Verwaltungsrecht

Keine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs

Aktenzeichen  M 9 S 15.5910

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 28 Abs. 1, § 31

 

Leitsatz

1 Allein das formale Band der Ehe reicht für sich genommen nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus; die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (BVerwG BeckRS 2013, 52673).   (redaktioneller Leitsatz)
2 Der sich auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 AufenthG berufende Ausländer muss zum Zeitpunkt der Beantragung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein. Der bloße Anspruch auf Erteilung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis genügt nicht (HessVGH BeckRS 2005, 23428).   (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Härtebegriff des § 31 Abs. 2 AufenthG umfasst nur ehebedingte Nachteile, also Beeinträchtigungen, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen. Nicht umfasst sind hingegen solche Nachteile, die gleichermaßen jeden Ausländer treffen, der in sein Heimatland zurückkehren muss (BVerwG BeckRS 2009, 38019).  (redaktioneller Leitsatz)
4 Aus dem Diskriminierungsverbot des Europa-Mittelmeer-Abkommens ist kein Aufenthaltsrecht als überschießendes Recht zur Fortführung einer nicht selbstständigen Erwerbstätigkeit ableitbar (BVerwG BeckRS 2010, 48384).   (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die am … 1987 geborene Antragstellerin ist marokkanische Staatsangehörige. Sie heiratete am … 2014 in Marokko den deutschen Staatsangehörigen Klaus K.. Im Anschluss daran reiste die Antragstellerin am 22. März 2015 mit dem hierfür erforderlichen Visum (gültig bis 17. Juni 2015) zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu ihrem Ehemann in das Bundesgebiet ein.
Ausweislich eines Berichts der Polizeiinspektion … vom … Mai 2015 (Blatt 36 und 37 der Behördenakte) erschien die Antragstellerin bereits am … März 2015 zusammen mit ihrem Ehemann bei der Polizeiinspektion …, nachdem zwischen den Eheleuten ein erheblicher Streit entbrannt gewesen sei. Die Antragstellerin habe ausweislich des Berichts anschließend eine Nacht im Frauenhaus verbracht. Der Ehemann habe ihr gesamtes Gepäck dorthin gebracht und erklärt, er habe einen Flug nach Marokko gebucht. Später sei die Antragstellerin dann wieder zu ihrem Ehemann zurückgekehrt. Am … April 2015 habe sich der Ehemann der Antragstellerin nach dem Polizeibericht erneut bei der Polizeiinspektion gemeldet, da die Antragstellerin „durchdrehen“ würde. Auch im Anschluss an diesen Vorfall sei die Antragstellerin im Frauenhaus untergebracht worden.
Am 1. Juni 2015 beantragte die Antragstellerin beim Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs.
Am 6. August 2015 sprach der Ehemann der Antragstellerin bei der Ausländerbehörde vor und erklärte, dass er keine Lebensgemeinschaft mehr mit der Antragstellerin führe. Auf Antrag des Ehemanns der Antragstellerin erließ das Amtsgericht … am … August 2015 eine Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz. Danach hat es die Antragstellerin zu unterlassen, die Wohnung, das Wochenendhaus, das Grundstück oder die Praxis des Ehemanns zu betreten oder Kontakt zu ihm herzustellen.
Mit Schriftsatz vom 18. August 2015 führte der damalige Bevollmächtigte der Antragstellerin gegenüber dem Landratsamt aus, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 2 AufenthG habe, da eine besondere Härte vorliege. Die Antragstellerin sei Opfer häuslicher Gewalt geworden und eine Rückkehr nach Marokko nicht zuzumuten. Sie sei durch ihre frühere Ehe in Marokko traumatisiert und habe dort obdachlos auf der Straße gewohnt. Der Ehemann habe der Antragstellerin bewusst Alkohol gegeben, um diese ruhig zu stellen und ständig gedroht, sie nach Marokko zurückzuschicken. Sie sei von ihm geschlagen worden. Am 12. August 2015 habe die Antragstellerin noch einmal versucht, die Ehe zu retten und ihren Ehemann in dessen Praxis besucht. Diese Begegnung habe zu einem lauten Streit geführt, der schließlich in das Annäherungsverbot mündete, das der Ehemann beantragt habe. Seit dem Vorfall im August lebe die Antragstellerin im Frauenhaus. Wegen der ständigen bewussten Drohungen des Ehemanns, sie nach Marokko zurückzuschicken, sei es ihr wegen der somit ausgeübten psychischen Gewalt nicht mehr zumutbar, weiter an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin legte auch ein ärztliches Attest der Hausarztpraxis … vom … September 2015 vor, wonach bei der Antragstellerin am … August 2015 Hämatome sowie Kratzspuren festgestellt werden konnten. Aus einem weiteren psychiatrischen Attest der Praxis Dr. … … vom … September 2015 ergibt sich, dass die Antragstellerin seit dem … September 2015 in psychiatrischer Behandlung sei. Es liege eine behandlungsbedürftige Persönlichkeitsstörung vom emotionalen, instabilen Typ (Borderline) vor.
Mit Bescheid vom … November 2015 lehnte das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Nr. I.). In Nr. II. des Bescheids wurde eine Ausreisefrist bis zum 30. Dezember 2015 gesetzt. Für den Fall der nicht rechtzeitigen Ausreise wurde in Nr. III. des Bescheids, die Abschiebung nach Marokko oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht.
In den Gründen des Bescheids wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe. Die Ehegatten würden getrennt leben, weshalb die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erteilt werden könne. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG habe die Antragstellerin nicht erwerben können, da die Lebensgemeinschaft nicht drei Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden habe. Es sei auch keine besondere Härte ersichtlich, weshalb die Dreijahresfrist unbeachtlich bleiben könnte. Es habe nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden können, ob die Antragstellerin Opfer häuslicher Gewalt geworden sei. Es habe keine langjährige funktionierende Ehe im Bundesgebiet gegeben. Schutzwürdige Belange könnten deshalb nicht bestehen.
Mit Telefax vom 29. Dezember 2015 hat der Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage erhoben und beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom … November 2015 zu verpflichten, der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (Verfahren M 9 K 15.5909).
Zugleich beantragt er im vorliegenden Verfahren,die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragstellerin habe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 AufenthG erworben, da dies zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich sei. Die Antragstellerin leide unter einer Borderline-Störung. Die Abschiebung nach Marokko sei deshalb ein Verstoß gegen die Menschenwürde. Der Ehemann der Antragstellerin sei gewalttätig gegen diese geworden. Es sei für jede Frau eine unzumutbare Härte, im Rahmen der ehelichen Beziehung geschlagen zu werden. Körperliche Gewalt und physische Misshandlung würden immer eine besondere Härte im Sinne des § 31 AufenthG begründen. Der Bescheid vom … November 2015 widerspreche auch dem Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 28. Januar 1998. Art. 64 des Europa-Mittelmeer-Abkommens verlange nach einer neueren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Dezember 2006, einen Aufenthaltstitel zu erteilen, sofern die Ausübung einer Beschäftigung mit weitergehenden Rechten zugelassen worden sei. Zudem sei mittlerweile die Fortführung der Verbindung der Ehegatten möglich, da der Ehemann mittlerweile schwer erkrankt sei und deshalb ein Kontakt zwischen den Eheleuten gewünscht sei. Insofern wurde eine Faxnachricht des Ehemanns der Antragstellerin vorgelegt. In dieser führt der Ehemann der Antragstellerin aus, dass er die Verbindung zu der Antragstellerin nicht ganz aufgelöst habe und bereit sei, aufgrund seiner schweren Erkrankung die Beziehung wieder aufzunehmen, ohne eine häusliche Gemeinschaft zu führen.
Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2016 beantragt der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zum weiteren Vorbringen der Parteien und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei abzuwägen zwischen dem gesetzlich angeordneten öffentlichen Interesse einer sofortigen Vollziehung des Bescheids nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, Art. 21 BayVwZVG und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Klage der Antragstellerin erfolglos bleiben wird. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nr. I des Bescheids des Antragsgegners vom … November 2015 ist insofern rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
1.1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dies setzt indes gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG voraus, dass zwischen der Antragstellerin und ihrem deutschen Ehegatten eine eheliche Lebensgemeinschaft besteht. Allein das formale Band der Ehe reicht für sich genommen nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten. Erst der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus; die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trägt der Ausländer (BVerwG, B. v. 22. Mai 2013 – 1 B 25/12 -, juris). Maßgeblich ist der nachweisbar betätigte Wille, mit der Partnerin bzw. dem Partner als wesentlicher Bezugsperson ein gemeinsames Leben zu führen.
Es bestehen hier weder Anhaltspunkte dass eine solche eheliche Lebensgemeinschaft derzeit besteht, noch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass die Ehegatten eine solche alsbald aufnehmen werden.
Im vorliegenden Fall besteht aufgrund des Antrags des Ehegatten der Antragstellerin seit dem … August 2015 ein Kontaktverbot zwischen den Eheleuten, das durch das Amtsgericht … ausgesprochen wurde und bis zum … Februar 2016 galt. Schon aufgrund dieser rechtlichen Hürde konnte eine eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Partnern nicht bestehen. Eine eheliche Lebensgemeinschaft wird auch nicht durch das mit Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 25. Februar 2016 vorgelegte Telefax des Ehemanns der Antragstellerin vom 27. Januar 2016 belegt. Vielmehr wird darin lediglich ausgeführt, dass der Ehemann der Antragstellerin bereit ist, eine „Beziehung“ zur Antragstellerin wieder aufzunehmen. Gleichzeitig nimmt er Bezug auf seine schwere Erkrankung und die damit verbundenen Schwierigkeiten und Aufwendungen und lehnt eine häusliche Gemeinschaft ab. Eine eheliche Lebensgemeinschaft wird damit erkennbar nicht angestrebt. Vielmehr ist lediglich der Wunsch des Ehemanns der Antragstellerin auf Hilfe bei seiner Pflege zu erkennen. Dies kann angesichts der Ablehnung einer häuslichen Gemeinschaft durch den Ehemann nicht als Ankündigung der Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft angesehen werden.
1.2. Der Antragstellerin steht auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG zu.
Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin nach dieser Vorschrift scheidet schon deshalb aus, da § 31 AufenthG lediglich die Verlängerung einer bestehenden Aufenthaltserlaubnis zulässt. Der sich auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 AufenthG berufende Ausländer muss zum Zeitpunkt der Beantragung dieses eigenständigen Aufenthaltsrechts im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein. Der bloße Anspruch auf Erteilung einer ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis genügt nicht (Hess. VGH, B.v. 09.05.2003 – 12UZ 34/03 – juris Rn.5). Die Antragstellerin besaß zu keinem Zeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis. Sie reiste zwar mit einem gültigen Visum in das Bundesgebiet ein ist, hielt sich hier jedoch lediglich aufgrund der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig auf.
1.3. Selbst wenn man von der Anwendbarkeit des § 31 AufenthG auf den Fall der Antragstellerin ausgehen würde, so wären dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Nachdem die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen der Antragstellerin und ihrem Ehemann nicht die Mindestbestandszeit von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt, kommt ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Antragstellerin nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1AufenthG nicht in Betracht.
Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft kann nicht gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden.
Nach § 31 Abs. 2 AufenthG ist von der Voraussetzung eines dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Eine besondere Härte liegt insbesondere vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn der Ehegatte Opfer häuslicher Gewalt ist.
Eine besondere Härte i.S.v. § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz 2. Alternative AufenthG ist im Fall der Antragstellerin nicht aufgrund der von ihr beschriebenen körperlichen und psychischen Misshandlungen durch den Ehegatten anzunehmen. Nach den vorliegenden Akten war die kurze häusliche Gemeinschaft der Antragstellerin mit ihrem Ehegatten gekennzeichnet von gegenseitigen Vorwürfen, körperlicher und psychischer Gewalt. Es ist aus den Darlegungen der Antragstellerin nicht erkennbar, dass die Fortführung der Ehe für diese unzumutbar gewesen sei. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass sie selbst nicht auf eine Trennung hingewirkt hat. Vielmehr hat sich ihr Ehegatte von ihr gelöst und ein weiteres Zusammenleben durch die Herbeiführung des Beschlusses des Amtsgerichts … vom … August 2015 unterbunden. Ein derartiges gerichtliches Umgangs- und Kontaktverbot wäre nicht erforderlich gewesen, wenn die Antragstellerin von sich aus bereit gewesen wäre, die häusliche Gemeinschaft zu verlassen. Ihre offensichtliche Weigerung spricht gegen eine Unzumutbarkeit der Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Schon am … März 2015, also lediglich vier Tage nach der Ankunft der Antragstellerin im Bundesgebiet, hat deren Ehegatte bei der Polizeiinspektion … erklärt, dass er für die Antragstellerin einen Flug nach Marokko gebucht habe und zu erkennen gegeben, dass er die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr führen will. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist die Antragstellerin in das Frauenhaus … gegangen. Der gleiche Vorgang wiederholte sich ausweislich des Polizeiberichts am … April 2015. Damit bestand für die Antragstellerin offensichtlich schon zu Beginn der Lebensgemeinschaft jederzeit die Möglichkeit, diese zu beenden. Nachdem ein Zusammenleben der Ehepartner im Bundesgebiet ohne Trennungswunsch lediglich an vier Tagen (22.03. – 26.03.2015) festzustellen ist, kann von einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet kaum gesprochen werden. Im Fall der Antragstellerin war schon der Aufbau einer ehelichen Lebensgemeinschaft offensichtlich unmöglich. Es handelt sich hier nicht um eine vom Gesetzgeber geregelte Unzumutbarkeit hinsichtlich des Festhaltens an einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft.
Eine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall auch nicht daraus, dass die Rückkehr der Antragstellerin nach Marokko nicht zumutbar wäre. Der Härtebegriff des § 31 Abs. 2 AufenthG umfasst nur ehebedingte Nachteile, also Beeinträchtigungen, die mit der Ehe oder ihrer Auflösung in Zusammenhang stehen (BVerwG, U.v. 09.06.2009 – 1C11/08 – juris). Nicht umfasst sind hingegen solche Nachteile, die gleichermaßen jeden Ausländer treffen, der in sein Heimatland zurückkehren muss. Insbesondere Nachteile, die sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des Herkunftsstaats ergeben, reichen nicht aus, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 2 AufenthG zu begründen. Ehebedingte Nachteile sind im Fall der Antragstellerin nicht erkennbar. Der Vortrag, dass sie in Marokko obdachlos sei und keine Perspektive habe, betrifft in gleicher Weise eine Vielzahl von Ausländern, die das Bundesgebiet verlassen und wieder in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Es handelt sich bei den von der Antragstellerin geschilderten Umständen im Falle einer Rückkehr nach Marokko lediglich um den Verlust einer erhofften Lebensperspektive in Deutschland. Eine enttäuschte Hoffnung ist keine besondere Härte i.S.v. § 31 Abs. 2 AufenthG. Die Rückkehr der Antragstellerin nach Marokko ist ohne weiteres zumutbar, da sie lediglich einen sehr begrenzten Zeitraum in Deutschland war. Sie kann sich in ihrem Heimatland wieder zurechtfinden und muss keine besonders schützenswerten Bindungen im Bundesgebiet aufgeben.
2. Ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin lässt sich auch nicht aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 64 Europa-Mittelmeer-Abkommen/Marokko ableiten.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass aus dem Diskriminierungsverbot des Europa-Mittelmeer-Abkommens kein Aufenthaltsrecht als überschießendes Recht zur Fortführung einer nicht selbständigen Erwerbstätigkeit ableitbar ist (BVerwG U.v. 08.12.2009 – 1 C 14/08 – juris Rn. 13). Der Vortrag insoweit liegt im vorliegenden Fall zudem neben der Sache, da die Antragstellerin nach dem Ablauf ihrer Fiktionsbescheinigung auch keine Gestattung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit mehr besitzt. Mit Inkrafttreten des AufenthG zum 1. Januar 2005 dürfen Ausländer nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Erwerbstätigkeit nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtigt. Da mit dem Wegfall der Aufenthaltserlaubnis ohne weiteres das gesetzliche Beschäftigungsrecht erlischt, besteht kein unbefristetes von der Aufenthaltserlaubnis unabhängiges Beschäftigungsrecht des Ausländers mehr. Eine ausnahmsweise zu beachtende aufenthaltsrechtliche Wirkung des Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens dürfte deshalb generell nicht mehr in Betracht kommen (OVG Lüneburg, B.v. 17.06.2014 – 4 PA 84/14 – juris Rn. 7).
3. Ein anderweitiger Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist weder behauptet noch sonst ersichtlich.
4. Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in den Ziffern II und III des Bescheides entsprechen den gesetzlichen Bestimmungen (§ 58, 59 AufenthG, Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG) und sind nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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