Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung von Jeziden in Georgien

Aktenzeichen  AN 4 K 16.30839

Datum:
18.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 4 Abs. 1, § 34 Abs. 1, § 71 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Bedrohung durch einen Nachbarn stellt keine Verfolgungshandlung iSv § 3a AsylG dar, sondern gehört zum Bereich allgemeiner Kriminalität. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Benachteiligung von Jeziden durch die georgisch-stämmige Bevölkerungsmehrheit erreicht die für den Flüchtlingsschutz relevante Erheblichkeit nicht. Jeziden droht in Georgien kein ernsthafter Schaden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (1.), auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus im Sinne von § 4 AsylG (2.) und auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (3.) hat. Auch die in Ziffer 5) und 6) getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen rechtlichen Bedenken (4.). Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juni 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die in Ziffer 2) des angefochtenen Bescheides erfolgte Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG durch Ziffer 2 des Bescheides vom 21. Juni 2016 ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage. Denn gemäß dem in der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2017 gestellten Klageantrag ist dieser allein auf die Aufhebung der Ziffer 1) sowie der Ziffern 3) bis 6) des ablehnenden Bescheids vom 21. Juni 2016 und auf die – insoweit – positive Verbescheidung gerichtet.
Maßgeblich für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 AsylG.
1. Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG.
Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Der Kläger stützt seinen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft einerseits auf eine angeblich im Jahre 2012 stattgefundene Bedrohung durch einen Geschäftsnachbarn (1.1), andererseits auf die allgemeine Diskriminierung, welche yezidische Volkszugehörige in Georgien ausgesetzt seien (1.2).
Beide Vorbringen sind jedoch nicht geeignet, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG zu erfüllen und die Flüchtlingseigenschaft zu begründen.
Bei der Glaubhaftmachung im Asylverfahren und im anschließenden Verwaltungsgerichtsverfahren kommt dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden hinsichtlich der vor Ausreise entstandenen Fluchtgründe naturgemäß eine besondere Bedeutung zu. Hinsichtlich der objektiven Nachprüfbarkeit der im Asylverfahren gemachten Angaben dürfen daher keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VwGO i.V.m. § 25 Abs. 1 AsylG muss der Ausländer zunächst selbst die Tatsachen vorbringen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden Schadens begründen, und die insoweit erforderlichen Angaben machen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss der Asylsuchende unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, U.v. 29.11.1977 – I C 33.71 -, BVerwGE 55, 82-86).
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht über den Wahrheitsgehalt der die Tatbestandsvoraussetzungen begründenden Angaben nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
1.1 Diesen Maßstäben wird der Vortrag des Klägers, was die angebliche Bedrohung durch den Geschäftsnachbarn im Jahre 2012 angeht, bei Weitem nicht gerecht.
Da das klägerische Vorbringen im gerichtlichen Verfahren insoweit keinen über den Vortrag im Rahmen der Anhörung hinausgehenden und entscheidungserheblichen Gehalt besitzt, folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 21. Juni 2016, § 77 Abs. 2 AsylG, und führt im Hinblick auf den Verlauf und das Ergebnis der mündlichen Verhandlung nur noch ergänzend aus: Unabhängig von der Frage, ob in dem Sachvortrag, auf den der Kläger seinen Asylfolgeantrag gestützt hat, überhaupt schon ein Grund für das Wiederaufgreifen im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu sehen ist, begründet die angebliche Bedrohung durch den Geschäftsnachbarn jedenfalls keinen Fluchtgrund im Sinne von § 3 AsylG.
Denn zum einen ist der Sachvortrag unglaubhaft, zum anderen stellt dieser – seine Wahrhaftigkeit unterstellt – keinen Fluchtgrund dar.
In der Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 25. Februar 2016 hatte der Kläger noch behauptet, dass die Probleme mit dem Nachbarn erst im Jahre 2014 aufgetreten seien. Demgegenüber erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts, dass die Eröffnung des Marktstandes und die Drohungen durch den Nachbarn im Jahre 2012 stattgefunden hätten.
Weshalb die angeblichen Zusammenstöße mit dem Nachbarn im Jahre 2012 erst zur Ausreise im Jahre 2014 geführt haben, konnte der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung jedoch nicht aufklären. Unverständlich und wenig wahrscheinlich bleibt auch nach der Befragung des Klägers und seiner Angehörigen in der mündlichen Verhandlung, dass die Bedrohung sechs Monate angedauert und täglich stattgefunden, nach Ablauf der sechs Monate aber vollständig aufgehört haben soll.
Selbst wenn die Bedrohung durch den Geschäftsnachbarn tatsächlich stattgefunden haben sollte, handelte es sich dabei nicht um eine Verfolgung aufgrund eines in § 3b AsylG genannten Merkmals, sondern um eine kriminelle Handlung im Sinne einer Erpressung. Gegenüber dem Bundesamt hatte der Kläger die Drohung des Nachbarn noch in den Zusammenhang mit seiner yezidischen Volkszugehörigkeit gestellt. In der mündlichen Verhandlung wurde die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur yezidischen Gemeinschaft vielmehr als allgemeines Problem in Georgien geschildert. Dass der Geschäftsnachbar den Kläger und seinen Bruder aufgrund ihrer yezidischen Volkszugehörigkeit unter Druck gesetzt haben soll, geht aus dem Vortrag des Klägers und seiner Familie in der mündlichen Verhandlung nicht hervor. Vielmehr sei es dem Nachbarn darum gegangen, das Geschäft des Klägers zu übernehmen.
Nach alledem bleibt der Sachvortrag des Klägers auch nach dem Verlauf und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung widersprüchlich und unsubstantiiert. Zudem entspricht die geschilderte Bedrohung allgemeiner Kriminalität und stellt keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG dar.
1.2 Die angebliche allgemeine Diskriminierung jesidischer Volkszugehöriger in Georgien, welche in der mündlichen Verhandlung vom Kläger und seinen Angehörigen beschrieben wurde, begründet ebenfalls keinen Fluchtgrund gemäß § 3 AsylG.
Der Bruder des Klägers schilderte, dass man sich als Yezide in Georgien wie ein Flüchtling im eigenen Land fühle. Die anderen Menschen hätten sie an ihrer Sprache als Yeziden erkannt und sich über ihre Gebräuche lustig gemacht.
Selbst wenn dies wahr sein sollte, stellt diese vom Kläger geschilderte „allgemeine Diskriminierung“ keine für den Flüchtlingsschutz relevante Verfolgungshandlung dar. Die in der mündlichen Verhandlung – nur andeutungsweise – beschriebene Diskriminierung yezidischer Volkszugehöriger bleibt deutlich unterhalb der Schwelle, die § 3a AsylG für eine verfahrenserhebliche Verfolgungshandlung vorsieht.
Das Gericht bezieht sich zudem auf den zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand 10.11.2016), wonach die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich gewährleistet und die Diskriminierung aufgrund des religiösen Bekenntnisses unter Strafe gestellt ist (II.1.4. „Religionsfreiheit“). Der Bericht konstatiert unter II.1.3. „Minderheiten“ aber auch, dass eine gesellschaftliche Gleichstellung von Minderheiten auch staatlicherseits nicht ausreichend gewährleistet werden kann. Die gleichberechtigte Teilhabe an Bildung und damit ein sozio-ökonomischer Aufstieg bleiben demnach vielen Angehörigen ethnischer Minderheiten aufgrund mangelnder Kenntnisse der georgischen Sprache faktisch verwehrt. Die Auskunftslage entspricht damit den Schilderungen des Klägers und seiner Familie. Denn der Kläger erwähnte in der mündlichen Verhandlung auch, russisch zu sprechen und eine russische Schule besucht zu haben, und benannte diesen Umstand als Erklärung für die Diskriminierung.
Die im Lagebericht dargestellte und auch vom Kläger beschriebene Benachteiligung von Jesiden durch die georgisch-stämmige Bevölkerungsmehrheit mag für den Kläger und seine Familie belastend und in wirtschaftlicher Hinsicht schwierig sein, erreicht jedoch die für den Flüchtlingsschutz relevante Erheblichkeit nicht.
2. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG besteht ebenfalls nicht.
Denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer nur dann subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß Satz 2: Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Das Gericht bezieht sich insoweit auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bescheids, da der Kläger auch im Rahmen des Gerichtsverfahrens keine darüber hinausgehenden, maßgeblichen Gesichtspunkte vorgetragen hat und das Gericht den Ausführungen des Bundesamtes folgt, § 77 Abs. 2 AsylG.
3. Dasselbe gilt für die begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Insoweit sei im Hinblick auf die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nochmals erwähnten Probleme mit seinem Ohr, auf dem er unter einem Ohrgeräusch als Folge der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Geschäftsnachbarn leide, nur folgendes bemerkt: Dabei handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich bei Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Das im Rahmen des behördlichen Asylverfahrens vorgelegte Attest eines Facharztes für HNO-Heil-kunde vom 7. März 2016 (Bl. 58 ff. der Bundesamtsakte) spricht vielmehr von einer „guten Heilung“ und vermag die offenbar zu diesem Zeitpunkt bestehenden Schmerzen des Klägers im Bereich des Ohres und Kopfes – organisch – nicht zu erklären. Von Schmerzen war jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht einmal mehr nicht die Rede, sondern lediglich von einem Ohrgeräusch.
4. Die in Ziffer 5 des Bescheids vom 21. Juni 2016 angedrohte Abschiebung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, weil die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen von § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffende Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Das Gericht bezieht sich insoweit auf die maßgebliche Festsetzung von 30 Monaten in Ziffer 6) des angefochtenen Bescheids. In den Gründen des Bescheids ist hingegen auf Seite 11 von einer Festsetzung von 36 Monaten die Rede. Dabei handelt es sich jedoch offenkundig um ein – unbeachtliches – redaktionelles Versehen.
Nach alledem ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO als unbegründet abzuweisen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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