Verwaltungsrecht

Mangelnde Glaubhaftmachung im Asylverfahren

Aktenzeichen  M 1 K 16.31524

Datum:
5.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 4 Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Eine menschenrechtswidrige Schlechtbehandlung liegt vor bei Maßnahmen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird.  (redaktioneller Leitsatz)
2 An der Glaubhaftmachung eines Verfolgungsschicksals fehlt es, wenn der Schutzsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben zu demselben Sachverhalt macht, sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, sowie dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung entscheiden, obwohl seitens der Beklagtenpartei niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Die Parteien wurden im Ladungsschreiben darauf hingewiesen worden, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit der Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Klage, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht aufrechterhalten hat, ist dies als teilweise Klagerücknahme zu werten. Insoweit war das Verfahren deshalb gem. § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Streitgegenstand ist neben der Aufhebung der Nr. 3, 4 und 5 des Bescheids vom 14. Juni 2016 nach der ausdrücklichen Antragstellung nur die Verpflichtung zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten. Die Verpflichtung zur Anerkennung als Asylberechtigter wurde schon bei Klageerhebung nicht beantragt.
Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch liegen nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Auf-enthG vor. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 VwGO). Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
1. Es besteht kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und Art. 15 lit. b QualRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylG Rn. 21-27 m.w.N. zur Rechtsprechung).
Der Ausländer hat stichhaltige Gründe für die Annahme darzulegen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe (essential grounds, Art. 2 lit. f QualRL) bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, entspricht dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 10.04.2008 – 10 B 28.08 – juris Rn. 6; U.v. 14.12.1993 – 9 C 45.92 – juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – juris Rn. 17; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylG Rn. 61ff. m.w.N. zur Rechtsprechung). Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH BadenWürttemberg, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Daran gemessen muss der Kläger nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei von staatlichen bzw. nichtstaatlichen Stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Stichhaltige Gründe dafür vermochte der Kläger nicht überzeugend darzulegen. Die Behauptung, er sei wegen seines christlichen Glaubens gefährdet, ist unglaubwürdig. Nach dem schon in der Anhörung beim Bundesamt detailarmen und wenig schlüssigen Vortrag ist das Gericht bei der informatorischen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass dieser keiner christlichen Glaubensgemeinschaft angehört und dieser Glauben kein Teil der persönlichen Identität des Klägers ist.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er katholischer Christ sei. Er war jedoch nicht in der Lage Unterlagen vorzulegen, die formal die Zugehörigkeit zur katholischen Glaubensgemeinschaft belegen können. Auf Frage des Gerichts, ob er getauft sei, konnte der Kläger zunächst keine Angaben machen. Erst auf erneute Nachfrage erklärte er, dass ihn sein Großvater durch einen Freund habe taufen lassen. Er konnte jedoch nicht angeben, ob es sich dabei um einen Priester handelte. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt hatte der Kläger noch vorgetragen, der Großvater habe ihm lediglich erzählt, dass seine Familie dem Christentum angehöre. Zugleich hat er ausgeführt, dass seine Eltern und die Großeltern das Christentum abgelegt hätten und Muslime geworden seien. Es ist nicht glaubhaft, dass der Kläger als einziger Angehöriger seiner Familie durch seinen Großvater ohne Wissen der Eltern getauft worden wäre. Vielmehr ist das Gericht nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass der Kläger aufgrund der Frage des Gerichts nach einer Taufe, eine solches Ereignis nur behauptet hat, um hierzu etwas vorweisen zu können. Anders lässt sich nicht erklären, dass der Kläger zunächst auf die Frage nach einer Taufe keine Antwort hatte, obwohl damit nach seinem übrigen Vortrag die Ursache für seine im Mittelpunkt des Verfolgungsschicksals stehende Glaubenszugehörigkeit gesetzt worden wäre. Auch der Vortrag, es sei ein Freund des Großvaters gewesen, der ihn getauft habe, spricht dafür, dass der Kläger die bereits bei der Anhörung geschilderte Hinwendung zum Christentum um eine Taufakt ergänzt hat, obwohl der geschilderte Vorgang nicht mit einer herkömmlichen katholischen Taufzeremonie in Verbindung gebracht werden kann. Neben dem Fehlen schriftlicher Nachweise der Glaubenszugehörigkeit ist somit auch dieses Vorbringen des Klägers zu dem formalen Beitrittsakt nicht glaubhaft.
Auch die weitere Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat den Eindruck bestätigt, dass er dem katholischen Glauben nicht nahe steht. Auf Nachfrage des Gerichts war der Kläger nicht in der Lage das an dem auf den Verhandlungstermin folgenden Sonntag in der katholischen Kirche gefeierte besondere kirchliche Fest (Palmsonntag) zu benennen. Auf die Frage nach diesem Ereignis hat der Kläger vielmehr geantwortet es sei bald Ostern. Obwohl sich der Kläger bereits seit 2012 im Bundesgebiet aufhält und deshalb die von ihm als einzigen Grund für das Verlassen der Türkei genannte uneingeschränkte Möglichkeit zur Ausübung des katholischen Glaubens besitzt, war er nicht in der Lage die Kirche mit Namen zu benennen, die er angeblich besucht. Er hat sich keiner katholischen Kirchengemeinde angeschlossen.
Auf Frage des Gerichts, welche Bücher er bei dem in seiner Anhörung beim Bundesamt geschilderten Vorfall in der Türkei verteilt habe, konnte der Kläger zunächst nur antworten, dass es sich um christliche Bücher gehandelt habe. Auch auf mehrmaliges Nachfragen des Gerichts war er nicht in der Lage, genaue Inhalte der Bücher zu beschreiben. Ebenso wenig konnte der Kläger den Zweck der Verteilung der Bücher nennen. Er hat nach mehrmaligem Insistieren des Gerichts lediglich vortragen können, dass er Geschichten über Jesus verteilen wollte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Kläger Bücher zur Werbung für den katholischen Glauben verteilt haben sollte und dabei nach seinen eigenen Angaben Gefahren einging, ohne zu wissen, welchen genauen Inhalt die Bücher hatten und ohne die Zielrichtung seines Handelns zu kennen. Es liegt somit nahe, dass die vom Kläger geschilderten Vorgänge ausschließlich aus asyltaktischen Gründen erfunden wurden. Es ist ihm bei genauerem Nachfragen weder gelungen Details zu seinem Glauben oder seiner Werbung für den Glauben darzulegen noch hat er die behauptete Hinwendung zum christlichen Glauben nachvollziehbar und konsistent geschildert. Das Gericht ist deshalb nicht vom Bestehen eines Verfolgungsschicksals überzeugt.
Unabhängig davon hätte der Kläger auch bei dem Vorliegen einer christlichen Glaubensüberzeugung in der Türkei nicht zu befürchten, dass ihm eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Nach dem Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2017) ist die individuelle Religionsfreiheit in der Türkei weitgehend gewährt. Nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen kommen nur vereinzelt vor (Seite 14 Nr. 1.4). Eine für die Gewährung eines subsidiären Schutzstatus erforderliche Gefahrendichte für die Mitglieder der katholischen Glaubensgemeinschaft in der Türkei ist bei Berücksichtigung des verfügbaren Erkenntnismaterials nicht erkennbar.
2. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.
Der Kläger hat über die befürchtete Bedrohung aufgrund der Ausübung des Glaubens keine Umstände vorgetragen, die ein persönliches Abschiebungshindernis begründen könnten. Wie vorstehend ausgeführt, besteht die vom Kläger dargelegte Bedrohungssituation tatsächlich nicht. Damit kommt auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthaltsG nicht in Betracht.
3. Auch gegen die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und § 36 Abs. 1 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung bestehen keine Bedenken.
Der Kläger hat als unterlegene Partei gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO


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