Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  M 19 K 16.31342

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2579
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a, § 3b, § 3c, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. In einer durch Stammesstrukturen geprägten Gesellschaft stellen die verschiedenen Stämme gerade keine Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität dar, deren jeweiligen Mitglieder von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Durch Traditionen gebildete Segmentierungsphänomene führen daher nicht zur Annahme einer Vielzahl von Gruppen, deren mögliche Rivalitäten asylrechtlich relevant sind. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Irak begründen kein Abschiebungsverbot. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der Befristungsentscheidung bestehen keine Zweifel.
Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
1. Ein Anspruch auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz besteht nicht.
a) Einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, wird die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 AslyG zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und keiner der Ausschlussgründe der § 3 Abs. 2 und Abs. 3 AsylG vorliegt.
b) Maßgeblich für die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
c) Die vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gründe, die er im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 5. Februar 2020 ergänzt hat, rechtfertigen gemessen an den vorstehend geschilderten Anforderungen nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Kläger ist nicht vorverfolgt ausgereist und es droht ihm nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Die beschriebenen Bedrohungen und die Erklärung als vogelfrei erfolgten nicht „wegen“ der „Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ des Klägers, sondern wegen des Verstoßes gegen tradierte Beziehungsregelungen.
Der Stamm des Klägers, der aus Warte traditioneller Wertvorstellungen einer Beziehung zu dem betroffenen Mädchen (eines anderen Stammes) entgegensteht, bildet auch keine soziale Gruppe. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (Buchst. a), und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (Buchst. b). In einer durch Stammesstrukturen geprägten Gesellschaft stellen die verschiedenen Stämme gerade keine Gruppe mit deutlich abgegrenzter Identität dar, deren jeweiligen Mitglieder von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Die Zugehörigkeit zu einem Stamm ist vielmehr üblich. Durch Traditionen gebildete Segmentierungsphänomene führen daher nicht zur Annahme einer Vielzahl von Gruppen, deren mögliche Rivalitäten asylrechtlich relevant sind. Außerdem wird der Kläger allenfalls wegen seines „Beziehungsverhaltens“ und nicht wegen der Zugehörigkeit zu einem Stamm als solcher verfolgt.
2. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Zuerkennung des subsidiären Schutzes hat die Beklagte zutreffend verneint.
a) Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Es darf auch keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Voraussetzung ist zudem, dass der Schaden von einem Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 und § 3c AsylG auszugehen droht (vgl. VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 85 ff.). Auch bei § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG müssen bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Gefahr eines ernsthaften Schadens sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 53).
b) Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erfüllt der Kläger nicht.
aa) Er hat keinen Sachverhalt vorgetragen, wonach ihm im Heimatland die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) droht.
bb) Ebenso fehlen konkrete Anhaltspunkte für das Drohen eines ernsthaften Schadens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG durch einen maßgeblichen Akteur. Auch die schlechte humanitäre Lage im Irak rechtfertigt nicht die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Denn auch diese ist nicht auf einen Akteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 3c AsylG zurückzuführen. Es ist den Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen, dass der irakische Staat oder die autonome Region Kurdistan-Irak als staatliche Akteure ein Interesse an einer Verschärfung oder Aufrechterhaltung der schlechten humanitären Lage zeigen und diese auf ihre Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 68 ff. m.w.N.). Die in weiten Teilen des Iraks bestehende allgemein schwierige Lage hat vielfältige Ursachen, wird aber nicht zielgerichtet vom irakischen Staat, von herrschenden Parteien oder Organisationen oder von nichtstaatlichen Dritten herbeigeführt.
Dem Kläger droht schließlich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung wegen der derzeitigen allgemeinen Sicherheitslage im Irak. Die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kann sich grundsätzlich auch aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem. Allerdings begründet nicht schon jede allgemeine Situation der Gewalt eine solche Gefahr. Ein Abschiebungsverbot nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist nur in äußerst extremen Fällen anzunehmen, nämlich dann, wenn die Situation allgemeiner Gewalt so intensiv ist, dass die betreffende Person dieser Gewalt bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich ausgesetzt ist. Erforderlich ist danach eine Gefahrverdichtung, die zu einer individuellen Betroffenheit des Ausländers führt (vgl. OVG NRW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 146). Eine solche allgemeine Situation der Gewalt, die zur Folge hätte, dass jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Region B… der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, ist hier jedoch nicht anzunehmen.
cc) Ferner ist der Kläger auch nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Ihm droht keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kann in der Heimatregion der Kläger – auf die maßgeblich abzustellen ist (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 76) – nicht ausgegangen werden. Regelrechte Kämpfe oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen finden in B… nicht statt. Die in der jüngeren Vergangenheit auch in B… zu erheblichen, teilweise mit Gewaltausbrüchen verbundenen Versammlungen, auf denen gegen die vorherrschenden Lebensbedingungen protestiert wurde, erreichen die notwendige Intensität der Auseinandersetzungen ersichtlich nicht. Der Grad an Gewalt erreicht kein so hohes Niveau, dass jede Zivilperson bei einer Rückkehr in die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einen erheblichen Schaden zu erleiden. Eine Rückkehr in die Gegend von B… erscheint unter diesen Gesichtspunkten möglich, zumal der Südirak zahlreiche Binnenvertriebene aufgenommen hat (vgl. VG München, U.v. 27.7.2018 – M 4 K 16.32794 – n.v.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.1.2019, S. 20). Gefahrerhöhende Umstände in der jeweiligen Person der Kläger, nach denen sie spezifisch betroffen wären (vgl. OVG NW, U.v. 28.8.019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 133), sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.11.1997 – 9 C 13.96 – BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse). In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage. Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr, sondern auch dann anwendbar, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organe sind, jedenfalls dann, wenn die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch die Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen (NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136.19 – juris Rn. 66 und 105).
b) Die Verbürgungen der EMRK begründen im vorliegenden Fall des Klägers kein Abschiebungsverbot, insbesondere nicht wegen der derzeitigen humanitären Verhältnisse. Schlechte sozio-ökonomische und humanitäre Verhältnisse im Bestimmungsland können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen Art. 3 EMRK verletzten; dies ist dann der Fall, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden humanitären Gründe „zwingend“ sind (vgl. VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 28). Gemessen daran ist ein Ausnahmefall zu verneinen.
aa) Nach gegenwärtiger Erkenntnislage besteht nach überwiegender Rechtsprechung am Zielort einer Abschiebung in der Region keine derart prekäre humanitäre Situation und insbesondere keine derart unzureichende allgemeine Versorgungslage, dass eine Rückführung in Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK generell ausgeschlossen wäre. Die humanitäre Lage und die Lebensbedingungen in der Region A*-B… – als Zielort einer Abschiebung -, die nicht ganz oder überwiegend auf Aktionen von Konfliktparteien beruhen, sind schlecht, aber für den Kläger nicht derart ernst, dass er Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Die humanitäre Lage ist nicht derart schlecht, dass von einer Abschiebung zwingend abzusehen wäre. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich die Wasserversorgung und -qualität erheblich verschlechtert haben und sich wegen Verunreinigungen des Wassers in der Stadt B… über 110.000 Menschen mit Magen-Darm-Beschwerden im Krankenhaus vorgestellt haben (vgl. VG Berlin, U.v. 5.3.2019 – 25 K 176.17 A – juris Rn. 36)
bb) Es bestehen auch keine gefahrerhöhenden individuellen Umstände (vgl. zu dieser Anforderung VGH BW, U.v. 24.1.2018 – A 11 S 1265/17 – juris Rn. 149; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 47; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 53), die im Fall des Klägers zu einer anderen Bewertung führen könnten. Es lassen sich der Erkenntnislage keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass ein junger arbeitsfähiger alleinstehender Mann – wie der Kläger – solche Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung ausgesetzt wäre, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit alsbald verelenden würde. Der Kläger hat auch keine Umstände erkennen lassen, die in seinem Fall eine andere Bewertung gebieten würden. Außerdem besteht für den Kläger – insbesondere im Fall der freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, in nicht unerheblichem Umfang Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP- und des ERRIN-Programms sowie weitere Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch zu nehmen, die ihm die Rückkehr erheblich vereinfachen und auch Startschwierigkeiten vermeiden helfen können (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin; s. a. VG Hamburg, U.v. 23.7.2019 – 8 A 635/17 – UA S. 25 f.; VG Oldenburg, U.v. 21.5.2019 – 15 A 748/19 – juris Rn. 65).
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
b) Die allgemeine humanitäre oder die Sicherheitslage im Irak begründet kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Der Annahme eines Abschiebungsverbotes wegen allgemeiner Gefahren steht die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entgegen (vgl. VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 69). Zwar dürfen die Gerichte ausnahmsweise und im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die kein Abschiebestopp besteht, Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG zusprechen, wenn dies zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke wegen einer im Zielstaat bestehenden extremen Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris Rn. 60). Jedoch kann eine solche Gefahr wegen der weiten Auslegung von § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts von vorherein nicht angenommen werden, wenn bereits – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen allgemeiner Gefahren zu verneinen sind (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 264; VGH BW, U.v. 17.7.2019 – A 9 S 1566/18 – juris Rn. 50). Für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG besteht daher kein Bedarf mehr.
Darüber hinaus fehlt es ohnehin an einer verfassungswidrigen Schutzlücke, da die gegenwärtige ausländerrechtliche Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, U.v. 1.10.2019 – 4 K 597/19.A – juris Rn. 123). Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Gz. IA2-2081.13-15) in den Fassungen vom 3. März 2014 und vom 22. Oktober 2018 verfügt, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehöriger grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter und sog. „Gefährder“ aus den Autonomiegebieten oder dem Zentralirak – soweit ersichtlich fällt der Kläger nicht hierunter) nicht erfolgt und ihr Aufenthalt wie bisher weiter im Bundesgebiet geduldet wird (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2017 – 20 ZB 17.30809 – juris Rn. 9; VG Augsburg, U.v. 22.10.2018 – Au 5 K 18.31266 – juris Rn. 70).
c) Individuelle Anhaltspunkte in der Person des Klägers, die einer Abschiebung entgegenstehen könnten, bestehen im Ergebnis ebenfalls nicht. Dass der Kläger von Angehörigen eines anderen Stammes möglicherweise gesucht wird, begründet keine erheblich konkrete Gefahr. Die Annahme, dass der Kläger wegen über ihn mittels moderner Medien (Smartphone) innerhalb des Stammes verbreiteten Fotos überall gefunden werden kann, ist nicht überzeugend. Abgesehen davon, dass seither mehrere Jahre vergangen sind, ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass es dem Kläger nicht gelingen kann, sich – wie auch schon in der Zeitspanne zwischen dem Vorfall und der Ausreise – weitgehend unbehelligt, gegebenenfalls unter Wahrung einer gewissen Vorsicht, in seiner Heimatregion aufhalten kann.
5. Die von der Beklagten auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Qualifizierte Einwände hiergegen hat der Kläger auch nicht erhoben.
6. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordung (ZPO).


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