Verwaltungsrecht

Kein Püppchen auf dem Gehweg

Aktenzeichen  M 2 K 15.5290

Datum:
28.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG BayStrWG Art. 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Art. 58 Abs. 2 Nr. 3
BV BV Art. 118 Abs. 1
GG GG Art. 3 Abs. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 5

 

Leitsatz

Eine straßenrechtliche Sondernutzung liegt schon dann vor, wenn die tatsächliche Benutzung eines räumlichen Bereichs – hier durch Aufstellen einer Kleiderpuppe auf dem Gehweg – ausgeschlossen wird. Auf das Ausmaß der Inanspruchnahme des öffentlichen Raums  kommt es hierbei nicht an.  (redaktioneller Leitsatz)
Maßgeblicher Zeitpunkt für die von einem Gericht zu beurteilende Frage, ob ein Anspruch auf Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis besteht, ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Derselbe Zeitpunkt entscheidet auch darüber, welche Fassung einer diesbezüglichen ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift anwendbar ist.    (redaktioneller Leitsatz)
Eine einzelne Sondernutzung kann für sich betrachtet nicht zu einer Überfrachtung des Innenstadtbereichs führen. Durch das Aufstellen einer Kleiderpuppe auf dem Gehweg entsteht aber ein Bezugsfall, aufgrund dessen anderen Gewerbetreibenden im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes entsprechende Erlaubnisse erteilt werden müssen, was dann zu einer Überfrachtung führen kann. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Verwaltungsvorschrift, nach der bestimmte Warengruppen das Ortsbild nicht beeinträchtigen und daher bei der Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis privilegiert werden, ist nicht willkürlich. Die Gemeinde genießt vielmehr bei der Erstellung des Gestaltungskonzepts für ihr Straßenbild eine straßenrechtliche Gestaltungsfreiheit. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erteilung der am 30. April 2015 beantragten Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung einer Kleiderpuppe auf öffentlichem Verkehrsgrund vor ihrem Ladengeschäft in der …straße 5. Sie hat auch keinen Anspruch auf eine erneute Verbescheidung dieses Antrags. Die Ablehnung des Antrags mit Bescheid vom 19. Oktober 2015 war nicht rechtswidrig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Die Klägerin benötigt für die Aufstellung einer Kleiderpuppe auf öffentlichem Verkehrsgrund (Gehsteig) der …straße eine Sondernutzungserlaubnis der Beklagten nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG: Hierbei handelt es sich um die Benutzung einer öffentlichen Straße, die über den Gemeingebrauch hinausgeht. Diese kann auch den Gemeingebrauch beeinträchtigen, weil die tatsächliche Benutzung des räumlichen Bereichs, in dem die Kleiderpuppe aufgestellt werden soll, durch andere ausgeschlossen wird und dadurch die Straße insoweit nicht entsprechend ihrer verkehrlichen Zweckbestimmung genutzt werden kann. Auf den von der Klägerin erwähnten Umstand, dass der öffentliche Verkehrsraum durch eine Kleiderpuppe nur vergleichsweise geringfügig in Anspruch genommen wird, kommt es insoweit nicht an (vgl. zum Ganzen BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 16 ff.; BayVGH, B. v. 17.4.2012 – 8 ZB 11.2785 – juris Rn. 11 f.). Die Erteilung einer solcher Sondernutzungserlaubnis nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG steht im pflichtgemäßen Ermessen der Straßenbaubehörde (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 20; BayVGH, B. v. 17.4.2012 – 8 ZB 11.2785 – juris Rn.10; Wiget in Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Art. 18 Rn. 26 m. w. N.), hier also gemäß Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG der Beklagten.
Die Ermessensausübung hat dem Normzweck der Art. 18 ff. BayStrWG entsprechend sachbezogen nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu erfolgen. Daher darf sich die Behörde bei der Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis regelmäßig nur an Gründen orientieren, die einen sachlichen Bezug zur Straße haben. Zu diesen Gründen zählen vorrangig die in Art. 18 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG ausdrücklich genannten Belange der Straßenbaulast und der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Daneben können aber auch baugestalterische oder städtebauliche Belange, wie etwa der Schutz eines bestimmten Straßen- oder Ortsbilds, berücksichtigt werden, sofern sie einen sachlichen Bezug zur Straße haben und auf einem konkreten Gestaltungskonzept der Gemeinde beruhen. Dagegen ist die straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis nicht dazu bestimmt, als zusätzliches Eingriffsinstrument für andere straßenrechtsfremde öffentliche Belange zu dienen (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 20 m. w. N.; vgl. auch BayVGH, B. v. 17.4.2012 – 8 ZB 11.2785 – juris Rn. 13 m. w. N.; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 1.7.2014 – 11 A 1081/12 – juris Rn. 8 f.; Wiget in Zeitler, a. a. O., Art. 18 Rn. 26 m. w. N.).
Die Ermessensausübung kann durch verwaltungsinterne Richtlinien oder Anordnungen für eine gleichmäßige Handhabung allgemein geregelt werden (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 26; Wiget in Zeitler, a. a. O., Art. 18 Rn. 26 m. w. N.). Nachdem solche ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften nicht am konkreten, sondern am typischen Einzelfall orientiert sind, ist die Behörde nicht gehindert und kann sogar verpflichtet sein, ihr Ermessen in besonders gelagerten atypischen Sonderfällen abweichend auszuüben (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 26 m. w. N.).
Da die Sondernutzungserlaubnis im Ermessen der Straßenbaubehörde steht, besteht grundsätzlich kein Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Erlaubnis, sondern nur ein Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch (Wiget in Zeitler, a. a. O., Art. 18 Rn. 26 m. w. N.). Der grundsätzlich bestehende Ermessensspielraum kann allerdings ausnahmsweise auf Null reduziert sein, so dass ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Sondernutzungserlaubnis bestehen kann. Eine solche Ermessensreduktion auf Null können insbesondere grundrechtsrelevante Sachverhalte bewirken. Eine entscheidende Rolle spielt vor allem der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV). Weder dürfen wesentlich gleiche Sachverhalte willkürlich anders behandelt werden, noch darf von einer gleichmäßigen behördlichen Praxis in gleichheitswidriger Weise abgewichen werden (sog. Selbstbindung der Verwaltung; zum Ganzen: Wiget in Zeitler, a. a. O., Art. 18 Rn. 27 m. w. N.; zur Selbstbindung der Verwaltung auch BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 26 m. w. N.).
Daran gemessen gilt vorliegend, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erteilung der beantragen Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung einer Kleiderpuppe auf öffentlichem Verkehrsgrund vor ihrem Ladengeschäft hat, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt einer Selbstbindung der Beklagten durch ihre ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften (sogleich 1.), noch aufgrund einer Selbstbindung durch die tatsächliche Verwaltungspraxis der Beklagten (sogleich 2.). Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über ihren Antrag entscheidet (sogleich 3.). Im Einzelnen:
1. Ein Anspruch auf die beantragte Sondernutzungserlaubnis ergibt sich insbesondere nicht im Hinblick auf die Selbstbindung der Beklagten durch ihre ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften zu Warenauslagen in § 22 der Sondernutzungsrichtlinien (SoNuRL) der Beklagten vom 9. April 2014 bzw. 1. Juli 2015. Denn bei Anwendung des § 22 SoNuRL ergibt sich für die Aufstellung einer Kleiderpuppe auf dem Gehweg der …straße kein Rechtsanspruch:
§ 22 Abs. 3 SoNuRL enthält für bestimmte Bereiche des Stadtgebiets der Beklagten, vor allem auch für das Gebiet innerhalb des Altstadtrings, spezielle Vorschriften für Warenauslagen, welche die allgemeinen Bestimmungen in § 22 Abs. 1 und 2 SoNuRL verdrängen. Da die …straße innerhalb des Altstadtrings liegt, kommt somit vorliegend nicht § 22 Abs. 1 und 2 SoNuRL, sondern allein § 22 Abs. 3 SoNuRL zur Anwendung.
Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SoNuRL sind „grundsätzlich“ nur die Auslage von Obst, Gemüse und Südfrüchten, Blumen, Presseerzeugnissen (Tageszeitungen und Zeitschriften), Postkarten, Bücher, Bild- und Tonträger sowie kunsthandwerkliche Gegenstände genehmigungsfähig. Die Auslage von Kleidung mittels einer Kleiderpuppe fällt nicht unter eine dieser privilegierten Warengruppen, so dass sich aus § 22 Abs. 3 Satz 1 SoNuRL kein Rechtsanspruch auf Erteilung der begehrten Sondernutzungserlaubnis ergeben kann.
Auch aus § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL kann die Klägerin keinen Rechtsanspruch ableiten: Nach dieser Verwaltungsvorschrift „kann“ einem Ladenbesitzer (Fassung vom 9. April 2014) bzw. „kann“ einem Ladenbesitzer „in Ausnahmefällen“ (Fassung vom 1. Juli 2015) das Aufstellen von Warenauslagen auch für andere als die in Satz 1 genannten Waren genehmigt werden. Nach beiden Fassungen dieser Vorschrift besteht kein Rechtsanspruch auf eine Sondernutzungserlaubnis, vielmehr besteht insoweit lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (dazu unten 3.).
2. Ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Sondernutzungserlaubnis folgt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Selbstbindung der Beklagten infolge einer entsprechenden tatsächlichen Verwaltungspraxis.
Eine solche Selbstbindung könnte dadurch eintreten, dass die Beklagte entweder in Anwendung des § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL oder gar durch eine von den ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften gänzlich abweichende tatsächliche Verwaltungspraxis regelmäßig Sondernutzungserlaubnisse für das Aufstellen von Kleiderpuppen auf dem Gehweg vor Bekleidungsgeschäften erteilt. Hierfür gibt es indes schon angesichts der glaubhaft vorgebrachten Entscheidungspraxis des bei der Beklagten intern zuständigen Bezirksausschusses des Stadtbezirks … keine Anhaltspunkte. Auch die von der Klägerin genannten zwei Bezugsfälle sind nicht geeignet, eine derartige Verwaltungspraxis der Beklagten zu belegen: Schon im Bescheid hatte die Beklagte darauf hingewiesen, dass für die Warenauslagen vor den Bekleidungsgeschäften „…“ und „…“, die sich beide ebenfalls in der …straße befinden, keine Sondernutzungserlaubnisse erteilt worden sind und dass gegen die unerlaubten Sondernutzungen Maßnahmen ergriffen worden sind. In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte dies eingehend erläutert: Insbesondere ist der hinsichtlich des Ladengeschäfts „…“ gestellte Antrag auf Sondernutzungserlaubnis für eine Warenauslage vom Bezirksausschuss des Stadtbezirks … am 18. August 2015 abschlägig beschieden worden. Ferner hat die Beklagte bereits mehrfach Bußgeldbescheide wegen unerlaubter Sondernutzung erlassen. In dem weiteren Bezugsfall „…“ hat die Beklagte die Firma im Oktober 2015 angeschrieben, woraufhin die dort unerlaubt aufgestellte Kleiderpuppe entfernt worden ist. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben der Beklagten zu zweifeln. Mithin gibt es auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte in den beiden von der Klägerin genannten Bezugsfällen Sondernutzungserlaubnisse erteilt hätte.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über ihren Antrag entscheidet (ein solcher Antrag ist als „Minus“ im Klageantrag der Klägerin enthalten, § 88 VwGO). Ein solcher Anspruch bestünde nur dann, wenn die Beklagte ihr Ermessen wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig ausgeübt hätte, was jedoch nicht der Fall ist:
a) Ausweislich der Begründung des Bescheids hat die Beklagte erkannt, dass es sich hinsichtlich des klägerischen Antrags auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis um eine Ermessensentscheidung handelt. Maßgeblich für die Ermessensausübung war der durch § 22 Abs. 3 SoNuRL bezweckte Schutz des Ortsbilds ihrer Altstadt vor Überfrachtung mit Warenauslagen. Hierbei handelt es sich um ein dem Normzweck der Art. 18 ff. BayStrWG entsprechendes Kriterium: Wie oben bereits ausgeführt wurde, können bei der Ermessensausübung auch baugestalterische oder städtebauliche Belange, wie etwa der Schutz eines bestimmten Straßen- oder Ortsbilds, berücksichtigt werden, sofern sie einen sachlichen Bezug zur Straße haben und auf einem konkreten Gestaltungskonzept der Gemeinde beruhen (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 20 m. w. N.; OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 1.7.2014 – 11 A 1081/12 – juris Rn. 8 f.). Wie die Regelung in § 22 Abs. 3 SoNuRL zeigt, verfolgt die Beklagte u. a. für den Bereich innerhalb des Altstadtrings das Konzept, Warenauslagen auf bestimmte, aus ihrer Sicht das Ortsbild nicht oder weniger störende Waren zu beschränken.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin liegen auch im Zusammenhang mit der Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL keine Ermessensfehler der Beklagten vor:
Diesbezüglich ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beklagte ausweislich der Bescheidsbegründung § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL gesehen und eine Sondernutzungserlaubnis nach dieser Vorschrift unter Hinweis auf die gängige und seit Jahren ausgeübte Entscheidungspraxis des Bezirksausschusses abgelehnt hat, mithin auch insoweit von einem Ermessensausfall keine Rede sein kann.
Anders als die Klägerin meint, war es auch nicht ermessensfehlerhaft, die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nach § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL mit dieser Begründung abzulehnen: Ob § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL in der Fassung vom 9. April 2014 (a. F.) oder in der Fassung vom 1. Juli 2015 (n. F.) anzuwenden ist – für Letzteres spricht, dass die Beklagte ihre Verwaltungspraxis jederzeit für die Zukunft ändern kann (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 27) und es hinsichtlich eines Anspruchs auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis nach materiellem Recht auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommen dürfte -, kann dabei dahingestellt bleiben: Denn auch im Rahmen des § 22 Abs. 3 SoNuRL a. F. stellte Satz 1 den Grundsatz auf und deckte Satz 2 Ausnahmefälle ab, wie die Verwendung des Begriffs „grundsätzlich“ in Satz 1 und die systematische Stellung des Satzes 2 nach Satz 1 zeigen. Dieses Regel-Ausnahmeverhältnis wurde dadurch, dass in § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL n. F. der Passus „in Ausnahmefällen“ aufgenommen wurde, lediglich deutlicher herausgestellt. § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL (a. F. und n. F.) regelte bzw. regelt demnach nur das, was ohnehin gilt: Da ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht am konkreten, sondern am typischen Einzelfall orientiert sind, ist die Behörde nicht gehindert und kann sogar verpflichtet sein, ihr Ermessen in begründeten Fällen abweichend auszuüben. Insbesondere in besonders gelagerten atypischen Sonderfällen, die nicht in genereller Weise durch die Verwaltungsvorschriften vorentschieden sind, hat die Behörde eine Einzelfallwürdigung vorzunehmen (BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 11.1457 – juris Rn. 26 m. w. N.). Indes ist vorliegend weder von der Klägerin vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass und ggf. aus welchen Gründen im Fall der Klägerin ein besonders gelagerter atypischer Sonderfall oder ein sonstiger Ausnahmefall vorliegen sollte: Die Umstände und Hintergründe ihres Antrags auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis unterscheiden sich nicht (nachteilig) von der Situation anderer Gewerbetreibender innerhalb des Altstadtrings, die ebenso zu Werbezwecken eine Kleiderpuppe auf der öffentlichen Verkehrsfläche vor ihrem Bekleidungsgeschäft aufstellen wollen. Es ist demnach nicht ermessensfehlerhaft gewesen, dass die Beklagte auch im Fall der Klägerin auf die gängige und seit Jahren ausgeübte Entscheidungspraxis des Bezirksausschusses abgestellt hat.
Nicht überzeugen kann die Argumentation der Klägerin, wonach die Beklagte im Rahmen des § 22 Abs. 3 Satz 2 SoNuRL darauf abzustellen habe, ob im konkreten Einzelfall durch die beantragte Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen einer Kleiderpuppe unter Berücksichtigung der in der Umgebung erteilten Sondernutzungserlaubnisse eine Überfrachtung des Innenstadtbereichs eintreten würde. Eine einzelne Sondernutzung kann für sich betrachtet nicht zu einer Überfrachtung führen. Vielmehr entstünde durch die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen einer Kleiderpuppe ein Bezugsfall, aufgrund dessen dann die Beklagte auch anderen Gewerbetreibenden im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes entsprechende Sondernutzungserlaubnisse erteilen müsste. Dies würde dann zu der Überfrachtung des Innenstadtbereichs mit Sondernutzungen führen, welche die Beklagte aus stadtgestalterischen Gründen verhindern möchte.
c) Schließlich ist die Entscheidung der Beklagten entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft, weil sich nicht erschließen würde, weshalb die in § 22 Abs. 3 Satz 1 SoNuRL aufgeführten Warengruppen grundsätzlich erlaubnisfähig sind, andere jedoch nicht, und deshalb die Regelung in § 22 Abs. 3 SoNuRL willkürlich wäre. Es liegt auf der Hand, dass bestimmte Warengruppen als das Ortsbild nicht oder weniger störend empfunden werden können als andere Warengruppen, mithin insoweit zwischen verschiedenen Warengruppen differenziert werden kann. Auch hat eine Gemeinde bei der Erstellung des Gestaltungskonzepts für ihr Straßenbild eine „straßenrechtliche Gestaltungsfreiheit“: Sie kann das Erscheinungsbild z. B. ihres Altstadtbereichs selbst positiv gestalten, indem sie festlegt, welche gewerblichen Sondernutzungen prägend sein sollen und welche nicht (VGH BW, U. v. 9.12.1999 – 5 S 2051/98 – juris Rdnr. 46). Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte in § 22 Abs. 3 SoNuRL u. a. für den Bereich innerhalb des Altstadtrings Warenauslagen auf bestimmte, aus ihrer Sicht das Ortsbild nicht oder weniger störende Waren beschränkt hat. Anhaltspunkte für Willkür liegen nicht vor.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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