Verwaltungsrecht

keine Zulassung der Berufung – Einzelfall –

Aktenzeichen  10 ZB 21.1522

Datum:
14.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18502
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 1. Hs.
ZPO § 85 Abs. 2
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Eine Ausweisung infolge strafrechtlicher Verurteilungen stellt keine unzulässige „Doppelbestrafung“, sondern vielmehr eine präventive ausländerbehördliche Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 19.2769 2021-03-11 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist wegen Versäumung der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO unzulässig und bereits deshalb abzulehnen (1.). Er ist im Übrigen aber auch unbegründet, weil die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht vorliegen bzw. nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt sind (2.).
1. Der zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag beim Verwaltungsgericht München am 26. Mai 2021 eingegangene Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil er nicht innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gestellt worden ist.
Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Maßgeblich ist insoweit die Zustellung des vollständigen Urteils an den Rechtsmittelführer. Ausweislich des bei den Gerichtsakten befindlichen Empfangsbekenntnisses ist das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. März 2021 dem Bevollmächtigten des Klägers (s. § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO) am 31. März 2021 zugestellt worden. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist somit erst nach Ablauf der Monatsfrist gestellt worden.
Dem Kläger ist insoweit auch nicht entsprechend seinem Antrag mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 11. Mai 2021 nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist nach § 60 Abs. 2 Satz 1 1. Hs. VwGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Schließlich ist die versäumte Rechtshandlung nach § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO innerhalb der Antragsfrist nachzuholen.
Der Bevollmächtigte des Klägers, für dessen Verschulden der Kläger gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO einzustehen hat (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 11) trägt zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags unter dem Datum „11.05.2021“ unter anderem vor, er habe seinen Schriftsatz zur Zulassung der Berufung vom 23. April 2021 durch seine Rechtsanwaltsfachangestellte, Frau A. K., am 26. April 2021 zum Verwaltungsgericht bringen und in den Nachtbriefkasten einwerfen lassen. Dies versichere er mit der beiliegenden Erklärung an Eides statt. Diese eidesstattliche Versicherung vom 25. Mai 2021 lautet wie folgt: „Eidesstattlich versichere ich, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben in meinem Schriftsatz vom 25.05.2021.“ Die ebenfalls beigefügte eidesstattliche Versicherung von Frau A. K. vom 25. Mai 2021 lautet: „Eidesstattlich versichere ich, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben von Rechtsanwalt M… im Schriftsatz vom 25.05.2021.“ Auch wenn es sich bei dem Datum des Wiedereinsetzungsantrags „11.05.2021“ wie vom Bevollmächtigten des Klägers mit nachgereichtem Schriftsatz vom 10. Juni 2021 geltend gemacht um ein Versehen handelt und sich die eidesstattlichen Versicherungen jeweils zutreffend auf den „am 25.05.2021 verfassten“ Schriftsatz (Wiedereinsetzungsantrag) beziehen, ist damit nicht gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2, § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 294 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht, dass der Schriftsatz mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vom 23. April 2021 auch tatsächlich durch Frau A. K. in den Nachtbriefkasten des Verwaltungsgerichts München eingeworfen worden ist.
2. Unabhängig davon ist der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung auch unbegründet, weil die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt sind.
2.1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Soweit sich der Kläger zur Begründung auf eine fehlerhafte Interessenabwägung gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG beruft, weil vom Verwaltungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt worden sei, dass er den Wunsch habe, die (schützenswerte) Beziehung zu seinem Sohn S1. aufzubauen, was ihm bisher aufgrund der Haft und des fehlenden Kontakts zur Ex-Ehefrau nicht möglich gewesen sei, er zudem eine sichere Anstellung im Unternehmen seines Onkels habe und faktischer Inländer ohne Bezug zu Bosnien sei, greift dieser Einwand nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht hat diese privaten bzw. persönlichen Interessen des Klägers nicht verkannt. Der Beschäftigung des Klägers seit der Haftentlassung im Unternehmen seines Onkels hat es angesichts der bisherigen unsteten Erwerbstätigkeit ebenso wenig eine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen wie dem Umstand, dass der Kläger als faktischer Inländer mit gewichtigen familiären und sozialen Bindungen im Bundesgebiet anzusehen ist. Dabei hat das Erstgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Beziehungen des erwachsenen Klägers zu seiner Mutter und den weiteren im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen (Tanten, Onkel und Cousins) nicht erheblich ins Gewicht fielen, weil beide Seiten nicht auf die jeweilige Unterstützung durch die andere angewiesen seien. Auch wenn der Kläger nur bis zum Alter von ca. acht Jahren in Bosnien-Herzegowina gelebt und zwei Jahre die Schule besucht habe, sei davon auszugehen, dass er die Landessprache ausreichend spreche und mit den dortigen Gepflogenheiten hinreichend vertraut sei. Jedenfalls sei es ihm zuzumuten, seine Sprachkenntnisse entsprechend zu verbessern und sich dort als junger, grundsätzlich gesunder und arbeitsfähiger Mann auch alleine zurechtzufinden. Der bloße Wunsch, den seit etwa neun Jahren nicht mehr bestehenden persönlichen Kontakt zum am 1. Januar 2007 geborenen Sohn (mit deutscher Staatsangehörigkeit) wieder aufleben zu lassen, sei ebenfalls nicht ausschlaggebend, da der Kläger selbst angegeben habe, dass keine wirkliche Vater-Kind-Beziehung bestehe, und die beabsichtigte Ausweisung daher die Situation zwischen dem Kläger und seinem Sohn nicht in erheblichem Maße verändern würde. Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht zu Recht das aufgrund der Wiederholungsgefahr schwerwiegender Straftaten (wie banden- und gewerbsmäßiger Betrug, Computerbetrug sowie Urkundenfälschung), deretwegen der Kläger zuletzt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt worden war, bestehende spezialpräventive sowie daneben auch auf generalpräventive Erwägungen gestützte Ausweisungsinteresse als letztlich überwiegend angesehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers stellt seine Ausweisung infolge seiner strafrechtlichen Verurteilungen schließlich auch keine unzulässige „Doppelbestrafung“, sondern vielmehr eine präventive ausländerbehördliche Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (s. § 53 Abs. 1 AufenthG) dar (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 21.7.2015 – 1 B 26.15 – juris Rn. 7 m.w.N.).
2.2. Aus den unter 2.1. dargelegten Gründen weist die Rechtssache auch nicht die vom Kläger geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
2.3. Zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) verhält sich die Begründung des Zulassungsantrags nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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