Verwaltungsrecht

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs

Aktenzeichen  21 ZB 17.30468

Datum:
9.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132516
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 138 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet keine generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. Die Beweiswürdigung, das daraus folgende Beweisergebnis und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen bleiben in aller Regel der abschließenden Urteilsfindung des Gerichts vorbehalten und entziehen sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 4 K 16.30226 2017-02-24 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren werden abgelehnt.

Gründe

1. Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
1.1 Die Klägerbevollmächtigte begründet die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs damit, dass das Verwaltungsgericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag gestellt habe, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Gehörsrüge in Gestalt der unzulässigen Überraschungsentscheidung). Für die Klägerin sei nicht erkennbar gewesen, dass das Verwaltungsgericht trotz in der mündlichen Verhandlung vorgelegter Medikamentenliste, die belege, dass die Klägerin an Bluthochdruck, Depressionen, anhaltenden Schmerzen und Sodbrennen leide, Zweifel an einer Erkrankung der Klägerin mit besonderem Behandlungsbedarf habe. Die Klägerbevollmächtigte habe in der mündlichen Verhandlung keine geeigneten prozessualen Gegenmaßnahmen treffen können, weil diese spezifische Beweiswürdigung die Kläger überrascht habe.
Das Verwaltungsgericht ist unter Würdigung der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, die lediglich allgemein die Behandlung der Klägerin bestätigen, und dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Medikamentenvorrat (Medikamente gegen Bluthochdruck, Eisenmangel, Schmerzmittel, gegen Anfallsleiden, postoperative Schmerzen, Sodbrennen und ein Antidepressivum) zu der Überzeugung gelangt, bei der Klägerin liege keine Erkrankung mehr vor, die einen besonderen Behandlungsbedarf mit großem finanziellen Aufwand im Herkunftsland erfordern würde. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine lebensgefährliche Verschlechterung der gesundheitlichen Situation (UA S. 7 f.).
Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, sich zu ihrem Gesundheitszustand und einer noch bestehenden Behandlungsbedürftigkeit zu äußern, auch genutzt. Sie hat ärztliche Bescheinigungen und einen nach eigenen Angaben noch befolgten Medikamentenplan vom September 2016 vorgelegt sowie Ausführungen zum bevorstehenden Termin einer CT-Darmuntersuchung und deren Vorgeschichte gemacht. Das Gericht ist damit seiner Sachaufklärungspflicht hinsichtlich der Frage des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nachgekommen. Aus dem Sachvortrag der Klägerin und den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen musste sich dem Gericht mangels näherer Anhaltspunkte keine weitere Sachaufklärung der Frage aufdrängen, ob bei der Klägerin eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung verschlimmern würde (§ 60 Abs. 7 Sätze 1 und 2 AufenthG), vorliegt. Damit ist aber auch nicht ersichtlich, dass das Gericht seine gerichtliche Hinweispflicht (§§ 86 Abs. 3, 104 Abs. 1 VwGO) verletzt haben könnte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör begründet keine generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. Die Beweiswürdigung, das daraus folgende Beweisergebnis und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen bleiben in aller Regel der abschließenden Urteilsfindung des Gerichts vorbehalten und entziehen sich deshalb einer Voraberörterung mit den Beteiligten (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01 – juris). Das Zulassungsvorbringen legt zudem nicht dar, dass die Kläger alle ihnen zumutbaren prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um sich Gehör vor dem Verwaltungsgericht zu verschaffen. Es hätte vielmehr von vornherein der Mitwirkungspflicht der Klägerin oblegen, eine ärztliche Bescheinigung, die insbesondere Aussagen zum Krankheitsbild, dem Schweregrad der Erkrankung sowie deren Behandlungsbedürftigkeit und Folgen enthält, beizubringen. Die im Zulassungsantrag bei entsprechendem gerichtlichem Hinweis vorgeschlagenen näheren Ausführungen der Klägerin zu ihrer Depression wären zudem ohne entsprechendes ärztliches Attest nicht geeignet, die Tatsachengrundlage für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu schaffen.
1.2 Die Gehörsrüge wegen unzulässiger Überraschungsentscheidung greift entgegen dem Zulassungsvorbringen auch nicht unter dem Aspekt durch, dass für die Klägerin nicht erkennbar gewesen sei, dass das Verwaltungsgericht der Klägerin bei einer Rückkehr zumute, sich wie vor der Ausreise um eine Beschäftigung im Haushalt zu bemühen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre minderjährigen Kinder zu finanzieren. Bei einem entsprechenden Hinweis des Verwaltungsgerichts hätte die Klägerin die genauen Umstände ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt und weitere Details vorgetragen.
Wie bereits ausgeführt (vgl. 1.1) begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör keine generelle Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen. In diesem Sinne aber meint das Zulassungsvorbringen die gerichtliche Fürsorgepflicht zu verstehen. Vorliegend ist auch im Hinblick auf die Existenzsicherung nach Rückkehr ersichtlich, dass dieser Themenkomplex sowohl im Verwaltungsverfahren (vgl. Bundesamtsbescheid S. 6 f.) ausführlich behandelt wurde als auch in der mündlichen Verhandlung vom Gericht erörtert wurde und die Klägerin entsprechende Ausführungen gemacht hat. Nach dem bisherigen Verfahrensverlauf hätten die Beteiligten damit rechnen müssen, dass das Verwaltungsgericht eine entsprechende Würdigung trifft.
Auch ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht darauf hätte hinweisen müssen, dass es das von der Klägerseite benannte Urteil des VG Stuttgart vom 22.6.2009 (A 11 K 4486/07) und das Gutachten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 11. Juni 2009, Bosnien-Herzegowina: Behandlung von PTBS, nicht für relevant erachte, denn für das Verwaltungsgericht lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin an PTBS oder einer schweren psychischen Erkrankung mit besonderem Behandlungsbedarf leidet.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
3. Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren waren abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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