Verwaltungsrecht

Keine Antragsbefugnis mangels veränderter Umstände

Aktenzeichen  W 6 E 20.378

Datum:
25.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5644
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7 S. 2, § 123

 

Leitsatz

Im Rahmen der Antragsbefugnis beim Verfahren nach § 80 Abs. 7 S. 2 VwGO ist erforderlich, dass der Antragsteller veränderte oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemachte Umstände vorträgt, aus denen sich die Möglichkeit einer Änderung der früheren Eilentscheidung ergibt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren mit ihrem Antrag die Untersagung von Abschiebungsmaßnahmen.
Die Antragsteller sind ukrainische Staatsangehörige und reisten am 22. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die von Ihnen gestellten Asylanträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 4. September 2017 ab, die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil vom 29. August 2018 (Az.: W 6 K 17.33284) abgewiesen. Der hiergegen gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss vom 5. Oktober 2018 durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abgelehnt (Az.: 11 ZB 18.32464), die Antragsteller sind daher ausreisepflichtig. Einen am 15. Oktober 2018 gestellten Antrag auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde mit Beschluss vom 12. November 2018 (Az.: W 6 E 18.1288) abgelehnt. Ein weiterer am 21. Januar 2019 gestellter Antrag auf vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde mit Beschluss vom 5. Februar 2019 (Az.: W 6 E 19.51) in der Sache abgelehnt; die hiergegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 5.3.2020 – 19 CE 19.361).
Mit bei Gericht per Fax am 3. März 2020 eingegangenem Schreiben ließen die Antragsteller durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz erheben und beantragen,
dem Antragsgegner zu untersagen, Abschiebemaßnahmen gegen die Antragsteller durchzuführen,
hilfsweise dem Antragsgegner aufzugeben, zehn Tage vor geplanter Abschiebung den Abschiebetermin den Bevollmächtigten schriftlich mitzuteilen.
Zur Begründung wurde in den Antragsschriftsatz ein Schreiben des Bevollmächtigten an die Regierung von U. – Zentrale Ausländerbehörde – unter Bezugnahme auf einen Antrag vom 1. Oktober 2018 in Kursivschrift und Zitatzeichen eingefügt. Diverse Anlagen waren dem Schriftsatz beigelegt, darunter ein Schreiben des Bevollmächtigten an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 8. Mai 2019 im Beschwerdeverfahren Az.: 19 CE 19.361, ein Schreiben des Bevollmächtigten an die Regierung von U. – Zentrale Ausländerbehörde – vom 8. Mai 2019 bzw. an das Bundesamt vom 3. Mai 2019 und den hierzu beigefügten Anlagen. Hierunter befinden sich diverse Atteste für den Antragsteller zu 1): ein Attest der Praxis für Innere Medizin – Dialyse-Zentrum W. vom 10. April 2019, ein Attest der Praxis für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. med. M. vom 8. November 2018, ein Attest von Dr. med Z. – Urologe vom 28. März 2019; ein Auszug aus den medizinischen Daten der Hausärztin Dr. S. (Stand: bis 15.2.2019). Zudem wurde ein Attest für die Antragstellerin zu 2) eines Facharztes für Psychiatrie-Psychotherapie vom 15. April 2019 vorgelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 24. März 2020 wurden u.a. zwei weitere ärztliche Atteste für den Antragsteller zu 1) vom 11. März 2020 bzw. 12. März 2020 vorgelegt. Auf die Schriftsätze und deren Anlagen wird im Übrigen verwiesen.
Der Antragsgegner, vertreten durch die Regierung von U. – Zentrale Ausländerbehörde -, beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antrag sei unbegründet, die Antragsteller seien ausreisepflichtig. Der am 23. Januar 2019 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lasse die Ausreiseverpflichtung unberührt. Im Übrigen werde auf die Ausführungen im Beschluss des VG Würzburg vom 5. Februar 2019 (Az.: W 6 E 19.51) sowie den Beschluss des BayVGH vom 5. März 2020 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 E 18.1288 und W 6 E 19.51, sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der gestellte Antrag ist in Anwendung von § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Abänderung der Entscheidung vom 5. Februar 2019 über eine Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG begehrt wird.
Das angerufene Gericht hat vorliegend jeweils mit Beschluss vom 12. November 2018 und 5. Februar 2019 über eine Aussetzung der Abschiebung negativ entschieden und damit die gestellten Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Beide Entscheidungen sind rechtskräftig. Der erneute Antrag vom 3. März 2020, mit dem erneut die Aussetzung der Abschiebung nach § 123 VwGO begehrt wird, richtet sich daher auf eine Abänderung der zuletzt getroffenen Sachentscheidung (B.v. 5.2.2019 – W 6 E 19.51) gemäß § 80 Abs. 7 VwGO analog (vgl. ausführlich hierzu BayVGH, B.v. 15.4.2019 – 10 CE 19.650 – juris Rn. 17 m.w.N.). Trotz fehlender ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist auch im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO angesichts der dringenden praktischen Notwendigkeit hierfür ein Abänderungsverfahren statthaft. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Antragsteller sich auf geänderte Umstände berufen kann.
2. Der Antrag ist mangels Antragsbefugnis unzulässig, denn die Antragsteller haben keine veränderten Umstände gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog vorgetragen.
Im Gegensatz zum amtswegigen Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO sind beim Verfahren auf Antrag eines Beteiligten gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO veränderte Umstände erforderlich. Eine gerichtliche Abänderungsentscheidung setzt voraus, dass der Antrag zulässig und begründet ist (Schoch/Schneider/Bier, 36. EL Februar 2019, § 80 Rn. 571). Im Rahmen der Antragsbefugnis ist beim Verfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO daher zu prüfen, ob der Antragsteller veränderte oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemachte Umstände vorträgt, aus denen sich die Möglichkeit einer Änderung der früheren Eilentscheidung ergibt (Schoch/Schneider/Bier, a.a.O. Rn. 575). „Veränderte Umstände“ gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die einen Beteiligten zur Stellung eines Antrags berechtigen, sind bei einer Veränderung der Tatsachenlage gegeben (BVerfG NVwZ 2008, 417). Sie liegen aber auch vor bei einer sich nachträglich ergebenden „Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage“ (OVG Berlin-Brandenburg BeckRS 2012, 60449; Schoch/Schneider/Bier a.a.O. Rn. 585). Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO müssen die Umstände nicht in jedem Fall nachträglich entstanden sein, sondern es genügt, dass der Beteiligte sie schuldlos im ursprünglichen Verfahren nicht vorbringen konnte (BeckOK VwGO/Gersdorf, 50. Ed. 1.7.2018, VwGO § 80 Rn. 200). Prozessrechtliche Voraussetzung für die Ausübung der im Rahmen des § 80 Abs. 7 VwGO (analog) dem Gericht eröffneten Abänderungsbefugnis ist eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf die die frühere Entscheidung gestützt war (BVerwG, B.v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris Rn. 5). Aus den neu vorgetragenen Umständen muss sich zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Entscheidung ergeben (BVerwG, B.v. 29.1.1999 – 11 VR 13/98 – juris Rn. 2).
Unter Zugrundelegung dieser Ausführungen ist es damit ausreichend, aber auch erforderlich, dass für das Bejahen einer Antragsbefugnis veränderte Umstände in dem Sinne geltend gemacht werden, dass der Antragsteller, der die Abänderung einer vorhergehenden gerichtlichen Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO (analog) begehrt, einen schlüssigen Vortrag zur Änderung der Sach- oder Rechtslage, auch der Prozesslage, vorbringt (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Schoch, 37. EL Juli 2019, VwGO § 80 Rn. 576).
Daran fehlt es vorliegend.
Schon dem Antragsschriftsatz vom 3. März 2020 lässt sich nicht entnehmen, auf welche Gesichtspunkte die Antragsteller ihren erneuten Antrag auf Aussetzung der Abschiebung stützen. Insbesondere handelt es sich bei dem Schriftsatz um eine inhaltsgleiche Wiedergabe des Antragsschriftsatzes vom 18. Januar 2019 im Verfahren W 6 E 19.51. Die insoweit unter der Zwischenüberschrift „Begründung“ aus einem anderen Schriftsatz an die Regierung von U. – Zentrale Ausländerbehörde – hineinkopierten Ausführungen lassen überdies nicht ansatzweise sachdienliche Ausführungen für das vorliegende Verfahren erkennen. Auch die scheinbar wahllos zusammengestellten weiteren 25 Blatt Anlagen – darunter u.a. Schreiben des Bevollmächtigten der Antragsteller an die Regierung von U. oder das Bundesamt aus dem Mai 2019, eine Erklärung zur ehelichen Lebensgemeinschaft der Antragsteller, eine Lohnsteuerbescheinigung für die Antragstellerin zu 2) für das Jahr 2018 – enthalten wenig Aufschlussreiches für das vorliegende Verfahren. Soweit diverse ärztliche Atteste für die Antragsteller vorgelegt wurden, handelt es sich hierbei lediglich um die Wiederholungen der bestehenden und dem Gericht sowohl aus dem Asylklageverfahren (Az.: W 6 K 17.33284) als auch den vorangegangenen Eilverfahren W 6 E 18.1288 und W 6 E 19.51 bekannten Erkrankungen der Antragsteller. Der Antragsteller zu 1) ist gerichtsbekannt mulitmorbid und wegen zahlreicher Erkrankungen seit 2015 in Behandlung; soweit beim Antragsteller zu 1) mit Attest vom 28. März 2019 Nierensteine festgestellt wurden, waren auch diese bereits zuvor bekannt (vgl. Diagnosenübersicht der Hausärztin Dr. S. vom 15.2.2019 sowie Diagnosen im Vorverfahren W 6 E 19.51). Auch ist aus den Vorverfahren bekannt, dass die Antragstellerin zu 2) in ärztlicher Behandlung wegen psychischer Erkrankung ist. Ebenso wenig wird durch den weiteren Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 24. März 2020 erkennbar, auf welche Veränderung der Sach- oder Rechtslage die Antragsteller ihre Antragsbefugnis stützen wollen, denn dieser enthält ausschließlich abstrakte und allgemeine rechtliche Ausführungen, deren Bezug zum vorliegenden Fall mit keinem Wort hergestellt wird. Die anbei vorgelegten Atteste enthalten ebenfalls keine Veränderung der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1).
In sämtlichen vorgelegten ärztlichen Attesten wird lediglich festgestellt, dass die Antragsteller an den bereits aus den vorangegangenen Verfahren bekannten Erkrankungen leiden. Damit handelt es sich gerade um keine neu vorgetragenen Umstände. Die bloße Vorlage ärztlicher Atteste, die zwar unter einem aktuellen Datum ausgestellt wurden, jedoch inhaltlich die Wiederholung von bereits aus dem abschlägig durch das Gericht entschiedenen Vorverfahren bekannten Diagnosen darstellen, stellt schon denknotwendig keine Veränderung der Sachlage dar. Sonstige Umstände sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Folglich kann sich hieraus gerade nicht die Möglichkeit einer Abänderung der früheren gerichtlichen Eilentscheidung ergeben.
Nachdem schlechterdings keine veränderten Umstände gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geltend gemacht werden, ist der Antrag schon unzulässig.
3. Nach all dem war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 sowie 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war der in Nr. 8.3 genannte halbe Auffangstreitwert pro Person zu halbieren, so dass 2.500,00 EUR festzusetzen waren.


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