Verwaltungsrecht

Keine Übertragbarkeit der Grundsätze der Bewertung bei berufsqualifizierenden Prüfungen auf die Bewertung von Schülerleistungen

Aktenzeichen  7 CE 16.2080

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 202
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 12 Abs. 1
RSO § 51 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Grundsätze der Bewertung bei berufsqualifizierenden Prüfungen sind auf die Bewertung von Schülerleistungen nicht übertragbar.

Verfahrensgang

RO 3 E 16.1328 2016-10-05 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller will im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig in die achte Jahrgangsstufe der Realschule vorrücken. Die Erlaubnis zum Vorrücken hat er im Jahreszeugnis vom 29. Juli 2016 nicht erhalten, weil in den Fächern Deutsch und Physik seine Leistungen mit mangelhaft bewertet wurden.
Beim Antragsteller wurde eine Lese- und Rechtschreibschwäche festgestellt. Außerdem wurden ihm eine expressive Sprachentwicklungsstörung sowie eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung attestiert. Sein Widerspruch gegen das Jahreszeugnis blieb ohne Erfolg. Über die dagegen erhobene Klage wurde noch nicht entschieden.
Den Antrag, den Antragsgegner im Weg einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig am Unterricht der achten Jahrgangsstufe teilnehmen zu lassen und sonst in jeder Hinsicht vorläufig wie einen Schüler der achten Klasse zu stellen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsan 1 spruch glaubhaft gemacht. Die Festsetzung der Jahresnote in Physik sei nicht rechtsfehlerhaft.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzziel weiter. Im Fach Physik seien Einzelnoten rechtsfehlerhaft zustande gekommen. Eine Korrektur der beanstandeten Noten würde bei einer Neuberechnung zur Zeugnisendnote „Ausreichend“ führen.
Im Einzelnen sei hinsichtlich der Schulaufgabe am 14. Dezember 2015 bei der Bewertung der Leistungen hinsichtlich der Aufgabenstellung zur Lichtstreuung und zur Frage, ob der Regenbogen alle Farben des Lichts zeige, gegen den Grundsatz verstoßen worden, dass Richtiges nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Bei Aufgabe 8 dieser Schulaufgabe und ebenso bei der Stegreifaufgabe am 14. Oktober 2015 sei ein im Antwort-Wahl-Verfahren unzulässiges Bewertungsschema angewendet worden. Die doppelte Sanktionierung unrichtiger Antworten, wonach für falsche Antworten nicht nur kein Punkt angerechnet, sondern zusätzlich noch ein Punktabzug vorgenommen worden sei, habe keine Rechtsgrundlage. Hinsichtlich der geforderten Berechnungen zum Thema Lichtgeschwindigkeit sei nicht lehrplankonformes Wissen abgefragt worden. Berechnungen in diesem Bereich seien erst Gegenstand des Lehrplans der achten Jahrgangsstufe. Hinsichtlich der mündlichen Note und insbesondere bei der schriftlichen Abfrage am 30. Juni 2016 sei der erforderliche Nachteilsausgleich nicht gewährt worden. Letztgenannte Abfrage habe in einer Vertretungsstunde stattgefunden, die nicht – jedenfalls nicht ordnungsgemäß – angekündigt gewesen sei. Ferner habe sie sich hinsichtlich der Fragen zum Teilchenmodell nicht auf den Stoff der letzten Stunde und Grundkenntnisse beschränkt. Schließlich hätten bei der Stegreifaufgabe am 13. Juni 2016 die sog. Platzhalter in der Aufgabenstellung nicht denen des korrespondierenden Hefteintrags entsprochen. Ferner wird gerügt, dass ein Vorrücken auf Probe nicht in Betracht gezogen und dem am Nachprüfungstermin erkrankten Antragsteller kein Ersatztermin angeboten worden sei.
Der Antragsgegner tritt dem mit eingehenden Stellungnahmen entgegen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die Schülerakte der Schule Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, bei der nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die dargelegten Gründe geprüft werden, hat keinen Erfolg. Die Klage des Antragstellers wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen:
Der Grundsatz, wonach bei Prüfungen, die für die Berufswahl entscheidend sind, aus dem Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG, der Freiheit der Berufswahl, folgt, dass eine richtige oder mit guten Gründen vertretene Lösung in einer umstrittenen Fachfrage nicht zu Nachteilen führen darf, nur weil ein Prüfungsgremium anderer Ansicht ist als der Prüfling (BVerfG, B.v. 16.10.1991 – 1 BvR 1486/90 – NVwZ 1992, 55), ist auf die Bewertung von Schülerleistungen nicht übertragbar. Eine mit guten Gründen vertretbare abweichende Lösung setzt voraus, dass der Prüfling die fachwissenschaftlichen Zusammenhänge kennt, was bei einem Schüler in der siebten Jahrgangsstufe der Realschule nicht erwartet werden kann. In die Bewertung von Leistungen von Schülern können – anders als bei der Ermittlung der Prüfungsschlussnote und der Abschlussnote bei berufsqualifizierenden Prüfungen – pädagogische Wertungen mit einfließen. Der Unterschied zwischen der Benotung schulischer Leistungen und der Bewertung berufsqualifizierender Abschlussprüfungen besteht darin, dass erstere nicht darauf abzielen, die spezielle berufliche Befähigung von Prüfungskandidaten festzustellen (NdsOVG, B.v. 20.3.2008 – 2 ME 83/08 – NVwZ-RR 2008, 785). Die Bewertung der Leistungen von Schülern dient vielmehr der Kontrolle des Lernerfolgs und ggf. der Behebung von Defiziten. Die Anerkennung eher zufälliger Treffer dient diesem Zweck nicht. Abgesehen davon bedürfen richtige Antworten auch in berufsqualifizierenden Prüfungen in aller Regel einer wissenschaftlichen Anforderungen genügenden Begründung (BayVGH, B.v. 17.11.2016 – 7 ZB 16.550 – Rn. 3). Zweck der Aufgabenstellung zum Thema der Lichtstreuung war, zu erkennen, ob der Schüler die Lichtstreuung von Körpern mit nicht reflektierenden Oberflächen verstanden hat (s. Stellungnahme des Fachlehrers vom 22.9.2016, Bl. 223 der Akten des Verwaltungsgerichts). Die Fragestellung hierzu wie auch die Würdigung der Antwort unterfällt dem pädagogischen und dem prüfungsspezifischen Spielraum des Fachlehrers. Gleiches gilt für die Frage nach den Farben, die der Regenbogen zeigt, wobei es offenkundig darauf ankommt, ob dem Schüler klar geworden ist, dass das
Licht auch Anteile enthält, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Auf den Inhalt des vorgelegten Gutachtens kommt es indes nicht an.
Dass die für berufliche Zugangsprüfungen entwickelten Grundsätze nicht auf die Bewertung von Schülerleistungen und die Kontrolle des Lernerfolgs übertragbar sind, gilt auch hinsichtlich der Prüfungsmethode, hier der Anwendung des Antwort-WahlVerfahrens (multiple choice). Mit seiner Rüge, bei Anwendung des Antwort-WahlVerfahrens in Aufgabe 8 der Schulaufgabe am 14. Dezember 2015 und in der Stegreifaufgabe am 14. Oktober 2015, würden Fehler unzulässigerweise doppelt sanktioniert, indem bei fehlender oder fehlerhafter Antwort zunächst kein Punkt vergeben werde und es darüber hinaus zusätzlich zu einem Punktabzug komme, kann der Antragsteller nicht durchdringen. Die Anforderungen der Rechtsprechung an Prüfungen im Hochschulbereich rechtfertigen sich im Hinblick auf die Grundrechtsgebundenheit dieser Prüfungen, die subjektive Berufszugangsschranken darstellen. Sie sind auf unmittelbar berufsbezogene Prüfungen beschränkt und bei der Bewertung schulischer Leistungen nicht anwendbar. Bei solchen spielt vielmehr immer auch ein pädagogisches Element eine Rolle (NdsOVG, B.v. 20.3.2008 – 2 ME 83/08 – NVwZ-RR 2008, 785). Zugunsten einer zutreffenden Kontrolle des Lernerfolgs und ggf. der Beseitigung von Defiziten im Interesse des Schülers ist es sinnfällig, durch die gewählte Art der Bewertung statistische Effekte auszuschließen.
Der Antragsteller dringt ferner nicht damit durch, dass in der Schulaufgabe vom 14. Dezember 2015 nicht lehrplankonformes Wissen abgefragt worden sei. Er konnte nicht glaubhaft machen, dass mit der Aufgabenstellung um das Thema Lichtgeschwindigkeit Wissen abgefragt worden sei, das nicht Gegenstand des Lehrplans der siebten Jahrgangsstufe ist. In der Stellungnahme vom 30. September 2016 (Bl. 292 der Akten des Verwaltungsgerichts) ebenso wie in der des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 5. Oktober 2016 (Bl. 23 ff. der Akten des Verwaltungsgerichts) wird nachvollziehbar dargelegt, dass Rechenbeispiele hinsichtlich der Lichtgeschwindigkeit in unterschiedlichen Jahrgangsstufen, ab der 5. Klasse, nach dem Lehrplan behandelt werden können und dass – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat – die Aufgabe auch unter der Verwendung des Dreisatzes, den die Schüler in der siebten Jahrgangsstufe beherrschen sollten, lösbar war.
Weiter konnte der Antragsteller nicht glaubhaft machen, dass die Vertretungsstunde am 30. Juni 2016, in der er „schriftlich abgefragt“ worden war, nicht hinreichend angekündigt worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof folgt im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutz allein möglichen summarischen Prüfung insoweit der Darstellung der Schule, dass die Vertretungsstunde am 27. Juni 2016 in der Klasse durch die Lehrkraft und zusätzlich am 29. Juni 2016 durch Aushang bekannt gegeben worden ist. Anhaltspunkte, die Anlass zu Zweifeln daran geben könnten, sind nicht ersichtlich. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass Lehrkräfte und Schulleitung aufgrund Dienstpflicht zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet sind.
Ebenso wenig konnte der Antragsteller glaubhaft machen, dass ihm ein erforderlicher Nachteilsausgleich im Hinblick auf die bei ihm festgestellte Lese- und Rechtschreibschwäche wie auch die attestierte expressive Sprachentwicklungsstörung und auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung verweigert worden ist. Er hat nicht substantiiert dargelegt, wo im Einzelnen versäumt worden sein soll, Nachteilsausgleich zu gewähren. Soweit die „Abfrage“ am 30. Juni 2016 betroffen ist, wurde die Aufgabenstellung speziell auf den Antragsteller in Kenntnis sowohl der Lese- und Rechtschreibschwäche als auch der expressiven Sprachentwicklungs- und auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung wie auch der Empfehlungen der Schulpsychologin zugeschnitten (Stellungnahme der Schule vom 22.9.2016, Bl. 217 der Akten des Verwaltungsgerichts und Stellungnahme des Fachlehrers vom 22.9.2016, Bl. 230 der Akten des Verwaltungsgerichts). Auf das ausdrückliche Einverständnis des Erziehungsberechtigten mit einer solchen in der Elternsprechstunde vorgeschlagenen Verfahrensweise kommt es nicht an. Die übrigen Schüler der Klasse haben die Arbeit lediglich zu Übungszwecken geschrieben. Ihre Leistungen wurden nicht bewertet.
Der Verwaltungsgerichtshof folgt im Rahmen der im Eilrechtsschutz vorzunehmenden kursorischen Prüfung dem Vortrag der Schule, dass das Teilchenmodell, das Gegenstand der Aufgabe vom 30. Juni 2016 war, als zum Grundwissen gehörend im Unterricht behandelt worden ist. Anlass zu Zweifeln daran besteht nicht, so dass sich die Vorlage des Klassenbuchs oder anderer Nachweise erübrigt. Wie der Antragsteller selbst zitiert (Schriftsatz vom 7.11.2016, S. 4), sollen die Schüler am Ende der Jahrgangsstufe 7 über eine grundlegende Vorstellung über den Aufbau der Materie (Teilchenmodell) verfügen. Das bedeutet nicht, dass dieser Gegenstand erst am Ende des Schuljahres zum Grundwissen gehört, sondern vielmehr dass das Teilchen 9 modell als Grundwissen charakterisiert ist und deshalb ab seiner ersten Behandlung im Unterricht entsprechend dem Unterrichtsfortschritt als solches geprüft werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Anforderungen des § 51 Abs. 2 der Schulordnung für die Realschulen (Realschulordnung – RSO) vom 18. Juli 2007 (GVBl S. 458, BayRS 2234K), zuletzt geändert mit Verordnung vom 1. Juli 2016 (GVBl S. 193), an eine Stegreifaufgabe nicht erfüllt sind, wurden im Übrigen nicht dargelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt schließlich die Kritik an der Aufgabenstellung bei der Stegreifaufgabe am 13. Juni 2016 nicht, dass die sog. Platzhalter in der Aufgabenstellung denen des Hefteintrags nicht entsprechen. Ein Vergleich von der Aufgabenstellung (Bl. 22 der Akten des Verwaltungsgerichts) mit dem Hefteintrag (Bl. 238 der Akten des Verwaltungsgerichts) ergibt, dass eine Zuordnung der Begriffe zu den Stellen, an denen die jeweilige Lösung eingetragen werden sollte, ohne weiteres möglich war.
Nachdem die Rügen des Antragstellers in Bezug auf Aufgabenstellung und Bewertung der Leistungen nicht durchschlagen, kommt es auf eine hypothetische Berechnung der Schlussnote im Fach Physik nicht an.
Ein Vorrücken auf Probe war gemäß § 58 Abs. 1 RSO nicht möglich, weil der Antragsteller sowohl in Deutsch als auch einem gruppenspezifischen Wahlpflichtfach nach §§ 68 Abs. 1 Satz 1 RSO jeweils nur die Note mangelhaft erreicht hat.
Der Umstand, dass dem Antragsteller bislang kein Nachprüfungstermin angeboten worden ist, begründet den Anordnungsanspruch nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
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