Verwaltungsrecht

Kein Schutzanspruch eines Afghanen mangels Glaubhaftmachung eines Verfolgungschicksals

Aktenzeichen  RN 8 K 16.31193

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5, Abs. 7
AsylG AsylG § 3, § 4

 

Leitsatz

1 In Afghanistan besteht landesweit ein bewaffneter Konflikt zwischen Regierungseinheiten und den als Taliban bezeichneten Oppositionskräften. Die abstrakte Gefahr, angesichts der fragilen Sicherheitslage Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, reicht angesichts des Verhältnisses der Gesamteinwohnerzahl zu der Zahl ziviler Opfer für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht aus. (Rn. 18 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Weder für Afghanistan insgesamt noch für die Provinz Uruzgan ist davon auszugehen, dass Hazara einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt sind. (Rn. 17 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3 Trotz der desolaten Sicherheits- und Versorgungslage kann nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer in Afghanistan alsbald in existenzielle Gefahr gerät. Alleinstehende arbeitsfähige Männer können sich zumindest durch Gelegenheitsarbeiten ein Leben am Rande des Existenzminimums aufbauen und sich allmählich (wieder) in die afghanische Gesellschaft integrieren. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Frist nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 2, § 36 Asylgesetz (AsylG) erhoben. Die Klage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) aber sowohl in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu unter 1.) sowie des subsidiären Schutzstatus (dazu unter 2.) als auch in Bezug auf die Feststellung von Abschiebungsverboten (dazu unter 3.) und auch im Übrigen unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, § 3 AsylG.
a) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskommission – GFK) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sind. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG insbesondere voraus, dass der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Verfolgung im Sinne der Vorschrift kann nach § 3 c AsylG vom Staat (Buchst. a), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Buchst. b), aber auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (Buchst. c). Letzteres gilt jedoch nur, sofern die staatlichen Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten, unabhängig davon, ob in dem betreffenden Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3 e AsylG). Die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften hat in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie – QRL) zu erfolgen. Wie sich aus Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 QRL ergibt, kann dabei entsprechend der überkommenen Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 22.3.1983 – 9 C 68/81 – juris Rn. 5 m.w.N.) von dem schutzsuchenden Ausländer erwartet werden, dass er sich nach Möglichkeit unter Vorlage entsprechender Urkunden bemüht, seine Identität und persönlichen Umstände sowie die geltend gemachte Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr nachzuweisen oder jedenfalls substantiiert glaubhaft zu machen.
b) Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat der Kläger nicht substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich seine Verfolgungsfurcht ergibt, in schlüssiger Form und von sich aus bei seinen Anhörungen vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung darzulegen. Der Kläger beruft sich vorliegend auf eine Bedrohung durch die Taliban und durch die Kutschis, einem in Afghanistan beheimateten Volk von Nomaden. Konkrete, gegen ihn selbst gerichtete Verfolgungsmaßnahmen hat der Kläger aber weder bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt noch in der mündlichen Verhandlung geschildert. Zwar führt die jährliche Wanderung der nomadisch lebenden Kutschis, die auf der Suche nach Weideland für ihr Vieh durch Gebiete ziehen, in denen Hazara siedeln, zu wiederkehrender Gewalt zwischen Kutschis und Hazara (vgl. z.B. für die Provinzen Wardak und Ghazni: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 19.04.2016, S. 90). Der Kläger erklärt vorliegend nur allgemein, dass sie als Hazara bedroht worden seien und das Land verlassen müssten, da von den Pashtunen behauptet würde, dass sie keine richtigen Afghanen wären. Trotz mehrfacher Nachfrage in der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger aber keine konkreten Angaben zu Drohhandlungen machen. Er erklärte nur immer wieder, dass die Kutschis gesagt hätten „Ihr müsst das Land verlassen, ihr gehört nicht hierher“. Konkrete Vorfälle schildert er dagegen nicht. Allein die Beeinträchtigung des Weidelands reicht für eine Verfolgung im dargestellten Sinne nicht aus. Zur Bedrohung durch die Taliban erklärt der Kläger lediglich, sie seien vor die Alternative gestellt worden, das Land zu verlassen oder sich auf die Seite der Taliban zu schlagen. Auch hier macht der Kläger keine näheren Angaben zu konkreten Drohungshandlungen.
Im Ergebnis konnte der Kläger daher nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen, dass er vor seiner Ausreise aus einem in §§ 3, 3 b AsylG benannten Verfolgungsgrund verfolgt wurde oder ihm eine solche Verfolgung konkret drohte, noch, dass ihm bei einer Rückkehr in sein Heimatland konkrete Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib, Leben oder Beschränkung der persönlichen Freiheit drohen würden.
c) Auch der Umstand, dass der Kläger in Afghanistan als Hazara und Schiit einer traditionell diskriminierten ethnischen Minderheit angehört, vermittelt ihm keinen Schutzanspruch. Denn die Voraussetzungen für die Annahme einer gruppengerichteten Verfolgung sind nicht gegeben:
Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer kann sich zwar nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 21.4.2009 – 10 C 11/08) setzt die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung voraus, dass eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ vorliegt, die die Vermutung eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinn der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Zudem gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, das heißt wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein müsste. Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar.
Nach diesen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben sind keine Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung durch die Taliban oder andere nichtstaatliche Akteure wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara zu erkennen. Die Verfolgungshandlungen, denen die Hazara ausgesetzt sind, weisen weder in für ganz Afghanistan noch für die Provinz Orozghan, in der der Kläger vor seiner Ausreise gewohnt hat, die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte auf (vgl. dazu eingehend BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064; bestätigt in BayVGH, B.v. 28.2.2014 – 13a ZB 13.30390; BayVGH, B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224). Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (vgl. zuletzt Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 19.10.2016, S. 9) beträgt der Anteil der Volksgruppe der Hazara an der Gesamtbevölkerung etwa 10% (ca. 3 Millionen). Seit dem Ende der Taliban-Herrschaft habe sich die Situation für die traditionell diskriminierten Hazara verbessert, obwohl die hergebrachten Spannungen in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestünden und gelegentlich wieder auflebten. Die Hazara seien in der öffentlichen Verwaltung zwar noch immer stark unterrepräsentiert. Unklar sei aber, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums sei. Nach Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) führten insbesondere Fragen in Bezug auf Land-, Wasser- und Weiderechte zu ethnischen Spannungen; im Landeszentrum fänden Streitigkeiten um Landkonflikte insbesondere zwischen Hazara und Kuchi statt (Afghanistan-Update der SFH vom 23.8.2011). Nach Einschätzung des UNHCR sind Hazara trotz eines Rückgangs an ethnisch-motivierten Spannungen und Gewalt seit 2001 im Vergleich zu früheren Phasen und trotz der verfassungsrechtlichen Garantie der Gleichheit aller ethnischen Gruppen und Stämme und der Bestrebungen der Regierung, sich mit den Problemen der ethnischen Minderheiten zu befassen, weiterhin einem gewissen Grad an Diskriminierung ausgesetzt. Es werde von Diskriminierungen auf Grund der Ethnie im Bereich des Zugangs zu Dienstleistungen, Bildung und Beschäftigung berichtet; ethnische Konflikte träten insbesondere im Zusammenhang mit Land- und Eigentumsfragen auf (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender – Zusammenfassende Übersetzung – vom 24.3.2011). Im Ergebnis liegen daher keine Erkenntnisse dahingehend vor, dass schiitische Hazara in Afghanistan einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt sind. Eine politische oder religiöse Verfolgung durch die derzeitige Regierung wird in den Auskünften übereinstimmend verneint. Auch die berichteten Nachstellungen durch regierungsfeindliche Gruppierungen einschließlich der Taliban (vgl. dazu z.B. die Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6.6.2016 zu Afghanistan: Sicherheitslage in Uzurgan, Gefährdung von Hazaras, Gefährdung von Polizeikräften, S. 5 ff.) erreichen im Verhältnis zur Gesamtzahl dieser Gruppe und ihrer staatlichen Behandlung weder die Schwelle, ab der eine hinreichende Verfolgungsdichte anzunehmen wäre, noch belegen sie in ausreichendem Maß eine staatliche Untätigkeit im Vorgehen gegen solche Übergriffe mit dem Ziel der Vernichtung dieser Minderheit.
2. Dem Kläger steht kein subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 AsylG (Todesstrafe), § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 AsylG (Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung), oder § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) in Bezug auf Afghanistan, wohin ihm die Abschiebung angedroht wurde, zu.
Insoweit bedarf vorliegend lediglich die Schutzregelung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG der Erörterung. Danach steht einem Ausländer subsidiärer Schutz zu, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre. Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht auszugehen. Zwar besteht nach wie vor in Afghanistan landesweit ein bewaffneter Konflikt zwischen den von den internationalen Kräften unterstützten Regierungseinheiten und den pauschal als Taliban bezeichneten Oppositionskräften. Auch hat die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr einmal mehr insgesamt zugenommen, wobei allerdings einem Anstieg von neun Prozent bei den Verletzten ein Rückgang um vier Prozent bei den Toten gegenüber steht; insgesamt waren in Afghanistan im Jahr 2015 3.545 zivile Todesopfer und 7.457 verletzte Zivilpersonen zu beklagen (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report 2015, February 2016, S. 1). Im ersten Halbjahr 2016 sind bereits 1.601 Todesopfer und 3.565 Verletzte zu beklagen (UNAMA Midyear Report 2016, Juli 2016, S. 1). Daraus allein kann jedoch weder für das ganze Land noch für einzelne Gebiete auf eine Extremgefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. Art. 15 Buchst. c QRL geschlossen werden.
Eine solche lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel speziell für die Provinz Uruzgan (auch: Orozghan), aus der der Kläger kommt, nicht feststellen. Zwar gehört die im Südregion Afghanistans, in der die Provinz Uruzgan liegt, zu den Regionen mit den höchsten zivilen Opferzahlen (2.537 Opfer – Toten und Verletzte – im Jahr 2015, 1.444 Opfer im ersten Halbjahr 2016). Bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 2,7 Mio. (vgl. BayVGH, Urteil vom 21. Juni 2013 – 13a B 12.30170 – Juris, Rn. 18) ist damit nicht gleichsam jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt. Dies gilt überdies erst recht für ganz Afghanistan (knapp 30 Millionen Einwohner) was sich daraus ergibt, dass die Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 von UNAMA (vgl. UNAMA, Midyear Report 2016, S. 12.) mit 3.545 Toten und 7.475 Verletzten, sowie im ersten Halbjahr 2016 mit 1.601 Toten und 3.565 Verletzten angegeben wird. Die abstrakte Gefahr, angesichts der fragilen Sicherheitslage in Afghanistan Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, reicht für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz jedenfalls nicht aus.
Eine Individualisierung ergibt sich vorliegend auch nicht aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Klägers. Dass der Kläger wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt wären, ist nicht ersichtlich. Der Kläger gehört der Minderheit der Hazara an. Wie bereits ausgeführt, ist weder für Afghanistan insgesamt noch für die Provinz Uruzgan davon auszugehen, dass Hazara einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfende gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt sind (vgl. oben unter 1.). Damit ist auch nicht von einer erheblichen Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 3 AsylG auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn man nur auf die Provinz Uruzgan abstellt, denn auch für die dort lebenden Hazara wird nicht eine solche Gefahrendichte erreicht, dass alle dort lebenden Hazara ernsthaft persönlich betroffen wären.
3. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG ist nicht ersichtlich.
Die Not- und Gefahrenlage, der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, ist nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG grundsätzlich bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, d.h. im Wege einer generellen politischen Leitentscheidung der obersten Landesbehörden und nicht durch Einzelfallentscheidungen des Bundesamts. Fehlt es – wie hier – an einem solchen Abschiebestopp-Erlass oder einem sonstigen vergleichbar wirksamen Abschiebungshindernis, ist die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei verfassungskonformer Auslegung ausnahmsweise dann unbeachtlich, wenn dem Ausländer auf Grund der allgemeinen Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohen. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung mit der Formulierung umschrieben, eine Abschiebung müsse ungeachtet der Erlasslage dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 14.11.2007 – 10 B 47/07 – juris m.w.N.). Eine extreme Gefahrenlage in diesem Sinn ist indes grundsätzlich auch dann anzunehmen, wenn dem Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage in seiner Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde. Ob die Annahme einer extremen Gefahrenlage im Wege der verfassungskonformen Auslegung nunmehr ausscheidet, weil das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2013 (Az. 10 C 15/12) davon ausgeht, dass in begründeten Ausnahmefällen schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat (auch) ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen können, kann letztlich dahinstehen, da die anzuwendenden Gefahrenmaßstäbe identisch sind.
Von einer derartigen extremen Gefahrenlage bzw. von einem begründeten Ausnahmefall im gerade dargelegten Sinne ist vorliegend jedoch nicht auszugehen. Trotz der sich aus den verwerteten Erkenntnisquellen ergebenden desolaten Sicherheits- und Versorgungslage kann gleichwohl nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass jeder Rückkehrer in Afghanistan alsbald in existenzielle Gefahr gerät. Zwar weist der UNHCR darauf hin, dass die traditionell erweiterten Familien- und Gemeinschaftsstrukturen der afghanischen Gesellschaft – insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen die Infrastruktur nicht so entwickelt ist – weiterhin den vorwiegenden Schutzmechanismus bieten und insbesondere rückkehrende Familien ohne männlichen Familienvorstand auf diese familiären Strukturen und Verbindungen zum Zweck der Sicherheit, des Zugangs zur Unterkunft und eines angemessenen Niveaus des Lebensunterhalts angewiesen seien. Alleinstehende Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter haben aber auch nach Einschätzung des UNHCR auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft insbesondere in städtischen Gebieten mit entwickelter Infrastruktur und unter effektiver Kontrolle der Regierung die Chance ihr Auskommen finden (vgl. zum Ganzen UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2013, insb. S. 9).
Der Kläger ist ein 26-jähriger, gesunder und arbeitsfähiger Mann. Er verfügt zwar über keinerlei Schul- oder Ausbildung. Allerdings gibt er an, dass seine Familie (seine Eltern, seine Frau mit seinen 2 Kindern sowie eine unverheiratete Schwester) noch zu Hause auf der elterlichen Landwirtschaft leben, wo auch er bis zu seiner Ausreise gelebt und gearbeitet habe. Seine Frau und seine Kinder werden dort auch versorgt. Der Kläger könnte also ohne weiteres in den Familienverbund zurückkehren. Sollte er nicht dorthin zurückkehren (wollen), ist dennoch davon auszugehen, dass es dem Kläger möglich sein wird, sein Leben in Afghanistan zu bestreiten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es aus dem europäischen Ausland zurückkehrenden, alleinstehenden männlichen arbeitsfähigen afghanischen Staatsangehörigen auch ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne familiären Rückhalt möglich ist, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich (wieder) in die afghanische Gesellschaft zu integrieren. (vgl. BayVGH, U.v. 12.2.2015, – 13a B 14.30309; BayVGH, U.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063 m.w.N). Nachdem Ehefrau und Kinder des Klägers auf dem elterlichen Anwesen des Klägers versorgt werden, wäre es ihm allein jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen möglich, den Unterhalt für sich selbst zu erwirtschaften.
4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung beruhen als gesetzliche Folge der Nichtanerkennung als Asylberechtigter, der Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des fehlenden Aufenthaltstitels auf §§ 34 Abs. 1, 38 AsylG.
5. Schließlich ist auch die gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG gebotene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (unter Ziffer 6) gefolgt.
Nach alldem war die Klage deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG; deshalb ist auch die Festsetzung eines Streitwerts nicht veranlasst. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


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