückkehr über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle von staatlichen Stellen nicht deshalb wegen einer (unterstellten) oppositionellen Haltung verfolgt, weil sie (illegal) aus Syrien ausgereist sind und in der Bundesrepublik Asyl beantragt haben.  (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unverzüglichkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 AsylG liegt regelmäßig nur bei einer Asylantragstellung binnen zweier Wochen vor. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht Aufgabe der Ausländerbehörde, Beteiligte über die Möglichkeit der Stellung von Asylanträgen, insbesondere über das Institut des “Familienasyls” zu informieren. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil es der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 VwGO. Ein Einverständnis zu einer Entscheidung (Urteil) ohne mündliche Verhandlung gem. § 101 Abs. 2 VwGO lässt sich hingegen dem klägerischen Schriftsatz vom 5. Oktober 2018 nicht mit zureichender Deutlichkeit entnehmen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 17. April 2018 und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Flüchtling ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG nur, wer begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe hat. Die Klägerin hat vor dem Bundesamt als Grund für ihren Asylantrag jedoch ausschließlich Umstände vorgetragen, die dem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Syrien zuzuordnen sind. Dementsprechend wurde der Klägerin mit dem streitgegenständlichen Bescheid subsidiärer Schutz gem. § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG gewährt.
Für die Klägerin besteht auch kein gem. § 28 Abs. 1a AsylG beachtlicher Nachfluchtgrund. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der die Kammer folgt, ist geklärt, dass syrische Staatsangehörige im Falle einer Rückkehr über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle von staatlichen Stellen nicht deshalb wegen einer (unterstellten) oppositionellen Haltung i.S.d. § 3 AsylG verfolgt werden, weil sie (illegal) aus Syrien ausgereist sind und in der Bundesrepublik Asyl beantragt haben (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2016 – 21 B 16.30338 und 21 B 16.30364; B.v. 27.3.2017 – 21 ZB 16.30349; zuletzt etwa B.v. 9.8.2018 – 21 ZB 18.31954 – Rn. 4). Weiter ist in der Rechtsprechung geklärt, dass den Angehörigen eines Militärflüchtigen im Falle der Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Reflexverfolgung droht (vgl. BayVGH, U.v. 20.6.2018 – 21 B 18.30825 – juris). Selbst wenn also bei einem Familienangehörigen der Klägerin, weil er sich (noch) im wehrpflichtigen Alter von 18 bis 42 Jahren befände, eine flüchtlingsrelevante Verfolgung angenommen würde, führte dies nicht zu einer nach § 3 AsylG beachtlichen Verfolgung der Klägerin.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 26 Abs. 5, Abs. 1 AsylG. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 26 Abs. 1 AsylG sowie nach der Systematik der Norm ist hierfür ein eigenständiger Antrag erforderlich (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG: „auf Antrag“; Satz 1 Halbs. 2 Nr. 3 AsylG: „den Asylantrag“). Im vorliegenden Fall ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin diesen Antrag implizit mitgestellt hat. In dem Schreiben vom 25. Januar 2018, das den Asylantrag der Klägerin enthält, ist ausdrücklich davon die Rede, dass die Klägerin „einen eigenständigen Asylantrag“ stellen wollte, und zwar im Hinblick auf die „ihr“ in Syrien drohende Lebensgefahr. Damit aber kann das Schreiben nicht anders verstanden werden, als dass ein – bloß – vom Ehemann gem. § 26 AsylG abgeleiteter Schutz nicht antragsgegenständlich sein sollte, sondern die Klägerin eine eigenständige Prüfung ihrer Fluchtgründe verlangt hat. Daran muss sich die Klägerin festhalten lassen.
Selbst wenn jedoch davon ausgegangen würde, dass die Klägerin auch einen Antrag gem. § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG gestellt hätte, könnte sie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach dieser Norm nicht beanspruchen. Die Klägerin hätte dann ihren Asylantrag entgegen § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 AsylG nicht unverzüglich nach ihrer Einreise gestellt. Unverzüglichkeit liegt regelmäßig nur bei einer Asylantragstellung binnen zweier Wochen vor (vgl. BVerwG, U.v. 13.5.1997 – 9 C 35/96 – BVerwGE 104, 362 – juris Rn. 10; Günther, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Rn. 12 zu § 26 AsylG). Im vorliegenden Fall ist jedoch zwischen Einreise der Klägerin (26.11.2016) und Antragstellung (29.1.2018 [Eingang des Antrags beim Bundesamt]) deutlich über ein Jahr vergangen. Eine solche verzögerte Antragstellung kann – auch unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände der Klägerin und ihrer Familie (vgl. BVerwG, a.a.O.) – und bei Zugestehung einer gewissen Überlegungszeit nicht mehr als unverzüglich gewertet werden.
Von einem früheren, konkludenten Asylantrag – einschließlich eines Antrags auf internationalen Schutz als Familienangehörige gem. § 26 AsylG – bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde kann nicht ausgegangen werden. Aus dem Schreiben der Klägerin vom 25. Januar 2018 ergibt sich eindeutig, dass erst dies ein Asylantrag i.S.d. § 13 AsylG gewesen ist; Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin davon ausgegangen ist, bereits zu einem früheren – von ihr im Übrigen nicht benannten – Zeitpunkt um Asyl bzw. internationalen Schutz nachgesucht zu haben, lassen sich dem Schreiben auch nicht ansatzweise entnehmen.
Auf einen Beratungsfehler oder ein Informationsdefizit seitens der Ausländerbehörde kann sich die Klägerin im Zusammenhang mit der fehlenden Unverzüglichkeit nicht berufen. Hiergegen spricht bereits, dass die Rechtsträger von Ausländerbehörde und Bundesamt nicht identisch sind, so dass nicht erkennbar ist, weshalb das Bundesamt ein Verhalten (oder Unterlassen) der Ausländerbehörde kennen bzw. ermitteln und sich zurechnen lassen müsste. Auch enthält der Wortlaut des § 26 AsylG für eine Beratungs- und Informationsverpflichtung, zumal der Ausländerbehörde, keinerlei Anhaltspunkte. Hinweispflichten, gerade zu möglichen Rechtsverlusten bei nicht (rechtzeitiger) Vornahme einer Verfahrenshandlung, sind im AsylG an zahlreichen Stellen (vgl. z.B. § 10 Abs. 7, § 33 Abs. 4 AsylG), aber nicht in § 26 AsylG oder im Zusammenhang mit dem internationalen Schutz als Familienangehöriger, normiert. Ansonsten sind Behörden ohne Anhaltspunkte nicht gehalten, einem Beteiligten ihre Hinweise aufzudrängen; eine Belehrungspflicht setzt einen konkreten Anlass der Beratung voraus (Kyrill-Alexander Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 25 VwVfG Rn. 14). Es ist aber nicht allgemein Aufgabe der Ausländerbehörde, Beteiligte über die Möglichkeit der Stellung von Asylanträgen, insbesondere über das Institut des „Familienasyls“ zu informieren. Um eine korrekte und sachgerechte Beratung diesbezüglich zu gewährleisten, müsste die Ausländerbehörde umfangreiche Nachfragen und Ermittlungen anstellen. Dies ginge über ihren Zuständigkeitsbereich hinaus. Überdies lässt sich dem allgemeinen Grundsatz des § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wonach der Asylantragsteller selbst die für seinen Asylantrag relevanten Angaben machen muss, entnehmen, dass es Sache des Asylantragstellers ist, die nötigen Schritte zu unternehmen oder jedenfalls einzuleiten, um zu seinem Schutzanspruch zu kommen. Regelmäßig – und so auch hier – korrespondieren mit rechtlichen Möglichkeiten (hier: Antrag gem. § 26 AsylG) auch Pflichten, sich hinsichtlich möglicher Ansprüche kundig zu machen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Ehemann der Klägerin – von dem sie nunmehr entgegen ihrem Antragsschreiben den Flüchtlingsstatus ableiten will – ausweislich des diesen betreffenden Bundesamtsbescheids vom 4. November 2015 bereits am 20. Oktober 2015 einen Asylantrag gestellt hat. Im Zeitpunkt der Einreise der Klägerin (26.11.2016) befand sich ihr Ehemann mithin über ein Jahr in Deutschland; ebenfalls seit über einem Jahr war er als Flüchtling anerkannt. Insofern ist davon auszugehen, dass der Ehemann der Klägerin genügend Zeit und Möglichkeiten besaß, sich über die asylrechtlichen Möglichkeiten seiner Gesamt-Familie zu informieren. Nachdem sich die Klägerin nunmehr auf die Flüchtlingsanerkennung ihres Ehemanns beruft, ist es daher nicht sachgerecht, allein auf ein Informationsdefizit der Ausländerbehörde abzustellen.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 84 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3, § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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