Verwaltungsrecht

Keine Mehrarbeitsvergütung bei längerfristiger, zur Versetzung in den Ruhestand führender Dienstunfähigkeit

Aktenzeichen  M 5 K 19.3031

Datum:
14.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46065
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 2
BayBesG Art. 61, Art. 87

 

Leitsatz

1. Schriftlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeitsstunden sind vorrangig durch Dienstbefreiung innerhalb eines Jahres auszugleichen; ist dies aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, kann anstelle der Dienstbefreiung eine Vergütung gewährt werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwingende dienstliche Gründen in diesem Sinn sind dann gegeben, wenn die an sich gebotene Freistellung des Beamten zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung oder Gefährdung des Dienstbetriebs führen würde;  Urlaub, Erkrankung, Eintritt in den Ruhestand oder Versetzung in den Ruhestand aufgrund einer längerfristigen zur Dienstunfähigkeit und nachfolgender Ruhestandsversetzung des Beamten führenden Erkrankung stellen keinen solchen zwingenden dienstlichen Grund dar. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Mehrarbeitsvergütung handelt sich nicht um eine Vergütung von Überstunden, denn Besoldung und Dienstleistung stehen im Beamtenverhältnis nicht in einem unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis, da der Beamte prinzipiell verpflichtet ist, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unentgeltlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu erbringen und diese Mehrleistung grundsätzlich mit den Dienstbezügen abgegolten ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Mehrarbeitsvergütung handelt es sich um einen Ausgleich für die aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht erteilbare, grundsätzlich jedoch vorgesehene Dienstbefreiung; leistet der Beamte keinen Dienst (wie zB bei Krankheit, Versetzung in den Ruhestand), kann er  naturgemäß keine Dienstbefreiung beanspruchen, so dass der Anspruch auf das Surrogat in Form von Mehrarbeitsvergütung nicht besteht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten übereinstimmend auf deren Durchführung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die beantragte Vergütung von 54 Mehrarbeitsstunden. Der Ablehnungsbescheid der Justizvollzugsanstalt vom … April 2018 sowie deren Widerspruchsbescheid vom … Mai 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Der Kläger kann keinen Anspruch auf Bewilligung der beantragten Mehrarbeitsvergütung aus Art. 87 Abs. 2 Satz 3 des Bayerisches Beamtengesetzes (BayBG) i.V.m. Art. 61 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Besoldungsgesetzes (BayBesG) geltend machen.
Nach Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG ist innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren, wenn Beamte durch dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, so können Beamte nach Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG an ihrer Stelle eine Vergütung erhalten. Gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 BayBesG setzt eine Vergütung nach Art. 87 Abs. 2 Satz 3 BayBG voraus, dass sich die angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit auf konkrete, zeitlich abgrenzbare und messbare Dienste bezieht. Darüber hinaus kann die Mehrarbeitsvergütung gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 2 BayBesG nur dann geleistet werden, wenn im Einzelnen nachgewiesen ist, dass eine Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht innerhalb eines Jahres möglich war.
2. Die Voraussetzungen der genannten Vorschriften liegen im Fall des Klägers nicht vor, da eine Dienstbefreiung vorliegend nicht aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich gewesen ist. Denn zwingende dienstliche Gründe sind solche, die in der Sphäre des Dienstherrn liegen und nicht der Sphäre des Beamten zuzurechnen sind. Demzufolge ist von zwingenden dienstlichen Gründen nur dann auszugehen, wenn die an sich gebotene Freistellung des Beamten zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung oder Gefährdung des Dienstbetriebs führen würde. Nicht unerheblich beeinträchtigt würde der Dienstbetrieb vor allem dann, wenn und soweit er durch die Dienstbefreiung in einer (wichtige) Belange der Allgemeinheit gefährdenden oder gar schädigenden Weise gestört würde (BayVGH, U.v. 14.3.1990 – 3 B 89.02675 – juris). Der Gesetzgeber will nämlich sicherstellen, dass die Erfüllung aktuell anstehender, unaufschiebbarer dienstlicher Aufgaben nicht unter der nach der Grundentscheidung des Art. 87 Abs. 2 Satz 2 BayBG an sich gebotenen Gewährung von Dienstbefreiung leidet (OVG NRW, B.v. 22.4.2010 – 1 A 2265/08 – juris; VG Aachen, U.v. 23.8.2012 – 1 K 773/11 – juris).
Demgegenüber erfüllen in der Person des Beamten liegende Gründe, die die fristgerechte Dienstbefreiung hindern, die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.1985 – 2 B 45/85 – juris; NdsOVG, B.v. 29.4.2013 – 5 LA 186/12 – juris; BayVGH, B.v. 6.11.2006 – 3 ZB 03.1390 – juris; VG München, U.v. 25.3.2014 – M 5 K 12.1710 – juris, Rn. 47; VG Düsseldorf, U.v. 6.3.2012 – 26 K 2249/11 – juris). In Ziffer 61.1.1 Satz 4 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Besoldungsrecht und Nebengebieten (BayVwVBes) wird dies dahingehend konkretisiert, dass eine Mehrarbeitsvergütung nicht geleistet werden kann, wenn ein geplanter Freizeitausgleich aufgrund persönlicher Gründe nicht möglich war. Zu den persönlichen Gründen zählen etwa Urlaub, Erkrankung, Eintritt in den Ruhestand oder Versetzung in den Ruhestand aufgrund von Dienstunfähigkeit. In einem solchen Fall fehlt es an dem erforderlichen dienstlichen Bezug (OVG Münster, U. v. 27.4.2017 – 1 A 2064/14 – IÖD 2017, 146, juris Rn. 38 ff.; BayVGH München B. v. 6.11.2017 – 3 ZB 14.1433 – juris Rn. 4 ff.; B. v. 6.11.2017 – 3 B 16.1866 – juris Rn. 18).
3. Die vereinzelt gebliebene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (U.v. 5.3.2013 – W 1 K 12.455 – juris), wonach die Versetzung in den Ruhestand als zwingender dienstlicher Grund angesehen werden kann, ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht München der Ansicht, dass auch eine Versetzung in den Ruhestand nach einer Erkrankung der persönlichen Sphäre des Beamten zuzuordnen ist, da ansonsten das Verhältnis von Ursache und Wirkung verkehrt und das der Risikosphäre des Beamten zuzuordnende allgemeine Lebensrisiko des Beamten, zu erkranken und dadurch dienstunfähig zu werden, auf den Dienstherrn verlagert würde (vgl. BayVGH, B.v. 10.5.2019 – 3 ZB 17.275 – juris Rn.7 f.; B.v. 06.11.2017 – 3 B 16.1866 – juris; BayVGH, B.v. 17.9.2014 – 3 ZB 13.1516 – juris; NdsOVG, B.v. 29.4.2013 – 5 LA 186/12 – ZBR 2013, ZBR 2013 S. 265; OVG NRW, B.v. 27.8.2015 – 6 A 712/14 – juris; VG Bayreuth, U.v. 25.10.2016 – B 5 K 25.570 – juris Rn. 27; VG München, U.v. 3.2.2016 – M 5 K 15.5; U.v. 22.5.2014 – M 5 K 12.4298; U.v. 25.03.2014 – M 5 K 12.1710 – alle juris).
4. Der Kläger ist mit einem Stand von 54 Überstunden seit dem … Oktober 2016 dienstunfähig erkrankt und wurde ohne weiter Dienst zu verrichten aufgrund Dienstunfähigkeit mit Ablauf des Monats November 2018 in den Ruhestand versetzt. Das stellt keinen zwingenden dienstlichen Grund dar, der der Abgeltung der Mehrarbeit entgegenstand. Vielmehr ist das der Risikosphäre des Beamten zuzuordnen.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Standpunkt der Klagepartei, dass der Kläger erhebliche Zeit vor seiner längeren Erkrankung regelmäßig einen Freizeitausgleich der Mehrarbeitsstunden beantragt habe, was aber mit Hinweis auf die Personalknappheit abgelehnt worden sei. Abgesehen davon, dass der Vortrag nicht substantiier erfolgt ist, fehlen Nachweise, dass der Kläger bestehende Ansprüche auf Ausgleich der geleisteten Mehrarbeitsstunden formal geltend gemacht hat (vgl. hierzu ausdrücklich BayVGH, B.v. 10.5.2019 – 3 ZB 17.725 – juris Rn. 7). Es ist Sache des Beamten, den primär vom Gesetz vorgesehenen Anspruch auf Dienstbefreiung geltend zu machen und Sache des Dienstherrn, darüber zu befinden, ob Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich ist. Das Erfordernis eines entsprechenden ausdrücklichen und nachgewiesenen Antrags auf Dienstbefreiung zur Abgeltung von angeordneter Mehrarbeit als gesetzlich vorgesehener Primäranspruch folgt auch aus dem wechselseitigen System aufeinander bezogener Rechte und Pflichten im Beamtenverhältnis (vgl. hierzu BVerfG, U.v. 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12, 2 BvR 1395/13, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 646/15 – BVerfGE 148, 296, juris Rn. 158). Diesen Weg hat der Kläger nicht beschritten (VG München, U.v. 20.12.2016 – M 5 K 14.1609 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.12.2013 – 3 ZB 09.531 – juris Rn.19).
Art. 61 Abs. 1 Satz 2 BayBesG verlangt den Nachweis im Einzelnen, dass eine Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen innerhalb der Ausgleichsfrist nicht möglich war. Auch wenn die Anforderungen an den Nachweis nicht zu überspannen sind, ist hinsichtlich jedes einzelnen auszuzahlenden Monats zu belegen, dass dem Beamten kein Freizeitausgleich gewährt werden konnte (Kathke in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länger, Stand: Juni 2019, At. 61 BayBesG Rn. 21). Im vorliegenden Fall fehlt es schon am Nachweis, dass der Kläger einen entsprechenden Antrag ausdrücklich gestellt und den ihm primär zustehenden Anspruch auf Dienstbefreiung eingefordert hat.
5. In der Ablehnung einer Mehrarbeitsvergütung liegt weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Sachliche Gründe rechtfertigen es, die Zahlung von Mehrarbeitsvergütung auf diejenigen Beamten zu beschränken, die sich tatsächlich im Dienst befinden. Bei der Mehrarbeitsvergütung handelt es sich nicht um eine Vergütung von Überstunden. Eine Abrechnung nach Arbeitsstunden, auch wenn sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus anfallen, wird nicht von der Leitvorstellung umfasst, wonach die Besoldung die vom Staat festgesetzte Gegenleistung dafür ist, dass sich ihm der Beamte mit seiner ganzen Persönlichkeit zur Verfügung stellt und gemäß den jeweiligen Anforderungen seine Dienstpflichten nach Kräften erfüllt. Danach stehen Besoldung und Dienstleistung nicht in einem unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis. Vielmehr ist der Beamte prinzipiell verpflichtet, im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen unentgeltlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu erbringen. Auch diese „Mehrleistung“ ist grundsätzlich mit den Dienstbezügen abgegolten. Vor diesem Hintergrund dient die Mehrarbeitsvergütung dazu, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass aus zwingenden dienstlichen Gründen – und nur aus diesen – die grundsätzlich vorgesehene Dienstbefreiung nicht erteilt werden kann. Die Mehrarbeitsvergütung tritt mit anderen Worten an die Stelle der primär geschuldeten Dienstbefreiung und nicht an die Stelle der geleisteten Mehrarbeit als solcher. Es besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Möglichkeit, vom Dienst befreit zu werden, und dem Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung. Der vorgenannte Zusammenhang ist unterbrochen, wenn der Beamte ohnehin keinen Dienst leistet. Da er naturgemäß keine Dienstbefreiung beanspruchen kann, besteht zugleich kein Anspruch auf das Surrogat in Form von Mehrarbeitsvergütung. Der Beamte befindet sich insofern in keiner anderen Lage als ein Beamter, der während seiner dienstfreien Tage oder aber während einer gewährten Dienstbefreiung erkrankt. Auch in diesen Fällen wird kein weiterer Freizeitausgleich gewährt. Denn der Dienstherr, der den Beamten auch bei Dienstunfähigkeit fortwährend alimentiert und bereits damit besondere Rücksicht nimmt, ist nicht verpflichtet, jeden weiteren mit der Dienstunfähigkeit verbundenen, in der Sphäre des Beamten wurzelnden Nachteil auszugleichen (VG Bayreuth, U.v. 25.10.2016 – B 5 K 25.570 – juris Rn. 26; VG München, U.v. 25.6.2013 – M 5 K 11.4573 – juris Rn. 21 ff.).
Es ist daher für die Entscheidung unerheblich, ob es sich bei dem geltend gemachten Ausgleich um einen solchen für zuvor angeordnete bzw. genehmigte Mehrstunden oder um Überstunden ohne ausdrückliche Anordnung bzw. Genehmigung handelt, für die ein finanzieller Ausgleich aufgrund einer fehlenden gesetzlichen Grundlage von vornherein ausscheidet.
6. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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