Verwaltungsrecht

Keine drohende Verfolgung in Äthiopien wegen Wandels der politischen Verhältnisse

Aktenzeichen  AN 9 K 16.30706 (1), AN 9 K 16.30878 (2)

Datum:
12.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30324
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Aufgrund des seit April 2018 vorherrschenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse in Äthiopien und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle ist davon auszugehen, dass von einer grundlegenden Veränderung der politischen Verhältnisse seit April 2018 ausgegangen werden kann mit der Folge, dass einem Asylbewerber weder aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (sog „Vorfluchtgründe“) noch infolge einer exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (sog. „Nachfluchtgründe“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind unbegründet.
Die Klägerinnen haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. Ziff. 1.) noch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. Ziff. 2.). Ein Anspruch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 – 7 AufenthG (vgl. Ziff. 3.) steht den Klägerinnen nicht zu, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Auch die übrigen Anordnungen in den streitgegenständlichen Bescheiden vom 2. Juni 2016 bzw. vom 17. Juni 2016 (vgl. Ziff. 4.) sind rechtmäßig.
1. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, sofern nicht die in dieser Bestimmung angeführten – hier nicht einschlägigen – besonderen Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 AufenthG erfüllt sind. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. BGBL Jahr 1953 II Seite 559, BGBL Jahr 1953 II 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründe) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Als Verfolgung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Diese Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337 S. 9 – RL 2011/95/EU) umsetzende Legaldefinition der Verfolgungshandlung erfährt in § 3a Abs. 2 AsylG im Einklang mit Art. 9 Abs. 2 RL 2011/95/EU eine Ausgestaltung durch einen nicht abschließenden Katalog von Regelbeispielen. Die Annahme einer Verfolgungshandlung setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 RL 2011/95/EU geschütztes Rechtsgut voraus (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 11). Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind unter anderem gemäß § 3c Nr. 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG.
Die Furcht vor Verfolgung ist nach § 3 Abs. 1 AsylG dann begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14). Vorverfolgte bzw. geschädigte Asylantragsteller werden durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU privilegiert. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 15; EuGH, U.v. 2.3.2010 – C-175/08 – juris Rn. 94). Diese Vermutung kann widerlegt werden, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, weil nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37).
Nach diesen Maßstäben ist den Klägerinnen die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.
Aufgrund des seit April 2018 vorherrschenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse in Äthiopien und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle ist mit der aktuellen Rechtsprechung des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes München (vgl. U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30252; U.v. 12.3.2019 – 8 B 18.30274; U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.30261; U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.30257; U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.31645 – alle juris) davon auszugehen, dass entsprechend der aktuellen Erkenntnisquellen, die in das Klageverfahren einbezogen wurden, von einer grundlegenden Veränderung der politischen Verhältnisse seit April 2018 im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ausgegangen werden kann mit der Folge, dass der Klägerin zu 1 weder aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (sog „Vorfluchtgründe“) noch infolge einer exilpolitischen Tätigkeit in Deutschland (sog. „Nachfluchtgründe“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.
Es kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob der Klägerin zu 1 vor ihrer Ausreise aus Äthiopien aufgrund der geschilderten Geschehnisse, die sie bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen hat, bereits verfolgt wurde oder von Verfolgung bedroht war und ob sie deshalb die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für sich in Anspruch nehmen könne. Denn selbst wenn man dies zu ihren Gunsten annimmt, sprechen infolge der Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien triftige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung.
Die politische Lage in Äthiopien hat sich sowohl für Regierungsgegner und Oppositionelle seit Anfang 2018 deutlich entspannt. Am 15. Februar 2018 gab der damalige Premierminister Heilemariam Desalegn bekannt, sein Amt als Regierungschef und Parteivorsitzender der EPRDF (Ethiopian People‘s Revolutionary Demokratic Front) niederzulegen (BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8B 18. 31645 – Rn. 19 juris). Die äthiopische Regierung verhängte am 16. Februar 2018 einen sechsmonatigen Ausnahmezustand mit der Begründung, Proteste und Unruhen verhindern zu wollen. Nachdem der Rat der EPRDF, die sich aus den vier regionalen Parteien TPLF (Tigray People’s Liberation Front), ANDM (Amhara National Democratic Movement), OPDO (Oromo People’s Democratic Organisation) und SEPDM (Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement) zusammensetzt, Abiy Ahmed zum Premierminister gewählt hatte, wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt (BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 18.31645 – Rn. 19 juris). Abiy Ahmed gehört in Äthiopien der Ethnie der Oromo an (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018).
Seit seinem Amtsantritt wurde eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1). Am 5. Juni 2018 wurde der sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Fokus Äthiopien Der politische Umbruch 2018 vom 16. Januar 2019).
Für Oppositionelle hat sich die Situation deutlich verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24; Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht S. 17) und im August 2018 das „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter unter anderem führende Oppositionspolitiker (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.).
Am 20. Juli 2018 wurde ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019; Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht S. 11).
Am 5. Juli 2018 wurde als wesentliche und asylrechtlich relevante Veränderung in Äthiopien die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 7.2.2019; VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 – B 7 K 17.32826 – juris Rn. 44). Weiterhin als terroristisch gelten nur noch zwei Organisationen, nämlich die international aktive Al-Qaida sowie die somalische Al Shabaab (vgl. schweizerische Eidgenossenschaft, Fokus Äthiopien Der politische Umbruch 2018 vom 16. Januar 2019). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Eritrea ein Versöhnungsabkommen. In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungahme vom 7.2.2019; BFA Länderinformationsblatt S. 23).
Unter Zugrundelegung dieser positiven politischen Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerinnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der von ihnen bzw. aufgrund der von dem Ehemann der Klägerin zu 1 angegebenen früheren oppositionellen Tätigkeit und Flucht noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 aufgrund der geschilderten Geschehnisse in Äthiopien, bevor sie aus ihrem Heimatland ausgereist ist, verfolgt werden könnte. Gerade politische Gefangene und Regimegegner sowie Familienangehörige derselben wurden in den vergangenen Monaten freigelassen und zum Gespräch eingeladen. Zudem war die Klägerin zu 1 selbst nach ihren eigenen Angaben weder politisch aktiv noch in einer regimefeindlichen Organisation. Dies spricht dafür, dass die Klägerin zu 1 und damit auch die Klägerin zu 2 trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.
Hierbei übersieht das Gericht nicht, dass die politischen Verhältnisse teilweise unübersichtlich und instabil sind und nicht nur positive Reformbestrebungen in Äthiopien zu verzeichnen sind. Hierzu führt der BayVGH in seinem Urteil vom 13. Februar 2019 – 8 B 18.31645 – aus:
„So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei fünf Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 – Äthiopien).
Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).
Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer). Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20).“
Dennoch ist für das Vorliegen „stichhaltiger Gründe“ im Sinn des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, durch die die Vermutung der Wiederholung einer Vorverfolgung widerlegt wird, es nicht erforderlich ist, dass die Gründe, die die Wiederholungsträchtigkeit einer Vorverfolgung entkräften, dauerhaft beseitigt sind (BayVGH U.v. 13.02.2019 – 8 B 17.31645 – juris).
Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss des 1. Senats vom 17. September 2019 – BVerwG 1 B 43.19 – entschieden, es bedarf nicht der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, dass die Feststellung einer allgemeinen Änderung der innenpolitischen Verhältnisse im Heimatland nicht erst dann als „stichhaltiger Grund“ im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU für die Widerlegung der Verfolgungsvermutung herangezogen werden kann, wenn auch die Dauerhaftigkeit dieser Änderung im Sinne des dazu bei der Bestimmung des Wegfalls der Umstände im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU entwickelten Grundsätze festgestellt wird, (vgl. BVerwG, B.v. 17.09.2019 – 1 B 43/19 – juris).
Auf die sogenannten Nachfluchtgründe im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG ist vorliegend nicht einzugehen, da die Klägerin zu 1 keine konkreten Nachfluchtgründe vorgetragen hat und solche auch nicht ersichtlich sind. Zudem hat sie in dem Termin der mündlichen Verhandlung am 8. November 2019 angegeben, nicht mehr exilpolitisch aktiv zu sein.
2. Mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 4 AsylG steht den Klägerinnen auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes zu.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall der Klägerinnen nicht erfüllt.
Dass den Klägerinnen bei ihrer Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), machen sie selbst nicht konkret geltend. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass den Klägerinnen in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Unter dem Gesichtspunkt der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien scheidet die Gewährung subsidiären Schutzes schon deswegen aus, weil die Gefahr eines ernsthaften Schadens insoweit nicht von einem der in § 3c AsylG genannten Akteure ausgeht, also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG (hierzu VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 54 ff.).
Schließlich steht den Klägerinnen auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu.
Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Ein innerstaatlich bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn die Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist.
Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 82 ff.)
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bei den Klägerinnen, die gerade keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände aufweisen, nicht vor. Zwar werden, wie vorstehend ausgeführt, in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach aktueller Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände.
Die Konflikte zwischen Ethnien oder die Auseinandersetzungen der Regierung mit bewaffneten Oppositionsbewegungen haben trotz begrenzten Einflusses und Kontrolle der Zentralregierung in der Somali-Region keine derartige Intensität (vgl. BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 31645 – juris). Jedenfalls lässt sich für die … Äthiopiens, …, in der die Klägerin zu 1 bis zu ihrer Ausreise am 29. November 2013 nach ihren eigenen Angaben in ihrer Befragung vom 10. Januar 2014 gelebt hat, nicht feststellen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass jede Zivilperson im Fall einer Rückkehr dorthin allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.
3. Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 – 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Herkunftsland können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen (vgl. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 9).
Dass sich die Klägerinnen in einer derartigen besonders gravierenden Lage befänden, ist nicht ersichtlich.
Trotz der schwierigen Bedingungen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1 als allein erziehende Mutter ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Die Klägerin zu 1 ist 1984 geboren und arbeitsfähig. Gesundheitlich hat sie keine Einschränkungen vorgetragen und solche sind auch nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsmöglichkeit in Äthiopien bestehen nicht. Hier in Deutschland hat die Klägerin zu 1 Deutschkenntnisse erworben und nebenbei für ein gemeinnütziges Projekt im Bereich der Müllentsorgung gearbeitet.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es für die Klägerinnen sicher nicht leicht ist, wieder in Äthiopien zu leben, nachdem die Klägerin zu 1 bereits im Jahr 2013 Äthiopien verlassen hat. Es ist ihr aber zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür sie als Rückkehrerin gute Chancen hat. Die Klägerin zu 1hat zwar keinen Beruf erlernt, ist jedoch bis zur 9. Klasse in die reguläre Schule gegangen und hat nach ihren eigenen Angaben in der Anhörung gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 10. Januar 2014 in dem Geschäft ihrer Mutter gearbeitet. Zudem befindet sich ihr Mann, der auch dafür gesorgt hat, dass sie das Land verlassen konnte und ca. 10.000,00 EUR für ihre Ausreise an den Schleuser gezahlt hat, wohl auch noch in Äthiopien. Auch wenn die Klägerin zu 1 in dem Termin der mündlichen Verhandlung am 8. November 2019 angegeben hat, sie wisse nicht, wo ihr Mann sich derzeit aufhalte, so bestehen durchaus realistische Chancen von Äthiopien aus, ihren Mann ausfindig zu machen.
Darüber hinaus hat die Klägerin zu 1 auch noch weitere Verwandte in Äthiopien, neben ihren Eltern, die nach den Angaben der Klägerin zu 1 in der Anhörung vom 10. Januar 2014 in … … leben, hat sie noch zwei Geschwister, wovon sie mit einer Schwester regelmäßig telefonischen Kontakt pflegt.
Unglaubwürdig erscheint der Vortrag der Klägerin zu 1 gegenüber dem Gericht am 8. November 2019, ihre Eltern, zu denen sie angeblich keinerlei Kontakt habe, würden auf dem Land leben, das nicht mit dem Auto, sondern nur zu Fuß erreichbar sei. Schließlich hat sie in der ersten Befragung am 10. Januar 2018 noch angegeben, ihre Eltern leben in … … und ihre Mutter habe dort ein Geschäft, in dem sie mitgearbeitet habe.
Ebenso wenig besteht – entgegen der Auffassung des Klägervertreters – wegen der schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach dieser Bestimmung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Allerdings kann ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 31 f.). Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Sätze 3 und 4 AufenthG).
Nach diesen Maßstäben ist bei den Klägerinnen ein nationales Abschiebungsverbot nach dieser Bestimmung im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen. Es liegt aufgrund der Diabetes-Mellitus Erkrankung der Klägerin zu 2 kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot vor, insbesondere auch unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters der Klägerin zu 2.
Die medizinische Versorgung in … … ist nach den Ausführungen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation Äthiopien vom 8. Januar 2019 des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich zwar nur beschränkt gewährleistet und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (BFA, Länderinformationsblatt, S. 35). In Äthiopien gibt es hiernach zudem weder eine kostenlose medizinische Grundversorgung noch beitragsabhängige Leistungen, Krankenhäuser verlangen eine finanzielle Garantie, bevor die Patienten entweder in staatlichen Gesundheitszentren bzw. Krankenhäusern oder in privaten Kliniken behandelt werden (BFA Länderinformationsblatt, S. 36). Chronische Krankheiten, die auch in Äthiopien weit verbreitet sind, wie Diabetes etc., können mit der Einschränkung behandelt werden, dass bestimmte Medikamente gegebenenfalls nicht verfügbar sind. Die Behandlung von akuten Erkrankungen oder Verletzungen ist jedoch durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet, (vgl. Auswärtiges Amt vom 12. Dezember 2018, Äthiopien: Reise- und Sicherheitshinweise). Eine (medikamentöse) Behandlung von Diabetes ist zumindest in … möglich, in der die Versorgung im Gesundheitssektor zufriedenstellend ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Informationen zum Gesundheitswesen, 10. März 2008; VG Ansbach, U.v. 31.08.2017 – AN 3 K 16.31180 – juris; VG München, U.v. 21.12.2007 – M 12 K 06.50711 – juris; VG München, U.v. 24. 5. 2016 – M 12 K 16.30568 – juris).
Eine alsbald eintretende erhebliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin zu 2 ist im Falle ihrer Rückkehr bzw. Rückführung nach Äthiopien nicht anzunehmen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll dem Ausländer nicht eine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern vor gravierender Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz: bei existentiellen Gesundheitsgefahren, was insbesondere aus dem der Vorschrift immanenten Zumutbarkeitsgedanken folgt (BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 ZB 15.30054 – juris; BayVGH, B.v. 27.04.2016 – 10 CS 16.485 – juris; VG München, U.v. 24.05.2016 – M 12 K 16.30568 – juris).
Hinsichtlich der finanziellen und wirtschaftlichen Situation der Klägerinnen wird zunächst auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Klägerinnen sind im Falle ihrer Rückkehr nicht auf sich alleine gestellt sein, denn in die Rückkehrprognose ist mit einzubeziehen, dass sich der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Klägerin zu 2 voraussichtlich noch in Äthiopien aufhält und die Klägerinnen zudem über einen nicht unerheblichen verwandtschaftlichen Rückhalt in Gestalt ihrer Eltern sowie der beiden Geschwister der Klägerin zu 1 verfügen. Die Klägerinnen werden also zumindest in …, in der die Klägerin zu 1 nach ihren eigenen Angaben zuletzt gelebt und gearbeitet hat, einen hinreichend kundigen Arzt finden und dort auch die erforderlichen Medikamente zur Behandlung der Erkrankung ihrer Tochter erhalten können. Während einer eventuellen Kindergarten- oder Schulzeit der Klägerin zu 2 übernehmen die Erzieher bzw. Lehrer die erforderliche medizinische Behandlung, wie dies ebenso in Deutschland derzeit der Fall ist.
Der Klägerin zu 2 droht in Äthiopien nach Überzeugung des Gerichts auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine geschlechtsspezifische Verfolgung in Form der Beschneidung. Die Klägerin zu 1 hat erstmals in dem Termin der mündlichen Verhandlung am 8. November 2019 vorgetragen, dass sie selbst einer Beschneidung unterzogen worden sei und diese Gefahr auch sehe für ihre Tochter. Eine Glaubhaftmachung durch Vorlage eines Attestes erfolgte nicht, so dass bereits Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Vortrags bestehen.
Doch selbst bei Unterstellung der Glaubhaftigkeit des Vortrags durch die Klägerin zu 1 führt die Furcht vor der Beschneidung der Klägerin zu 2 als geschlechtsspezifische Verfolgung nach der Überzeugung des Gerichts zu keinem Abschiebungsverbot.
Für die Beurteilung einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ist in sachlicher und rechtlicher Hinsicht auf die aktuelle Lage in Äthiopien abzustellen.
Nach den aktuellen Lageberichten ist seit der Reformierung des Strafgesetzbuches 2005 die Genitalverstümmelung gemäß Art. 565 mit Geldstrafe ab 500 Birr (ca. 20 EUR) oder mit mindestens dreimonatiger, in besonders schweren Fällen mit bis zu 10 Jahren Gefängnisstrafe bedroht (BFA, Länderinformationsblatt S. 31; Auswärtiges Amt vom 17.10.2018, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Äthiopien). Die Zahl der Neuverstümmelungen hat sich hiernach inzwischen auf zwischen 25 und 40% der Mädchen verringert. Dennoch ist Genitalverstümmelung nach wie vor mit großen regionalen Unterschieden weit verbreitet (Zahlen schwanken auch hier zwischen 56 und über 70% landesweit). Am häufigsten ist sie in ländlichen Gebieten der an Dschibuti und Somalia grenzenden Regionen Somali und Afar sowie in der gesamten Region Oromia anzutreffen. In den Grenzregionen Tigray (Grenze zu Eritrea) und Gambella (Grenze zu Südsudan) ist sie am wenigsten verbreitet. Die Regierung sowie äthiopische und internationale Organisationen führen Kampagnen zur Abschaffung der Genitalverstümmelung durch. Die äthiopische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, schädliche traditionell oder kulturell bedingte Praktiken, wie etwa die Genitalverstümmelung bei Frauen oder Kinder- und Zwangsehen bis zum Jahre 2025 endgültig abzuschaffen. In den städtischen Gebieten ist die weibliche Genitalverstümmelung weniger verbreitet (BFA, Länderinformationsblatt S. 31).
In dem vorliegenden Verfahren ist davon auszugehen, dass die Klägerin zu 1 im Falle der Rückkehr nach …, wo – wie sich aus dem Länderinformationsblatt ergibt – eine Beschneidung inzwischen bei der überwältigenden Anzahl der Mädchen nicht mehr durchgeführt wird, ihre Tochter vor der Gefahr einer Beschneidung schützen kann. Zumal die Klägerin zu 1 gerade nicht vorgetragen hat, dass sie ihre Tochter vor der Familie bzw. vor bestimmten Mitgliedern der Verwandtschaft schützen muss, die gegen den Willen der Mutter eine Beschneidung durchführen wollen.
Nach der neueren Auskunftslage ist selbst im Falle von alleinstehenden Frauen keineswegs davon auszugehen, dass diese nicht in der Lage wären, den Lebensunterhalt für sich und ihr minderjähriges Kind zu sichern. In Äthiopien, zumal in …, ist es möglich, selbst als alleinstehende Mutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung. Kinder werden häufig – bei Alleinerziehenden wie bei erwerbstätigen Personen – nach der Schule von privatem Betreuungspersonal betreut, auch in den unteren Gehaltsschichten (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 13.07.2017 – Gz. 508-516.80/49153).
Eine derartige Situation eines alleinstehenden Elternteils mit minderjährigem Kind ohne jeden familiären/verwandtschaftlichen Rückhalt ist im Falle der hiesigen Klägerinnen im Übrigen jedoch aufgrund der bestehenden familiären Beziehungen der Klägerinnen nicht konkret zu besorgen.
4. Die nach Maßgabe der §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die Klägerinnen besitzen keine Aufenthaltsgenehmigung und sind auch nicht als Asylberechtigte anerkannt.
Die Klage hat auch gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate keinen Erfolg.
Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, ist auch ermessensfehlerfrei innerhalb der von § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG aufgezeigten gesetzlichen Grenzen getroffen worden. Das Vorliegen besonderer Umstände ist von den Klägerinnen weder vorgetragen noch ersichtlich. Die vorgenommene Befristung auf 30 Monate begegnet keinen Bedenken.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.


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