Verwaltungsrecht

Keine asylrechtliche Berufungszulassung wegen in der mündlichen Verhandlung verhindertem Prozessbevollmächtigten

Aktenzeichen  20 ZB 17.30794

Datum:
1.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3081
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4
VwGO § 102 Abs. 2, § 138 Nr. 3, Nr. 4
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 227 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Bei krankheitsbedingter, gegebenenfalls nach § 227 Abs. 2 ZPO, § 173 S. 1 VwGO glaubhaft gemachter Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit eines Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden war, ist eine Terminsverlegung oder -vertagung in aller Regel angezeigt, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beteiligte entgegen dem vorgelegten ärztlichen Attest tatsächlich doch verhandlungsfähig ist, und wenn schlüssig dargetan ist, aus welchem Grund die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung angezeigt ist. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Prozessbeteiligte müssen bei Vorliegen von Verlegungs- oder Aufhebungsgründen, um sich die Möglichkeit einer Äußerung zu erhalten, rechtzeitig unter Darlegung und ggf. Glaubhaftmachung der gewichtigen und schutzwürdigen “erheblichen” Gründe die Terminsaufhebung oder -verlegung gem. § 227 Abs. 1 ZPO iVm §173 S. 1 VwGO beantragen. Denn die Feststellung eines Gehörsverstoßes erfordert es, dass ein Prozessbeteiligter alles ihm Zumutbare unternommen hat, um einen Verfahrensfehler abzuwenden (wie BVerwG BeckRS 9998, 46477). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Bei einer Terminsversäumung rechnet der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Ein Prozessbeteiligter ist auch dann ordnungsgemäß iSv § 138 Nr. 4 VwGO vertreten, wenn der ordnungsgemäß geladene Prozessbevollmächtigte nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint. (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31303 2017-05-04 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 4. Mai 2017 ist bereits unzulässig, soweit die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt wurden. Im Übrigen ist der Antrag nicht begründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Die Kläger rügen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und machen damit den Zulassungsgrund eines revisibelen Verfahrensfehlers im Sinne des § 138 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG geltend. Dieser Zulassungsgrund liegt jedoch nicht vor.
a) Einen Gehörsverstoß sehen die Kläger zunächst darin, dass das Verwaltungsgericht in Abwesenheit der Kläger sowie ihres Prozessbevollmächtigten verhandelt und entschieden hat. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger sei in der Nacht vor dem Verhandlungstermin am 26. April 2017 plötzlich erkrankt und sei noch am Morgen des Verhandlungstages so geschwächt gewesen, dass er nicht einmal einen Arzt habe aufsuchen können. Dies wurde dem Verwaltungsgericht durch den Bruder des Prozessbevollmächtigten in dessen Auftrag per Telefax vom 26. April 2017 mitgeteilt (Bl. 78 der VG-Akte). Zur Glaubhaftmachung der Erkrankung wurde eine aufgrund eines Hausbesuches ausgestellte Bescheinigung eines Facharztes für Innere Medizin vom 26. April 2017 vorgelegt, wonach der Bevollmächtigte der Kläger wegen eines akuten Infektes vom 26. bis 28. April 2017 nicht reise-, arbeits- und verhandlungsfähig sei (Bl. 79 der VG-Akte). Des Weiteren führen die Kläger aus, es habe in der Kürze der Zeit keine Vertretung des Prozessbevollmächtigten organisiert werden können. Dadurch, dass die mündliche Verhandlung dennoch am 26. April 2017 ohne die Kläger und ihren Bevollmächtigten stattgefunden habe (vgl. Niederschrift, Bl. 83 ff. der VG-Akte), sei den Klägern die Möglichkeit genommen worden, persönlich bzw. durch ihren Bevollmächtigten die mit Fax vom 26. April 2017 an das Verwaltungsgericht übermittelten Dokumente aus dem Herkunftsland (Urteil eines Sharia-Gerichtes in deutscher Übersetzung, Bl. 80 der VG-Akte; Festnahme- und Durchsuchungsbefehl in deutscher Übersetzung, Bl. 81 der VG-Akte) zu erläutern.
b) Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist in dem geschilderten Sachverhalt jedoch nicht zu sehen. Nach § 102 Abs. 2 VwGO darf das Verwaltungsgericht auch bei Ausbleiben eines ordnungsgemäß geladenen Beteiligten verhandeln und entscheiden, wenn auf diese Möglichkeit – wie im vorliegenden Falle – in der Ladung hingewiesen wurde. Dennoch kann das rechtliche Gehör verletzt sein, wenn das Verwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durchführt und entscheidet, obwohl ihm bekannt ist, dass dem Asylbewerber oder seinem Bevollmächtigten die Teilnahme nicht möglich ist, wobei nicht jeder Verstoß gegen die einfachrechtlichen Vorschriften zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG indiziert (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 300 m.w.N.). Denn der Grundsatz der Wahrung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG gebietet es, den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich zu den entscheidungserheblichen Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BVerwG, U.v. 6.2.1987 – 4 C 2.86 – NJW 1987, 2694; U.v. 22.6.1984 – 8 C 1.83 – NJW 1985, 340 m.w.N.). Bei krankheitsbedingter, gegebenenfalls gemäß § 227 Abs. 2 ZPO, § 173 Satz 1 VwGO glaubhaft gemachter Reise- oder Verhandlungsunfähigkeit eines Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden war, ist eine Terminsverlegung oder –vertagung in aller Regel angezeigt, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beteiligte entgegen dem vorgelegten ärztlichen Attest tatsächlich doch verhandlungsfähig ist, und wenn schlüssig dargetan ist, aus welchen Gründen die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung angezeigt ist (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 312 m.w.N.). Die Prozessbeteiligten haben jedoch bei Vorliegen von Verlegungs- oder Aufhebungsgründen, um sich die Möglichkeit der Äußerung zu erhalten, rechtzeitig unter Darlegung – und auf Verlangen Glaubhaftmachung – der gewichtigen und schutzwürdigen „erheblichen“ Gründe die Terminsaufhebung oder –verlegung gemäß § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO zu beantragen (vgl. Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 315). Denn die Feststellung eines Gehörsverstoßes erfordert es, dass der Prozessbeteiligte alles ihm Zumutbare getan hat, um einen Verfahrensfehler abzuwenden (BVerwG, U.v. 6.2.1987 – 4 C 2.86 – NJW 1987, 2694; B.v. 22.12.1986 – 7 CB 90.86 – juris). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat aber keinen Verlegungsantrag gestellt; ein solcher ist auch nicht in der Faxnachricht an das Verwaltungsgericht vom 26. April 2017 zu sehen, denn dort wird lediglich mitgeteilt, dass dem Prozessbevollmächtigten die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht möglich war. Des Weiteren ist nicht ausreichend dargelegt worden, weshalb die Kläger nicht persönlich zu dem Termin erscheinen konnten, obwohl es ihnen doch nach der Begründung des Zulassungsantrages gerade um die Erläuterung der vorgelegten Dokumente aus dem Herkunftsland und der Umstände ihrer verspäteten Vorlage ging. Denn diese Gesichtspunkte hätten die Kläger unter Zuhilfenahme des in der mündlichen Verhandlung anwesenden Dolmetschers auch persönlich dem Gericht erläutern können. Schließlich gehört bei Terminsversäumung zu den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, auch der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 316 m.w.N.). Im vorliegenden Falle hätten die Kläger auch noch eine reale Chance auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bei entsprechender rechtzeitiger Antragstellung gehabt, denn die Entscheidung wurde erst am 4. Mai 2017 getroffen und der Urteilstenor gemäß § 116 Abs. 2 VwGO der Geschäftsstelle übergeben (Bl. 86 der VG-Akte). Unter diesen Umständen war den Klägern diese verfahrensrechtliche Möglichkeit, den gerügten Gehörsverstoß abzuwenden, auch zumutbar.
2. Soweit die Kläger geltend machen, infolge der krankheitsbedingten Verhinderung ihres Prozessbevollmächtigten seien sie in der mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 138 Nr. 4 VwGO vertreten gewesen, führt auch dies nicht zur Feststellung eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG. Denn ein Prozessbeteiligter ist auch dann ordnungsgemäß vertreten im Sinne der genannten Vorschrift, wenn der – wie hier – ordnungsgemäß geladene Prozessbevollmächtigte nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint (Berlit in GK-AsylG, § 78 Rn. 461). Bei der Frage, ob ein Termin rechtsfehlerhaft nicht verlegt oder aufgehoben wurde, handelt es sich um eine Frage des rechtlichen Gehörs, nicht jedoch der ordnungsgemäßen Vertretung (Berlit a.a.O., Rn. 440).
3. Soweit die Kläger einen Gehörsverstoß auch darin erblicken, dass das Verwaltungsgericht die mit Telefax vom 26. April 2017 und damit am Tag der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumente aus dem Herkunftsland (Urteil eines Sharia-Gerichtes, Haftbefehl) unter Hinweis auf § 87b Abs. 3 VwGO als verspätet zurückgewiesen hat, ist der geltend gemachte Verfahrensfehler im Sinne der §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, 138 Nr. 3 VwGO nicht hinreichend dargelegt worden (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG). Das Verwaltungsgericht hatte die Kläger mit Schreiben vom 29. September 2016 (Bl. 26 der VG-Akte) auf die Pflicht, die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel binnen eines Monats nach Zustellung des Bundesamtsbescheides anzugeben (§ 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG), sowie auf die Möglichkeit, verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel zurückzuweisen (§ 87b Abs. 3 VwGO), hingewiesen. Die Kläger haben in ihrem Berufungszulassungsantrag zum einen nicht substantiiert dargelegt, weshalb sie die Dokumente erst am 26. April 2017 vorgelegt haben. Der bloße Hinweis, sie hätten diese Dokumente erst im März 2017 erhalten, am 1. April 2017 eine Übersetzung anfertigen lassen und diese dann am 20. April 2017 notariell beglaubigen lassen, genügt zur substantiierten Darlegung nicht. Des Weiteren fehlen Darlegungen zu dem Umstand, dass es sich bei der in den Dokumenten angesprochenen Person trotz der vorhandenen Namensunterschiede um den Kläger zu 1) handeln soll. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auch darauf abgestellt (UA S. 9 unten), dass es sich bei den vorgelegten Dokumenten nur um Übersetzungen handele, die für sich genommen nichts belegen könnten. Damit hat das Gericht aber deutlich gemacht, die vorgelegten Unterlagen zur Kenntnis genommen zu haben. Die Kläger haben nicht dargelegt, weshalb die Zurückweisung wegen der verspäteten Vorlage dennoch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
4. Die außerdem geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), weil das Verwaltungsgericht „im Rahmen des subsidiären Schutzes zu Unrecht von einer befriedeten Lage im Irak ausgegangen“ sei, ist nicht entsprechend den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt worden. Ungeachtet dessen, dass es bereits an der Formulierung einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung fehlt, ist auch nicht dargelegt worden, inwiefern die angegriffenen Annahmen des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich und damit in einem Berufungsverfahren klärungsfähig und zudem grundsätzlich klärungsbedürftig sein sollen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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