Verwaltungsrecht

Klage auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens – Zugehörigkeit zur Ethnie der Ibo keine asylrechtsrelevante Verfolgung

Aktenzeichen  Au 7 K 17.35052

Datum:
5.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG AsylG § 71
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, 7 Satz 1

 

Leitsatz

1. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Für das Rechtsschutzziel der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG ist in der Hauptsache weiterhin eine hilfsweise zu erhebende Verpflichtungsklage statthaft (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der nigerianische Staat bzw. die nigerianischen Sicherheitskräfte gehen nicht allgemein gegen die Volksgruppe der Ibo oder gegen die Bewohner im Südosten Nigerias vor, sondern gegen Aktivisten bzw. Befürworter von “Pro-Biafra-Organisationen“, sodass allein die Zugehörigkeit zur Ethnie der Ibo keine asylrechtsrelevante Verfolgung begründet. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein reines “Gefälligkeitsschreiben” kann nicht einmal ansatzweise auch nur eine Vermutung dahingehend begründen, dass der nigerianische Staatsangehörige im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria einer politische Verfolgung ausgesetzt wäre und erfüllt daher die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG an ein neues Beweismittel. (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagtenseite nicht erschienen war. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist im Haupt- und Hilfsantrag zulässig, aber insgesamt unbegründet.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides vom 13. Oktober 2017 (Hauptantrag, siehe 2.) noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Hilfsantrag, siehe 3.).
Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist für das Gericht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG.
1. Die gegen die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG erhobene Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart.
Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes zum 6. August 2016 (BGBl. 2016 I 1939) als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar, die mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 15 ff.). Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageantrag betrachtet worden war, ist daran aufgrund der Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts durch das Integrationsgesetz nicht festzuhalten (so ausdrücklich BVerwG, a.a.O., juris Rn. 17).
Für das Rechtsschutzziel der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG ist in der Hauptsache weiterhin eine hilfsweise zu erhebende Verpflichtungsklage statthaft (BVerwG, U.v. 14.12.2016, a.a.O. Rn 20). Denn dabei handelt es sich um einen eigenen Streitgegenstand, der von der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 AsylG nicht umfasst wird. Nach der Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG (in der Fassung des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016, a.a.O.) hat das Bundesamt in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71AsylG i.V.m. § 13 Abs. 2 AsylG) festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
2. Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage betreffend die Nummer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 13. Oktober 2017 ist unbegründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG nicht vorliegen. Das Gericht folgt insoweit der ausführlichen und zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das vom Kläger (erstmals) in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Schreiben des Vereins „Indigenous People of Biafra (IPOB) e.V,, …“, datiert 28. August 2017, gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG kein neues Beweismittel darstellt, das eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.
Das Schreiben ist nicht geeignet, die Feststellungen im ersten Asylverfahren zu widerlegen, dass der Kläger Nigeria unverfolgt, nämlich aus rein wirtschaftlichen Gründen, verlassen hat. Ebenso wenig kann das Schreiben die Feststellungen des Gerichts im ersten Asylverfahren widerlegen, dass die (erstmals im damaligen gerichtlichen Verfahren vorgetragenen) Behauptungen des Klägers, sein Vater sei ein Biafra-Soldat, deswegen von der nigerianischen Regierung (nach Erlass des Ablehnungsbescheids des Bundesamtes vom 7.11.2016) verhaftet und die übrigen Familienmitglieder verfolgt worden, unwahr bzw. frei erfunden sind (vgl. VG Augsburg, B.v. 22.12.2016 – Au 7 S. 17.32426, U.v. 17.5.2017 – Au 7 K 16.32425). Denn hierzu trifft das Schreiben der IPOB vom 28. August 2017 keinerlei Aussagen.
Ebenso wenig kann das Schreiben der IPOB vom 28. August 2017 einen Hinweis dafür liefern, dass der Kläger im Falle der Rückkehr nach Nigeria politische Verfolgung zu befürchten hätte. In diesem Schreiben wird lediglich, ohne dass hierfür überhaupt eine Erklärung, geschweige denn ein Nachweis, geliefert wird, behauptet, dass der Kläger aus Biafra stamme und eindeutig Biafraner sei. Genauso unsubstantiiert wird in diesem Schreiben die Behauptung aufgestellt, dass der Kläger „eindeutig verfolgt“ werde.
Selbst wenn dem Kläger, wie er erstmals in der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2017 vorgetragen hat, geglaubt würde, dass er im Südosten Nigerias und nicht in … geboren ist, so hat er in der mündlichen Verhandlung gleichzeitig bestätigt, dass er niemals im Südosten Nigerias („Biafra-Land“) gelebt hat, sondern dass seine Eltern kurz nach seiner Geburt mit ihm nach … gezogen sind. So mag für den Verein IPOB allein die Tatsache, dass der Kläger im Südosten Nigerias geboren ist und zum Volksstamm der Ibo gehört, ausreichen, um ihn als „Biafraner“ zu bezeichnen. Allein dies ist jedoch unter keinem sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkt geeignet, eine Verfolgungsgefahr für den Kläger durch den nigerianischen Staat im Falle seiner Rückkehr zu belegen. Denn aus keiner Auskunftsquelle, auch nicht aus den von der Klägerseite vorgelegten, ergibt sich auch nur ansatzweise, dass allein die Zugehörigkeit zur Ethnie der Ibo dazu führt, ins Visier der nigerianischen Sicherheitskräfte zu geraten. Vielmehr gehören die Ibo (oder Igbo) zu den drei größten ethnischen Gruppen in Nigeria und Diskriminierungen aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie sind durch die nigerianische Verfassung verboten. Der nigerianische Staat bzw. die nigerianischen Sicherheitskräfte gehen nicht allgemein gegen die Volksgruppe der Ibo oder gegen die Bewohner im Südosten Nigerias vor, sondern gegen Aktivisten bzw. Befürworter von „Pro-Biafra-Organisationen“, die sezessionistische Bestrebungen bzw. eine größere Selbständigkeit für den Südosten Nigerias reklamieren (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Nigeria vom 21.11.2016, II.1.1).
Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger offensichtlich nicht.
Weder hat er sich vor seiner Ausreise aus Nigeria für „Pro-Biafra-Organisationen“ engagiert. Solches hat er nicht einmal selbst behauptet. Auch ein Engagement für „Pro-Biafra-Organisationen“ in Deutschland, speziell für die IPOB, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Der Kläger selbst hat weder zur Begründung seines Asylfolgeantrags (s. Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 18.9.2017) noch im Klageverfahren (Schriftsätze seiner Bevollmächtigten vom 23.10.2017 und 20.11.2017) irgendetwas dazu vorgetragen, dass er sich überhaupt, geschweige denn in welcher Art und Weise, für IPOB oder eine andere „Pro-Biafra-Organisation“ engagiert. Im Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 18. September 2017 wurde völlig unsubstantiiert behauptet, der Kläger sei „Mitglied der Biafra Bewegung“; nähere Ausführungen hierzu erfolgten (auch in den weiteren Schriftsätzen) nicht und nicht einmal der Name IPOB wurde im Zusammenhang mit dem Kläger überhaupt genannt. Auch in der mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2017 hat der Kläger kein Wort dazu geäußert, dass er sich in irgendeiner Weise für die Ziele von IPOB engagiert. Und auch der Verfasser des Schreibens vom 28. August 2017 hat hierzu kein Wort verloren, sondern lediglich die Behauptung aufgestellt, dass der Kläger „eindeutig verfolgt wird“ und dies nur damit „begründet“, dass der Kläger (nach Auffassung des Verfassers) aus Biafra stamme und Biafraner sei.
Im Übrigen sei noch darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Schreiben vom 28. August 2017 zur Überzeugung des Gerichts um ein reines „Gefälligkeitsschreiben“ handelt. Hierfür spricht bereits, dass dieses Schreiben, sollte es überhaupt echt sein, nur die Unterschrift eines „Leiters des Ortsverbands …“ trägt und vom Vorstand des Vereins nicht unterschrieben wurde.
Das Schreiben vom 28. August 2017 kann daher nicht einmal ansatzweise auch nur eine Vermutung dahingehend begründen, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria einer politische Verfolgung ausgesetzt wäre. Es erfüllt daher die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG an ein neues Beweismittel, welches das Wiederaufgreifen des Asylverfahrens rechtfertigen könnte, offensichtlich nicht.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG.
Auch insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid vom 13. Oktober 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Nach allem war die Klage abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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