Verwaltungsrecht

Keine Berufungszulassung in asylrechtlicher Streitigkeit wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs und Divergenz

Aktenzeichen  9 ZB 18.50047

Datum:
26.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25058
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Nur wenn ein Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer für das Verfahren zentralen Frage in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG BeckRS 2015, 50924). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Mit einer im Gewand einer Gehörsrüge vorgebrachten Kritik an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht wird kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Berufungszulassungsgrund angesprochen (wie BayVGH BeckRS 2018, 21838). (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 6 K 18.50264 2018-06-15 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt die Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 8. Februar 2018, mit dem neben der Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und der Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, seine Abschiebung in die Niederlande angeordnet wurde. Mit Urteil vom 15. Juni 2018 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Divergenz liegen nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) ist nicht gegeben.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist aber nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens vorgebracht worden sind. Nur wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 30.6.2015 – 2 BvR 433/15 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.30433 – juris Rn. 5).
Das Verwaltungsgericht setzt sich in den Urteilsgründen mit sämtlichen vom Kläger vorgetragenen Aspekten auseinander. Es ist nicht ersichtlich, dass ein entscheidungserheblicher Vortrag des Klägers unberücksichtigt geblieben oder nicht gewürdigt worden ist. Vielmehr stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass der vom Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte und auch auf Nachfrage nicht näher ausgeführte Vortrag, in seinem Heimatdorf seien zwei Personen im Rahmen einer Blutrache getötet worden, die Familie des Klägers habe mit dieser Familie Probleme, Teile dieser Familie lebten auch in den Niederlanden, zu pauschal sei, um als ausreichende Begründung für einen außergewöhnlichen humanitären Grund angesehen werden zu können. Entgegen den Ausführungen des Klägers hat es das Verwaltungsgericht dabei zu keinem Zeitpunkt als wahr unterstellt, dass dem Kläger in den Niederlanden durch die Mitglieder einer dort ansässigen, mit seiner Familie verfeindeten kurdischen bzw. türkischen Familie eine Verfolgung im Rahmen der Blutrache drohe. Eine Zulassung der Berufung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs durch nicht ausreichende Berücksichtigung eines als wahr unterstellten Vorbringens scheidet daher aus.
Soweit das Vorbringen des Klägers als im Gewand einer Gehörsrüge vorgebrachte Kritik an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht angesehen werden kann, wird damit kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 9 ZB 18.32200 – juris Rn. 7 m.w.N.). Das Asylverfahrensrecht kennt in § 78 Abs. 3 AsylG – im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung nicht (BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399 – juris Rn. 4).
2. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 – juris Rn. 7 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, weil schon kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet wird, der von einem Rechtssatz des genannten Divergenzgerichts abweichen soll. Unabhängig davon gilt auch hier der Hinweis, dass vom Verwaltungsgericht der Vortrag des Klägers zur Blutrache zu keinem Zeitpunkt als wahr unterstellt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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