Verwaltungsrecht

Mangelnde Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung

Aktenzeichen  19 CS 20.261

Datum:
31.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15856
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 61 Abs. 1c, Abs. 1f

 

Leitsatz

1. Die Ermessenentscheidung der Behörde, dass der Ausländer in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen hat, ist nicht zu beanstanden, da der Betroffene jede Art der Mitwirkung zur Identitätsfeststellung verweigert hat. (Rn. 6 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zweck des § 61 Abs. 1c S. 2 AufenthG ist es, Personen, die ihre Mitwirkungspflichten in Asylsachen nicht erfüllen, räumlich näher an die zuständige Ausländerbehörde zu binden und ihren Aufenthalt noch weiter einzuschränken. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 6 S 20.68 2020-01-28 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Antragsteller, nach seinen Angaben ein am … 1985 geborener äthiopischer Staatsangehöriger, der am 8. Mai 2011 in das Bundesgebiet einreiste, der nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens seit 26. Mai 2014 vollziehbar ausreisepflichtig ist und trotz vielfacher Belehrungen über seine Mitwirkungspflichten bislang keine Identitätspapiere beschafft hat (zu seiner nicht unverschuldeten Hinderung an der Ausreise, weil er nicht ernsthaft und nachhaltig alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen zur Beschaffung eines Passes bzw. Passersatzpapieres und damit zur Beseitigung des Ausreisehindernisses unternommen hat: rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts B. vom 19.4.2017 im Verfahren B 4 K 15.996), seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiterverfolgt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Dezember 2019 anzuordnen bzw. wiederherzustellen, ist nicht begründet. Mit diesem Bescheid ist der Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung O. in B. verpflichtet, ihm für den Fall der Nichterfüllung bis zum 31. Januar 2020 die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht und sein Aufenthalt unter Anordnung der sofortigen Vollziehung räumlich auf das Gebiet der Stadt B. beschränkt worden.
Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Der Antragsteller rügt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Begründung des besonderen Interesses an der Vollziehung des Bescheides und die in dem Bescheid genannten Gründe seien nicht geeignet, dieses besondere Interesse zu begründen. Die vom Verwaltungsgericht insoweit getätigten Ausführungen beträfen zum großen Teil alle Wohnsitzverpflichtungen und räumlichen Beschränkungen gleichermaßen. Sie könnten ein besonderes Vollziehungsinteresse nicht begründen. Dort, wo die Begründung Besonderheiten beim Antragsteller anführe, träfen die zugrundeliegenden Behauptungen nicht zu. Der Antragsgegner habe erstmals mit Bescheid vom 23. August 2018 eine Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung O. und zur räumlichen Beschränkung auf das Gebiet der Stadt B. erlassen. Hiergegen habe er Klage erhoben und Eilrechtsschutz beantragt. Mit Bescheid vom 6. September 2018 habe dann der Antragsgegner den Bescheid vom 23. August 2018 hinsichtlich der räumlichen Beschränkung aufgehoben und eine neue räumliche Beschränkung erlassen. Auch gegen diesen Bescheid habe der Antragsteller Klage erhoben und Eilrechtsschutz beantragt. Sowohl der Bescheid vom 23. August 2018 als auch der Bescheid vom 6. September 2018 seien dann mit Bescheid vom 18. Dezember 2019 aufgehoben worden. Das Verwaltungsgericht habe über die beiden (früheren) Anträge des einstweiligen Rechtsschutzes nicht entschieden. „Entsprechend seiner allgemeinen Zusicherung“ habe der Antragsgegner zugesichert, vor einer Entscheidung über die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu vollstrecken. Bei Unwirksamkeit der angegriffenen Bescheide sei die frühere räumliche Beschränkung auf den Landkreis K. nach wie vor wirksam gewesen. Er habe daher den Landkreis K. nicht verlassen dürfen. Der Antragsgegner habe nicht zum Ausdruck gebracht, dass er sich an die Zusicherung, die genannten Bescheide vorläufig nicht zu vollstrecken, nicht mehr gebunden fühle. Aufforderungen an den Antragsteller, in B. vorzusprechen, seien nicht an den Vertreter übersandt worden. Der Vertreter habe dem Antragsteller geraten, sich bis zu einer Entscheidung über die Anträge gemäß § 80 Abs. 5 VwGO an die alte Wohnsitzauflage zu halten und im Landkreis K. zu bleiben. Die Vollziehungsanordnungen seien materiell rechtswidrig, weil jeweils das Aussetzungsinteresse gegenüber dem Vollziehungsinteresse überwiege. Betreffend die Wohnsitzverfügung sei auf die Ausführungen der Antragsschrift nicht eingegangen worden. Auch auf die Ausführungen der Antragsschrift zur verfassungskonformen Auslegung des § 61 AufenthG, zur fehlenden Zuständigkeit der Behörde und zum hohen Gewicht des Aussetzungsinteresses sei mit keinem Wort eingegangen worden. Sie würden daher im Folgenden (noch einmal) wiedergegeben. Bei der räumlichen Beschränkung sei die Annahme der Rechtmäßigkeit vom Verwaltungsgericht damit begründet worden, dass § 61c Abs. 1 Satz 2 AufenthG nicht nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 61c Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Anwendung kommen solle. Dies ergebe sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs. Dies sei nicht nachvollziehbar. Eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Antragsschrift sei auch hier nicht erfolgt, so dass auch diese hier noch einmal wiedergegeben werde.
Unter dem 10. Mai 2020 ergänzte der Antragsteller (außerhalb der Begründungsfrist) u.a., die Ermächtigungsgrundlage des § 61 Abs. 1f AufenthG sei so allgemein, dass ein tiefgreifender Grundrechtseingriff wie die Anordnung einer Wohnsitzverpflichtung nicht auf sie gestützt werden könne. Dies würde dem Bestimmtheitsgebot widersprechen. Allein § 61 Abs. 1e AufenthG (n.F.) sei eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für eine Auflage, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen. Der Antragsteller habe keine Kontakte mehr in seine Heimat. Aufgrund fehlender Kontakte in der Heimat sei es ihm auch nicht möglich, bei Behörden in seinem Heimatland irgendwelche Dokumente zu beschaffen. Es bestünden auch keine Zweifel an der Rechtswidrigkeit der räumlichen Beschränkung. Eine Anwendung des § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG sei ausgeschlossen, wenn weder die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 bis 1b AufenthG noch diejenigen des § 61 Abs. 1c Satz 1 AufenthG erfüllt seien. Im Übrigen seien Wohnsitzverpflichtungen und räumliche Beschränkung spätestens in der jetzigen Situation unverhältnismäßig geworden. O. sei ein Corona-Hochrisikogebiet. Wegen völliger Überforderung des Gesundheitssystems Äthiopiens mit einer Verbreitung des Corona-Virus habe jede Einreise nach Äthiopien aus einem Corona-Risikogebiet zu unterbleiben.
Diese Rügen greifen nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die in § 61 Abs. 1f AufenthG geregelte Auflage zur Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung voraussichtlich rechtmäßig ist (1.). Die Abwägung des Verwaltungsgerichts, wonach das Interesse des Antragstellers, vorläufig nicht in der Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Auflage nicht überwiegt, ist nicht zu beanstanden (2.). Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs ist voraussichtlich nicht zu beanstanden (3.). Zurecht hat der Antragsgegner die räumliche Beschränkung auf das Stadtgebiet B. auf § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG gestützt (4.). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der räumlichen Beschränkung auf das Stadtgebiet B. begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Zweifeln (5.).
1. In § 61 AufenthG ist die räumliche Beschränkung des Aufenthalts vollziehbar Ausreisepflichtiger insbesondere im Wege einer Wohnsitzauflage sowie die Schaffung von Ausreiseeinrichtungen geregelt. Während § 61 Abs. 1 bis Abs. 1b AufenthG die räumliche Beschränkung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auf das Gebiet eines Landes bzw. einer Ausländerbehörde und das Erlöschen dieser Beschränkungen nach drei Monaten regelt, kann nach § 61 Abs. 1c AufenthG weitergehend eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers angeordnet werden, wenn u.a. konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde soll angeordnet werden, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeigeführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt (§ 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG). Nach § 61 Abs. 1d AufenthG ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist, verpflichtet, an einem bestimmten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Gemäß § 61 Abs. 1e AufenthG können Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht angeordnet werden, wenn konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorstehen. Generalklauselartig sieht § 61 Abs. 1f AufenthG vor, dass weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden können.
Wohnsitzbeschränkende Auflagen müssen im Einzelfall ihre Rechtfertigung in dem Zweck des Gesetzes und der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung der Materie finden. Sie müssen aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen und in diesem Sinne sachgerecht sein und müssen die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahren, was insbesondere dann nicht mehr der Fall wäre, wenn sie in erster Linie Sanktionscharakter hätten und sich vornehmlich als schikanös darstellen würden (vgl. BayVGH, B.v. 17.3.2010 – 19 C 09.2583 – juris Rn. 12; B.v. 3.6.2014 – 10 C 13.396 – juris Rn. 9). Rahmen und Zweck der Ermächtigung werden durch die ausdrückliche Normierung von Ausreiseeinrichtungen in § 61 Abs. 2 AufenthG hinreichend deutlich umschrieben. Gemäß § 61 Abs. 2 Satz 2 AufenthG soll in den Ausreiseeinrichtungen durch Betreuung und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden. Der Umstand, dass in der Vorschrift drei Zwecke der Einrichtung aufgezählt und gleichwertig nebeneinandergestellt werden, bedeutet nicht, dass die Unterbringung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers in einer Ausreiseeinrichtung nur zulässig ist, wenn sie kumulativ zur Erreichung aller drei Zwecke erforderlich ist. Der Erlass einer Anordnung zur Wohnsitznahme in einer Ausreiseeinrichtung setzt auch nicht voraus, dass vorher sämtliche Möglichkeiten, die intendierten Zwecke zu erreichen, erfolglos ausgeschöpft wurden (BayVGH, B.v. 20.3.2019 – 19 CS 18.2075).
Nach der Gesetzesbegründung dienen Ausreiseeinrichtungen als offene Einrichtungen der Unterbringung von Personen, die keine oder unzutreffende Angaben zu ihrer Identität und Staatsangehörigkeit machen und/oder die Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten verweigern (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 92). Dass die Ausländerbehörde und das Verwaltungsgericht den Antragsteller diesem Personenkreis zuordnen, ist unter Berücksichtigung der tatsächlichen Veranlassungen des Antragstellers nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die Anordnung, in der Ausreiseeinrichtung für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer Wohnung zu nehmen, ist § 61 Abs. 1f AufenthG (BayVGH, B.v. 20.3.2019 – 19 CS 18.2075, B.v. 21.10.2019 – 19 CS 19.1264 jeweils zur Vorgängervorschrift § 61 Abs. 1e AufenthG a. F.; ebenso BeckOK AuslR/Kluth, Stand 1.1.2021, AufenthG § 61 Rn. 24a, 31; Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Mai 2021, § 61 Abs. 1f AufenthG Rn. 53; NK-AuslR/Keßler 2016, Rn. 39; Dietz, Ausländer- und Asylrecht, 3. Aufl. 2020 § 5 Rn. 245). Die Regelung muss, um ausreichend bestimmt genug zu sein, im systematischen Zusammenhang mit dem Zweck des § 61 AufenthG insgesamt, die Ausreise zu fördern, verstanden und interpretiert werden (Kluth/Heusch, AuslR, 2. Aufl. 2021 § 61 Rn. 6f). Der mithin erforderliche sinnvolle Bezug zu den Verfahrenszwecken, die § 61 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zum Ausdruck bringt, ist gegeben:
Die Ermessenentscheidung der Behörde orientiert sich in nicht zu beanstandender Weise (§ 114 VwGO) an der Zielsetzung gemäß § 61 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Behörde hat das Interesse des Antragstellers und seine persönliche Situation gewürdigt und ist mangels besonderer familiärer, humanitärer oder persönlicher Gründe unter Berücksichtigung der jahrelang erfolglosen Bemühungen zur Passbeschaffung von einer Zumutbarkeit der Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung ausgegangen. Das Verwaltungsgericht und die Behörde weisen zu Recht darauf hin, dass der Antragsteller bislang keinerlei Nachweise über seine Identität eingereicht hat und sich weigert, seiner Ausreiseverpflichtung sowie seiner Passpflicht aus § 3 AufenthG freiwillig nachzukommen. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass der Antragsteller sogar aus dem Kreis der „üblichen Mitwirkungsverweigerer“ heraussticht, nachdem er jeglichen Kontakt mit der Zentralen Ausländerbehörde verweigert und aus diesem Grund seit nunmehr geraumer Zeit noch nicht einmal mehr im Besitz einer Duldung ist. Zutreffend führt der Antragsgegner auch aus, dass dem Antragsteller konkrete Möglichkeiten der Identitätsklärung benannt wurden (Beschaffung von Kebele-Ausweis, Geburtsurkunde, Schulzeugnis etc.) und sogar Blankovollmachten zur Beauftragung einer Person in Äthiopien zur Erlangung von Personalpapieren übersandt wurden. Eine Vielzahl möglicher Identitätsdokumente sowie Möglichkeiten ihrer Beschaffung seien dem Antragsteller auch im Rahmen des abgeschlossenen Verfahrens betreffend die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgezeigt worden. Keine dieser Möglichkeiten habe der Antragsteller bis heute genutzt, vielmehr ziehe er sich bis heute auf eine mit der angeblichen Unmöglichkeit begründete Verweigerungshaltung zurück. Diese Ausführungen des Antragsgegners erscheinen nachvollziehbar, demgegenüber greift die bloße Behauptung, er habe keine Verwandten (oder Bezugspersonen) in Äthiopien, nicht durch, zumal der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und gegenüber dem Antragsgegner in früheren Verfahrensstadien (und in anderen Zusammenhängen) von einer Vielzahl von (auch engen) Verwandten in Äthiopien berichtete. In Anbetracht dessen erscheint die Wohnsitzauflage auch entsprechend der Zielsetzung des § 61 Abs. 2 Satz 2 AufenthG (der Antragsteller ist ihr mittlerweile nachgekommen) auch verhältnismäßig. Sie erscheint im Hinblick auf die Realisierung einer (ggf. auch freiwilligen) Ausreise, auch zu deren längerfristigen Vorbereitung, ebenso zur Überwachung und Kontrolle des Antragstellers erforderlich, angemessen und auch erfolgversprechend. Im Übrigen kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob etwaige (jedenfalls jahrelang erfolglose) Bemühungen des Antragstellers zur Beschaffung von Identitätspapieren bzw. Reisedokumenten auf einer schuldhaften Mitwirkungsverweigerung beruhen. Der Antragsteller ist ersichtlich seit dem 26. Mai 2014 vollziehbar ausreisepflichtig. Es ist ihm jedenfalls nicht gelungen, Identitätspapiere oder einen Pass zu beschaffen. In welchem Maß der Antragsteller pflichtwidrig seine Mitwirkung verweigert hat, kann letztlich dahinstehen. Unbestritten ist es ihm seit Bestehen der Ausreisepflicht vor knapp sieben Jahren nicht gelungen, Identitätspapiere zu beschaffen. Dass eine Beschaffung von Heimreisepapieren unabhängig vom Willen des Antragstellers gänzlich unmöglich und damit die wohnsitzbeschränkende Auflage nicht erfolgversprechend wäre, ist entgegen dem Beschwerdevorbringen insbesondere unter Berücksichtigung des Rückübernahmeabkommens zwischen der Europäischen Union und der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien und dessen praktische Umsetzung nicht anzunehmen. Dahinstehen kann, inwieweit die Ausführungen des Antragstellers zu etwaigen Zusicherungen des Antragsgegners im Rahmen ihrer Verfahren gerichtlichen Eilrechtsschutzes zutreffen. Denn sie stehen in keinem entscheidungserheblichen Zusammenhang zum hiesigen Verfahren. Soweit der Antragsteller schließlich die Unverhältnismäßigkeit der Wohnsitzverpflichtung aufgrund des Umstandes, dass O. ein Corona-Hochrisikogebiet sei und eine Rückführung nach Äthiopien das dortige Gesundheitssystem überfordere, behauptet, erschließt sich sein Vortrag auch in Anbetracht der aktuellen Pandemiebelastung dieses Regierungsbezirks, der nicht konkret bevorstehenden Rückführung des Antragstellers, des Umstands, dass bereits die Fluggesellschaften nur negativ getestete Personen transportieren und der Vorgaben des § 42 AsylG (Bindungswirkung ausländerrechtlicher Entscheidungen) nicht.
2. Soweit der Antragsteller eine formelle Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Wohnsitzauflage behauptet, trifft dies ersichtlich nicht zu. Die Anordnung des Sofortvollzugs der in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides verfügten Wohnsitznahme entspricht insbesondere den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner die Anordnung des Sofortvollzugs in seinem Bescheid vom 18. Dezember 2019 einzelfallbezogen – insbesondere auch unter Hinweis auf die Verweigerungshaltung des Antragstellers und den Zweck, zeitnah für Maßnahmen der Ausländerbehörde in räumlicher Nähe zur Verfügung zu stehen – begründet hat. Zu Recht weist der Antragsgegner zudem darauf hin, dass bei aufenthaltsbeschränkenden Anordnungen, die letztlich dazu dienen, den vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer enger an den Bezirk der Ausländerbehörde zu binden, eine bessere Erreichbarkeit für etwaige Mitwirkungshandlungen zu gewährleisten und ein mögliches Untertauchen zu erschweren, das besondere Vollzugsinteresse mit dem Erlassinteresse identisch sein kann. Auch ermöglicht die Anordnung des Sofortvollzugs (unabhängig von einer behördlichen Erklärung bis zu einer Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu vollstrecken) den behördlichen Vollzug ab dem Zeitpunkt der (negativen) Entscheidung über den Eilantrag, da die Beschwerde gemäß § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung hat.
Auch in Anbetracht des Umstandes, dass der Antragsteller bereits mit Bescheid vom 23. August 2018 auf der Grundlage des bis zum 20. August 2019 geltenden (gleichlautenden) § 61 Abs. 1e AufenthG zur Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung B. verpflichtet und eine Aufenthaltsbeschränkung angeordnet wurde und er vor dessen Erlass angehört wurde und sich auch äußerte, kann jedoch, unabhängig von der Frage, ob hier von einer Anhörung nach den Umständen des Einzelfalls abgesehen werden konnte (vgl. Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG) und auch unabhängig von der Frage, ob Stellungnahmen von Beteiligten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens für eine Heilung eines etwaigen Verfahrensfehlers nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG ausreichend sind (verneinend BVerwG, U.v. 24.6.2010 – 3 C 14/09 – juris Rn. 37 ff.) jedenfalls mit der erforderlichen Offensichtlichkeit festgestellt werden, dass das Unterbleiben der vorherigen Anhörung die Entscheidung der Behörde in der Sache nicht beeinflusst hat (Art. 46 BayVwVfG).
3. Die Androhung unmittelbaren Zwangs für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme in der Ausreiseeinrichtung erweist sich insbesondere auch wegen der Untauglichkeit von anderen Zwangsmitteln nach Art. 34 BayVwZVG (die Beitreibung eines Zwangsgeldes erscheint wegen der finanziellen Situation des Antragstellers nicht erfolgsversprechend) als geeignet, erforderlich und angemessen.
4. Der Antragsgegner hat auch zu Recht in Ziffer 3 seines Bescheides vom 18. Dezember 2019 die Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet B. auf § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG gestützt. Danach soll eine räumliche Beschränkung auf den Bezirk der Ausländerbehörde angeordnet werden, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt. Zu Recht hat die Behörde darauf hingewiesen, dass der vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller gegen seine gesetzlichen Mitwirkungspflichten aus § 15 AsylG bzw. § 48 AufenthG verstößt, seine Passpflicht aus § 3 AufenthG nicht erfüllt und Mitwirkungsbereitschaft an der Klärung seiner Identität nicht gezeigt hat, mithin insbesondere zumutbare Anforderungen zur Erlangung von Identitätspapieren nicht erfüllt hat. Auch sind im Rahmen des § 61 Abs. 1c Satz 2 letzte Alternative AufenthG bereits konkret bevorstehende Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung nicht erforderlich. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass sich gerichtlich überprüfbare Ermessensfehler bei der Anordnung der räumlichen Beschränkung nicht erkennen lassen (§ 114 Satz 1 VwGO, § 40 BayVwVfG). Nach dem Wortlaut der Vorschrift soll eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts auf den Bezirk der Ausländerbehörde angeordnet werden. Dies bedeutet, dass lediglich bei Vorliegen atypischer Umstände die Anordnung unterbleiben muss. Ein atypischer Fall, der dann vorliegt, wenn die Besonderheiten des Einzelfalls bzw. höherrangiges Recht ein Abweichen nahelegen könnten, liegt nicht vor. Anhaltspunkte dafür, warum die Ausgestaltung der Norm als Soll-Vorschrift für eine Anwendung des § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG nur bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 1 AufenthG sprechen sollten, liegen schon dem Wortlaut nach nicht vor. Es entspricht zudem dem Zweck des § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG, Personen, die ihre Mitwirkungspflichten nicht erfüllen, räumlich näher an die zuständige Ausländerbehörde zu binden und ihren Aufenthalt noch weiter einzuschränken. Darauf weist der Antragsgegner zu Recht hin. Zu Recht hat mithin das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Anwendungsbereich für § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG für die Ausländerbehörde unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1c Satz 1 AufenthG vorliegen oder nicht, eröffnet ist. Soweit der Antragsteller die Unverhältnismäßigkeit der räumlichen Beschränkung im Hinblick auf den Umstand, dass O. Corona-Hochrisikogebiet sei, behauptet, wird insoweit auf die entsprechenden Ausführungen betreffend die Wohnsitzverpflichtung Bezug genommen.
5. Soweit der Antragsteller eine formelle Rechtswidrigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs der räumlichen Beschränkung behauptet, trifft dies nicht zu. Zu Recht führt das Verwaltungsgericht aus, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung insoweit in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides formell-rechtlich nicht zu beanstanden ist. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, in dem die sofortige Vollziehung u.a. im öffentlichen Interesse von einer Behörde angeordnet wird, das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dem Sinn und Zweck des Begründungszwangs genügend hat der Antragsgegner insbesondere auf die Verweigerungshaltung des Antragstellers und den Zweck der Anordnung, zeitnah und in räumlicher Nähe für aufenthaltsbeendende Maßnahmen der Ausländerbehörde zu Verfügung zu stehen, hingewiesen, zumal der Sofortvollzug der Wohnsitznahmeanordnung – worauf auch das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist – ohne den Sofortvollzug der räumlichen Beschränkung nicht effektiv seinen Zweck erfüllen kann. Auch besteht (davon ausgehend) ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der räumlichen Beschränkung. Insoweit ist zudem in den Blick zu nehmen, dass es sich bei § 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG um eine Soll-Vorschrift handelt. Auch ist bei aufenthaltsbeschränkenden Anordnungen nach § 61 Abs. 1c AufenthG, die letztlich dazu dienen, den vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer enger an den Bezirk der Ausländerbehörde zu binden, eine bessere Erreichbarkeit für etwaige Mitwirkungshandlungen zu gewährleisten und ein mögliches Untertauchen zu erschweren (vgl. BT-Drs. 18/11546, S. 22), das besondere Vollzugsinteresse identisch mit dem Erlassinteresse. Im Hinblick auf den langen Zeitraum der bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers und auf seine weitgehend fehlenden Mitwirkungsbemühungen überwiegt insoweit das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Aufenthaltsbeschränkung zum Zweck der gesetzlich intendierten zeitnahen Aufenthaltsbeendigung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Aufenthaltsbeschränkende Anordnungen nach § 61 Abs. 1c AufenthG dienen einer besseren Überwachung der Erfüllung der Ausreisepflicht (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 92) und setzen nicht die konkrete Gefahr des Untertauchens voraus. Besondere persönliche Gründe, die gegen eine Aufenthaltsbeschränkung auf das Stadtgebiet B. sprechen oder einen atypischen Fall begründen könnten, wurden von der Antragstellerseite nicht vorgebracht (vgl. insoweit auch BayVGH, B.v. 20.3.2019 – 19 CS 18.2075).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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