Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung

Aktenzeichen  Au 9 S 21.2172

Datum:
8.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35403
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 50
BayAufnG Art. 1, Art. 5 Abs. 2
DVAsyl § 7 Abs. 3, § 9

 

Leitsatz

Bei der Verteilung im Asylverfahren sind die Haushaltgemeinschaft von Ehegatten und ihren Kindern neben den Belangen der öffentlichen Sicherheit zu berücksichtigen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen seine landesinterne Umverteilung in eine private Unterkunft im Landkreis …
Der am … 1987 in … (Nigeria) geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Edo. Der Antragsteller reiste am 25. April 2015 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 4. Mai 2015 Asylerstantrag stellte. Der vorbezeichnete Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. März 2017 (Gz.: …) abgelehnt. Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote im Fall des Antragstellers nicht vorlägen. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Die vom Antragsteller am 4. April 2017 gegen die vorbezeichnete Entscheidung erhobene Klage (Az.: Au 7 K 17.31903) wurde mit Urteil vom 15. April 2019 abgewiesen. Ein gegen die vorbezeichnete Entscheidung gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Juli 2019 abgelehnt. Der Antragsteller ist seit diesem Zeitpunkt vollziehbar ausreisepflichtig. Am 24. Juni 2021 stellte der Antragsteller einen Asylfolgeantrag (§ 71 Asylgesetz – AsylG), über den noch nicht entschieden wurde.
Der Antragsteller ist seit dem 12. Oktober 2018 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet.
Im Zeitraum vom 25. April 2015 bis zum 18. März 2019 lag die ausländerrechtliche Zuständigkeit für den Antragsteller beim Landratsamt … Im Zeitraum zwischen dem 19. März 2019 und dem 31. Januar 2020 war die Ausländerbehörde der kreisfreien Stadt … für den Antragsteller zuständig. Am 1. Februar 2020 wurde dessen Umzug nach … (Landkreis …) genehmigt und die erneute ausländerrechtliche Zuständigkeit des Landratsamts … begründet.
Am 1. April 2021 verlegte der Antragsteller ohne entsprechende Genehmigung seinen Wohnsitz nach … (Nordrhein-Westfalen).
Mit Bescheid des Landratsamts … vom 19. Oktober 2021 wurde dem Antragsteller als künftiger Wohnsitz das Wohnheim, … als künftiger Wohnsitz zugewiesen (Nr. 2 des Bescheids). Nach Nr. 3 des Bescheids ist der Antragsteller verpflichtet, sich zur Wohnsitznahme am 26. Oktober 2021 in die vorbezeichnete Unterkunft zu begeben. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Antragsteller in Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids die Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang angedroht.
Zur Begründung verweist der Bescheid auf die Rechtsgrundlagen des § 50 Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 1, 4, 5 Abs. 2 und 6 Aufnahmegesetz (AufnG), § 7 Abs. 3 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) und Art. 29 i.V.m. Art. 34 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG). Eine weitere Begründung enthält der Bescheid nicht.
Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt, den Bescheid vom 19. Oktober 2021 aufzuheben (Az.: Au 9 K 21.2171). Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2021 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: Au 9 K 21. 2171) anzuordnen.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass die dem Antragsteller im Bescheid vom 14. Oktober 2021 auferlegte Wohnsitzauflage unter Ablehnung der Genehmigung des Umzugs nach … im Ermessen der Ausländerbehörde stehe. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei und mit dieser in Haushaltsgemeinschaft lebe und der Lebensunterhalt dauerhaft gesichert sei, reduziere sich dieses Ermessen unter Berücksichtigung des besonderen Schutzes von Ehe und Familie auf Null. Der hier angefochtene Bescheid diene letztlich allein der Umsetzung der Wohnsitzauflage, so dass er lediglich eine rechtswidrige Entscheidung der Ausländerbehörde umsetze.
Der Antragsgegner hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt. Das Landratsamt … hat mit Schriftsatz vom 3. November 2021 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Wohnsitzzuweisung sei im Hinblick auf die bestehende Unterbringungspflicht des Landkreises … rechtmäßig und notwendigerweise erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Verfahrens Au 9 K 21.2171 und die vom Antragsgegner vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den angefochtenen Bescheid des Landratsamts … vom 19. Oktober 2021 (Az.: Au 9 K 21.2171) hat keinen Erfolg.
1. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung, sofern diese nicht kraft Gesetzes oder aufgrund einer Anordnung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt. Vorliegend ist die streitgegenständliche Verpflichtung zur Wohnsitznahme nach Art. 10 Abs. 1 Satz 2 AufnG, § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Ob ein hiernach erforderliches besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht, hat das Gericht auf Antrag des Betroffenen im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu prüfen.
Lässt sich bei summarischer Überprüfung die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung ohne Weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich rechtswidrig, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, weil an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich dagegen auf Grund einer summarischen Überprüfung die angefochtene Verfügung als offensichtlich rechtmäßig, so kann in der Regel ohne Verfassungsverstoß davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung das private Aufschubinteresse überwiegt. Lässt sich schließlich bei summarischer Prüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die evidente Rechtswidrigkeit feststellen, weil der Sachverhalt weiterer Aufklärung bedarf oder sich schwierige und nicht eindeutig höchstrichterlich geklärte Rechtsfragen stellen, bedarf es zur Entscheidung einer Abwägung der Interessen im Einzelfall. Dabei sind die Folgen, die eintreten, wenn die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte, den Auswirkungen gegenüberzustellen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg versagt würde.
Im vorliegenden Fall erweist sich der Bescheid vom 19. Oktober 2021 bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als voraussichtlich rechtmäßig, so dass ein überwiegendes Interesse am Fortbestand des gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs gegeben ist.
a) Die angefochtene Zuweisungsentscheidung, die auf § 50 Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 1, 4, 5 Abs. 2 und 6 AufnG sowie § 7 Abs. 3 DVAsyl gestützt ist, ist zunächst formell rechtmäßig.
Das Landratsamt … ist vorliegend nach § 9 Abs. 3 Satz 2 DVAsyl für die Umzugsaufforderung ausländerrechtlich zuständig, nachdem sich der zuletzt gestattete Aufenthalt des Antragstellers in … (Landkreis …) befand und es sich vorliegend nicht um einen Umzug in eine Gemeinschaftsunterkunft oder aus einer Gemeinschaftsunterkunft handelt. Ein Fall des § 9 Abs. 3 Satz 1 DVAsyl, der eine Zuständigkeit der Regierung begründen könnte, liegt hier offensichtlich nicht vor. Hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Zuweisungsentscheidung finden gemäß § 9 Abs. 4 DVAsyl die Vorschriften des § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl entsprechende Anwendung, was zu einer weiteren entsprechenden Anwendung von § 50 Abs. 4 und 5 AsylG führt. Einer Anhörung und Begründung bedarf es demnach nicht (§ 50 Abs. 4 Satz 3 und 4 AsylG). Der angefochtene Bescheid ist schriftlich erlassen, die Rechtsbehelfsbelehrung:ist beigefügt (§ 50 Abs. 4 Satz 2 AsylG in entsprechender Anwendung).
Soweit der Antragsteller sinngemäß begehrt, die streitgegenständliche Entscheidung aufzuheben und dem Wohnort … (Nordrhein-Westfalen) zugewiesen zu werden, erweist sich die Klage als unbegründet, weil sie sich bereits gegen den falschen Beklagten richtet. Um eine länderübergreifende Verteilung von Bayern nach Nordrhein-Westfalen zu erreichen, wäre es am Antragsteller gelegen, einen Antrag auf länderübergreifende Verteilung nach § 51 AsylG zu stellen (§ 51 Abs. 2 Satz 1 AsylG) über den nach § 51 Abs. 2 Satz 2 AsylG die zuständige Behörde des Landes entscheidet, für das der weitere Aufenthalt beantragt ist. Die Klage wäre demnach – vorbehaltlich eines zuvor wirksam gestellten und abgelehnten Antrags – gegen das Land Nordrhein-Westfalen zu richten. Die hier isoliert auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 19. Oktober 2021 gegen den Freistaat Bayern erhobene Klage kann bereits aus diesen Gründen kein Erfolg haben.
b) Im Übrigen erweist sich der mit der Klage angegriffene Zuweisungsbescheid vom 19. Oktober 2021 als voraussichtlich rechtmäßig.
Grundsätzlich hat ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Bundesland oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG). Ausländer, die in ihren Asylantrag bei einer Außenstelle des Bundesamts zu stellen haben (§ 14 Abs. 1 AsylG) sind verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamts über den Asylantrag, längstens jedoch bis zu 18 Monate, in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Mit Ablauf der Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, erlässt die zuständige Landesbehörde nach § 50 Abs. 4 AsylG, § 7 Abs. 1 und 2 DVAsyl, Art. 1, Art. 4, Art. 5 Abs. 2 und Art. 6 AufnG eine Zuweisungsentscheidung, d.h. eine Entscheidung darüber, in welchem Landkreis oder in welcher Gemeinde der Asylsuchende seinen Wohnsitz zu nehmen hat. Die Entscheidung erfolgt schriftlich, einer Anhörung des Ausländers bedarf es nicht. Bei der Zuweisung ist die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht zu berücksichtigen (§ 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG).
Zwar sind auch nach § 7 Abs. 3 Satz 1 DVAsyl bei der Verteilung und der Zuweisung der Haushaltgemeinschaft von Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern auch sonstige humanitäre Gründe von gleichem Gewicht neben den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Rechnung zu tragen. Nachdem sich aber nach derzeitigem Kenntnisstand die Ehefrau des Antragstellers ebenfalls in … (Nordrhein-Westfalen) aufhält, kann dieser Umstand bei einer Umzugsaufforderung des Antragstellers innerhalb des Freistaats Bayern bzw. des Landkreises … auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Grundgesetz (GG) nicht entscheidungsrelevant sein. Damit stehen auch aufgrund der nach wie vor bestehenden Zuweisungsentscheidung des Antragstellers an den Freistaat Bayern (Landkreis …) keine familiären oder sonstigen humanitären Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 9 Abs. 6 DVAsyl vor, denen derart Rechnung zu tragen wäre, dass sich der streitgegenständliche Bescheid trotz des öffentlichen Interesses an einem weiteren Aufenthalt des vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers im Gebiet des Antragsgegners als rechtswidrig erweisen würden.
Der Antragsteller ist ursprünglich nach § 46 AsylG und entsprechend der nach § 45 AsylG vereinbarten Aufnahmequoten einer Aufnahmeeinrichtung in Bayern zugewiesen worden. Demnach ist der Antragsteller nach § 50 AsylG durch eine Zuweisungsentscheidung der jeweils zuständigen Landesbehörde innerhalb des Bundeslands Bayern weiter zu verteilen. Die streitgegenständliche Zuweisungsentscheidung/Umzugsaufforderung wurde unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben erlassen, wie sie § 50 Abs. 2 AsylG bzw. die Bestimmungen der hierzu ergangenen DVAsyl festlegen.
Die vom Antragsgegner getroffene Entscheidung leidet weder an Ermessensfehlern, die im gerichtlichen Verfahren nach § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbar sind, noch ist die Umverteilung unverhältnismäßig. Es ist nicht erkennbar, dass sich der Antragsgegner von sachfremden Erwägungen leiten ließ oder wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hat. Dies insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller bereits seit dem 29. Juli 2019 vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Wohnsitzverlagerung am 1. April 2021 nach … ohne behördliche Gestattung erfolgte.
c) Die Androhung unmittelbaren Zwangs für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der dem Antragsteller zugewiesenen Einrichtung erweist sich insbesondere auch wegen der Untauglichkeit von anderen Zwangsmitteln nach Art. 34 VwZVG – die Beitreibung eines Zwangsgeldes erscheint wegen der finanziellen Situation des Antragstellers nicht erfolgversprechend – als geeignet, erforderlich und angemessen, so dass die Klage auch hiergegen voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2021 – 19 CS 20.261 – juris Rn. 13).
Zusammenfassend überwiegt auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers das öffentliche Interesse am gesetzlich angeordneten Sofortvollzug.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG) (BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 21 C 16.30043 – juris).
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)


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