Verwaltungsrecht

Keine Aufenthaltserlaubnis zur Durchführung einer medizinischen Behandlung

Aktenzeichen  10 CS 20.1391

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20522
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Voraussetzung für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine erhebliche konkrete Gefahr aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung, dh die Verschlechterung des Gesundheitszustands muss alsbald nach Rückkehr in das Heimatland eintreten, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Insbesondere dient § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG nicht dazu, subsidiäre Aufenthaltsrechte zu schaffen, wenn die vorgebrachten Gründe an sich von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und den dort normierten Voraussetzungen erfasst werden, den dortigen Anforderungen aber nicht genügen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 S 19.5935 2020-05-19 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2019 und auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weiter. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid wurde sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 31. Mai 2016 abgelehnt.
Der Antragsteller (geb. am 3.9.2009) reiste am 23. November 2011 gemeinsam mit seiner Mutter mit einem Visum zum Zweck der medizinischen Behandlung in das Bundesgebiet ein. In der Folgezeit erhielt er ab dem 2. Februar 2012, zuletzt verlängert bis 31. Mai 2016, eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zum Zweck der Fortführung der Krankenbehandlung. Die Mutter erhielt für denselben Zeitraum eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen als Begleitperson.
Der Kläger wurde in der Kinderklinik M.-S. wegen seiner Enzephalitis stationär behandelt. Die Behandlungskosten wurden aus Stiftungsmitteln finanziert. Zur Lebensunterhaltssicherung hatte ein Verwandter des Antragstellers für die Dauer der Krankenbehandlung eine Verpflichtungserklärung abgegeben.
Am 31. Mai 2016 beantragte der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Antragsgegnerin stellte ihm eine Fiktionsbescheinigung aus, die zuletzt bis 31. September 2019 verlängert wurde. Dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis war eine ärztliche Bescheinigung vom 19. Mai 2016 beigefügt, wonach infolge des epilepsiechirurgischen Eingriffes die Anlage eines VP-Shunts erforderlich gewesen sei. Dieser bedürfe regelmäßiger fachkundiger Kontrolle und im Notfall einer entsprechenden neurochirurgischen Interventionsmöglichkeit. Der Antragsteller werde aufgrund der Hirnschädigung in allen Bereichen des täglichen Lebens auf Hilfe von außen angewiesen bleiben, er werde nicht der Lage sein, sich selbstständig zu versorgen. Die medikamentöse antikonvulsive Therapie werde lebenslang erforderlich sein. Die Medikation müsse lückenlos verfügbar sein. Zudem benötige der Antragsteller therapeutische Unterstützung. Eine entsprechende Hilfsmittelversorgung sollte gewährleistet sein.
Mit Schreiben vom 20. Juli 2016 beteiligte die Antragsgegnerin das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 72 Abs. 2 AufenthG und bat um Stellungnahme, ob beim Antragsteller ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliege. In der Stellungnahme vom 1. Februar 2019 kam das Bundesamt zum Ergebnis, dass kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG für den Antragsteller bezüglich der Republik Kosovo gegeben sei. Der nachvollziehbar dargelegten Rückkehrgefahrenprognose im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne mit den im Kosovo zur Verfügung stehen Behandlungsmöglichkeiten begegnet werden. Es bestehe eine Betreuungseinrichtung für geistig Behinderte. Im Übrigen existierten professionelle Dienste und eine 24-Stunden-Fürsorge für bedürftige Personen, bei denen ein Rückstand in der geistigen Entwicklung diagnostiziert worden sei. Die diagnostizierte therapieresistente symptomatische Epilepsie könne in der neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums in Pristina behandelt werden. Dort könnten auch etwaige erforderliche diagnostische Verfahren, wie ein EEG oder MRT, durchgeführt werden. Die jeweiligen Ambulanzen der sieben im Kosovo bestehenden Regionalkrankenhäuser seien in der Lage, die Notfallversorgung von an Epilepsie erkrankten Patienten zu gewährleisten, die einen epileptischen Krampfanfall erlitten hätten. Auch die regelmäßige fachkundige Kontrolle des VP-Shunts sei gewährleistet. Dies gelte auch für die medikamentöse Behandlung des Antragstellers. Auch der Zugang zu sowie die Finanzierbarkeit einer adäquaten medizinischen Versorgung seien gewährleistet. Von der Zuzahlungspflicht für medizinische Leistungen und Basismedikamente seien Kinder bis zum 15. Lebensjahr, Empfänger von Sozialhilfeleistungen sowie chronisch Kranke befreit. Auch die Behandlung im Universitätsklinikum in Pristina sei generell kostenfrei. Abgesehen davon sei der Antragsteller auf die Unterstützung seiner Mutter und seines im Kosovo lebenden Vaters zu verweisen. Gegebenenfalls könne er auf die Unterstützung durch seine Großfamilie zurückgreifen.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10. Oktober 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 31. Mai 2016 ab. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG sei nicht möglich, weil nach der Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge kein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliege. Eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG scheitere am Nichtvorliegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Die beiden Verpflichtungserklärungen seien nur bis 14. November 2014 gültig gewesen. Es seien keine weiteren Verpflichtungserklärungen vorgelegt worden. Zielstaatsbezogene Gründe seien im Rahmen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht erheblich. Zudem setze die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift voraus, dass der Ausländer einen nur vorübergehenden, also zeitlich begrenzten Aufenthalt beabsichtigte. Dies sei beim Antragsteller nicht der Fall, da ein zeitlich unbegrenzter Aufenthalt zum Zweck der weiteren medizinischen Behandlung angestrebt werde. Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG sei abzulehnen.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller Klage erheben und beantragen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zugleich beantragte er, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen. Im gerichtlichen Verfahren legte der Antragsteller weitere ärztliche Stellungnahmen vom 8. Mai 2019, 9. Januar, 16. und 20. März 2020 vor.
Mit Beschluss vom 19. Mai 2020 lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab. Der Antragsteller könne keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit § 60 Abs. 7 AufenthG beanspruchen. Die nach Bescheiderlass vorgelegten medizinischen Stellungnahmen bestätigten die zwingende Notwendigkeit, dass der Antragsteller eine ausreichende medizinische Versorgung im Kosovo erhalte. Dies sei im angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin berücksichtigt. Die beiden fachärztlichen Stellungnahmen begründeten auch, dass mit einer Besserung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht zu rechnen sei. Eine medizinische Behandlung mit dem Ziel einer Linderung oder Heilung sei danach nicht möglich und der Antragsteller insoweit austherapiert. Die medizinische Behandlung werde sich in Zukunft auf die medikamentöse Versorgung im Rahmen der antiepileptischen Dauertherapie und die fachkundige Versorgung des Shunts beschränken. Es bestünden keine Zweifel daran, dass eine entsprechende medizinische Behandlung im Kosovo vorgenommen werden könne und die notwendigen Medikamente im Kosovo vorhanden seien. Die Kammer folge der Einschätzung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in der Stellungnahme vom 1. Februar 2019. Soweit seitens des Antragstellers vorgetragen werde, dass nach einer Bestätigung einer Apotheke in Pristina vom 25. Oktober 2014 die damals vom Antragsteller einzunehmen Medikamente im Kosovo nicht erhältlich seien, sei diese Stellungnahme veraltet. Der Bericht der Abteilung Pädiatrie am Zentrum des Universitätsklinikums Kosovo vom 5. November 2016 widerspreche den vorhandenen Erkenntnismitteln, wonach das Universitätsklinikum eine kinderneurologische Abteilung mit allen erforderlichen diagnostischen Verfahren und Behandlungsmöglichkeiten habe. Insofern bestünden erhebliche Zweifel an der vom Vater des Antragstellers eingeholten Auskunft und an ihrer Aktualität. Die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels habe die Antragsgegnerin ebenfalls zurecht abgelehnt und ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, dass der Antragsteller mit einem Jahresvisum zum Zweck der temporären medizinischen Behandlung einreisen könne.
Im Beschwerdeverfahren beantragt der Antragsteller,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 19. Mai 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Erfolgsaussichten der Klage seien jedenfalls als offen zu betrachten. Es sei darauf hinzuweisen, dass eine mangelnde Lebensunterhaltssicherung dem Antragsteller nicht entgegengehalten werden könne, da die früheren Verlängerungen der Aufenthaltserlaubnis ohne Nachweis der Lebensunterhaltssicherung vorgenommen worden seien und insoweit ein Vertrauensschutz bestehe. Des Weiteren sei der Mutter des Antragstellers niemals die Gelegenheit gegeben worden, eine Beschäftigung aufzunehmen, so dass sie faktisch nicht die Möglichkeit gehabt habe, den Lebensunterhalt für sich und den Antragsteller zu sichern. Zudem werde übersehen, dass immer wieder notfallmäßige Behandlungen stattfinden müssten, die es nicht zuließen, dass erst langfristig ein Visum für eine medizinische Behandlung beantragt werden müsse. So sei es beispielsweise im Frühjahr 2020 zu einem Defekt des Shunts gekommen, der eine operative Revision und Neuanlage erfordert habe. Nach Einschätzung der behandelnden Ärzte müsse ein solches Eingreifen jederzeit und auch rasch möglich sein, da es sonst zu einem lebensbedrohenden Zustand bzw. zum Versterben kommen könne. Auch der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Pflegebehandlung im Kosovo möglich und kostenfrei sei, sei nicht zu folgen. Es werde auf das Schreiben des Universitätsklinikums vom 15. Juni 2020 verwiesen. Des Weiteren werde die aktuelle Medikamentenliste vorgelegt. Beim Antragsteller lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, so dass ihm eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen wäre. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vor. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts seien die Folgen einer Ausreise für den Antragsteller außergewöhnlich hart, da sich eben gerade seine Situation hinsichtlich Pflege und Behandlung sehr verschlechtern würde. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller im Alter von zwei Jahren in das Bundesgebiet eingereist und hier aufgewachsen sei. Die bislang erfolgte Integration des Antragstellers würde bei einer Rückkehr in sein Heimatland zunichte gemacht. Dies sei für die Entwicklung des schwerbehinderten Jungen sicherlich äußerst schädlich und damit unzumutbar.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen. Ein Vertrauensschutz auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis liege nicht vor. Der Antragsteller sei seit 31. Mai 2016 nur im Besitz von Fiktionsbescheinigungen. Die Stellungnahme des Bundesamtes habe erst am 1. Februar 2019 vorgelegen, sodass erst ab diesem Zeitpunkt abschließend die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG hätten geprüft werden konnten. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 15. Januar 2011 seien Spendenzusagen in Höhe von 25.000 Euro sowie zwei Verpflichtungserklärungen vorgelegen. Die im Beschwerdeverfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen rechtfertigten keine andere Beurteilung bzw. Entscheidung. Bereits das Bundesamt sei in der Stellungnahme vom 1. Februar 2019 von der Erforderlichkeit einer lebenslangen und regelmäßigen Kontrolle des Shunts ausgegangen. Die S.- Klinik habe schon in der damaligen ärztlichen Bescheinigung ausgeführt, dass im Notfall eine entsprechende neurochirurgische Interventionsmöglichkeit notwendig sein könne, dies sei ebenfalls vom Bundesamt berücksichtigt worden. Zudem werde in der Stellungnahme des Bundesamtes darauf verwiesen, dass Kontrollen der Shunt-Anlage im Kosovo gewährleistet seien und derartige Systeme bei entsprechender Erkrankung auch dort eingesetzt und regelmäßig kontrolliert würden. Die Stellungnahme der pädiatrischen Klinik vom 15. Juni 2020 enthalte auch kein neues Vorbringen. Die Stellungnahme des Bundesamtes verweise auf zahlreiche Finanzierungsmöglichkeiten und die Befreiung des Antragstellers von jeglichen Zuzahlungen. Entgegen den Ausführungen gebe es auch Sonderschulen im Kosovo. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG lägen nicht vor, da eine massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Antragstellers nicht zu erwarten sei. Der Vater werde in absehbarer Zeit nicht dauerhaft im Bundesgebiet leben oder arbeiten. Eine Integration des Antragstellers im Bundesgebiet könne nicht angenommen werden, zumal der Vater und die Geschwister des Antragstellers im Kosovo lebten. Aktuell seien keine Vollzugsmaßnahmen geplant und die Grenzübertrittsbescheinigungen des Antragstellers und seiner Mutter als Begleitperson bis 30. September 2020 verlängert worden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren keine Gründe dargelegt, die eine Abänderung oder Aufhebung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtfertigen würden (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird.
Es hat dabei zutreffend angenommen, dass der Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht beanspruchen kann, weil seine Erkrankung nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG führt. Auch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bescheinigungen der S.-Klinik vom 10. Juni 2020 und der Pädiatrischen Klinik Pristina vom 15. Mai 2020 führen zu keiner anderen Beurteilung. Das Bundesamt hat in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2019 unter Bezugnahme auf die genannten Erkenntnismittel dargestellt, das die Betreuung und Behandlung von Behinderten in staatlichen Organisationen in der Regel kostenfrei ist, auch der Besuch einer heilpädagogischen Schule sei möglich. Die Gesundheitsversorgung sei in einem dreistufigen System grundsätzlich gesichert, ein Krankenversicherungssystem sei im Aufbau. Für medizinische Leistungen sowie für bestimmte Basismedikamente zahle der Patient Eigenbeteiligung. Kinder unter 15 Jahren und chronisch Kranke seien jedoch von der Zuzahlungspflicht befreit. Die Erkrankung des Antragstellers könne in der neurologischen Abteilung des Universitätsklinikums in Pristina behandelt werden. Auch erforderliche diagnostische Verfahren könnten dort durchgeführt werden. Die Notfallversorgung sei gewährleistet, indem der Patient vom Regionalkrankenhaus in einem Krankenwagen in das Universitätsklinikum verbracht werde. Auch die regelmäßige Kontrolle der Shunt-Anlage sei gewährleistet. Die verordneten antiepileptischen Medikamente befänden sich auf der Liste der staatlich finanzierten Basismedikamente. Das Antikonvulsivum Inovelon mit dem Wirkstoff Rufinamid sei im Kosovo zwar nicht erhältlich, es stünden jedoch genügend Alternativen mit der gleichen Wirkstoffkombination zur Verfügung. Zudem sei denkbar, dass dem Antragsteller ein Medikamentenvorrat zur Verfügung gestellt werde, der ausreiche, bis auf im Heimatland erhältliche Ersatzpräparate umgestellt sei. Der Antragsteller gehöre zu dem Personenkreis, der von jeglicher Zuzahlung befreit sei. Auch die Behandlung im Universitätsklinikum sei kostenfrei. Zudem gebe es verschiedene Budgets, mit denen bedürftige Personen bei der Finanzierung von Medikamenten und medizinischen Behandlungen unterstützt werden könnten.
Die Ausführungen in der Bescheinigung der Pädiatrischen Klinik Pristina vom 15. Mai 2020, wonach die Eltern des Antragsstellers wegen der nicht vorhandenen Krankenversicherung lange für ihn werden sorgen müssen und „irgendwann einen Mangel an Medikamenten haben“ werden, sind nicht geeignet, die im Rahmen des § 60 Abs. 7 AufenthG erforderliche alsbaldige wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Antragstellers bei einer Rückkehr in sein Heimatland zu belegen, da das Bundesamt dargelegt hat, dass die erforderlichen Medikamente mit Ausnahme von Rufinamid zu den staatlich finanzierten Basismedikamenten gehören und der Antragstellers als Kind bzw. chronisch Kranker von der Zahlung einer Eigenbeteiligung befreit ist. Es trifft zwar zu, dass der Wirkstoff Rufinamid im Kosovo nicht erhältlich ist – wie in der Bescheinigung vom 15. Mai 2020 angegeben -, das Bundesamt hat jedoch dargelegt, dass dieser durch andere Medikamente, die zu den Basismedikamenten gehören, ersetzt werden kann. Dass die Physiotherapie „nur in der Einrichtung“ angeboten werden kann, bedeutet ebenfalls nicht eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands, da der Antragsteller nur einmal pro Woche Physiotherapie erhält (Bescheinigung der S.-Klinik vom 20. März 2020) und diese Frequenz auch vom Heimatort des Antragstellers (Entfernung nach Pristina ca. 100 km) gewahrt werden kann. Die regelmäßig erforderliche Kontrolle des Shunts – wohl nur einmal jährlich – kann ebenfalls in Pristina im Universitätsklinikum durchgeführt werden. Selbst wenn „neurochirurgische Notfallinterventionen manchmal aufgrund zahlreicher Mängel nicht zur Verfügung gestellt werden“, begründet dies auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des S.-Klinik vom 10. Juni 2020 kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Voraussetzung hierfür ist eine erhebliche konkrete Gefahr aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung, d.h. die Verschlechterung des Gesundheitszustands muss alsbald nach Rückkehr in das Heimatland eintreten, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13.11 – juris Rn. 3). Aus den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bescheinigungen ergibt sich nicht, dass alsbald nach Rückkehr wieder ein Defekt des Shunts zu erwarten ist und ohne sofortigen operativen Eingriff sich der Gesundheitszustand des Antragstellers gravierend verschlechtern würde. Die im Arztbrief vom 20. März 2020 dargestellte, aufgrund des Shunt-Defekts eingetretene akute Verschlechterung der Anfallssituation konnte zunächst durch das Medikament Diazepam, das durch die Mutter verabreicht wurde, unter Kontrolle gebracht werden. Der operative Eingriff, durch den der defekte Shunt ersetzt wurde, erfolgte erst neun Tage später. Der Defekt trat im Übrigen erstmals sechs Jahre nach Einsetzen des Shunts auf.
Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bereits daran scheitert, dass der Antragssteller keinen vorübergehenden, sondern einen dauerhaften Aufenthalt wegen der schlechteren medizinischen Versorgung im Kosovo anstrebt. Hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht. Es kommt folglich nicht mehr darauf an, ob sich die Antragsgegnerin auf die fehlende Lebensunterhaltssicherung berufen kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).
Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kommt nicht in Betracht. Diese Vorschrift gestattet die Verlängerung eines Aufenthalts nur unter der Voraussetzung, dass auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebietes für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Als außergewöhnlich sind nur solche Härten anzusehen, welche diesen Ausländer im Vergleich zu anderen wesentlich härter treffen, d.h. bei ihm eine exzeptionelle Ausnahmesituation begründen würden. Erforderlich ist, dass es gänzlich unvertretbar ist/wäre, in dieser Situation auf einer Rückkehr zu bestehen. Dagegen scheidet die Annahme einer außergewöhnlichen Härte aus, wenn sich die Beendigung eines Aufenthalts als Folge einer vom Gesetzgeber geregelten Normallage ergibt, auch wenn die Rechtsfolge im Einzelfall als hart erscheinen mag. Bei der Prüfung, ob eine außergewöhnliche Härte vorliegt, können keine Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die zum Prüfungsrahmen von anderen humanitären Aufenthaltsrechten oder von anderen Aufenthaltsrechten gehören, die Härtefallklauseln enthalten (Röcker in Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Auflage 2020, AufenthG, § 25 Rn. 71). Das Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen anderer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften rechtfertigt die Annahme einer außergewöhnlichen Härte grundsätzlich nicht (Göbel-Zimmermann in Huber, AufenthG, 2. Auflage 2016, § 25 Rn. 40). Insbesondere dient die Vorschrift nicht dazu, subsidiäre Aufenthaltsrechte zu schaffen, wenn die vorgebrachten Gründe an sich von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften und den dort normierten Voraussetzungen erfasst werden, den dortigen Anforderungen aber nicht genügen (HambOVG, B.v. 1.11.2016 – 3 Bs 126/05 – juris Rn. 24). Das Vorbringen des Antragstellers, seine (gesundheitliche) Situation würde sich hinsichtlich Betreuung und Behandlung im Kosovo sehr verschlechtern, kann daher im Rahmen des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG keine außergewöhnliche Härte begründen, weil er damit gesundheitsbedingte zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse geltend macht, die in den Anwendungsbereich von § 25 Abs. 3 i.V.m. § 60 Abs. 7 AufenthG fallen (zu einem vergleichbaren Fall vgl. HambOVG, B.v. 1.11.2016 – 3 Bs 126/05 – juris Rn. 24). Auch unter dem Gesichtspunkt einer „Verwurzelung“ oder aus familiären Gründen ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen keine außergewöhnliche Härte. Der Antragsteller ist zwar bereits im Alter von zwei Jahren in das Bundesgebiet eingereist, er hat aber aufgrund seiner Erkrankung stets nur im häuslichen Umfeld seines Onkels und seiner Mutter gelebt. Die Schule er hat er in den letzten Jahren nicht besucht. Seine Mutter wird mit ihm in sein Heimatland zurückkehren. Es ist nicht absehbar, dass sein Vater und sein Bruder dauerhaft im Bundesgebiet leben werden (Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 16.7.2020, wonach der Vater kein Visum zur Aufnahme einer Beschäftigung, sondern nur ein Besuchsvisum beantragt hat). Die mit einem Aufenthalt im Bundesgebiet verbundene bessere Förderung und leichter zugängliche medizinische Versorgung vermag für sich genommen keine außergewöhnliche Härte begründen, da die Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers aus diesen Gründen nicht unvertretbar ist.
Anspruchsvoraussetzung für den geltend gemachten Anspruch einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist zudem die Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und die Reduzierung des der Antragsgegnerin eingeräumten Ermessens auf Null. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass diese Anspruchsvoraussetzungen vorliegen würden. Dass die Antragsgegnerin seit der Einreise Aufenthaltserlaubnisse und ab 31. Mai 2016 Fiktionsbescheinigungen erteilt hat, befreit den Antragsteller nicht aus Vertrauensschutzgründen von der Verpflichtung, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten (§ 2 Abs. 3 AufenthG). Denn die medizinische Behandlung wurde zunächst aus Spenden finanziert, zudem lagen Verpflichtungserklärungen von Verwandten vor, so dass der Antragsteller nicht auf öffentliche Mittel angewiesen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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