Verwaltungsrecht

Kürzung einer landwirtschaftlichen Betriebsprämie wegen Verstoßes gegen Umbruchverbot

Aktenzeichen  13a ZB 15.208

Datum:
1.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102288
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BNatSchG § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
VO (EG) Nr. 73/2009 Art. 4 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 4, Art. 34
VO (EG) Nr. 1122/2009 Art. 54 Abs. 1, Art. 70 Abs. 8, Art. 71 Abs. 5, Art. 72 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Vorsatz hinsichtlich des Verstoßes gegen eine beihilferechtliche Verpflichtung (hier: Zerstörung eines geschützten Biotops) setzt voraus, dass der durch die Beihilfe Begünstigte den Verstoß entweder bewusst herbeiführt oder – ohne dass er ein solches Ziel verfolgt – die Möglichkeit eines derartigen Verstoßes billigend in Kauf nimmt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung, ob bei der Kürzung einer Betriebsprämie eine Abweichung vom gedachten Regelfall nach oben oder unten geboten ist, ist nicht nur auf die relative und absolute Größe der vom Verstoß betroffenen Flächen abzustellen. Vielmehr sind auch der Grad des jeweiligen Verschuldens sowie die Folgen des Verstoßes für das geschützte Rechtsgut sowie für den Betriebsinhaber einzubeziehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 7 K 13.1672 2014-10-09 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 114.292,47 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. Oktober 2014 ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht vorliegen.
An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese lägen vor, wenn das Zulassungsvorbringen einen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz oder eine insoweit erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage stellen würde, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergäbe (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVWZ 2011, 546; B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642).
Der Kläger wendet sich zunächst gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei der von ihm im Oktober 2012 umgebrochenen Fläche in seinem Flurstück 656 habe es sich um eine nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG geschützte seggen- und binsenreiche Nasswiese gehandelt. Die Kürzung seiner Betriebsprämie nach Art. 23 Abs. 1, Art. 24 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 73/2009 des Rates vom 19. Januar 2009 – VO (EG) Nr. 73/2009 – um 20% mit Bescheid des zuständigen Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 12. Dezember 2012 wegen eines angeblich vorsätzlich begangenen Verstoßes gemäß Art. 70 Abs. 8 Verordnung (EG) Nr. 1122/2009 der Kommission vom 30. November 2009 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 73/2009 – VO (EG) Nr. 1122/2009 – sei daher zu Unrecht erfolgt. Auf den Luftbildern sei die Feuchtfläche nicht zu erkennen. Auch habe der Vorbesitzer die Fläche gemäht. Die Naturschutzbehörde habe den Bereich seit neun Jahren nicht mehr besichtigt. Zudem wäre auch eine Ausnahme gemäß § 30 Abs. 3 BNatSchG möglich gewesen.
Das Verwaltungsgericht geht – vom Kläger nicht in Abrede gestellt – davon aus, dass im Zeitpunkt der letzten amtlichen Biotopkartierung vom 8. Juli 2003 auf dem Grundstück FlNr. 656 eine geschützte Fläche im Sinne von § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG vorhanden war. Weiter weist es darauf hin, dass diese auf den Luftbildern aus den Jahren 2004, 2007 und 2010 nicht erkennbar war. Somit kommt es auch nicht darauf an, ob auf dem Luftbild aus dem Jahre 2012 keine Feuchtfläche zu sehen ist. Die Eigenschaft als geschützte Fläche entfällt auch nicht deswegen, weil die Naturschutzbehörde seit 2006 die Fläche nicht mehr besichtigt hat. Das Gleiche gilt für die Bewirtschaftung durch den Vorbesitzer. Zutreffend verweist das Verwaltungsgericht darauf, dass auch Binsen- und Seggenflächen einer Bewirtschaftung bedürfen. Sonstige Anhaltspunkte, dass keine geschützte Fläche vorliegen sollte, sind weder erkennbar noch vom Kläger vorgetragen. Vielmehr wurden die Feststellungen von sachkundigen Personen getroffen. Im Übrigen sind der Bescheid des Landratsamts vom 12. April 2013, mit dem die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands gefordert wurde, und der Bußgeldbescheid vom 10. Juni 2013 bestands- bzw. rechtskräftig. Beide gehen von einer ursprünglich bestehenden Biotopfläche aus. Eine Ausnahme nach § 30 Abs. 2 BNatSchG wurde nicht beantragt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ergeben sich auch nicht deswegen, weil dieses zur Annahme von Vorsatz gekommen ist. Es hat angenommen, dass der Kläger jedenfalls eine etwaige Zerstörung eines geschützten Biotops billigend in Kauf genommen hat (UA S. 8 f.). Dies entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach Vorsatz voraussetzt, „dass der durch die Beihilfe Begünstigte gegen die Vorschrift über die anderweitigen Verpflichtungen verstößt und diesen Verstoß entweder bewusst herbeiführt oder – ohne dass er ein solches Ziel verfolgt – die Möglichkeit eines derartigen Verstoßes billigend in Kauf nimmt“ (EuGH, U.v. 27.2.2014 – C-396/12 – AUR 2014, 147 Rn. 37 zu Art. 67 Abs. 1 VO [EG] Nr. 796/2004 als Vorgängerbestimmung des Art. 72 Abs. 1 VO [EG] Nr. 1122/2009; vgl. auch BVerwG, U.v. 1.10.2014 – 3 C 31.13 – RdL 2015, 137 Rn. 20 f. sowie NdsOVG, U.v. 31.3.2016 – 10 LB 32/14 – RdL 2016, 260). Mit Schreiben des Marktes B. vom 9. Oktober 2012 war der Kläger darauf hingewiesen worden, dass sich unter den von ihm mit notariellem Kaufvertrag vom 18. September 2016 erworbenen Flächen auch geschützte Feuchtflächen befanden, für die ein Umbruchverbot bestehe. Ihm war zudem mitgeteilt worden, dass er sich vorher mit der unteren Naturschutzbehörde des Landratsamts in Verbindung setzen müsse, sollte er dennoch beabsichtigen, diese geschützten Flächen anderweitig zu bewirtschaften. Dieses Schreiben ist dem Kläger jedenfalls vor den am 17./18. Oktober 2012 durchgeführten Umbrucharbeiten zugegangen. In seinem Widerspruch vom 23. Januar 2013 weist der Kläger ausdrücklich darauf hin, dass er nach Erhalt dieses Schreibens mit dem Makler des Verkäufers gesprochen habe. Dieser habe sich mit dem Bürgermeister des Marktes in Verbindung gesetzt und den Kläger dann dahingehend informiert, dass der Bürgermeister auch selbst nicht sagen könne, welche geschützten Flächen gemeint seien. Er, der Makler, aber wisse, dass man auf 2 m an Gräben und Wasserläufe heranackern dürfe. In Kenntnis des Schreibens vom 9. Oktober 2012 hat der Kläger dennoch ohne weitere Prüfungen den Umbruch durchgeführt und die Zerstörung der Feuchtfläche in Kauf genommen. Die Nichtbeachtung des Schreibens der Gemeinde kann auch nicht mit dem enormen Arbeitsanfall im Oktober in der Landwirtschaft begründet werden, nachdem der Kläger nach seinem eigenen Vortrag zunächst Erkundigungen eingeholt hat, wo die Feuchtflächen liegen, dies aber nach der Auskunft von nicht sachkundigen Personen auf sich beruhen ließ.
Die Annahme der Ausgangsbehörde und des Verwaltungsgerichts, hier sei von Vorsatz im Sinn von Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 1122/2009 auszugehen, ist demgemäß nicht zu beanstanden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Amtsgerichts E. vom 18. Februar 2014, wonach die gegen den Kläger festgesetzte Geldbuße „wegen des fahrlässigen Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz“ reduziert wurde. Eine Bindungswirkung besteht insoweit nicht, ordentliche Gerichte und Verwaltungsgerichte entscheiden unabhängig voneinander über die Frage, ob ein schuldhaftes Verhalten vorliegt oder nicht (Schulze in Düsing/Martinez, Agrarrecht, 2016, zur Nachfolgeregelung Art. 39 VO [EU] Nr. 640/2015 Rn. 19). Auch enthält der Beschluss des Amtsgerichts keine Ausführungen, weswegen hier von einem fahrlässigen Verstoß ausgegangen worden ist. Insbesondere gilt – worauf das Verwaltungsgericht verweist – anders als im Straf- (bzw. Ordnungswidrigkeiten-)Recht im Bereich der landwirtschaftlichen Förderung nicht der Grundsatz „in dubio pro reo“ (vgl. Art. 71 Abs. 5 Unterabs. 3 VO [EG] Nr. 1122/2009).
Auch soweit das Verwaltungsgericht die Kürzung um 20% nach Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 1 VO (EG) Nr. 1122/2009 als angemessen angesehen hat, bestehen keine Bedenken. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass „in der Regel“ eine Kürzung in Höhe von 20% vorgenommen wird. Weder für eine Reduzierung auf 15% noch für eine Erhöhung auf bis zu 100% bestand Veranlassung. Bei der Beurteilung, ob eine Abweichung vom gedachten Regelfall nach „oben“ oder „unten“ geboten ist, ist nicht nur auf die relative und absolute Größe der vom Verstoß betroffenen Fläche abzustellen. Vielmehr sind auch der Grad des jeweiligen Verschuldens sowie die Folgen des Verstoßes für das geschützte Rechtsgut sowie für den Betriebsinhaber einzubeziehen. Bei einem ungenehmigten Umbruch ist also auch die materielle Genehmigungsfähigkeit und weiter zu prüfen, ob sich der Betriebsinhaber zumindest um den (fristgerechten) Erhalt der Genehmigung bemüht hat, sowie weiterhin, zu welchen Folgen der ungenehmigte Umbruch für die Umwelt und den Betriebsinhaber führt (NdsOVG, U.v. 31.3.2016 – 10 LB 32/14 – a.a.O. Rn. 91; vgl. auch Schulze in Düsing/Martinez, a.a.O., Art. 40 VO [EU] Nr. 640/2014 Rn. 8). Gemessen daran ist, wie auch der Widerspruchsbescheid der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 17. Juli 2013 feststellt, keine Abweichung vom Regelfall gegeben. Eine ausnahmsweise geringere Kürzung nach Art. 72 Abs. 1 Unterabs. 2 VO (EG) Nr. 1122/2009 würde zudem eine entsprechende Bewertung durch die zuständige Kontrollbehörde im bewertenden Teil des Kontrollberichts nach Art. 54 Abs. 1 Buchst. c VO (EG) Nr. 1122/2009 voraussetzen. Im Kontrollbericht vom 27. November 2012 wird der Verstoß jedoch nicht nur als geringfügig angesehen, sondern als „mittel“ bewertet.
Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Hinsichtlich des Vorhandenseins einer geschützten Feuchtfläche beschränkt sich der Vortrag des Klägers im Wesentlichen darauf, es liege keine derartige Fläche vor. Auch die Prüfung, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliege, bedingt keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten.
Ebenso wenig kommt der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO im Hinblick auf die Definition von Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit zu. Vielmehr ist nach der genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, dass der bedingte Vorsatz ausreicht, um vorsätzliches Verhalten annehmen zu können (EuGH, U.v. 27.2.2004 – C-396/12 – a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.


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