Verwaltungsrecht

Nacherhebung einer Benutzungsgebühr (Wasser), Festsetzungsverjährung (Beiakt), Satzungswidrige Abrechnung

Aktenzeichen  B 4 S 20.276

Datum:
28.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 6
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc)
AO § 169 ABs. 1, 2
AO § 170 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 13. Januar 2020 gegen den Wassergebührenbescheid der Antragsgegnerin vom 18. Dezember 2019 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 10.499,38 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Stadtwerke … (im Folgenden: Stadtwerke) vom 18. Dezember 2019, mit dem diese Wassergebühren in Höhe von insgesamt 41.997,50 EUR für den Zeitraum vom Februar 2014 bis September 2014 nacherhebt.
Die Antragstellerin ist ein Hefeproduktionsunternehmen, das mit einer Zweigniederlassung in der Stadt … ansässig ist. Im Handelsregister war sie bis 28. Februar 2020 mit der Firma …GmbH Zweigniederlassung …“ eingetragen, nunmehr firmiert sie unter dem Namen „… Die Antragsgegnerin betreibt durch die Stadtwerke eine öffentliche Einrichtung zur Wasserversorgung für das Gemeindegebiet, an die die Antragstellerin angeschlossen ist und durch die sie mit Frischwasser versorgt wird. Im Streitjahr 2014 haben die Stadtwerke 215.868 m³ Wasser an die Antragstellerin geliefert.
Seit dem 1. Januar 2002 gilt die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS) der Antragsgegnerin. Mit Änderungssatzung vom 1. Juli 2003 wurde § 10 BGS-WAS angepasst. Seitdem beträgt die Gebühr pro Kubikmeter entnommenen Wassers gemäß § 10 Abs. 3 BGS-WAS 1,38 € zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer von 7%. Die Satzung enthält weder die Möglichkeit einer degressiven Staffelung der Wassergebühren noch deren Abhängigkeit von wassersparenden Maßnahmen.
Durch Vertrag vom 4. Dezember 2000 wurde zwischen der Antragsgegnerin sowie der Antragstellerin die Frischwassersowie Abwasserversorgung näher ausgestaltet. Darin wurde unter Ziffer III. 1) geregelt, dass die Antragstellerin bis 31. Dezember 2005 zur Wasserversorgung über die Stadt berechtigt und verpflichtet ist. Der bis 31. Dezember 2005 festgeschriebene Wasserpreis (zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer) wurde folgendermaßen festgesetzt:
Abnahmemenge
Wasserpreis
0 bis 10.000 m³
2,70 DM/m³ bzw. 1,38 €/m³
10.001 bis 20.000 m³
2,25 DM/m³ bzw. 1,15 €/m³
20.001 bis 40.000 m³
1,70 DM/m³ bzw. 0,87 €/m³
Ab 40.001 m³
1,20 DM/m³ bzw. 0,61 €/m³
Ferner wurde geregelt, dass die Vertragsparteien über diese Tabelle hinaus Möglichkeiten einer weitergehenden Gebührenstaffel diskutieren. Unter Ziffer V. wurde festgelegt, dass der Vertrag mit Unterzeichnung in Kraft tritt und unbefristet gilt. Eine ordentliche Kündigung des Vertrags ist mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr frühestens zum 31. Dezember 2020 möglich.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2007 boten die Stadtwerke sowie die Antragsgegnerin der Antragstellerin den Abschluss eines Wasser-Sonderabnehmervertrages an, der von der Antragstellerin jedoch nicht unterzeichnet wurde. Dennoch wurden fortan die Wassergebührenbescheide auf dieser Basis erstellt. Der Vertragsentwurf enthielt eine Staffelung der Wassergebühren wie folgt:
Abnahmemenge
Wasserpreis
0 bis 25.000 m³
1,38 €/m³
25.001 bis 50.000 m³
1,15 €/m³
50.001 bis 75.000 m³
0,87 €/m³
Ab 75.001 m³
0,61 €/m³
Im Jahr 2014 wurde die Antragstellerin mit Gebührenbescheiden für die Zeiträume Januar bis Dezember 2014 zunächst zu Wassergebühren in Höhe von insgesamt 183.334,57 Euro herangezogen. Dabei wurde die Gebührenstaffelung, wie sie mit dem Schreiben vom 17. Juli 2007 angeboten wurde, zugrunde gelegt.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2015 wiesen die Stadtwerke darauf hin, dass im Zuge der überörtlichen Rechnungsprüfung bzw. der Nachkalkulation der Wassergebühren durch den Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband mitgeteilt worden sei, dass die aktuelle Staffelung der Wassergebühren gegenüber der Antragstellerin nicht rechtskonform sei und eine unzulässige Wirtschaftsförderung darstelle. Das Kommunalabgabenrecht lasse beim Nachweis von wassersparenden Maßnahmen des Industriebetriebes bei der degressiven Gebührenstaffelung eine maximale Ermäßigung von 15% zur satzungsmäßigen Gebühr zu. Für die Antragstellerin ergebe sich bei der aktuellen Gebührenstaffelung ein Nachlass von rund 43%. Aus diesem Grund seien die Stadtwerke aufgefordert, die Gebührenstaffelung anzupassen und die Mengengrenzen anzuheben. Mit den neuen Werten ergebe sich immer noch eine Vergünstigung gegenüber dem Normalpreis von rund 30%. Deshalb sei zur Schaffung einer rechtlich vertretbaren Gebührenabrechnung die Unterzeichnung des Wasser-Sonderabnehmervertrages vom 30. Dezember 2015 erforderlich.
Dieser Vertrag sah folgende Staffelung für den Wasserbezug ab 1. Februar 2016 vor:
Abnahmemenge
Wasserpreis
0 bis 50.000 m³
1,38 €/m³
50.001 bis 100.000 m³
1,15 €/m³
100.001 bis 150.000 m³
0,87 €/m³
Ab 150.001 m³
0,61 €/m³
Auch dieser Vertrag wurde von der Antragstellerin nicht unterzeichnet. Gegen die fortan auf dieser Staffelung basierenden monatlichen Gebührenbescheide legte sie jeweils Widerspruch ein, über die bis heute nicht entschieden wurde. Sie wies zudem darauf hin, dass sie bereit sei, eine Preisanpassung im Rahmen der üblichen Steigerung der Lebenshaltungskosten verbunden mit der im Vertrag vom 4. Dezember 2000 festgelegten Klausel zu gegenseitigen Loyalität zu akzeptieren.
Mit Nacherhebungsbescheid vom 18. Dezember 2019 erhoben die Stadtwerke von der Antragstellerin Wassergebühren für das Streitjahr 2014 nach. Dabei wurde die Gebührenstaffelung des Vertragsangebotes vom 30. Dezember 2015 zugrunde gelegt, sodass die Antragstellerin nunmehr zu insgesamt 225.332,07 € Wassergebühren für den Bezug von 215.868 m³ Wasser herangezogen wurde. Aus diesem Betrag ergab sich eine Nachzahlung für das Streitjahr in Höhe von 41.997,50 €. Der Bescheid wurde an die „Firma …Niederlassung …GmbH“ adressiert.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 13. Januar 2020 Widerspruch ein und beantragte mit weiterem Schreiben vom 22. Januar 2020, den Gebührenbescheid vom 18. Dezember 2019 aufzuheben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass für die Monate Februar 2014 bis September 2014 bestandskräftige sowie bereits bezahlte Gebührenbescheide vorlägen. Zudem fehle es an den gesetzlichen Voraussetzungen, um diese bestandskräftigen Gebührenbescheide abzuändern.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 28. Januar 2020 beantragte die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung gegenüber den Stadtwerken. Ergänzend wurde angeführt, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheids bestünden. Insbesondere könne das Ergebnis einer steuerlichen Betriebsprüfung eine Abänderung der bestandskräftigen Gebührenbescheide nicht begründen.
Bislang wurde weder über den Widerspruch noch über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung durch die Antragsgegnerin entschieden.
Mit Schriftsatz vom 16. März 2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte für die Antragstellerin:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 13. Januar 2020 gegen den Wassergebührenbescheid der Stadtwerke vom 18. Dezember 2019 wird angeordnet.
Zur Begründung wird – mit weiteren Schriftsätzen vom 23. April 2020, 26. Mai 2020, 2. Juli 2020 sowie vom 16. Juli 2020 – unter anderem vorgetragen, dass der Antrag zunächst statthaft sei, da die Antragsgegnerin über ihn nicht in angemessener Zeit entschieden habe. Des Weiteren wird auf die Widerspruchsbegründung Bezug genommen und angemerkt, dass die Antragstellerin sich auf die Bestandskraft der Gebührenbescheide aus dem Jahr 2014 habe verlassen dürfen. Dies gelte insbesondere auch für die den ursprünglichen Bescheiden zugrunde gelegte Gebührenstaffelung aus dem Jahr 2007.
In formaler Hinsicht sei der Bescheid falsch adressiert gewesen, da er sich an die „Firma …Niederlassung …GmbH“ gerichtet habe. Der falsch adressierte Gebührenbescheid sei am 19. Dezember 2019 bei der Antragstellerin eingegangen.
Zudem sei eine Änderung der bestandskräftigen Bescheide fünf Jahre später verfristet bzw. festsetzungsverjährt. Der Antragsgegnerin sei aufgrund der Mitteilung des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbandes seit Ende 2015 bekannt, dass die degressive Gebührenstaffelung nicht rechtskonform sei. Die Gebühr entstehe mit Verwirklichung des Gebührentatbestandes, an den das Gesetz bzw. die entsprechende Satzung die Leistungspflicht knüpfe. Insbesondere entstehe ausweislich § 11 Abs. 1 BGS-WAS die Verbrauchsgebührenschuld mit dem Verbrauch, hier also im Zeitraum von Februar bis September 2014. Entgegen § 13 Abs. 1 Satz 1 BGS-WAS, der eine jährliche Abrechnung vorsehe, sei gegenüber der Antragstellerin seit jeher eine monatliche Abrechnung erfolgt. Dabei würden Mitarbeiter der Antragstellerin den Wasserverbrauch am letzten des Kalendermonats ablesen und diesen an die Antragsgegnerin übermitteln. Daher habe die Festsetzungsverjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2014 begonnen und endete mit Ablauf des 31. Dezember 2018.
Im Weiteren würden die alten Gebührenbescheide die Antragstellerin hinsichtlich der damit verbundenen Anwendung der degressiven Gebührenstaffelung begünstigen. Auch wenn der BayVGH im Gefolge wiederholt entschieden habe, dass ein Gebührenbescheid, der den Gebührenrahmen nicht voll ausschöpfe, lediglich einen belastenden Verwaltungsakt darstelle, werde darauf verwiesen, dass besondere Umstände vorlägen, die den Schluss auf eine begünstigende Wirkung des Gebührenbescheids zulassen würden.
Überdies habe die Antragstellerin über die letzten Jahrzehnte erhebliche Wassersparvorkehrungen vorgenommen. Demnach habe der Stadtwasserverbrauch im Geschäftsjahr 1975/1976 noch 22 m³ Stadtwasser pro Tonne (m³/t) produzierte Hefe betragen, während der Stadtwasserverbrauch im Geschäftsjahr 2017/2018 nur noch 8,7 m³/t produzierte Hefe betrage. Damit ergebe sich eine Prozesswassereinsparung in Höhe von 60,5% bzw. eine Reduktion des Prozesswasserverbrauchs um 13,3 m³/t produzierte Hefe. Insgesamt seien am Standort … im Zeitraum von 1975-2018 Investitionen in Höhe von 24.803.711 € getätigt worden. Hiervon hätten Investitionen in Höhe von 18.297.022 € (= 73,8%) in unmittelbarem Zusammenhang mit Wassersparmaßnahmen gestanden. Die Antragstellerin habe über die Jahre im Schnitt 7,6% ihres Umsatzes in wassersparende Maßnahmen investiert. Zudem würden die Stadtwerke bei dem streitgegenständlichen neuen Wassergebührenbescheid unter Anwendung einer neuen Gebührenstaffel selbst davon ausgehen, dass degressive Wassergebühren zulässig seien.
Mit Schriftsatz vom 6. April 2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsätzen vom 12. Mai 2020, 10. Juni 2020 sowie vom 17. Juli 2020 wurde weiter Stellung genommen. Dem Widerspruch sei nicht abgeholfen worden, da von Seiten der Antragsgegnerin keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids bestünden. Daher sei auch die sofortige Vollziehung nicht ausgesetzt worden. Zunächst sei der Bescheid an die Antragstellerin mit deren einzig bekannter Anschrift adressiert worden, die auf ihrer Internetseite als solche veröffentlicht sei. In jedem Falle sei ihr der Bescheid zur Kenntnis gelangt und demnach ordnungsgemäß bekannt gegeben worden.
Des Weiteren sei auch die Festsetzung nicht verjährt. Diese betrage vier Jahre und beginne regelmäßig mit Ablauf desjenigen Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden sei. § 170 Abs. 1 AO gelte mit der Maßgabe, dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden könne, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem die Berechnung möglich sei. Dies sei vorliegend das Jahr, das dem Abrechnungsjahr folge. Da die Wassergebühr jährlich abgerechnet werde, könne diese mit Ablauf des Kalenderjahres erst im Folgejahr festgesetzt werden. Damit beginne die Festsetzungsfrist für das Abrechnungsjahr 2014 am 31. Dezember 2015 zu laufen. Festsetzungsverjährung könne damit frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2019 eintreten. Die tatsächliche Abrechnungspraxis führe nicht zu einer Änderung der Festsetzungsverjährung. Ein Monteur der Antragsgegnerin lese jeweils zum Monatsende die drei bei der Antragstellerin vorhandenen Wasserzähler vor Ort ab, die von der Verwaltung geprüft würden und auf deren Basis eine monatliche Abrechnung erfolge. Intern werde aber zum Ende eines jeden Jahres eine Jahresaufstellung der Verbrauchswerte der Antragstellerin erstellt. Wenn diese zu keinem abweichenden Ergebnis zu den monatlichen Abrechnungen führe, erfolge keine weitere Abrechnung oder Aufstellung gegenüber der Antragstellerin. Führe diese jedoch zu Differenzen, sei in der Vergangenheit eine Nachberechnung im Rahmen einer Jahresabrechnung vorgenommen worden. Dies sei der Fall gewesen, als sich ein Defekt eines Wasserzählers herausgestellt habe. Aufgrund der großen Wasserbezugsmengen der Antragstellerin müssten die Verbräuche ständig überwacht werden, um die Netzstabilität zu gewährleisten, Wasserverluste und Schäden frühzeitig zu erkennen und kurzfristig auf Unregelmäßigkeiten reagieren zu können. Deshalb sei die monatliche Erfassung zwingend erforderlich. Dies liege auch im Interesse der Antragstellerin. Dennoch führe dies nicht dazu, dass eine satzungsgemäße Jahresabrechnung ausgeschlossen wäre. Die monatlichen Abrechnungen stünden nach Ansicht der Antragsgegnerin entsprechenden Abschlagszahlungen gleich und seien als solche auszulegen. Andernfalls seien die monatlichen Gebührenbescheide nicht satzungsgemäß. Da sie aber nicht angefochten worden sind, seien sie bestandskräftig. Ein tatsächlich nicht gesetzeskonformes Verhalten schließe nicht allein durch seine Existenz ein rechtmäßiges Handeln aus, das an der Satzung zu messen sei.
Es entspreche ferner der herrschenden Auffassung, dass eine Nacherhebung in den Fällen einer zunächst zu niedrig festgesetzten Abgabe grundsätzlich bis zur materiell-rechtlich richtigen Höhe der Abgabe jederzeit möglich sei, solange noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Abgabenbescheide seien grundsätzlich nur belastende Verwaltungsakte, weshalb in einer bestimmten Festsetzung grundsätzlich keine begünstigende Aussage dahingehend liege, dass die Abgabe nicht noch höher festgelegt werden könne. Die einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen, die § 130 Abs. 2 AO für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte vorsehe, würden somit grundsätzlich nicht für Abgabenbescheide gelten. Nur soweit aus Billigkeitsgründen eine Abgabe niedriger festgesetzt worden sei, handele es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt, etwa im Falle eines Erlasses oder eines Verzichtes.
Im Hinblick auf die Wassergebühren habe der Bayerische Kommunale Prüfungsverband im Zuge einer Betriebsprüfung darauf hingewiesen, dass eine erhebliche Vergünstigung gegenüber einem industriellen Großabnehmer eine unzulässige direkte Wirtschaftsförderung darstellen würde, in der ein Verstoß gegen das Kommunalabgabenrecht ebenso wie gegen das EUBeihilferecht zu sehen sei. Die Antragsgegnerin wies darauf hin, dass materiell-rechtliche Vereinbarungen in Abgabeangelegenheiten, die von dem jeweils anzuwendenden Abgabenrecht abweichen würden, einer spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürften. Art. 8 Abs. 5 BayKAG stelle eine solche zwar dar, eine degressive Staffelung sei in der Satzung aber nicht enthalten. Darüber hinaus sei eine auf den Vertragsangeboten basierende Gebührenabrechnung ebenfalls unzulässig, da diese nicht schriftlich abgeschlossen worden seien. Daher bedürfe es auch keiner Auslegung des Vertrages vom 4. Dezember 2000, weil gemäß dem Vertragswortlaut die zeitliche Begrenzung eindeutig geregelt sei. Dementsprechend wären die Stadtwerke berechtigt, eine Nacherhebung der Verbrauchsgebühren gemäß der BGS-WAS vorzunehmen. Unter Anwendung der Verbrauchsgebühr in Höhe von 1,38 €/m³ ergäbe sich eine Summe von 318.750,69 € (297.897,84 € zzgl. 7% Umsatzsteuer). Tatsächlich erhoben hätten sie jedoch lediglich 225.332,07 €. Hieraus lasse sich jedoch nicht auf eine Anerkennung der wassersparenden Maßnahmen durch die Antragsgegnerin schließen.
Der Vortrag der Antragstellerin zu den angeblich wassersparenden Maßnahmen sei unsubstantiiert. Sie liste lediglich Zahlen ohne konkreten Bezug auf. Auch sei der Betrachtungszeitraum von 42 Jahren nicht geeignet, um im Streitjahr eine degressive Gebührenstaffelung anzusetzen. Selbst wenn der Vertrag vom 4. Dezember 2000 noch seine Gültigkeit besitzen würde, wäre er inhaltlich unwirksam, da es an den konkreten wassersparenden Maßnahmen fehle, die die Antragstellerin in einem konkret bestimmten Zeitraum zu erbringen gehabt hätte. Im Übrigen sei er auch insgesamt nichtig, da er für die Stadt und die Antragsgegnerin sehr nachteilig sei.
Auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin und der Widerspruchbehörde vorgelegten Behördenakten wird entsprechend § 117 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Nacherhebungsbescheid der Stadtwerke vom 18. Dezember 2019 betreffend den Zeitraum Februar bis September 2014 ist begründet.
a) Der Antrag ist zunächst zulässig.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 28. Januar 2020 erfolglos einen vorherigen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides bei der Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 4 VwGO gestellt. Nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Die Notwendigkeit der negativen behördlichen Entscheidung entfällt gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2
Nr. 1 VwGO jedoch, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist nicht entschieden hat. Als Faustregel ist dabei – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – eine Frist von einem Monat gerade noch als angemessen anzusehen (vgl. Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 4. Auflage 2016, § 80, Rn. 182 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Zum Zeitpunkt der Einlegung des Antrags bei Gericht am 19. März 2020 waren bereits mehr als sieben Wochen verstrichen, in denen die Antragsgegnerin ohne nähere Begründung nicht über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entschieden hatte.
b) Der Antrag ist auch begründet.
Die grundsätzlich mit einem Widerspruch verbundene aufschiebende Wirkung tritt kraft Gesetzes nicht ein, wenn ein Verwaltungsakt die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten betrifft, vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs durch Beschluss ganz oder teilweise anordnen. Dies hat in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO dann zu geschehen, wenn entweder so ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen, dass seine Aufhebung oder Abänderung im Hauptsacheverfahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, oder die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts für den Abgabeschuldner eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Die im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung führt zu dem Ergebnis, dass das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen, aber auch grundsätzlich ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Gebührenbescheid der Stadtwerke vom 18. Dezember 2019 betreffend den Zeitraum Februar bis September 2014 voraussichtlich Erfolg haben wird. Der Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als materiell rechtswidrig, da die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.
Zwar geht das Gericht im Grundsatz davon aus, dass für das Jahr 2014 eine Nacherhebung der Gebührenschuld bis zur materiell-rechtlich richtigen Höhe möglich gewesen wäre, jedoch nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist. Nach Ansicht der Kammer ist die Festsetzung einer Gebührenschuld der Antragstellerin aus dem Jahr 2014 nach dem 31. Dezember 2018 wegen der Verjährung unzulässig.
aa) Gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen auf Grund einer besonderen Abgabensatzung, welche die Schuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab, den Satz der Abgabe sowie die Entstehung und Fälligkeit der Abgabenschuld bestimmen muss, Benutzungsgebühren erheben. Zu diesen Einrichtungen gehören auch öffentlich betriebene Wasserversorgungseinrichtungen.
Von der Satzungsermächtigung hat die Antragsgegnerin durch den Erlass ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS) vom 29. November 2001 i.d.F. der Änderungssatzung vom 31. Juli 2003 Gebrauch gemacht und darin die Erhebung einer Verbrauchsgebühr (§ 10) ebenso wie deren Entstehung (§ 11) und Fälligkeit (§ 13) geregelt. Mängel des Satzungsrechts sind nicht gerügt und nach überschlägiger Prüfung nicht ersichtlich.
bb) Die Gebührenerhebung für den Zeitraum vom Februar bis September 2014 war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses aber dem Grunde nach ausgeschlossen, weil die Gebührenansprüche der Antragsgegnerin für diesen Veranlagungszeitraum gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b) KAG i.V.m. § 47 der Abgabenordnung (AO) durch Verjährung erloschen waren.
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) und cc) KAG i.V.m. § 169 Abs. 1 und 2, § 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabenfestsetzung dann nicht mehr zulässig, wenn die zur (Festsetzungs-) Verjährung führende Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese Frist beträgt vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Gebührenanspruch entstanden ist. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) erster Spiegelstrich KAG sieht vor, dass § 170 Abs. 1 AO im Kommunalabgabenrecht mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist. Die Fristberechnung selbst richtet sich nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 a) cc) ccc) KAG i.V.m. § 108 AO und §§ 187 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), sodass die Frist mit Ablauf des vierten Jahres nach dem Jahr der Entstehung des Anspruchs endet. Die Beitrags- und Gebührensatzung der Antragsgegnerin stellt in § 11 Abs. 1 BGS-WAS klar, dass die Verbrauchsgebührenschuld mit dem Verbrauch entsteht. Nach § 13 Abs. 1 BGS-WAS wird der Verbrauch jährlich abgerechnet.
§ 13 Abs. 2 Satz 1 BGW-WAS sieht vor, dass auf die Gebührenschuld monatliche Vorauszahlungen zu leisten sind.
Hieran gemessen lief die Festsetzungsfrist bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2018 ab. Die Gebührenschuld für den streitgegenständlichen Zeitraum entstand nach § 11 Abs. 1 BGS-WAS durch den Verbrauch im Jahr 2014, weshalb die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2014 in Gang gesetzt worden ist. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerseite verschiebt sich dieser Zeitpunkt im vorliegenden Fall nicht auf den Ablauf des 31. Dezember 2015, da die im Streit stehende Forderung ebenfalls bereits im Jahr 2014 berechenbar war. Die Beitrags- und Gebührensatzung der Antragsgegnerin sieht in § 13 BGS-WAS zwar eine jährliche Abrechnung sowie monatliche Vorauszahlungen auf die Gebührenschuld vor, sodass die endgültige Jahresgebühr für das Jahr 2014 danach gegebenenfalls erst im Jahr 2015 berechenbar gewesen wäre; jedoch kam diese Regelung der Antragstellerin gegenüber in tatsächlicher Hinsicht bislang nicht zur Anwendung. Vielmehr erfolgte die Abrechnung stets durch monatliche Gebührenbescheide, die jeweils nach Ablesung der aktuellen Wasserzählerstände zu Beginn des darauffolgenden Monats erlassen wurden. Auch handelte es sich bei diesen Bescheiden weder der eindeutigen Bezeichnung („Gebührenbescheid Wasser“) noch der Berechnungsgrundlage – die durch Ablesung der exakten, tagesaktuellen Zählerwerte und nicht durch die Vorjahresabrechnung ermittelt wurde – nach um Vorauszahlungsbescheide i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 1 BGS-WAS. Folglich standen der Antragsgegnerin die korrekten Berechnungsgrundlagen der einzelnen Monate jeweils bereits im darauffolgenden Monat zur Verfügung. Dass die monatliche Ablesung sowie Abrechnung gegenüber der Antragstellerin als Großabnehmerin zur Gewährleistung einer gesicherten Wasserversorgung notwendig ist, wird von Seiten des Gerichts nicht in Abrede gestellt. Dennoch erscheint es ungerechtfertigt, wenn sich die Antragsgegnerin – trotz der über Jahre hinweg geübten satzungswidrigen Praxis einer monatlichen Abrechnung – nunmehr zum eigenen Vorteil und entgegen ihrem tatsächlichen Handeln auf den in der Satzung vorgesehenen, jährlichen Abrechnungszeitraums beruft. Erst Recht vor dem Hintergrund, dass mit dem vorliegenden Gebührenbescheid ausschließlich der Zeitraum von Februar bis September 2014 nacherhoben wird. Für diesen Zeitraum lagen der Antragsgegnerin die Verbrauchswerte durch die monatlich vorgenommenen Ablesungen tatsächlich und unstreitig spätestens im Oktober 2014 zur Berechnung vor. Aus diesem Grund scheidet nach summarischer Prüfung eine Anwendung der Anlaufhemmung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) cc) erster Spiegelstrich KAG, die zu einer Verschiebung des Fristbeginns auf den 31. Dezember 2015 führen würde, aus. Die geltend gemachte Gebührenschuld betreffend den Zeitraum vom Februar bis September 2014 ist nach überschlägiger Prüfung mit Ablauf des 31. Dezember 2018 nach § 47 AO erloschen, sodass der Bescheid vom 18. Dezember 2019 als rechtswidrig anzusehen ist.
Aus diesen Gründen war dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 3 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang). Dieser beträgt ¼ von 41.997,50 Euro und somit 10.499,38 Euro.


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