Verwaltungsrecht

Keine Abschiebung anerkannt schutzberechtigter Familie mit minderjährigen Kindern nach Griechenland

Aktenzeichen  AN 17 K 19.50679

Datum:
28.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42039
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 35
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2 lit. a
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Für eine Familie (Vater, Mutter, drei minderjährige Kinder) ist nach derzeitigem Erkenntnisstand die beachtliche Wahrscheinlichkeit unmenschlicher Behandlung im Falle einer Rückkehr nach Griechenland als dort anerkannte Schutzberechtigte anzunehmen, soweit keine individuelle und konkrete Zusicherung Griechenlands vorliegt. Insbesondere besteht eine kritische Unterkunfts- und Versorgungssituation. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist in diesem Fall aufzuheben. (Rn. 42 – 49)
2. Im Falle der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist die Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG gegeben sind, ebenfalls aufzuheben, weil sie verfrüht ergangen ist. (Rn. 51)
3. Bei Aufhebung der Abschiebungsandrohung im Falle einer Unzulässigkeitsentscheidung kann die Feststellung, dass nicht in den Herkunftsstaat des Ausländers abgeschoben werden kann, mangels verbleibendem sinnvollen Regelungsgehalt nicht isoliert bestehen bleiben. (Rn. 52)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20. Juni 2019 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 5. Januar 2021 und die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Januar 2021 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.
Die Klagen sind bereits mit dem Hauptantrag zulässig und begründet. Über den Hilfsantrag war mangels Bedingungseintritt nicht mehr zu entscheiden.
1. Die durch die Kläger erhobenen Anfechtungsklagen gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO sind die statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidungen und die auf ihr aufbauenden Folgeentscheidungen.
Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Zuge der Änderung des Asylverfahrensgesetzes infolge des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I Nr. 39 v. 5.8.2016). Danach ist die Anfechtungsklage gegen Bescheide, die die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 AsylG feststellen, die allein statthafte Klageart. Hintergrund hierfür ist der Umstand, dass die Asylanträge in diesen Fällen ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, abgelehnt werden. Insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag oder gar ein Antrag auf ein „Durchentscheiden“ des Gerichts in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34.19 – juris Rn. 10, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625 Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 20 ff.). Bei einer erfolgreichen Klage führt die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelung nämlich zur weiteren inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte und damit zum erstrebten Rechtsschutzziel. Dabei bleibt es auch nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; zuvor schon angelegt in EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris), der lediglich inhaltliche Vorgaben im Hinblick auf den effektiven Rechtsschutz für international Anerkannte im Sinne des Art. 47 GRCh und Art. 46 der RL 2013/32/EU (Verfahrens-RL) macht, aber keine prozessualen oder verfahrensrechtlichen Vorgaben, die dem nationalen Recht überlassen sind.
Neben den Anfechtungsklagen zulässig sind auch die hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag, erhobenen Verpflichtungsklagen auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, weil das Bundesamt deren Voraussetzungen gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG bereits inhaltlich geprüft hat.
2. Die zulässigen Anfechtungsklagen sind begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. Juni 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Er ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Das Bundesamt hat die Asylanträge der Kläger zu Unrecht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt.
aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Den Klägern wurde am 24. September 2018 durch Griechenland der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt.
Gleichwohl ist die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG rechtswidrig. Die Norm setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der RL 2013/32/EU (Verfahrens-RL) in nationales Recht um und ist daher richtlinien- und europarechtskonform auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Vorschrift im Wege der Auslegung noch ein weiteres, negatives Tatbestandsmerkmal entnommen. Nach der Entscheidung vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedsstaaten nämlich nicht möglich von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen.
Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat also in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem im anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3).
Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat grundrechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
Derartige Funktionsstörungen müssen eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C -297/17 u.a. – juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der RL 2011/95/EU (Qualifi-kations-RL) entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91).
Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedsstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn die Schutzberechtigten sich aufgrund ihrer besonderen Verletzbarkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not im oben genannten Sinne befänden. Dafür genügt nicht, dass in dem Mitgliedsstaat, in dem ein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat im Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96).
Bei dem so definierten Maßstab ist also weiter zu berücksichtigen, ob es sich bei der betreffenden Person um eine gesunde und arbeitsfähige handelt oder eine Person mit besonderer Verletzbarkeit (sog. Vulnerabilität), die leichter unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 95; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 26). Damit schließt sich der Europäische Gerichtshof der Tarakhel-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127), die wegen Art. 52 Abs. 3 GRCh auch im Rahmen des Art. 4 GRCh zu berücksichtigen ist.
Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Schutzberechtigten eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187).
bb) Dabei legt das Gericht hinsichtlich der in Griechenland herrschenden Lebensverhältnisse für zurückkehrende, anerkannt Schutzberechtigte folgende Lage zugrunde:
Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; anders, aber nur „nach bisheriger Kenntnis“: Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 5). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels geht jedoch nach jüngeren Berichten mit bürokratischen Hindernissen und zeitlichen Verzögerungen einher. So genügt ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der griechischen Behörden, mit dem internationaler Schutz zuerkannt wird, für sich genommen nicht, um eine Aufenthaltserlaubnis beantragen zu können. Zusätzlich erforderlich ist ein sogenannter „ADET-Bescheid“, der häufig, aber nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt wird. Verfügt der Anerkannte über keinen ADET-Bescheid muss er ihn beim zuständigen Regionalbüro der Asylbehörde zuerst beantragen und kann erst nach Erhalt beim regional zuständigen Passamt der griechischen Polizei einen Termin zur Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis vereinbaren (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 11 ff.). Zwischen der Beantragung und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vergehen in der Praxis mehrere Monate oder gar ein Jahr (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 20; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 14 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 229 f.). Der Grund für die langen Wartezeiten liegt nach Auskunft der griechischen Polizei in behördlichen Zuständigkeitsverschiebungen im Januar und Juli 2020 und einem damit einhergehenden Bearbeitungsrückstau (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 14; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 229 f.).
Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8).
Eine funktionierende nationale Integrationspolitik bzw. Integrationsstrategie für anerkannte Flüchtlinge existiert, v.a. aufgrund fehlender Geldmittel, in Griechenland aktuell kaum (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 11; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7 f.). Hinsichtlich allgemeiner staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild unklar (für die Existenz kostenloser Kurse: 2013/32/EU-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Allerdings werden Sprach- und Integrationskurse durch NGOs im Rahmen des sog. Helios-Programmes – „Hellenic Support for Beneficiaries of International Protection“ – angeboten, welches jedoch für aus anderen EU-Ländern zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte in aller Regel nicht zugänglich ist (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 21 ff.). Darüber hinaus wird vereinzelt berichtet, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, Berufsbildungszentren und Universitäten Sprachkurse anbieten würden und im Speziellen die Athener Stadtverwaltung (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus, Stand 26. August 2021, S. 27). Die Integrationsprogramme sind häufig von der Finanzierung durch die EU abhängig, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten und mit denen die griechischen Behörden, insbesondere die lokalen, auch kooperieren (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Athen, Hilfsorganisationen – Hilfe für Flüchtlinge in Griechenland, Stand Dezember 2019; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2; United States Departement of State [USDOS], Greece 2020 Human Rights Report, S. 15). Die Arbeit der NGOs ist jedoch räumlich vorwiegend auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1), entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3 und an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; Amnesty International, Amnesty Report Griechenland 2020 vom 7.4.2021). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5).
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren; diese können über die Anerkennung hinaus für einen Übergangszeitraum von 30 Tagen dort verbleiben (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 1; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte haben insbesondere keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Der UNHCR stellte – Stand Anfang Januar 2021 – ca. 11.550 Plätze, das griechische Migrationsministerium ca. 16.600 Plätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Dezember 2020), aber nur für Asylsuchende und für anerkannte Schutzberechtigte in den ersten 30 Tagen nach ihrer Anerkennung (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f., an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f., an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5 und an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2). Das neue Asylgesetz Nr. 4636/2019, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, und eine weitere Gesetzesänderung von März 2020 haben die früheren Bedingungen, die ein Verbleiben in der Flüchtlingsunterkunft für sechs Monate ermöglicht haben, verschärft (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 1 f.). Seit Juni 2020 wird die Verpflichtung zum Auszug, von der ca. 11.500 Personen betroffen sind, auch umgesetzt (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 1). Allerdings kann die Zahl der Personen, die die Unterkünfte für Asylbewerber tatsächlich verlassen mussten, nicht sicher eingeschätzt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 2). Zwangsräumungen scheinen jedenfalls nur bei Personen ohne besonderen Schutzbedarf, wie allein reisende „Männer“, durchgeführt zu werden (Deutsche Botschaft Athen a.a.O S. 2).
Das Programm „Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection“ (Helios II-Programm), ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5.000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von NGOs und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Die Höhe der Zahlungen pro Monat liegt zwischen 162 Euro für Alleinstehende und 630 Euro für Familien ab sechs Personen für mindestens sechs und höchstens 12 Monate, zusätzlich gibt es einen Startzuschuss zur Zahlung der Mietkaution und zur Deckung der ersten Anschaffungskosten, der nach Haushaltsgröße differenziert zwischen 301 Euro für einen Einpersonenhaushalt und 1060 Euro für einen Haushalt mit sechs oder mehr Personen liegt. Das Programm richtet sich aber nur an international Schutzberechtigte, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, die im Zeitpunkt der Unterrichtung über ihre Anerkennung in einer Flüchtlingsunterkunft, einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel des IOM FILOXENIA-Projekts oder in einer Wohnung des ESTIA-Programmes untergebracht waren und sich innerhalb von 12 Monaten nach Zuerkennung des Schutzstatus angemeldet haben (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 4). Ob Rückkehrern aus dem Ausland diese Möglichkeit offensteht, ist unklar, einen solchen Fall hat es bislang jedenfalls noch nicht gegeben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 3). Seit September 2020 konnte über das Helios – Programm auch eine zweimonatige Unterkunft von Anerkannten in Hotels sichergestellt werden. Diese Maßnahme lief jedoch regulär Ende 2020 aus und wurde einmal bis Februar 2021 verlängert. Anfang März 2021 hat Griechenland bei der EU-Kommission einen Antrag auf Weiterfinanzierung gestellt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 2, 31.5.2021, S. 21). Zusätzlich sollen Notfallkapazitäten in einem Lager in Athen zur Verfügung gestellt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 3). Neueren Quellen nach läuft das Helios II-Programm zunächst bis Juni 2021 (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 7; ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus, Stand 26. August 2021, S. 17: August 2021).
Auch eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich möglich. Allerdings sind die Kapazitäten in den kommunalen und durch NGOs betriebenen Unterkünften, etwa in Athen, knapp bemessen und oft chronisch überlastet (AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 247; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit. Ein Rechtsanspruch auf Obdachlosenunterbringung besteht nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020). Im Hinblick auf die begrenzten Kapazitäten bewerben sich viele Schutzberechtigte erst gar nicht für einen Platz in einer dieser Herbergen. Im Ergebnis bleiben viele anerkannt Schutzberechtigte, die selbst nicht über hinreichende finanzielle Mittel für das Anmieten privaten Wohnraums verfügen oder nicht am Helios II-Programm teilnehmen können, obdachlos oder wohnen in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen (Pro Asyl, Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 30.8.2018, S. 5 ff.). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen dennoch und nach wie vor kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist. Zudem bringt die Polizei obdachlose Anerkannte teils wieder in staatlichen Flüchtlingseinrichtungen unter (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Allerdings deuten jüngere Berichte auch an, dass durchaus anerkannte Flüchtlinge auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Athen schlafen (Wölfl, „Anerkannte Flüchtlinge auf griechischem Festland obdachlos“, Der Standard, 22.1.2021).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2). Für besonders Vulnerable können zur Vermeidung von Obdachlosigkeit Mietsubventionierungen gezahlt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2). Das soziale Wohngeld bzw. die Mietsubventionierung setzen allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 und an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2), wobei bei international Schutzberechtigten die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet wird (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1). Auch ist der legale Voraufenthalt von fünf Jahren durch fristgerecht eingereichte Steuererklärungen für die einzelnen Jahre nachzuweisen (vgl. Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 19). Die Einzelheiten regeln zahlreiche Erlasse. Der tatsächliche Versorgungsumfang ist unklar (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020, S. 2).
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, auch sonst unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird, u.U. genügt eine Obdachlosenbescheinigung), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus, Stand 26. August 2021, S. 12; Auskünfte des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f. und an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 18 spricht hingegen von einem mind. sechs Monate vor der Antragstellung unterzeichneten Mietvertrag mit Meldeadresse als Voraussetzung). Speziell was die Beantragung der Steuernummer (AFM) und der Sozialversicherungsnummer (AMKA) anbelangt, ist mit erheblichen bürokratischen Hürden zu rechnen: Die Ausstellung einer Steueridentifikationsnummer setzt einen Wohnsitznachweis voraus und nimmt in etwa zwei Monate in Anspruch (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 15 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 248 f.; Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 25: zusätzlich „residence permit“ erforderlich). Hinsichtlich der Ausstellung der Sozialversicherungsnummer – Social Security Number (AMKA) – wird vereinzelt berichtet, dass diese seit Juli 2019 für nicht-griechische Staatsbürger nicht mehr möglich sei (Respond, Working Papers, Integration – Greece Country Report, Stand Juni 2020, S. 26). Andere Quellen berichten zwar von Schwierigkeiten, nehmen aber keine Unmöglichkeit an (Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 16 f.; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 251 f.). Jedenfalls erfordert die Beantragung einer Sozialversicherungsnummer wiederum u.a. eine gültige Aufenthaltserlaubnis mit den damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen (s.o.) sowie die Steueridentifikationsnummer (Stiftung Pro Asyl/RSA a.a.O.). Je nach Ort und zuständiger Behörde schwankt die Ausstellungszeit für die Sozialversicherungsnummer (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus, Stand 26. August 2021, S. 9 f.: schnelle Gewährung bis Anforderung zusätzlicher Unterlagen).
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Davon abgesehen gibt es neuerdings eine einmalige Elternprämie von 2.000,00 Euro bei Geburt eines Kindes, allerdings nur für Mütter, die bereits seit 12 Jahren oder bei Geburten von 2020-2023 seit mindestens 2012 in Griechenland leben (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Stand Juni 2021, S. 5). Für Eltern wird zusätzlich ein Kindergeld zwischen 28 und 70 Euro pro Kind – je nach Einkommen und Haushaltsgröße – gewährt, welches einen fünfjährigen ständigen und ununterbrochenen Aufenthalt in Griechenland voraussetzt (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus, Stand 26. August 2021, S. 13).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Aussichten auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes im Allgemeinen als eher schwierig einzustufen, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Griechenland, Stand 19.3.2020, S. 31), in deren Folge zahlreiche Beschäftigte insbesondere der Dienstleistungsbranche, im Verkauf und in haushaltsnahen Tätigkeiten arbeitslos wurden, wobei Frauen noch stärker betroffen sind als Männer (Eures, Kurzer Überblick über den Arbeitsmarkt, Stand Juli 2020, S. 1. u. 3). Dazu tritt derzeit noch der wirtschaftliche Einbruch in Folge der Corona-Pandemie mit einer weit überdurchschnittlichen Arbeitslosenquote von 13,3% im Oktober 2021. Für das Jahr 2021 erwartet die Regierung gleichwohl statt eines Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt von 7,5% noch ein Plus von 5,9%. Um den Folgen des Coronabedingten Wirtschaftseinbruchs zu begegnen, stellte der griechische Staat im Jahr 2020 23,9 Milliarden Euro an Hilfen für die Wirtschaft zur Verfügung und plant diese im Jahr 2021 um weitere 7,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Trotz der hohen Schuldenquote von 209% des Bruttoinlandsproduktes ist die Finanzierung des griechischen Staates wegen eines Liquiditätspuffers von 30 Milliarden Euro derzeit nicht in Gefahr (Höhler, „Griechenlands Wirtschaft startet durch“ vom 14.9.2021 und „Corona wirft Griechenland weit zurück“ vom 25.12.2020, jeweils Redaktionsnetzwerk Deutschland). Auch sind Anzeichen für eine weitere Erholung der griechischen Wirtschaft erkennbar: Die Einreise nach Griechenland zu touristischen Zwecken ist unter Auflagen wieder möglich und es wird seitens griechischer und ausländischer Investoren vermehrt in Hotel- und Energieprojekte investiert (Germany Trade and Invest [GTAI], Griechenland: Zurück zur Normalität, Stand 28.5.2021). Für das Jahr 2022 wird sodann auch ein weiterer Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 6,2% vorhergesagt. Überdies ist bis zum Jahr 2026 mit Milliardenzahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds der EU zu rechnen (Höhler, „Griechenlands Wirtschaft startet durch“ vom 14.9.2021). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind allerdings meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (2013/32/EU-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu treten regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7) sowie bürokratische Hürden beim Eintritt in den legalen Arbeitsmarkt wie die Beantragung der Steueridentifikationsnummer (Tax Registration Number – AFM) und der Sozialversicherungsnummer (s.o.). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannter Schutzberechtigter findet außerhalb des Helios II-Programmes derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), jedoch haben einige NGOs Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet. Für gut ausgebildete Schutzberechtigte besteht im Einzelfall auch die Chance auf Anstellung bei einer solchen Organisation, etwa als Dolmetscher oder Team-Mitarbeiter (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2 ff. und an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und zum Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsangehörige gegeben. Es besteht Zugang zum regulären öffentlichen Gesundheitssystem. Für Medikamente besteht eine Zuzahlungspflicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9). Die Versorgung unterliegt denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9). Von der im Grundsatz kostenfreien staatlichen Gesundheitsfürsorge ist auch die Hilfe bei psychischen Erkrankungen umfasst (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 5). Auch beim Zugang zum Gesundheitssystem sind – vergleichbar mit dem Zugang zum legalen Arbeitsmarkt – bürokratische Hindernisse zu überwinden. Insbesondere muss vor Inanspruchnahme des Gesundheitssystems die Sozialversicherungsnummer (AMKA) ausgestellt sein, was mit den bereits beschriebenen Schwierigkeiten und Wartezeiten verbunden ist (s.o. und Stiftung Pro Asyl/RSA, Stellungnahme zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, April 2021, S. 20; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 26.11.2020, S. 5; AIDA, Country Report Greece, Update 2020, S. 251 f.). Eine Notfallversorgung wird jedoch stets und unabhängig vom Rechtsstatus gewährleistet (ACCORD, Griechenland: Versorgungslage und Unterstützungsleistungen für nach Griechenland zurückkehrende Personen mit internationalem Schutzstatus, Stand 26. August 2021, S. 21).
cc) Unter Zugrundelegung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes (2. a) aa)) und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte (2. a) bb)) ergibt sich für die Kläger als jedenfalls fünfköpfige Familie unter Berücksichtigung der derzeit noch verschärften wirtschaftlichen Lage auch infolge der Corona-Pandemie eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bei einer Rückkehr nach Griechenland. Es ist davon auszugehen, dass sie in Griechenland unabhängig von ihrem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten und ihre Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht werden befriedigen können. Als Rückkehrperspektive ist von einer gemeinsamen Rückkehr der Kläger als Kernfamilie – also Eltern und minderjährige Kinder – auszugehen (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45/18 – NVwZ 2020, 158 Ls. 2, 3, Rn. 15 ff., allerdings für § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).
In dieser Konstellation einer fünfköpfigen Familie mit minderjährigen Kindern im Alter von fünf, neun und siebzehn Jahren, stünde angesichts der nicht gesicherten staatlichen Betreuungsmöglichkeit realistischer Weise nur ein Elternteil dem griechischen Arbeitsmarkt voll zur Verfügung, der sodann das Existenzminimum für die gesamte Familie erwirtschaften müsste.
Den Klägern stünde dabei weder eine Unterkunft im Rahmen des ESTIA-Programms noch des Helios II-Programms zur Verfügung. Auch ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine Anmietung einer für fünf Personen ausreichend großen Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt nicht möglich sein wird. Einerseits wegen der dort bestehenden Hürden wie einer Bevorzugung von Familienmitgliedern oder Studenten als Mietern, zum anderen wegen des zumindest in den ersten fünf Jahren bestehenden Ausschlusses wohnungsbezogener Sozialleistungen und des Ausschlusses vom Sozialgeld in den ersten zwei Jahren sowie des für anerkannt Schutzberechtigte momentan nur schwer zugänglichen Arbeitsmarktes für Berufe, die ein ausreichendes Einkommen zur existenzsichernden Versorgung einer fünfköpfigen Familie generieren könnten. Insoweit wird es den Klägern aller Voraussicht nach an entsprechenden finanziellen Mitteln fehlen, um die Miete bestreiten zu können. Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist angesichts der limitierten Kapazitäten und der teils bestehenden Aufnahmebeschränkungen wie etwa Sprachkenntnissen eine nur vage und unwahrscheinliche Möglichkeit, die die tatsächliche Gefahr der drohenden Obdachlosigkeit nicht zu beseitigen vermag. Daran ändert auch die Tatsache, dass es etwa auf den Straßen Athens nach wie vor keine augenscheinliche Massenobdachlosigkeit gibt, nichts. Dies ist vor allem auf informelle Möglichkeiten zur Unterkunft wie leerstehende oder besetzte Gebäude meist ohne Wasser und Strom zurückzuführen, auf die die Kläger sich nicht verweisen lassen müssen. Eine solche Unterkunft ist einer Familie mit drei minderjährigen Kindern unzumutbar.
Angesichts des beschriebenen temporären Ausschlusses von Sozialleistungen in den ersten zwei bzw. für das Wohngeld fünf Jahren des (legalen) Aufenthalts in Griechenland und der der-zeit äußerst problematischen Arbeitsmarktsituation für Anerkannte sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei den Klägern um eine zu versorgende fünfköpfige Familie handelt, droht trotz rechtlicher Inländergleichbehandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verelendung, da innerhalb einer Zeitspanne von zwei Jahren oder jedenfalls – so man die Zeit nach Asylantragstellung in Griechenland bis zur Ausreise von knapp zehn Monaten anrechnet – 14 Monaten nach Rückkehr keine Änderung in Hinblick auf Obdach und Sozialleistungen absehbar ist. Das Gericht geht davon aus, dass die Kläger zunächst durch jedes soziale Netz fallen würden und sich auch nicht aus eigener Kraft und eigenem Engagement heraus ein menschenwürdiges Existenzminimum für ihre Familie erwirtschaften können. Angesichts der momentanen Gegebenheiten auf dem griechischen Arbeitsmarkt auch unter Berücksichtigung der Corona-Pandemie sind die Aussichten auf eine das Existenzminimum der Gesamtfamilie deckende Erwerbstätigkeit als denkbar gering einzustufen. Dies umso mehr, als der Kläger zu 1) über keine qualifizierte Berufsausbildung verfügt und bislang nur als Hilfsarbeiter tätig war. Die Klägerin zu 2) verfügt ebenso wenig über eine berufliche Ausbildung, sondern war nur im eigenen Hause als Schneiderin tätig. Zudem steht Frauen im Vergleich zu Männern in Griechenland nur ein schmalerer Arbeitsmarkt offen, da etwa schwere körperliche Helfertätigkeiten in der Land- und Bauwirtschaft, die häufig den Einstieg in den Arbeitsmarkt für geringqualifizierte Flüchtlinge in Griechenland markieren, jedenfalls mehrheitlich von Männern wahrgenommen werden dürften. Auch hat die Wirtschaftskrise in Griechenland Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Durchschnitt härter getroffen als Männer.
Die zu erwartenden Lebensumstände in Griechenland beruhen zwar nicht auf der Gleichgültigkeit (so die Formulierung des EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90) des griechischen Staates, aber auf dessen massiver Überforderung, die trotz Unterstützung des UNHCR und der EU weiterhin besteht. Im europäischen Vergleich muss Griechenland gemessen an seiner Größe überproportionale Lasten bei der Aufnahme von Flüchtlingen schultern und ist mit diesem Ausmaß, insbesondere was die Aufnahme, Unterbringung und Versorgung anbelangt, überfordert. Für die Betroffenen wirkt sich die Überforderung des griechischen Staates im Ergebnis genauso wie Gleichgültigkeit, worauf der Europäische Gerichtshof abgestellt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90), aus. Rechtlich maßgeblich ist letztlich allein, ob wegen der Defizite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht, was sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof ergibt, da dieser an anderer Stelle den „allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 der Charta, das eng mit der Achtung der Würde des Menschen verbunden ist und ausnahmslos jede Form unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verbietet“, betont (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – NVwZ 2020, 137 Rn. 37).
Der Annahme einer drohenden erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung steht im Ergebnis nicht entgegen, dass die Kläger als anerkannte Schutzberechtigte freiwillig aus Griechenland ausgereist sind, damit – möglicherweise sogar bewusst – auf die ihnen zustehenden Sozialleistungen verzichtet und ihre eigene Notsituation im Falle einer Rückkehr erst herbeigeführt haben. Zwar stellt der Europäische Gerichtshof grundsätzlich auf eine Notsituation der schutzberechtigten Person „unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen“ ab (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Eine so zu berücksichtigende Eigenverantwortung liegt jedenfalls hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 5) nicht vor, da die Entscheidung Griechenland zu verlassen bei lebensnaher Betrachtung von deren Eltern, den Klägern zu 1) und 2), getroffen wurde und minderjährige Kinder für eine derartige Entscheidung auch nicht in die Verantwortung genommen werden können. Eine getrennte Betrachtung der Verursachungsanteile dahingehend, dass diese zur Verneinung einer drohenden unmenschlichen Behandlung hinsichtlich der Kläger zu 1) und 2), aber zu deren Bejahung hinsichtlich der Kläger zu 3) bis 5) führen könnte, hat nach Ansicht des Einzelrichters nicht zu erfolgen. Auch insoweit ist mit Blick auf Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK auf den Kernfamilien-Verbund abzustellen. Ob die bewusste Entscheidung eines volljährigen anerkannt Schutzberechtigten, Griechenland zu verlassen, die rechtlichen Hürden für die Bejahung einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei Rückkehr erhöht, kann somit mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben.
Schließlich vermag auch das allgemeine Schreiben des griechischen Ministeriums für Migrationspolitik vom 8. Januar 2018 bezüglich zurückkehrender anerkannter Flüchtlinge nach Griechenland eine drohende unmenschliche Behandlung nicht auszuschließen. In diesem wird zugesichert, dass Griechenland die Anerkennungs-RL 2011/95/EU rechtzeitig in griechische Recht umgesetzt hat und basierend hierauf allen international Schutzberechtigten die Rechte aus der Richtlinie gewährt werden unter Beachtung der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention. Eine Zusicherung, die die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung ausschließen soll, muss nach der Rechtsprechung des EGMR hinreichend konkret und individualisiert, etwa durch detaillierte und zuverlässige Informationen über die materiellen Bedingungen in der Unterkunft mit Bezug zu den Klägern, ausgestaltet sein (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 120 ff.). Das Bundesverfassungsgericht betont hinsichtlich der Beurteilung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK die Notwendigkeit einer „hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureicheden tatsächlichen Grundlage“ (BVerfG [2. Senat, 1. Kammer], B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris Rn. 15 f., wo auch auf die Tarakhel-Entscheidung des EGMR Bezug genommen wird). Gemessen an diesem Maßstab bleibt die Mitteilung Griechenlands vom 8. Januar 2018 zu abstrakt und damit nicht ausreichend.
Nach alldem sind die Unzulässigkeitsentscheidungen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Ziffer 1 des Bescheides vom 20. Juni 2019 rechtswidrig, verletzen die Kläger in ihren Rechten und sind damit aufzuheben.
b) Nachdem Ziffer 1 des Bescheides vom 20. Juni 2019 aufzuheben ist, sind in deren Folge auch die Ziffern 2 bis 5 aufzuheben.
Die unter Ziffer 2 getroffene Feststellung der Beklagten, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, ist im Falle der Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin ebenfalls aufzuheben, weil sie verfrüht ergangen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21). Es steht dann nämlich noch nicht fest, hinsichtlich welches Ziellandes ein etwaiges Abschiebungsverbot zu prüfen ist (BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 10 B 18.50031 – juris Rn. 21; a.A., jedoch im Ergebnis gleich: VG Aachen, U.v. 16.3.2020 – 10 K 157/19.A – BeckRS 2020, 4700 Rn. 98, das eine verfrühte Entscheidung damit begründet, dass etwaige Abschiebungsverbote bezüglich des Herkunftslandes erst nach der materiellen Prüfung der Asylanträge festgestellt werden könnten).
Weiter ist die in Ziffer 3 getroffene Abschiebungsandrohung gemäß §§ 35, 38 AsylG aufzuheben. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher ist. Ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt nach Aufhebung der Ziffer 1 nicht vor, s.o., auch § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist nicht erfüllt. Von der Aufhebung umfasst ist auch die Feststellung in Ziffer 3 letzter Satz des streitgegenständlichen Bescheids, dass die Kläger nicht nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen. Diese steht ersichtlich in unmittelbarem und untrennbarem Zusammenhang mit der Abschiebungsandrohung und kann ohne diese nicht mit sinnvollem Regelungsgehalt isoliert stehen bleiben. Sobald die Abschiebungsandrohung durch Aufhebung wegfällt und das Bundesamt das Verfahren fortführt, wird (ggf. bis zum Erlass eines neuen Bescheids) mangels Rechtsgrundlage überhaupt nicht abgeschoben und somit auch nicht nach Afghanistan. Die Benennung des behaupteten Verfolgerstaats als denjenigen, in den nicht abgeschoben werden darf, erfolgt allein deshalb, weil bei einem unzulässigen Asylantrag nicht inhaltlich geprüft wird und es deshalb auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Herkunftsstaat des Ausländers eine Verfolgungsgefahr besteht (Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition Stand 1.4.2021, § 35 AsylG Rn. 11). Wird aber eine inhaltliche Prüfung durch das Bundesamt durchgeführt, ist auch über Abschiebungsverbote in Bezug auf Afghanistan neu zu befinden. Da die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben ist, erübrigen sich Ausführungen zu Fragen im Zusammenhang mit der „Gnandi“ – Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes (EuGH, U.v. 19.6.2018 – Gnandi, C-181/16 – NVwZ 2018, 1625; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – BeckRS 2020, 8202).
Die in Ziffer 4 festgelegte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ist mit dem Wegfall der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben.
Die in Ziffer 5 erfolgte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung wird mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung als Verwaltungsakt hinfällig, weil es nichts mehr auszusetzen gibt und ist daher ebenfalls aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11 ZPO, 711 ZPO.


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