Verwaltungsrecht

Kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  AN 5 E 21.00313

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12520
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2c

 

Leitsatz

Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte Bescheinigung iSv § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so wird auch die gesetzliche Vermutung für die Reisefähigkeit nicht widerlegt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Antragsgegner untersagt wird, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen die Antragstellerin zu vollziehen, ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des beste-henden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Zwar ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Abschiebung vom heutigen Tag von einem Anordnungsgrund auszugehen. Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde jedoch nicht glaubhaft gemacht. Danach ist die Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Die Antragstellerin ist nach dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig.
Tatsächliche oder rechtliche Gründe, die die Abschiebung unmöglich machen würden, wurden jedoch nicht substantiiert dargelegt und sind auch nicht ersichtlich.
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit ergibt sich insbesondere nicht aufgrund des Gesundheitszustandes der Antragstellerin. Eine bestehende Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein solches in zwei Fällen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 4 zu § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, wenn nicht der Ausländer eine im Rahmen der Abschiebung beachtliche Erkrankung durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft macht. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Wird die geltend gemachte Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen soll, nicht durch eine qualifizierte Bescheinigung im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG belegt, so wird auch die gesetzliche Vermutung für die Reisefähigkeit nicht widerlegt (BayVGH, B.v. 5.1.2017 – 10 CE 17.30 – juris Rn. 4 zu § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
Aus dem vorläufigen Arztbrief der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums …vom 23. Juni 2020 ergeben sich schon keine verwertbaren Gesichtspunkte für die im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen Fragen, inwieweit durch oder während des Reisens eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes eintreten würde.
Laut dem ärztlichen Attest vom 9. Juli 2020 kam Herr … aufgrund der durchgeführten Untersuchung am 18. Juni 2010 im Rahmen der Erstvorstellung sowie anhand der vorgelegten diversen Arztberichte zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin an mehreren schwerwiegenden Erkrankungen leidet, welche eine regelmäßige internistische und neurologische Kontrolle benötigen, um die Therapie entsprechend anpassen zu können. Bei Unterbrechung der Behandlung sei mit einer unmittelbaren Verschlechterung des Zustands zu rechnen. Die Antragstellerin sei kontinuierlich auf fremde Hilfe angewiesen und in dem Zustand nicht reisefähig. Aus diesen Ausführungen wird aber nicht deutlich, dass durch oder während des Reisens eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes unmittelbar durch die Abschiebung (unabhängig vom Zielstaat) eintreten könnte. Vielmehr beziehen sich die Feststellungen auf einen Abbruch der Behandlung der Antragstellerin nach der Abschiebung im Zielstaat. Bei ehemaligen Asylbewerbern, wie der Antragstellerin, ist die Ausländerbehörde aber nicht zu einer eigenen inhaltlichen Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten berechtigt, sondern bleibt gemäß § 42 Satz 1 AsylG (an die positive oder negative) Feststellung des Bundesamtes hierzu gebunden (BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 15 ff.). Auch insoweit, als in dem ärztlichen Attest von … vom heutigen Tag (23.2.2021) festgestellt wird, dass eine adäquate medizinische Versorgung in Armenien nicht gewährleistet sei, handelt es sich um zielstaatsbezogene Aspekte.
Soweit die Atteste auf ein im Zusammenhang mit der Abschiebung erhöhtes Risiko für Schlaganfall, Herzinfarktrisiko und Thromboembolien hinweisen, ist der Antragsgegner diesem gemäß telefonischer Auskunft gegenüber dem Gericht dadurch begegnet, dass eine ärztliche Begleitung der Antragstellerin von der Ingewahrsamnahme bis zum Abschluss der Abschiebung sichergestellt ist. Dabei sei auch sichergestellt, dass sämtliche verfügbaren Medikamente mitgeführt werden und die Antragstellerin an die zuständigen Behörden übergeben werde.
Nach alldem ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG.


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