Verwaltungsrecht

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift

Aktenzeichen  20 ZB 17.30785

Datum:
18.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119318
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 74 Abs. 2 S. 2, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3
VwGO § 87b Abs. 3, § 108 Abs. 1 S. 1
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Es fehlt in der Regel an der erforderlichen Glaubhaftmachung der vorgetragenen Verfolgungsgründe, wenn das Vorbringen erhebliche, nicht überzeugend aufgelöste Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn der Asylantragsteller sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er als maßgeblich einschätzt, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nicht jede fehlerhafte Anwendung einer einfach-rechtlichen Präklusionsvorschrift stellt stets eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar, sondern nur eine solche, aufgrund derer eine verfassungsrechtlich erforderliche Anhörung unterbleibt (BVerfG BeckRS 9998, 165253; BeckRS 9998, 99456). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 16.31740 2017-04-27 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügenden Weise dargelegt sind.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war sowie ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist – Klärungsfähigkeit – und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist – Klärungsbedürftigkeit (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Klärungsbedürftig sind nur Fragen, die nicht ohne weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind oder durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Berufungsgerichts geklärt sind (Happ, a.a.O., Rn. 38).
Der Kläger wirft die Frage auf,
ab wann und unter welchen Voraussetzungen ein späterer Sachvortrag einer asylbegehrenden Person als in wesentlichen Punkten gesteigert anzusehen ist, mit anderen Worten, welche Darlegungsdichte und in welchen Punkten des Sachverhaltes vorherig erfolgt sein muss, um einen späteren Sachvortrag als in wesentlichen Punkten gesteigert und damit unglaubwürdig ansehen zu können.
Diese Frage ist, soweit sie die allgemeinen Anforderungen an die dem Asylantragsteller obliegende Glaubhaftmachung des Verfolgungsgeschehens betrifft, bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung beantwortet und insoweit nicht mehr klärungsbedürftig. Die (abstrakten) Kriterien der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vortrags eines Asylbewerbers ergeben sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris; U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – juris; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris) sowie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, B.v. 19.7.1990 – 2 BvR 2005/89 – juris). Danach fehlt es in der Regel an der erforderlichen Glaubhaftmachung der vorgetragenen Verfolgungsgründe, wenn das Vorbringen erhebliche, nicht überzeugend aufgelöste Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn der Asylantragsteller sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er als maßgeblich einschätzt, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. Einer weiteren Konkretisierung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus sind diese Kriterien nicht zugänglich, weil die Beurteilung der Glaubhaftigkeit maßgeblich von der Einschätzung des erkennenden Gerichts und auch dem – in der Regel durch die informatorische Anhörung des Asylantragstellers in der mündlichen Verhandlung vermittelten – Eindruck von Überzeugungskraft des Vortrags und Glaubwürdigkeit der Person des Asylbewerbers abhängt. Das Verwaltungsgericht hat unter Anwendung der in der o.g. Rechtsprechung aufgestellten Kriterien begründet, weshalb es dem Sachvortrag des Klägers keinen Glauben schenkt (UA S. 7 ff.). Die Kritik des Klägers daran zielt letztlich auf die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Vorinstanz ab. Dieser Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für den Asylprozess jedoch durch die abschließende Sonderregelung des § 78 Abs. 3 AsylG ausgeschlossen.
2. Der weiter geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) wurde nicht substantiiert dargelegt. Der Kläger rügt die Verweigerung rechtlichen Gehörs. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO kann auch in der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegen, die der Wahrung des rechtlichen Gehörs dienen. Hierzu gehören allerdings regelmäßig nicht Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder gegen das Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dazu zählt grundsätzlich auch die Frage, ob das Gericht auf hinreichend breiter Tatsachengrundlage entschieden hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann bei solchen Mängeln im Einzelfall allenfalls bei gravierenden Verstößen verletzt sein (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – NJW-RR 2004, 1150), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, beispielsweise weil die Beteiligten mit der vom Gericht vorgenommenen Würdigung ohne ausdrücklichen Hinweis nicht rechnen mussten (vgl. BVerfG, B.v. 12.6.2003 – 1 BvR 2285/02 – NJW 2003, 2524) oder weil die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – NVwZ-RR 1996, 359).
Soweit der Kläger die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des von ihm vorgetragenen Verfolgungsgeschehens durch die Vorinstanz rügt, greift er deren Sachaufklärung und Beweiswürdigung an. Ein gravierender Mangel ist diesbezüglich jedoch weder dargelegt noch erkennbar (siehe oben 1.). Soweit er darüber hinaus eine Verletzung des rechtlichen Gehörs deswegen rügt, weil das Verwaltungsgericht das von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegte fremdsprachige Dokument nicht berücksichtigt habe, legt er ebenfalls keinen Verfahrensmangel i.S.d. § 138 Nr. 3 VwGO dar. Der Kläger trägt hierzu vor, es handele sich bei dem Dokument um einen Haftbefehl seines Heimatlandes, den er zu einem früheren Zeitpunkt über seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten nicht schriftsätzlich habe vorlegen können, weil er noch nicht vorhanden gewesen sei. Davon abweichend hat der Kläger jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausweislich der Niederschrift vorgetragen, dass er von der Existenz des Haftbefehls erst etwa im Dezember 2016 von einem Bekannten bei den kurdischen Sicherheitsbehörden erfahren habe. Er habe den Freund daraufhin gebeten, ihm den Haftbefehl zu besorgen. Sein damaliger Bevollmächtigter habe jedoch die Auffassung vertreten, dass das Dokument nicht relevant sei, weil es in arabischer Sprache verfasst sei. Das Verwaltungsgericht hat dazu im Urteil ausgeführt (UA S. 9), dass der Vortrag des Klägers und das Dokument zum einen bereits wegen verspäteter Vorlage nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO nicht berücksichtigt würden. Die Monatsfrist gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG sei zum Zeitpunkt der angeblichen Kenntniserlangung von dem Haftbefehl im Dezember 2016 noch nicht abgelaufen gewesen. Der Kläger habe den Haftbefehl nach eigenem Vortrag nicht vorgelegt, weil sein damaliger Bevollmächtigter ihn nicht für relevant gehalten habe. Da wegen erheblicher Zweifel an der Echtheit des Dokuments eine Beweisaufnahme erforderlich gewesen wäre, hätte seine Berücksichtigung trotz verspäteter Vorlage auch den Rechtsstreit verzögert. Des Weiteren sei aber auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Inhaftierung habe erfolgen sollen.
Damit kam es für das Erstgericht nicht entscheidungserheblich auf den Inhalt des Dokuments an. Im Übrigen stellt nicht jede fehlerhafte Anwendung einer einfach-rechtlichen Präklusionsvorschrift stets eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dar, sondern nur eine solche, aufgrund derer eine verfassungsrechtlich erforderliche Anhörung unterbleibt (BVerfGE 81, 264/273 = NJW 1990, 2373; BVerfGE 75, 302/314 f. = NJW 1987, 2733; VGH Baden-Württemberg, B.v. 5.12.1994 – A 13 S 3435/94 – NVwZ 1995, 816, beck-online). Daneben kann auch eine Verletzung der Grundsätze rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu beurteilen sein (vgl. BVerfGE 55, 72/93 f. = NJW 1981, 271 und BVerfGE 69, 126/140 = NJW 1985, 1149; VGH Baden-Württemberg, B.v. 5.12.1994 – A 13 S 3435/94 – NVwZ 1995, 816, beck-online), etwa wenn eine Präklusionsvorschrift z.B. bei unzureichender Terminsvorbereitung des Gerichts (BVerfGE 69, 126/139 = NJW 1985, 1149) missbräuchlich angewendet wird. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Weshalb in der Nichtberücksichtigung des angeblichen Haftbefehls dennoch ein relevanter Gehörsverstoß liegen soll, hat der Kläger nicht dargelegt. Es fehlt bereits an einer substantiierten und nachvollziehbaren, insbesondere widerspruchsfreien Begründung dafür, warum trotz Hinweises auf die Präklusionsvorschriften sowie auf die Frist eine frühere Vorlage nicht möglich war (vgl. BayVGH, B.v. 9.9.2013 – 9 ZB 13.30178 – juris). Dass wegen der nachträglichen Vorlage des angeblichen Haftbefehls im Falle eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylstreitverfahrens möglicherweise ein Wiederaufnahmegrund gemäß § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 580 ZPO vorläge, wie der Kläger meint, vermag keinen Gehörsverstoß zu begründen. Denn das der Beschleunigung des Asylstreitverfahrens dienende Instrument der Präklusion nach den §§ 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG, 87b Abs. 3 VwGO trägt das Risiko eines Wiederaufnahmeverfahrens in sich. Im Übrigen wäre im Rahmen eines solchen Wiederaufnahmeverfahrens noch zu prüfen, ob überhaupt ein Restitutionsgrund i.S.d. § 580 ZPO vorliegt, mithin auch, ob dem vorgelegten Dokument Entscheidungserheblichkeit zukommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 121 ZPO) ist abzulehnen, weil es an den erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten des Rechtsmittels fehlt.
Mit dieser Entscheidung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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