Verwaltungsrecht

Keine Flüchtlingsanerkennung für syrische Asylsuchende – Wehrdienstentziehung

Aktenzeichen  20 B 19.30456

Datum:
21.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31407
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 28 Abs. 1a
GG Art. 16a

 

Leitsatz

1. Die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland führen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angehörige von Wehrdienstpflichtigen müssen wegen deren Entziehung vom Wehrdienst allein nicht mit flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte rechnen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für Wehrdienstpflichtige, die sich ihrer Wehrpflicht durch Ausreise entzogen haben, ist eine beachtliche Gefahr politischer Verfolgung nicht gegeben. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 2 K 17.32760 2017-08-02 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. August 2017 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Kostenentscheidung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG).
Die miteinander verheirateten Kläger sind ausweislich ihrer beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vorgelegten syrischen Reisepässe syrische Staatsangehörige und eigenen Angaben zufolge arabischer Volkszugehörigkeit und muslimisch sunnitischen Glaubens. Sie reisten am 15. November 2016 im Wege der Familienzusammenführung zu ihrem als Flüchtling anerkannten Sohn nach Deutschland ein. Am 10. Mai 2017 stellten sie einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung am 7. Juni 2017 gab der Kläger zu 1 an, sie hätten Syrien am 17. Dezember 2015 verlassen und seien zunächst in die Türkei gegangen. Dort befinde sich noch ihre 11-jährige Tochter, deren Visumsantrag zur Familienzusammenführung abgelehnt worden sei. Bis zur Ausreise hätten sie in Manbej, Provinz Aleppo gelebt. Zu den Gründen seiner Ausreise gab er an, dass es in Syrien überall gefährlich sei und viele Milizen und Verbrecher dort seien. Es gebe keine Sicherheit mehr. Das ganze Land stehe in Flammen. Es bestehe überall Gefahr umgebracht zu werden und es gebe dort kein Wasser, keine Lebensmittel und keinen Strom mehr.
Die Klägerin zu 2 gab bei ihrer Anhörung am gleichen Tag an, als sie ihren Heimatort verlassen hätten, sei der IS gerade vor Ort gewesen. Es habe Kriegshandlungen gegeben. Sie seien wegen des Krieges geflüchtet. Bei einer Rückkehr nach Syrien habe sie Angst vor dem Krieg und den Bombardierungen.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (2). Auf die Begründung wird Bezug genommen.
Hiergegen ließen die Kläger mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 7. Juli 2017, der am gleichen Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg einging, Klage mit dem Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erheben.
Dieser gab das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 2. August 2017, das ohne mündliche Verhandlung erging, statt. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass es weiterhin davon überzeugt sei, dass der syrische Staat auch gegenwärtig das Stellen eines Asylantrags in Verbindung mit einem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland generell als Ausdruck einer regimekritischen Gesinnung sehe und zum Anknüpfungspunkt für Festnahme und Folter nehme. Im Falle der Kläger lägen zudem signifikante gefahrerhöhende Umstände im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vor. Diese ergäben sich aus der Militärdienstentziehung ihrer ebenfalls nach Deutschland geflüchteten erwachsenen Söhne. Die diesen vom syrischen Regime unterstellte oppositionelle Gesinnung strahle im Zuge der von den syrischen Geheimdiensten praktizierten Sippenhaft auf die Kläger als Eltern gleich mehrerer Wehrdienstverweigerer aus. Hinzu komme die Herkunft aus der bis zur Rückeroberung durch das syrische Regime als Rebellenhochburg geltenden Provinz Aleppo.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Berufung. Sie beantragt,
unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Schreiben vom 3. September 2019, auf das hinsichtlich der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Senat die Beteiligten zur Möglichkeit einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört.
Der Bevollmächtigte der Kläger hat daraufhin beantragt, das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH im Verfahren C-238/19 (Vorlagebeschluss des VG Hannover) auszusetzen. Insbesondere werde hingewiesen auf die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 9. Juli 2019 an den EuGH. Aus dem Verfahren ergebe sich möglicherweise eine andere Bewertung der Gefahr der politischen Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung und infolgedessen auch hinsichtlich der Gefahr der Sippenhaft von Familienangehörigen von Wehrdienstflüchtlingen. Für den Fall, dass der Senat das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des EuGH aussetze werde eine Vorlage an den EuGH durch den Senat beantragt.
Die Beklagte wendet sich gegen eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an den EuGH. Auf die vom VG Hannover im Vorlagebeschluss gestellten Fragen komme es hier nicht entscheidungserheblich an.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Senat kann gemäß § 130a VwGO über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da er sie einstimmig für begründet hält und die Beteiligten hierzu angehört hat.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, sodass das Urteil zu ändern war. Die Kläger haben zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 1 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer – soweit hier von Interesse – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen lagen bei den Klägern weder im Zeitpunkt ihrer Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien vor (1.), noch ergeben sie sich aus Ereignissen, die eingetreten sind, nachdem die Kläger ihr Herkunftsland verlassen haben (2.).
1. Die Kläger sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende Verfolgung durch den syrischen Staat oder sonstige Akteure im Sinn des § 3c Nr. 2 und 3 AsylG ergeben, haben die Kläger nicht geltend gemacht.
2. Die Kläger können für einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts daraus für sich ableiten, dass gemäß § 28 Abs. 1a AsylG die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen kann, die eingetreten sind, nachdem sie ihr Herkunftsland verlassen haben. Ein solcher Nachfluchtgrund besteht nicht.
Davon wäre nur dann auszugehen, wenn den Klägern bei verständiger (objektiver) Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, sodass ihnen nicht zuzumuten ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die „verständige Würdigung aller Umstände“ hat dabei eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe zum Inhalt. Im Rahmen dieser Prognose ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Kläger Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne begründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ Betrachtungsweise weniger als 50 v.H. Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist in dieser Hinsicht damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage der Kläger nach Abwägung aller bekannten Umstände eine (hypothetische) Rückkehr in den Herkunftsstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer politischen Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37 und zu Art. 16a GG U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – juris Rn. 17).
Die Kläger können sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die illegale Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen (a.). Die Kläger müssen eine Verfolgung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der beachtlichen Gefahr der Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstentziehung ihrer Söhne befürchten (b). Schließlich droht ihnen dies auch nicht deshalb, weil sie bis zu ihrer Ausreise in der (früher) zu großen Teilen von der Opposition kontrollierten Provinz Aleppo gelebt haben (c.) Dies gilt auch, wenn man alle Umstände im Rahmen einer Gesamtwürdigung gemeinsam betrachtet (d.).
Die allgemeine Situation in Syrien stellt sich im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung wie folgt dar: Das Herrschaftssystem des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist durch den seit dem Jahr 2011 anhaltenden militärischen Kampf gegen verschiedene feindliche Organisationen und infolge internationaler Sanktionen militärisch sowie wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Ziel der Regierung ist es, die bisherige Machtarchitektur bestehend aus dem Präsidenten Bashar al-Assad sowie den drei um ihn gruppierten Clans (Assad, Makhlouf und Shalish) ohne einschneidende Veränderungen zu erhalten und das Herrschaftsmonopol auf dem gesamten Territorium der Syrischen Arabischen Republik wiederherzustellen. Diesem Ziel ordnete die Regierung in den vergangenen Jahren alle anderen Sekundärziele unter (vgl. Gerlach, „Was in Syrien geschieht – Essay“ vom 19.2.2016). Sie geht in ihrem Einflussgebiet ohne Achtung der Menschenrechte gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner (Oppositionelle) mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vor. Dabei sind die Kriterien dafür, was als politische Opposition betrachtet wird, sehr weit: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form sollen Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen geführt haben (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. Fassung – im Folgenden UNHCR-Erwägungen 2017 – unter Verweis auf: United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2015, 13.4.2016; Amnesty International, Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria, 7.2.2017; UN Human Rights Council, Out of Sight, out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic, 3.2.2016). Seit dem Ausbruch des Krieges im März 2011 sind zahlreiche Fälle von willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, „Verschwindenlassen“, tätlichen Angriffen, Tötung in Gewahrsam der Sicherheitskräfte und Mordanschlägen belegt. Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung ist in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben, als besonders hoch einzustufen. Personen, die unter dem Verdacht oppositioneller Umtriebe stehen, unterliegen ebenfalls einem hohen Folterrisiko (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 13.11.2018). Menschenrechtsgruppen zufolge hat das Regime seit März 2011 zwischen 17.500 und 60.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gefoltert oder exekutiert; das syrische Regime stellt falsche Totenscheine offenbar mit dem Ziel aus, die wahre Ursache und den Ort des Todes der Gefangenen zu verschleiern (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf US Department of State, 2016 Country Reports on Human Rights Practices – Syria, 3.3.2017). Das Schicksal und der Aufenthaltsort zehntausender Menschen, die seit Ausbruch des Krieges von Regierungskräften inhaftiert worden waren und seitdem „verschwunden“ sind, sind nach wie vor unbekannt. Während der Haft werden Folter und andere Misshandlungen systematisch angewendet (Amnesty International, Report Syrien 2018, 22.2.2018; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 34 unter Verweis auf Human Rights Watch, World Report 2017 – Syria; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR105361.E, 19.1.2016) (vgl. BayVGH, U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – BeckRS 2019, 12018 Rn. 26; U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 21, unter Fortführung seiner Rechtsprechung aus der Entscheidung vom 20. Juni 2018 – 21 B 17.31605 – juris). Im Laufe der Jahre 2017 und 2018 hat das syrische Regime große bisher von oppositionellen Kräften gehaltene Gebiete zurückerobert. Als letztes größeres Gebiet, das von der Opposition kontrolliert wird, ist (abgesehen von den von kurdisch dominierten Milizen gehaltenen Gebieten im Nordosten Syriens) die Provinz Idlib verblieben. Innerhalb dieses Gebiets kämpfen jedoch unterschiedliche Gruppierungen auch untereinander um die Vorherrschaft (EASO, COI Meeting Report – SYRIA: COI Meeting 30. November – 1. December 2017, S 21 ff).
a. Die Kläger können sich zur Begründung der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht auf die (illegale) Ausreise und/oder den Aufenthalt im westlichen Ausland und eine dort erfolgte Asylantragstellung berufen.
Es entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Deutschland, dass die illegale Ausreise und die Stellung eines Asylantrags sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte führen (vgl. hierzu auch VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335/19 – juris Rn. 45; VGH BW, U.v. 23.10.2018 – A 3 S 791/18 – juris Rn. 24; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 34 unter Verweis auf U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 36-75; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 – 14 A 837/18.A – juris Rn. 44 ff. mit einer Übersicht über die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung Rn. 45-48; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 – 2 LB 186/17 – Rn. 55 ff.; BayVGH, U.v. 12. April 2019 – 21 B 18.32459 – a.a.O. Rn. 27-41).
Der Senat schließt sich dieser Auffassung der deutschen Oberverwaltungsgerichte an (vgl. auch U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534, 20 B 19.30643 und 20 B 19.30793 – alle juris). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
b. Die vom Verwaltungsgericht angenommene Gefahr einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gefahr für die Kläger aufgrund der Wehrdienstentziehung ihrer Söhne besteht nicht.
Es besteht Einigkeit in der Rechtsprechung der deutschen Oberverwaltungsgerichte, dass Angehörige von Wehrdienstpflichtigen wegen deren Entziehung vom Wehrdienst allein nicht mit flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen seitens der syrischen Sicherheitskräfte rechnen müssen. Daran wird festgehalten. Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des 21. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris Rn. 52 ff; U.v. 22.6.2018 – 21 B 18.30852 – juris Rn. 39), des erkennenden Senats (U.v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534 – juris Rn. 63-81), des VGH Baden-Württemberg (U.v. 9.8.2017 – A 11 S 710.17 – juris Rn. 50), des Sächsischen OVG (U.v. 7.2.2018 – 5 A 1246/17.A – juris Rn. 49-50) und des Nordrhein-Westfälischen OVG (U.v. 12.12.2018 – 14 A 847/18.A – juris Rn. 37) Bezug genommen.
Überdies hält die neuere Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, auch eine beachtliche Gefahr politischer Verfolgung für Wehrdienstpflichtige, die sich ihrer Wehrpflicht durch Ausreise entzogen haben, nicht für gegeben (BayVGH, U.v. 9.9.2019 – 20 B 19.32017 – juris; BayVGH, U.v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459 – juris Rn. 42; U.v. 11.7.2019 – 21 B 19.30207 – juris Rn. 38), so dass auch für ihre Familienangehörigen aufgrund der Entziehung vom Wehrdienst im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keine flüchtlingsrelevante Gefahr mehr bestehen kann.
Dem Antrag der Kläger, das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Verfahren C-238/19 hinsichtlich des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichts Hannover vom 7. März 2019 (4 A 3526/17 – juris) auszusetzen, musste nicht entsprochen werden. Denn es kommt auf die vom VG Hannover in seinem Vorlagebeschluss gestellten Fragen im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich an. Die Kläger machen gerade nicht eine ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien drohende flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aufgrund einer Wehrdienstentziehung, wie sie Gegenstand des Verfahrens des VG Hannover ist, sondern allein die aus der Wehrdienstentziehung ihrer Söhne für sie folgende Gefahr einer Reflexverfolgung geltend. Diese Problematik betreffen die vom VG Hannover gestellten Fragen aber gar nicht. Es ist für den Senat daher nicht ersichtlich, warum dieses Vorlageverfahren an der dargestellten Beurteilung der Gefahr einer Sippenhaft etwas ändern sollte. Daran ändert auch die in diesem Verfahren erfolgte Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 9. Juli 2019 nichts.
Ebenso wenig ist hier eine Vorlage an den EuGH angezeigt. Klägerseits wird insoweit zwar eine nach ihrer Auffassung vorzulegende Frage formuliert, deren europarechtliche Klärungsbedürftigkeit wird aber weder dargelegt noch erschließt sie sich dem Senat von sich aus.
Da der Vortrag der Kläger im Rahmen ihrer Anhörung nach § 130a VwGO als unerhebliche Ergänzung beurteilt werden muss, war eine erneute Anhörung oder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich (BVerwG, B.v. 28.3.2019 – 1 B 7.19 – juris). Der Senat musste seine Entscheidung in der Sache nicht zurückstellen, um sich mit den rechtlich nicht entscheidungserheblichen Erwägungen der Kläger, die eine Aussetzung des Verfahrens bzw. eine Vorlage an den EuGH begründen sollten, im Rahmen einer erneuten Anhörung auseinanderzusetzen (BVerwG, B.v. 15.5.2008 – 2 B 77/07 – NVwZ 2008, 1025; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 130a, Rn. 10a).
c. Die Kläger müssen eine Verfolgung durch syrische Sicherheitskräfte auch nicht deshalb befürchten, weil sie vor ihrer Ausreise in der (früher) zu weiten Teilen von der Opposition kontrollierten Provinz Aleppo gelebt haben.
Die Frage, ob allein die Herkunft aus einem Gebiet der Opposition („Rebellenhochburg“) zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führt, ist mittlerweile in der obergerichtlichen Rechtsprechung in Deutschland einheitlich negativ entschieden (BayVGH, U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 40 – 43; U.v. 20.6.2018 – 21 B 17.31605 – juris Rn. 44 ff.; OVG NRW, U.v. 3.9.2018 – 14 A 837/18.A – juris Rn. 34 – 43; OVG Bremen, U.v. 20.2.2019 – 2 LB 122/18 – juris Rn. 57; OVG Nds., U.v. 5.9.2017 – 2 LB 186/17 – juris Rn. 55; OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 83 ff.; U.v. 13.9.2018 – 2 LB 38/18 – juris Rn. 43; VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335/19 – juris Rn. 42).
Von dieser einheitlichen Position weicht der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Juni 2017 (3 A 3040/16.A – juris Rn. 51) und 26. Juli 2018 (3 A 403/18.A – juris Rn. 14), in denen jeweils einem Wehrdienstentzieher aus einem (vermeintlich) regierungsfeindlichen Gebiet, Flüchtlingsschutz gewährt wurde, nur auf den ersten Blick ab: Denn den Entscheidungen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob nach der Bewertung des Senats dem syrischen Staat allein die Herkunft eines Rückkehrers aus einer (vermeintlich) regierungsfeindlichen Zone ausreicht, um ihm eine oppositionelle Gesinnung zu unterstellen, an die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen anknüpfen (BayVGH, U.v. 9.4.2019 – 21 B 18.33075 – juris Rn. 43). Vielmehr deutet die zuletzt genannte Entscheidung ebenso wie das später ergangene Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Dezember 2018 (3 A 2267/18.A – juris Rn. 22) in die andere Richtung. Es wird hier somit keine explizit entgegenstehende Position zu dieser Frage vertreten.
Der Senat schließt sich der von der obergerichtlichen Rechtsprechung einheitlich vertretenen Auffassung an (vgl. auch die Urteile v. 9.5.2019 – 20 B 19.30534, 20 B 19.30643 – juris). Mangels eines expliziten diesbezüglichen klägerseitigen Vortrags wird von weiteren Ausführungen abgesehen.
d. Auch wenn man in die zu treffende Prognoseentscheidung alle vorgenannten Umstände einbezieht, ergibt sich daraus keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante (politische) Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG. Bei den Klägern liegen keine besonderen individuellen Umstände vor, weshalb ihnen vom syrischen Staat eine oppositionelle Haltung unterstellt werden könnte und ihnen deshalb Verfolgungsmaßnahmen drohten (so auch OVG Schleswig-Holstein, U.v. 4.5.2018 – 2 LB 17/18 – juris Rn. 151).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben