Verwaltungsrecht

keine rückwirkende Erhebung von Straßenausbaubeiträgen

Aktenzeichen  6 ZB 20.464

Datum:
22.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14702
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 1 S. 3, Art. 19 Abs. 7, Abs. 8
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Die Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG ermächtigen die Gemeinden nicht, nach dem Stichtag 1. Januar 2018 ihr bis zum 31. Dezember 2017 geltendes Satzungsrecht nachträglich zu ändern; dies schließt auch die rückwirkende Behebung von formellen und materiellen Fehlern aus.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 19.1665 2020-01-23 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Januar 2020 – Au 2 K 19.1665 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.485,68 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Klägerin hat sich erstinstanzlich ohne Erfolg gegen den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Neu-Ulm vom 13. September 2019 gewendet, mit dem die von ihr den Beigeladenen gegenüber erlassenen Bescheide vom 23. Oktober 2017 über die Erhebung von Vorauszahlungen auf den Straßenausbaubeitrag für die Erneuerung und Verbesserung der G. straße aufgehoben worden waren. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils ausgeführt, die Widerspruchsbehörde sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Vorauszahlungsbescheide mangels wirksamer Satzungsgrundlage rechtswidrig gewesen seien. Insbesondere sei die Ausbaubeitragssatzung der Klägerin vom 30. Januar 2019, die rückwirkend zum 22. Oktober 2009 in Kraft gesetzt worden sei, unwirksam. Denn seit der Abschaffung des Straßenausbaubeitragsrechts durch den Gesetzgeber rückwirkend zum 1. Januar 2018 gebe es keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Beitragssatzung mehr. Das schließe auch den Erlass von Satzungen aus, die nur rückwirkend für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2017 Geltung beanspruchten.
2. Die von der Klägerin gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil vorgebrachten Berufungszulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greifen nicht durch.
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N). Das ist nicht der Fall.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe bei Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zum 1. Januar 2018 nur den Erlass von Satzungsrecht für die Zukunft ausschließen wollen, nicht aber für die Vergangenheit. Deshalb sei ihre Satzung vom 30. Januar 2019 entgegen der Ansicht der Widerspruchsbehörde und des Verwaltungsgerichts wirksam, weil sie ausdrücklich nur für die Zeit vor dem 1. Januar 2018 Geltung beanspruche und im Übrigen gegenüber der früheren – nicht wirksam bekannt gegebenen – Ausbaubeitragssatzung vom 13. Oktober 2009 inhaltlich nicht verändert worden sei. Dieser Einwand kann nicht überzeugen und rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.
Durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) wurde rückwirkend zum 1. Januar 2018 die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verboten (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG n.F.). Das schließt den Erlass von entsprechenden Beitragssatzungen aus; entgegenstehendes Satzungsrecht wird unwirksam (vgl. LT-Drs. 17/21586 S. 7). Zwar verbleibt es für Beiträge und für Vorauszahlungen, die bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage, die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt. Die Übergangsvorschriften ermächtigen die Gemeinden jedoch nicht, wie der Senat wiederholt mit Blick auf den Gesetzeswortlaut und die Entstehungsgeschichte entschieden hat (BayVGH, B.v. 1.10.2018 – 6 ZB 18.1466 – juris Rn. 15; B.v. 7.4.2020 – 6 ZB 19.1904 – juris Rn. 6), nach dem Stichtag 1. Januar 2018 ihr bis zum 31. Dezember 2017 geltendes Satzungsrecht nachträglich zu ändern. Das schließt auch die rückwirkende Behebung von formellen oder materiellen Fehlern aus. War eine Ausbaubeitragssatzung, wie hier, bis zum 31. Dezember 2017 nicht wirksam bekannt gemacht, kann dieser Mangel nachträglich nicht mehr behoben werden, um rechtzeitig erlassene, aber mangels wirksamer satzungsrechtlicher Grundlage rechtswidrige Bescheide zu heilen. Das Satzungsrecht ist mit anderen Worten auf den Stichtag 31. Dezember 2017 mitsamt etwaigen Mängeln „eingefroren“ und in dieser nicht mehr veränderbaren Gestalt Maßstab für die gerichtliche Prüfung noch nicht bestandskräftiger Beitrags- oder Vorauszahlungsbescheide. Die von der Klägerin entgegengehaltene – mehrdeutige – Formulierung „für die Zukunft“ in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/211586 S. 7) führt zu keiner anderen Beurteilung.
Beitragsausfälle, die den Gemeinden durch den Wegfall der nach früherer Gesetzeslage zugelassenen Heilungsmöglichkeiten entstehen, sind den Gemeinden unter den Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 9 KAG vom Freistaat Bayern zu erstatten.
b) Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die von der Klägerin aufgeworfene (landesrechtliche) Frage, ob eine Gemeinde nach dem 1. Januar 2018 noch eine Straßenausbaubeitragssatzung mit Rückwirkungsanordnung für die Zeit vor dem 1. Januar 2018 erlassen kann, ist in der Rechtsprechung des Senats in dem oben dargelegten Sinn geklärt und nicht erneut klärungsbedürftig.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin als unterliegendem Teil auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Zwar ist es im Zulassungsverfahren in der Regel auch dann nicht gerechtfertigt, die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, wenn dieser erfolgreich die Ablehnung des Zulassungsantrags beantragt hat; denn der Beigeladene setzt sich im Zulassungsverfahren unabhängig von einer Antragstellung keinem eigenen Kostenrisiko aus. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO ist aber zu berücksichtigen, dass die Antragsbegründung der Klägerin mit gerichtlichem Schreiben den Beigeladenen als Adressaten der in Streit stehenden Vorauszahlungsbescheide zur Kenntnis und etwaigen Äußerung übersandt worden ist. Diese hatten mithin Anlass, sich zum Berufungszulassungsantrag zu äußern. Da sie vor diesem Hintergrund eingehend zur Sache vorgetragen und die Ablehnung des Berufungszulassungsantrags beantragt haben, entspricht es der Billigkeit, die ihnen entstandenen außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären (vgl. HessVGH, B.v. 23.1.2018 – 4 A 2903/15.Z – juris Rn. 18 f.).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47‚ § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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